Die Symbiose von Aquarienfisch und Aquarianern

Umziehen ist etwas Grauenvolles. Unter anderem bedeutet das, die meterlangen Bücherregale leerzuräumen und das darin enthaltene gedruckte und gebundene Wissen in Kartons zu verpacken. Beim letzten Umzug fiel mir ein kleines Buch in die Hand, das ich schon fast vergessen hatte. „Tiere miteinander“ heißt es, es erschien 1967 in der Kosmos Bibliothek, Autor ist der Erlanger Zoologe Dieter Matthes. Das Titelbild schmückt ein wunderschönes Foto von einem Rotkopf-Falterfisch (Chaetodon larvatus), der gerade von einem Hawaii-Putzerfisch (Labroides phthirophagus) bedient wird.

„Tiere miteinander“ von Dieter Matthes, auch heute noch sehr lesenswert, aber nur antiquarisch zu erwerben.

Dieses Photo machte mich seinerzeit wohl auf das Buch aufmerksam, das ich antiquarisch erwarb – zum Zeitpunkt seines Erscheinens war ich immerhin erst zarte drei Jahre alt. Es geht in dem Buch um Symbiosen, Karposen, Parasitismus und die verschiedenen Zwischenstufen und das Tolle daran ist, dass dieses Thema heute noch so aktuell ist, wie vor über 50 Jahren.

Putzerfisch und geputzter Falterfisch – ganz klar eine Symbiose, beide Partner haben etwas davon. Der Putzerfisch ernährt sich von den Parasiten des geputzten Fisches und er genießt darum weitgehenden Fressschutz, auch, wenn der Kunde eigentlich ein Raubfisch und der Putzer ein leckerer Happen für ihn ist. Der geputzte Fisch wird Parasiten los und damit verringert sich für ihn das Risiko, schwer zu erkranken oder gar zu sterben. Interessant ist diesem Fall auch, dass beide beteiligten Arten diese Handlung zum gegenseitigen Nutzen aktiv begehen, der Putzer macht mit einer besonderen Schwimmweise auf sich aufmerksam, der zu putzende Fisch kommt aktiv zur Putzstation der Putzerfische. Oft muss er dort sogar anstehen, bis er an die Reihe kommt.


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Eine große Muräne (Gymnothorax favagineus) lässt sich von einem Putzerfisch (Labroides dimidiatus) putzen.

In vielen anderen Fällen ist die Sache nicht so eindeutig. Man denke etwa an die Clownfische (Amphiprion) und die von ihnen besiedelten Riesenanemonen (Radianthus und andere). Clownfische können in der Natur ohne Anemonen nicht überleben, die Anemone bietet ihnen Schutz von Fressfeinden und ist zugleich der Lebensmittelpunkt für die Haremsfamilie, die bei Clownfischen aus einem Weibchen und einer Anzahl Männchen besteht. Doch was hat die Anemone davon? Im Aquarium fühlt sie sich von den Clownfischen eher belästigt und gedeiht ohne sie deutlich besser. Doch im Meer gibt es eine Menge Polypenfresser, darunter die bereits genannten Falterfische, die eine Riesenanemone in etwa so verlockend finden dürften, wie unsereins ein Fastfood-Restaurant – schnell und mit geringem Aufwand kann man sich dort den Wanst vollstopfen. Vielleicht könnten die Riesenanemonen ohne die Clownfische, die die Falterfische vertreiben, in freier Natur gar nicht überleben. Doch davon weiß die Anemone nichts. Sie fühlt sich parasitiert und hätte sie die Möglichkeit dazu, würde sie die lästigen Clownfische alternativ sicher vertreiben oder verspeisen. Sie arrangiert sich nur deshalb mit ihren Helfern, weil ihr nichts anderes übrig bleibt.

Anemonenfische (Amphiprion akallopisos) in Anemone
Chaetodon trifasciatus frisst ausschließlich Polypen

Der aktive Part in diesem Zusammenleben geht von den Fischen aus. Wie derartiges entstehen kann, ist auch in dem Buch „Tiere miteinander“ beschrieben. Im Mittelmeer gibt es die Streifengrundel (Gobius bucchichi), die gegen das Nesselgift der am übelsten nesselnden Seeanemone der Region, der Wachsrose (Anemonia sulcata) immun ist und sich dorthin vor Fressfeinden flüchtet. Im westlichen Mittelmeer schlafen die Grundeln sogar in „ihrer“ Anemone, im östlichen Teil ist die Beziehung lockerer. Von diesem Zusammenleben hat die Anemone rein gar nichts, nur die Grundel profitiert davon. Andererseits entsteht der Anemone aber auch kein wirklicher Schaden. In solches Zusammenleben bezeichnet man als Karpose.

Noch ist das Zusammenleben von Anemonengrundel und Wachsrose eine Karpose.

Lange Zeit dachte man auch, dass das Zusammenleben des Bitterlings (Rhodeus amarus) mit Teichmuscheln (Anodonta spp.) eine solche Karpose sei – ohne Nutzen für die Muschel, doch auch ohne Schaden für das Weichtier. Bitterlinge legen ihre Eier in lebende Muscheln, wo der Laich hervorragend vor Fressfeinden geschützt ist. Doch haben neuere Studien ergeben, dass die Lebenserwartung einer Muschel, die von Bitterlingen als Brutapparat benutzt wird, deutlich niedriger ist, als von Vergleichstieren, die nicht von Bitterlingen heimgesucht werden. So handelt es sich im Falle der Bitterlinge wohl um Parasiten an den Muscheln.


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Durch den Suez-Kanal wandern ständig Arten aus dem Roten Meer in das Mittelmeer ein (und umgekehrt). Wenn der polypenfressende Chaetodon semilarvatus kommt, könnte aus der Karpose zwischen Anemonengrundel und Wachsrose eine Symbiose werden.

Man sieht, die Grenzen sind fließend. Wer weiß, vielleicht wandern aus dem Indischen Ozean auch polypenfressende Falterfische durch den Suez-Kanal in das Mittelmeer ein und vielleicht verteidigen dann auch Streifengrundeln ihre Wachsrosen. Dann wäre aus der Karpose eine Symbiose geworden. Und auch der Schritt vom Parasitismus zur Symbiose ist nur klein. Fräßen die Bitterlinge z.B. blutsaugende Egel, die die Teichmuschel schwer schädigen können, so wäre das ein entscheidender Vorteil in der Evolution für die als Brutapparat genutzten Muscheln. Und dann wäre aus dem Parasitismus schon eine Symbiose geworden.

Marmorguramis. Sie stehen beispielhaft für die unzähligen in der Natur nicht vorkommenden Zuchtformen von Aquarienfischen, die dank der Aquaristik – evolutionär gesehen – ausgesprochen erfolgreich sind und in Symbiose mit Homo sapiens leben.

Ganz ähnlich fließend ist auch das Verhältnis zwischen Aquarianern und Fisch. Bei in der Natur häufigen Arten, die nur kurz im Hobby auftauchen, könnte man die Aquarianer durchaus als Parasiten sehen. Es wurde zwar noch nie eine Fischart durch Aquarianer ausgerottet, es ist auch nicht zu erwarten, dass derartiges je geschehen könnte, doch diese Fische könnten auch ohne Aquaristik durchaus quietschfidel überleben. Aber wie ist das in den Fällen, in denen die Fische in der Natur gar nicht ohne den Menschen überleben können? Bei den ungezählten Millionen von Zuchtformen von Goldfisch, Guppy, Platy und Co.? Hier ist eine echte Symbiose entstanden, ein Zusammenleben verschiedener Arten – nämlich Fisch und Mensch – zum gegenseitigen Nutzen. Die Fische sind, vom Standpunkt der Evolution aus gesehen, erheblich erfolgreicher als ihre wildlebenden Vorfahren und der Mensch erhält als Gegenleistung einen Quell steter Erbauung und Erkenntnisgewinns. Auch wenn die Fische es ebenso wenig ahnen, wie die Riesenanemone ahnt, dass die Clownfische gut für sie sind: unterm Strich profitieren die Fische von der Aquaristik.

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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2 Kommentare zu “Die Symbiose von Aquarienfisch und Aquarianern

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