Feilenfische – nützlich und nett

Die Feilenfische (Monacanthidae) sind eine Familie der Kugel­fisch­verwandtschaft (Tetraodontidae). Kugel-, Igel-, Koffer- und Drücker­fische gehören also in ihre nächste Verwandtschaft. Äußerlich ähneln sie am meisten den Drückern, mit denen sie ein Sperrgelenkt am ersten Rückenflossenstachel ge­meinsam haben. Dieses Sperr­gelenkt dient dazu, den Rücken­flossenstachel fest zu arretieren. Während die meisten Kugel­fischverwandten kräftige Beiß­werkzeuge haben, mit denen sie Muscheln, Schnecken, Seeigel und dergleichen knacken, ist die Be­zahnung der Feilenfische ganz auf Kleintiernahrung ausgerichtet.

Tang-Feilenfisch, Acreichthys tomentosus, in Abwehrstellung

Dieser Bezahnung und vor allem der damit verbundenen Freßgewohn­heiten wegen sind die Seewasseraquarianer ursprünglich auf die Feilenfische auf­merksam geworden. Denn einige Arten fressen mit besonderer Vorliebe die im Korallenriff-Aquarium so lästigen Glasrosen (Aiptasia). Allerdings handelt es sich bei diesen Feilenfisch-Arten nicht um Nahrungs­spezialisten. Am häufigsten wird derzeit für den Zweck der Glasrosenbekämpfung die Art Acreichthys tomentosus angeboten, die so populär geworden ist, dass sie sogar einen eingeführten deutschen Namen hat: Tang-Feilenfisch.

Der Tang-Feilenfisch – der beliebteste von allen
Es handelt sich bei dieser Art um einen sehr häufigen und weit verbreiteten Fisch. Er kommt in weiten Teilen des Indo-West-Pazifik vor und erhielt seinen Namen bereits 1758 vom Urvater der zoologischen Namensgebung, Carl von Linné. Mit einer maximalen Größe von 12 cm (Aquarien­exemplare, die bekanntlich erheblich älter werden, als freilebende Tiere, können vielleicht auch etwas größer werden) ist er ideal für die Aquarienhaltung geeignet. Wie fast alle Kugelfischverwandten ist auch der Tang-Feilenfisch kein Ausdauerschwimmer und braucht daher nicht viel Schwimmraum. Der Farbe wegen würde man über das Tier vermutlich eher hinwegsehen. Wie auf den Fotos ersichtlich kommt er üblicherweise in verschiedenen Braun- und Grautönen ein­her. Wer sich jedoch etwas Zeit nimmt und das Tier näher beobachtet, stellt fest, dass er zu einem raschen, stimmungsbedingten Farbwechsel fähig ist, und das macht ihn schon wieder interessant. Dabei kann das Tier sogar leuchtend grün werden!

Erwachsener Tang-Feilenfisch

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Der Tang-Feilenfisch frisst sehr gerne Glasrosen, allerdings frisst er oft auch von anderen sessilen Wirbellosen. Eine dauer­hafte Pflege im Korallenriff-Aquarium ist daher nur manchmal möglich, da bestehen erhebliche individuelle Unterschiede bei den Fischen. Ideal ist es, wenn zusätzlich zum Riffbecken noch ein Fischbecken zur Verfügung steht, in das Acreichthys tomentosus immer dann umziehen kann, wenn die Glasrosen alle sind. Da eine vollständige Vernichtung dieser Über­lebenskünstler nur schwer gelingt, muss der Feilenfisch von Zeit zu Zeit wieder ins Riffaquarium zurück. Es ist darum nicht unbedingt ratsam, ihn wegzugeben, nach­dem er die erste Plage abgewendet ist.

Der Orange-Feilenfisch – der schönste von allen
Nur wenige der rund 100 Feilenfisch-Arten, die man bis heute kennt, fallen durch ihre bunte Färbung auf. Es gibt aber zwei Ausnahmen: die Orange-Feilenfische (Oxy­monacanthus longirostris und O. halli). Beide Arten sehen sich so ähnlich, dass man bis in die 1950er Jahre dachte, sie gehörten der gleichen Art an. Erst dann erkannte man, dass die Orange-Feilenfische aus dem Roten Meer sich von denen aus dem Indopazifik unterschieden und beschrieb sie als O. halli. Auch diese beiden Arten sind häufig und verbreitet, sie werden nur 10-12 cm groß, aber empfehlen kann man sie leider für die allgemeine Meeresaquaristik gar nicht. Es handelt sich um extreme Nahrungs­spezia­listen, die sich in der Natur ausschließlich von Polypen der Steinkorallen-Gattung Acropora ernähren. Zudem sind die Tiere derart sozial, dass einzeln gehaltene Exemplare kümmern. Es kann zwar gelingen, Orange-Feilenfische an Ersatznahrung zu gewöhnen (E. Thaler schaffte das mit gefrosteten weißen Mücken­larven, die sie mittels Pinzette in tote Acropora-Äste applizierte). So umgewöhnte Fische laichten sogar im Aquarium ab. Aber derartig schwierige Pfleglinge sollten doch Spezialisten vorbehalten bleiben, die genau wissen, worauf sie sich einlassen. Da die Tiere, wie schon erwähnt, häufig und verbreitet vorkommen, ist es ja nicht schwierig, sie im Bedarfsfall zu importieren.

Oxymonacanthus longirostris ist wunderschön, jedoch nur für Experten geeignet.

Der Riesen-Feilenfisch – der größte von allen
Die meisten tropischen Feilenfische bleiben handlich klein; man kann sie eigentlich immer bedenkenlos kaufen, wenn ein Fischbecken zur Verfügung steht. Denn der Verbreitungsschwerpunkt gerade der etwas größer werdenden Feilenfische liegt in subtropischen Gewässern, von wo keine Exporte für die Aquaristik erfolgen. Dort kommen die Tiere so häufig vor, dass sie sogar zu Speisezwecken gefischt werden. Während die meisten der eingangs ge­nannten Kugelfischverwandten bei Verzehr tödlich giftig sind, trifft das auf die Feilen­fische nicht zu. Jedenfalls meistens nicht. Denn der Riesen-Feilenfisch (Alutherus scriptus), eine über die gesamten Tropen der Welt verbreitete Art, die bis zu 110 cm lang werden kann, rächt sich manchmal an den Menschen, die ihn verzehren, durch eine Ciguatera-Vergiftung. Diese wird durch den Verzehr von sonst ungiftigen Fischen hervorgerufen, wenn sich in ihrem Fleisch das Gift einer Alge angereichert hat. Aber Aquarianer essen ihre Pfleglinge ja gewöhnlich nicht. Man sollte den Riesen-Feilenfisch also kennen, um ihn nicht versehentlich als niedlichen Jungfisch zu erstehen. Die lange Schwanzflosse macht das Tier ganz gut erkennbar. In öffentlichen Schau-Aquarien ist der Riesen-Feilenfisch aber natürlich ein echtes Schmuckstück, denn er ist sehr hübsch gefärbt. Bezüglich der Nahrungsaufnahme macht das Tier keine Schwierigkeiten, es ist ein ziemlich opportunistischer Allesfresser.

Alutherus scriptus, Männchen. Diese Art wird über 1 m lang und ist der größte Feilenfisch.

Der Rotschwanz-Feilenfisch – der aqua­ristisch interessanteste von allen?
Bei dieser Art, richtig heißt sie Pervagor janthinosoma, handelt es sich wiederum um einen im Indopazifik weit verbreitete Feilenfisch. Auch dieses Tier wird nur etwa 12-14 cm lang. Gegenüber Artgenossen ist der Rotschwanz-Feilenfisch deutlich aggres­siver als die anderen bisher genannten Arten, die gut mit Artgenossen verge­sellschaftet werden können, im Falle von Oxymonacanthus sogar sollten. Dennoch sollte man auch bei dieser Art unbedingt probieren, Paare zusammenzustellen. Noch ist nicht viel über den Rotschwanz-Feilenfisch publiziert worden. Es gibt Berichte, die Art sei schwer ans Futter zu bringen, aber diese sind meist älter (vor 1980) und es ist nicht recht klar, ob die Schwierigkeiten nicht doch eher in einer unsachgemäßen Behandlung der Tiere zu suchen waren. Als erwachsener Fisch (also ab etwa 8 -10 cm Länge) lebt der Rotschwanz-Feilenfisch gewöhnlich paarweise. Die Männchen erkennt man an rauhen, bürsten­artigen Schuppenstrukturen auf dem Schwanzstiel, die den Weibchen fehlen. Sollte sich Pervagor janthinsoma als guter Glasrosen-Vertilger herausstellen, der zudem noch hübsch aussieht und nachgezüchtet werden kann – er wäre sicher der Traum-Feilenfisch für die Riffaquaristik. Allerdings, das muss noch einmal ganz klar gesagt werden, liegen noch viel zu wenig seriöse Erfahrungsberichte über diesen Fisch vor, von Nachzuchten ganz zu schweigen.

Pervagor janthinosoma

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Zucht grundsätzlich möglich!
Feilenfische haben sich Nachzucht­bemühungen recht zugänglich gezeigt. Sogar der extrem heikle Oxymonacanthus hat schon im Aquarium abgelaicht. Allerdings ist der Tang-Feilenfisch wohl die bislang einzige Art, die schon mit nennenswertem Erfolg nachgezüchtet wurde. Die Geschlechter sind leider bei den handelsüblichen Jungtieren nicht er­kenn­bar, erst bei Entritt der Geschlechtsreife entwickeln die Männchen die schon bei Pervagor erwähnten, Stachelschuppen auf dem Schwanzstiel, was im englischen zu dem Populärnamen „Bristle-tail filefish“ (= Borstennschwanz-Feilenfisch“) führte.

Darum schafft man sich am besten 5-6 Jungtiere an und wartet ab, bis sich Paare bilden. Die Tiere laichen in Bodenkuhlen ab, die vom Männchen intensiv verteidigt werden. Die Jungfische fressen willig das in der privaten Korallenfischzucht übliche, züchtbare Plankton (Rädertierchen, aber auch Phytoplankton), die Hauptschwierig­keit bei der Aufzucht besteht darin, eine ausreichend hoher Futterdichte zu halten – die jungen Feilenfische müssen immer förmlich im Futter stehen – und dabei die Wasser­qualität nicht zu schlecht werden zu lassen.

Alles in allem: Feilenfische sind spannende Aquarienfische, an denen es noch viel zu erforschen gilt. Und dabei konnte ich in diesem Artikel noch nicht einmal darauf eingehen, dass es Feilenfische gibt, die hochgiftige Kugelfische nachahmen. Doch hierzu vielleicht ein andermal…

Frank Schäfer

Lexikon

Aiptasia: Bedeutung unbekannt (in der Originalbeschreibung nicht erklärt).

Acreichthys: zusammengesetzt aus den Worten „zugespitzt“ und „Fisch“.

tomentosus: bedeutet „behaart, haarig“.

Oxymonacanthus: bedeutet „spitzer Monacanthus“; Monacanthus ist eine andere Feilenfischgattung.

longirostris: bedeutet „mit langer Schnauze“.

halli: Widmungsname für Major H. W. Hall, M.C., den Besitzer der M.Y. Manihine.

Acropora: „acro“ bedeutet „Extremität“ (auch im Sinne von Ast), „pora“ ist in Anlehnung zur ähnlichen Gattung Millepora (= „mit tausend Poren“) gewählt.

Alutherus: Bedeutung unbekannt. Der ursprüngliche Namensgeber, Baron Cuvier, nannte die Fische „les Alutéres“, was später zum gültigen wissenschaftlichen Namen latinisiert wurde.

scriptus: bedeutet „beschriftet“, wegen der kritzelartigen Körperzeichnung.

Pervagor: bedeutet „umherschweifen“.

janthinosoma: bedeutet „mit veilchenfarbigem Körper“.

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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