Mein erster Selbstgefangener: Rasbora vulcanus

Ich glaube, jeder Naturliebhaber, der sich für die Tier- und Pflanzenwelt der Tropen interessiert und davon träumte, diese Wunderwelt einmal mit eigenen Augen zu schauen, wird sich zeitlebens an das erste Tier oder die erste Pflanze erinnern, die gesammelt wurde, wenn der Traum in Erfüllung ging.

Bei mir war das ein Bärbling, eine Rasbora. Es war 1983, ich hatte gerade Abitur gemacht, war 18 Jahre alt und wollte unbedingt in die Tropen, um Fische zu fangen. Sumatra sollte es sein, diese riesige Zauberinsel, vollgepackt mit mythischen Tieren. Heimlich träumte ich davon, das schon ausgestorben geglaubte Sumatra-Nashorn wiederzuentdecken oder zumindest einen neuen Kampffisch zu finden. Doch zunächst musste ich einige Wochen in einem Möbelhaus arbeiten, um das Geld für die Reise zusammenzubekommen. Schließlich kam ich in Padang, West-Sumatra, an. Ich konnte dort zunächst bei Freunden einer Freundin meiner Eltern wohnen, die mir auch einen Reisebegleiter, einen indonesischen Sportstudenten namens Sam, vermittelten.

Nassreisfeld bei Padang, West-Sumtra

Sams Englisch war so mies wie meines, für Fische interessierte er sich nur insofern, als dass man sie essen konnte und es dauerte ein paar Tage, bis wir wussten, was wir voneinander zu halten hatten. Ich suchte in erster Linie Kampffische (Betta). Aus der Literatur wusste ich, dass es die in Reisfeldern geben soll. Also erklärte ich das Sam so gut ich konnte. Der tat sein Bestes. Wir fuhren los, mit den lokalen öffentlichen Tuktuks und Kleinbussen, denn einen eigenen Wagen mit Fahrer gab der Etat nicht her. Etwas außerhab von Padang stiegen wir aus, eine dichte Traube interessierter und ansonsten beschäftigungsloser Knaben und Mägdelein versammelte sich rasch um die komische Langnase mit den Keschern am Stiel und so ging es quer durchs Dorf. Irgendwann kamen wir an einem Entwässerungskanal eines Reisfeldes an. Lehmtrübes Wasser, hohe Fließgeschwindigkeit, ziemlich tief. Zu tief, um reinzusteigen. Eine gewaltige Zuschauermenge beobachtete mich jetzt bei meinen ersten, ungeschickten Fangversuchen. Irgendwann waren trotzdem Fische im Netz. Ziemlich farblose Genossen, Rasboren, das erkannte ich, ansonsten kannte ich die Art nicht. Schließlich fand ich noch Barben, die noch farbloser waren als die Rasboren (es waren Systomus bimaculatus im weitesten Sinne), Hechtlinge (Aplocheilus panchax) und Grundeln. Ich wollte aber unbedingt Kampffische! Also wusste ich meine neu erbeuteten Schätze zunächst gar nicht recht zu würdigen. Ich nahm aber trotzdem einige der Rasboren mit, worüber ich im nachhinein sehr glücklich war. Sechs Wochen später ging es zurück in die Heimat, im Gepäck auch die Rasboren vom ersten Fangtag.

In Neutralfärbung und erschreckt vom Fang sind Rasbora vulcanus wenig attraktiv.

Die Bestimmung zuhause ergab zunächst, dass es sich um Rasbora reticulata handelte, eine aquaristisch wenig bekannte Art. Ich konnte sie sogar erfolgreich nachzüchten und hatte irgendwann rund 100 Exemplare, denn kaufen wollte die damals niemand. Tja, so ließ ich sie dann wieder in meinen Aquarien aussterben, denn ich hatte und habe nie genug Platz. Aber ich fand es schade, denn eingewöhnte Tiere waren richtig hübsch, mit orangeroten Flossen und einem leuchtenden, kupferfarbenen Längsband.

1999 wurden „meine“ Rasboren dann als neue Art beschrieben. Rasbora vulcanus nannte sie H. H. Tan, der herausgefunden hatte, dass die „echte“ Rasbora reticulata nur auf der kleinen, Sumatra vorgelagerten Insel Nias vorkommt. Und unter ihrem richtigen Namen – also Rasbora vulcanus – wird sie jetzt ab und zu für den Zierfischhandel importiert. Der Name „vulcanus“ bezieht sich auf die vielen Vulkane in West-Sumatra und die feurig rötlichen Flossen der Fische.

Eingewöhnte, balzaktive Rasbora vulcanus sind sehr schöne Fische.

Ich habe jetzt wieder einige dieser etwa 4-5 cm langen Rasboren in einem meiner Becken schwimmen und denke bei ihrem Anblick gern an mein erstes großes Abenteuer zurück, wenn ich nun, viel älter und viel, viel dicker in meinem Tierzimmer zwischen den Aquarien und Terrarien stehe…

Frank Schäfer


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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