„Wie bei allen Künsten wächst der Genuss mit dem Wissen um die Kunst“
– Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag –
Warum haben Mauereidechsen unterschiedlich gefärbte Bäuche?
Dieses Phänomen beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Vor über 25 Jahren sogar so sehr, dass ich eigens deswegen eine Sammeltour die Rhone entlang machte, von der Quellregion bis zur Mündung des Flusses. Mauereidechsen (Podarcis muralis) gibt es schließlich überall in rauhen Mengen. Täglich fuhr ich 50-100 km weiter den Fluss entlang, suchte mir einen Campingplatz und fing ein paar Mauereidechsen. Ich dachte, vielleicht stände die Bauchfärbung der Männchen, die von zinnoberrot bis weiß variiert, in einem Zusammenhang mit dem engeren Habitat – also feuchter oder trockener – oder mit der Höhenverbreitung. Es ergab sich aber aus meinen Fängen keinerlei Hinweis auf solche Zusammenhänge. Da Mauereidechsen ja leider geschützt sind, konnte ich die Tiere nicht mitnehmen, um den Erbgang der Bauchfärbung durch Nachzuchten zu untersuchen, also die Frage, ob rotbäuchige Männchen auch rotbäuchige Nachkommen zeugen. Ich scheue bis heute den ebenso lästigen wie vollständig überflüssigen Papierkrieg mit irgendwelchen Behörden, ohne den eine „legale“ Entnahme von Mauereidechsen zu Pflege- und Zuchtzwecken nicht möglich ist und fürchte, ich werde deshalb in diesem Leben keine Gelegenheit mehr haben, diese Frage zu klären; illegale Tiere pflege ich grundsätzlich nicht, es gibt immer noch genug interessante Arten, die ohne jede Bürokratie gepflegt und gezüchtet werden können.
Die variable Rückenzeichnung der Mauereidechse ist leichter zu erklären, sie steht sicher im Zusammenhang mit der Vielfalt an Lebensräumen, die die Art besiedelt. Schließlich haben Mauereidechsen massenweise Fressfeinde. Und die Chance, von einer Elster, einer Amsel, einem Wiesel oder einer Katze übersehen zu werden, ist nun einmal größer, je variabler und somit zufällig besser angepasst die Rückenzeichung ist. So erklärt sich bestimmt auch der Erfolg der Art „Mauereidechse“, die sich auch bei uns in Deutschland, wo sie traditionell eher selten und an so genannte Wärme-Inseln gebunden war, ständig weiter ausbreitet. Mauereidechsen sind Kulturfolger, die vom Menschen profitieren, jetzt auch vom Klimawandel. Schon immer waren und sind Bahndämme Ausbreitungswege für Mauereidechsen gewesen, und so werden gegenwärtig immer mehr Vorkommen bekannt, obwohl sich doch nur sehr wenige Menschen mit Eidechsen beschäftigen – dank der Deutschen Bundesbahn!
Seit gestern habe ich eine neue Idee über die Farbvarianz der Mauereidechsenbäuche. Unter und an der Veranda unseres Mobilheimes leben auf 10 m drei voll ausgewachsene Männchen. Ganz schön viel für so zänkische Zeitgenossen, die zudem sehr aktiv unterwegs sind. Eines der Tiere hat einen knallroten Bauch, auch die Beine entlang, eines einen orangefarbenen Bauch und eines einen weißen. Vielleicht erkennen sich die Männchen innerhalb der engereren Nachbarschaft individuell an der Bauchfärbung und sparen dadurch Kampfkraft, wenn die Rangordnung einmal ausgefochten ist? Beim Kampf richten sich die Tiere schließlich hoch auf und treteln*, bevor es richtig losgeht. Wenn man dann den Sparringspartner bereits erkennt, spart das richtig viel Energie und verringert auch das Verletzungsrisiko. Das könnte eine Erklärung des Phänomens sein.
Weibchen wohnen übrigens keine unter unserer Veranda. Ich glaube, die vagabundieren herum und lassen sich nur nach Lust und Laune mit potenten Jünglingen ein. Jedenfalls hier, bei Ramatuelle.
* als „treteln“ bezeichnet man eine sehr typische Verhaltensweise der Eidechsen, bei der mit den Vorderfüßen eine Trippelbewegung gemacht wird, ohne dass sich die Eidechse dabei fortbewegt. Das treteln steht immer im Zusammenhang mit der innerartlichen Kommunikation.
Ein ganz normaler Bach – ganz anders
Entlang der Küste der Provence gibt es nicht unbedingt viele Bäche. Zumindest findet man sie nicht so arg leicht. Dort, wo das Navi oder Google Maps Wasser anzeigt, sind oft nur ausgetrocknete Gräben. Ausgeschildert findet man ebenfalls nichts. Also fährt man die Straßen entlang und schaut, was sich ergibt. Findet man dann endlich ein Bächlein, ist es leider meist schwer oder gar nicht zugänglich, man müsste über Stacheldrahtzäune hinweg und „Betreten verboten“-Schilder ignorieren. Doch dann: der Glücksfall! Direkt an einer Haltebucht mit Imbiss ein tiefer Graben und dort unten ein munteres Bächlein. Also hinabgestiegen, tapfer die erstaunten Blicke der Mitmenschen ignoriert (die sich wohl wundern, wozu man zum verrichten der Notdurft Netze und Eimer braucht) und erstmal geschaut. Im klaren Wasser ist zunächst nichts zu sehen, dann entdecke ich ein paar Wasserläufer, ein paar Libellen, einen Rückenschwimmer. Im Flachwasser wächst polsterartig eine interessante Pflanze, die auf den ersten Blick sehr an Brunnenkesse oder Bachbunge erinnert, jedoch sind blühende Exemplare dabei, die eindeutig zeigen, dass es sich weder um Kreuzblütler (Brunnenkresse) noch um eine Veronica (Ehrenpreis) handelt. Statt dessen haben die winzigen Einzelblüten fünf Blütenblätter, also wohl ein Doldenblüter. Eine mir unbekannte Sumpfpflanze – allein dafür hat der Abstieg sich ja wohl schon gelohnt. Da sich das Gewächs durch Ausläufer ausbreitet, kann ich leicht ein paar kleine Ableger für spätere Kulturversuche mitnehmen.
So, nun aber rein mit dem Netz! Ein Wasserskorpion sieht genau aus wie sein mitteleuropäischer Artgenosse; überhaupt: Libellenlarven (In erster Linie Kleinlibellen mit auffällig gestreiftem Schwanzfächer, in einem einzigen zufälligen Netzzug durch die Pflanzen 24 Exemplare!), Wasserkäfer, Eintagfliegenlarven, kleine Schnecken – alles wie daheim, mit einem ganz entscheidenden Unterschied: während bei uns zuhause in einem entsprechenden Bach ein solch zufälliger Netzzug durch die Pflanzen haufenweise Bachflohkrebse gefördert hätte, fehlen sie hier vollständig. Ihre Stelle als Basis der Nahrungskette nehmen hier Stechmückenlarven ein! Die hätte ich in einem Fließgewässer nur bedingt erwartet, schon gar nicht in größerer Menge. Es waren sehr kleine schwarze Mückenlarven, auch die Puppen winzig. Noch am Mittag begannen sie in Menge zu schlüpfen. Wie üblich sind es ja nur die Weibchen, die Blut trinken müssen, die Männchen haben ein kompliziertes Antennen-Gebilde an dem nutzloses Stechrüssel. Sehr zarte Geschöpfe, von denen ich eine Portion zur späteren Bestimmung konserviere.
Mein persönliches Highlight habe ich zunächst völlig übersehen, erst zurück auf dem Campingplatz, als ich die Schlammprobe sortiere, kommt eine kleine Kaulquappe zum Vorschein. Der Körper des Tierchens ist nur ca. 2 mm lang, der sehr hohe, umlaufende Flossensaum und die Transparenz des Körpers lassen mich Seefrosch-Quappen ausschließen. Das ist wohl eine Laubfroschquappe! Richtig, ich hatte den Grünrock ja schon auf dem Campingplatz gelegenlich akustisch wahrgenommen, aber konnte noch kein Exemplar für nähere Betrachtung erbeuten. Wegen der Kleinheit der Quappe – sie ist höchstens eine Woche alt – ist jetzt, Ende Juni, wohl immer noch Fortpflanzungszeit von Hyla meridionalis in der Provence.
Indie muss nochmal
Unser gelber, 11 Monate alter Labrador – wir tauften ihn Dr. Henry Jones jr., Freunde kennen ihn als Indiana Jones und wir rufen ihn Indie – ist uns ein steter Quell großer Freude. Und natürlich durfte Indie mit an die Cote d´Azur. Er hat Spaß am Strand und schätzt die französische Küche, genau wie wir. Gestern abend, so gegen 22.00 Uhr sitzen wir auf der Veranda, haben volle Bäuche, ein Fläschlein Rosé im Kopf und das Leben ist herrlich. Da fiept Indie. Blöd. Der muss wohl nochmal. Es trifft – wen wohl sonst – mich. Also gut, was muss, das muss, bringen wir es hinter uns. Ich suche die Kackebeutel heraus (der Strand wäre sicher nur eingeschränkt so schön, würden alle die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner dort liegen lassen) und ab geht es. Die letzte Laterne vom Campingplatz ist erreicht, ich will Indie grade von der Leine losmachen, damit er nochmal richtig schön rennen kann, da sehe ich aus dem Augenwinkel heraus etwas krabbeln. Schnell zugegriffen. Es ist eine Kreuzkröte! Und was für ein hübsches Exemplar! Kreuzkröten kann man ganz gut am Gang erkennen, sie hüpfen nämlich nicht, wie Erd- und Wechselkröten, sondern rennen. Und zwar recht zügig! Mit diesem Fund hat sich ein weiteres älteres Rätsel gelöst. Vor etlichen Jahren, bei unserem ersten Aufenthalt auf diesem Platz, hatte ich auf der Strandseite des legendären Club 55, dort, wo ein ganzjährig Wasser führendes Bächlein am Strand versickert (man erkennt die ganzjährige Wasserführung daran, dass in dem Bächlein Hornblatt, Ceratophyllum, wächst; diese reine Wasserpflanze besitzt keine Möglichkeit, das Austrocknen des Wohngewässers zu überdauern), Krötenkaulquappen gefunden. Eine Krötenkaulquappe erkennt man sofort an der tiefschwarzen Farbe, aber welche der drei in Frage kommenden Arten es war, konnte ich natürlich nicht herausfinden.
Kröten sind nicht leicht zu sammeln, wenn man nicht zufällig zur Laichzeit an ihrem Gewässer ist. Denn tagsüber graben sich Kröten ein, wodurch sie der Hitze entgehen und zwar so tief, dass die zarte Amphibienhaut noch ein leicht feuchtes Milieu vorfindet. Darum findet man Kröten, wenn man nach ihnen sucht, gewöhnlich nur dann, wenn es geregnet hat und auch das nur nachts. Unter Straßenlaternen ist das klassische Jagdrevier des Krötensammlers, denn dort stürzen verbrannte oder vom sinnlosen Anflug an die Lampe erschöpfte Insekten ab und werden so zur leichten Beute der Froschlurche. Kurz und bündig: während unserer früheren Aufenthalte in dieser Gegend zur Sommerzeit fand ich bisher keine Kröte. Die Kreuzkröte profitiert sicher vom Campingplatz, denn das dort wachsende, vergleichsweise üppige Grün (Palmen, Oleander, Pappeln, Pinien, Tamarisken und verschiedene weitere mediterrane Sträucher und Bäume) brauchen in dieser Dichte und dieser Größe regelmäßig Wasser. Dafür wird gesorgt und davon profitieren ganz sicher die Kröten. Aber sie haben auch einen Blutzoll dafür zu zahlen. Denn heute morgen fand ich auf einem Weg eine plattgetretene Artgenossin der Kreuzkröte von gestern abend. Was einen Menschen dazu bringt, ein Tier, das ihn nichts tun kann, einfach plattzutreten, kann ich nicht nachvollziehen, aber manche Leute sind wohl einfach so. Schade.
Ein aufgeregter Hautflügler
Ich bin gerade auf dem Rückweg von einem ausgedehnten Spaziergang. Da erweckt, nur wenige Hütten von unserem Mobilheim entfernt, ein großes, etwa 3 cm langes Fluginsekt meine Aufmerksamkeit. Es macht direkt auf sich aufmerksam, will mich von etwas anderem ablenken, gibt sich flügellahm. Wie ein Kiebitz, der von seinem Nest auf der Wiese ablenken will und darum so tut, als habe er einen gebrochenen Flügel. Das Insekt ist eine Grabwespe. Sie hat eine ihrer Kinderstuben hier gebaut, direkt am Wegesrand, obwohl dort ständig jemand vorbeigeht und sie in Panik versetzt. Ich hocke mich nieder und schaue etwas genauer hin. Tatsächlich, da ist er, der Höhleneingang. Trichterförmig zeigt der Aushub vom Eingang weg. Diese Grabwespen sind berühmte Kämpfer. Die Weibchen (es sind bei den Hautflüglern, also den Bienen, Hummeln, Wespen, Ameisen etc. ja immer nur die Weibchen, die alle wichtigen Dinge machen, die Männchen, die noch nicht mal stechen können, werden immer nur zur Befruchtung geduldet, danach ist ihr Leben zu Ende; sie sterben freiwillig, oder werden von den Arbeiterinnen abgeschlachtet) fangen Taranteln, also fette, haarige Spinne, die oft genug riesig sind im Vergleich zur Jägerin. Die Grabwespe versetzt der Tarantel, die sich meist erbittert wehrt, einen Stich. Aber der Stich tötet die Tarantel nicht, er lähmt sie nur. Mit einem ungeheuren Kraftakt schafft die Grabwespe die gelähmte Tarantel in die von ihr gegrabene, röhrenförmige Bruthöhle, an deren Ende sich eine kesselartige Erweiterung befindet. Dort deponiert die Wespe die Spinne. Dann legt sie ein Ei. Aus dem Ei schlüpft die maden-artige Wespenlarve, die sich von der lebenden Spinne ernährt, bis die Wespe bereit zur Metamophose ist. Die Mutterwespe verschließt den Bau nach der Eiablage. Die junge Wespe gräbt sich frei und das Spiel beginnt von Neuem.
Ich habe leider nur den letzten Akt des Dramas beobachten können, den Verschluss der Bruthöhle. Darum war die Wespe wohl auch so aufgeregt, so wenig bereit, wegzufliegen, denn sie hatte schließlich schon allerhand investiert.
Oleander in vielen Farben
Ich habe am Tag der Abfahrt in den Urlaub jemandem versprochen, auch Blumen zu bloggen. Das will ich gerne tun und beginne mit Oleander. Er wird wirklich überall angepflanzt und dank des Oleanders blüht es allenthalben. Die ursprüngliche Wildform ist rosa, es treten auch ab und zu weiße Varianten auf, aber hier wachsen unzählige Zuchtformen in rot, cremefarben, halb gefüllt und voll gefüllt mit unterschiedlicher Schlundfarbe der Blüten. In seltsamem Kontrast zu den unzähligen blühenden Oleanderhecken steht der Mangel an nektartrinkenden Insekten. Der Oleander ist grundsätzlich eine Nachtfalter-Schmetterlingsblume, aber die eine oder andere Biene, Hummel oder ein Käferlein hätte ich doch an den Blüten erwartet. Die Frucht des Oleanders ist eine Balgfrucht, die aussieht wie eine Schote; sie kann man derzeit nicht beobachten, dafür ist es noch zu früh im Jahr. Die Samenvermehrung wird wohl auch nur selten praktiziert. Wie bei uns zuhause, wo der Oleander eine seit Jahrhunderten beliebte Kübelpflanze ist (die seit Jahrhunderten von fluchenden Männern im Winter in frostfreie Keller geschleppt wird), vermehrt man die Pflanze über Stecklinge.
Nächste Woche mehr aus der Provence. Eine schöne Zeit bis dahin!
Frank Schäfer
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