Namen-Dramen: die Linienbarbe

Der wissenschaftliche („lateinische“) Name einer Tier- oder Pflanzenart hat zwei Bedeutungen. Erstens soll er die Tier- oder Pflanzenart im wissenschaftlichen System einordnen, also das Tier oder die Pflanze klassifizieren. Und zweitens soll er jede Tier- oder Pflanzenart weltweit universell und unverwechselbar bezeichnen. Manchmal geht es gründlich schief, beide Ansprüche unter einen Hut zu bringen und dann gibt es Namen-Dramen.

Bleekers Linienbarbe, Abbildung aus Atlas ichthyologique des Indes Orientales Néêrlandaises, publié sous les auspices du Gouvernement colonial néêrlandais. Tome II (1863)

Das Namen-Drama um die Linienbarbe begann 1853, als Pieter Bleeker sie erstmals wissenschaftlich beschrieb. Ihm lagen Tiere aus Indonesien (ein 12 cm langes Tier von Ost-Sumatra und ein 9,5 cm langes Tier von Bangka, jeweils Totallänge, also mit Schwanzflosse gemessen) vor. Bleeker benannte die Art Puntius (Barbodes) fasciatus.

Der Bleekersche Fisch hat ein sehr prägnantes Muster aus sechs horizontal verlaufenden Binden, die sich vom Kopf bis zum Schwanz ziehen. Vier lange Barteln am Maul sind ebenfalls sehr charakteristisch für die Art.

Spätere Bearbeiter ordneten auch kleinere Tiere mit weniger Streifen dieser Art zu, denn bis 1996 nahm man an, dass die Anzahl der Streifen mit dem individuellen Wachstum zunehmen würde.

Die kleinen Barben Asiens entzogen sich bis vor Kurzem einer sinnvollen Klassifizierung auf Gattungsebene. Es gibt zu viele Arten, sie sind in ihrer Merkmalsausprägung zu variabel. Erst in den letzten paar Jahren konnte man dank DNS-Analysen die engeren Verwandtschaftsverhältnisse mancher Arten einigermaßen befriedigend klären. Zuvor gab es Wissenschaftler, die die Kleinbarben Asiens allesamt mit dem Gattungsnamen Barbus belegten, andere nannten alles Puntius, wieder andere unterteilten sie nach der Anzahl der Barteln und bezeichneten die Arten ohne Barteln als Puntius, die mit zwei Barteln als Capoeta und die mit vier Barteln als Systomus. Bleekers Linienbarbe landete zwischenzeitlich in der Gattung Barbus, hieß dann also Barbus fasciatus.

Cirrhinus-Arten – hier ein Jungfisch von C. mrigala – werden sehr groß und sind farblich langweilig. Sie werden darum gewöhnlich nicht im Aquarium gepflegt.

Wiederum andere ordneten neu entdeckte Barben-Arten weiteren Karpfenfisch-Gattungen zu. Letzteres geschah z.B. 1849. Da beschrieb Thomas Caverhill Jerdon eine Barbe aus Südindien als Cirrhinus fasciatus. Spätere Bearbeiter klassifizierten diesen Fisch, den wir im Hobby gut kennen und als Glühkohlenbarbe bezeichnen, als „kleine Barbe“, die nicht zu Cirrhinus gehören kann (Cirrhinus-Arten werden nicht im Aquarium gepflegt, es sind silberfarbene, bis zu 1 m lange Speisefische); also gehörte die Glühkohlenbarbe zu Barbus, so wie man die Gattung damals verstand. Es darf aber nicht zwei Arten mit dem gleichen Namen „Barbus fasciatus“ geben. In diesen Fällen gilt das Prioritätsrecht; da Jerdons Beschreibung vier Jahre vor Bleekers Beschreibung erschien, galt: Barbus fasciatus darf nur die Art aus Südindien heißen (also die Glühkohlenbarbe), für die indonesische Art (unsere Linienbarbe) musste ein neuer Name her.

Die Glühkohlenbarbe wurde zunächst als Cirrhinus fasciatus beschrieben, dann als Barbus oder Puntius fasciatus bezeichnet. Gegenwärtig heißt sie Haludaria fasciata. Das Bild zeigt ein Wildfangmännchen. Die Art ist sehr variabel gefärbt.

Das fiel übrigens erst 1956 auf. Die Linienbarbe, ein sehr hübscher, gut haltbarer Fisch, der zudem ein großes Verbreitungsgebiet hat (es gibt ihn auf vielen indonesischen Inseln und auf der malaiischen Halbinsel) war damals schon längst im Hobby bekannt, die Ersteinfuhr als Aquarienfisch nach Deutschland erfolgte bereits 1935. Eric Godwin Silas, der 1956 die Doppelbenennung enttarnte, benannte die Linienbarbe neu. Die Aquarianer lernten das erste Mal um, nun hieß der Fisch also Puntius eugrammus.

Seit 1956 hieß Bleekers Linienbarbe Puntius oder Barbus eugrammus. Leider kenne ich den Fundort dieses Exemplars nicht. Aktuell ist der Name Desmopuntius johorensis die gültige Bezeichnung für diesen Fisch.

Das Jahr 1978 brachte einen neuen Wendepunkt. Yasuhiko Taki und Kollegen publizierten eine Studie über anatomische und farbliche Eigenheiten der Puntius-Arten und zeigten dabei unter anderem, dass die Linienbarbe während ihres Lebens einen dramatischen Farbwechsel durchläuft. Junge Tiere sind nämlich nicht waagerecht (horizontal) sondern senkrecht (vertikal) gestreift!

Diesen Fisch beschrieb Duncker 1904 als Barbus tetrazona var. johorensis. Er ahnte nicht, dass es sich dabei um die Jugendform einer Linienbarbe handelt.

1992 durften die Aquarianer darum wieder einmal umlernen. Denn Maurice Kottelat untersuchte Fischmaterial von der malaiischen Halbinsel und fand dabei heraus, dass eine weitere aquaristisch gut bekannte Art von dort seit 1904 falsch bestimmt wurde. Damals beschrieb Georg Duncker eine senkrecht gestreifte Kleinbarbe von der malaiischen Halbinsel als Barbus tetrazona var. johorensis. Spätere Bearbeiter identifizierten eine Fünfgürtelbarbe als Barbus oder Puntius johorensis. In Wirklichkeit stellt Barbus johorensis aber die Jugendform der Linienbarbe dar! Jetzt musste wir gleich zweimal umlernen: die Fünfgürtelbarbe der malaiischen Halbinsel hieß nun Barbus oder Puntius hexazona, die Linienbarbe aber Barbus oder Puntius johorensis, da dieser Name älter als der von Silas vergebene P. eugrammus ist und damit Priorität hat.

Barbus lineatus steht heute in einer eigenen Gattung namens Striuntius.

In der gleichen Arbeit von 1904 beschrieb Duncker eine weitere Art der Linienbarben, nämlich Barbus lineatus. Sie unterscheidet sich von Bleekers Linienbarbe durch ein anatomisch anders geformtes Maul mit einer fleischigen Unterlippe, fehlenden oder kurzen Barteln und eine höhere Anzahl von Kiemenrechen. Heute steht sie in einer eigenen Gattung namens Striuntius und heißt entsprechend S. lineatus.

Fünfgürtelbarben, Desmopuntius hexazona, Wildfänge aus Süd-Thailand. Diese Form wurde lange Zeit für Barbus oder Puntius johorensis gehalten, bis man merkte, dass B. johorensis die Jungfischform einer Linienbarbe ist.

Groß angelegte DNS-Analysen in den letzten Jahren brachten gewaltige Umwälzungen bezüglich der Gattungszuordnungen der asiatischen Kleinbarben. DNS-Analysen leiden stets unter der Schwierigkeit, dass von vielen Arten kein Material zu bekommen ist und dass von aus systematischer Sicht komplizierten Arten oft die Frage offenbleibt, ob das Material denn richtig bestimmt wurde. Doch zeigte sich recht gut, dass die genetische Verwandtschaft und bestimmte Zeichnungsmuster (in Kombination mit anatomischen Merkmalen) große Übereinstimmungen aufweisen. So werden die Streifenbarben gegenwärtig zusammen mit den Fünfgürtel- und Rhombenbarben in die Gattung Desmopuntius gestellt.

Diese Linienbarben sind Wildfänge aus Süd-Thailand, entsprechen also zoogeografisch Desmopuntius johorensis. Sie haben deutlich weniger Streifen als Bleekers Linienbarbe von Sumatra und Bangka.

Aktuell heißt also die Linienbarbe Desmopuntius johorensis. Früher hieß sie schon Barbus oder Puntius fasciatus, Barbus oder Puntius eugrammus, Barbus oder Puntius johorensis.

Die Herkunft dieser Linienbarbe ist nicht bekannt. Sie ist Desmopuntius johorensis aus Süd-Thailand sehr ähnlich, könnte aber auch eine noch unbeschriebene Art repräsentieren.

Ob damit das Umlernen ein Ende hat? Schwer zu sagen. Aber schaut man sich einmal die Linienbarben im Aquarium genauer an – Kottelat entdeckte und beschrieb 1996 noch zwei der „gewöhnlichen“ Linienbarbe sehr ähnliche Schwesterarten, nämlich Desmopuntius gemellus und D. trifasciatus, bei denen die Jungtiere ebenfalls senkrecht, die Erwachsenen aber waagerecht gestreift sind – so unterscheiden sie sich doch erheblich von den Fünfgürtel- und Rhombenbarben. Allerdings bestätigte die jüngste DNS-Analyse von Ren et al. (2020) die große genetische Nähe der Linienbarben zu den Fünfgürtel- und Rhombenbarben, während die äußerlich so ähnliche Striuntius lineatus nicht sonderlich nahe mit den Linienbarben verwandt zu sein scheint.

Diese Desmopuntius trifasciatus kam als Beifang von Borneo zu uns. Die Lücke in der mittleren Körperbinde hat sich ein halbes Jahr später geschlossen.

Vielleicht erhalten die Linienbarben sogar noch eine eigene Gattung. Und vielleicht lernen wir den wissenschaftlichen Namen von Bleekers Linienbarbe sogar nochmal komplett neu, denn den Artnamen „fasciatus“ darf diese Linienbarbe ja eigentlich nur dann nicht tragen, wenn sie mit der Glühkohlenbarbe in der gleichen Gattung steht. Die Linienbarbe ist wirklich ein perfektes Beispiel dafür, dass trotz aller Anstrengungen, die wissenschaftliche Namensgebung möglichst stabil zu halten, immer wieder einmal Namen-Dramen passieren werden.

Frank Schäfer

Literatur:

Alfred, E. R. (1963): Some colourful fishes of the genus Puntius Hamilton. Bulletin of the Singapore National Museum v. 32: 135-142.

Bleeker, P. (1853): Nalezingen op de ichthyologische fauna van het eiland Banka. Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indië v. 5 (no. 1): 175-194.

Duncker, G. (1904): Die Fische der malayischen Halbinsel. Mitteilungen aus dem Naturhistorischen (Zoologischen) Museum in Hamburg v. 21: 133-207, Pls. 1-2.

Jerdon, T. C. (1849): On the fresh-water fishes of southern India. (Continued from p. 149.). Madras Journal of Literature and Science v. 15 (pt 2): 302-346.

Kottelat, M. (1992): The identity of Barbus johorensis Duncker, 1904 (Teleostei: Cyprinidae). Raffles Bulletin of Zoology v. 40 (no. 2): 187-192.

Kottelat, M. (1996): The identity of Puntius eugrammus and diagnoses of two new species of striped barbs (Teleostei: Cyprinidae) from southeast Asia. Raffles Bulletin of Zoology v. 44 (no. 1): 301-316.

Kottelat, M. (2013): The fishes of the inland waters of southeast Asia: a catalogue and core bibiography of the fishes known to occur in freshwaters, mangroves and estuaries. Raffles Bulletin of Zoology Supplement No. 27: 1-663.

Ren, Q., L. Yang, C.-H. Chang & R. L. Mayden (2020): Molecular phylogeny and divergence of major clades in the Puntius complex (Teleostei: Cypriniformes). Zoologica Scripta: [1-13].

Silas, E. G. (1956): The systematic position of the Indian cyprinid fish, Cirrhinus fasciatus Jerdon (1849), with a new name for Barbus fasciatus Bleeker (1853). Copeia 1956 (no. 3): 194.

Weber, M. & L. F. de Beaufort (1912): „Fische“. In: „Durch Zentral-Sumatra“ von Alfred Maaß. Berlin. Band 2: 522-541, Pls. 11-12.


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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