150 Jahre Paradiesfisch

Ohne Emil Adolf Rossmäßler gäbe es die Aquaristik, wie wir sie kennen, nicht. Die Evolution der Aquaristik von der leicht romantischen “zurück zur Natur”-Bewegung Rossmäßlers zur für den Natur- und Artenschutz unentbehrlichen Hilfswissenschaft, die die Aquaristik heute darstellt, ist jedoch eng mit der Einfuhr bestimmter Fischarten verbunden. Die bedeutendste dieser Fischarten ist der Paradiesfisch, Macropodus opercularis.

Ohne Paradiesfische hätte die Aquaristik einen ganz anderen Weg genommen. Abbildung aus der ersten Auflage von Rossmässlers “Das Süßwasser-Aquarium” von 1857.

Es ist auch sicher keine Übertreibung, dass es die Aquaristik, wie wir sie heute kennen, ohne den Paradiesfisch nicht gäbe. Die Aquaristik Rossmässlers beruht darauf, tümpeln zu gehen, Tiere und Pflanzen draußen zu sammeln und sie anschließend zuhause im Aquarium zu beobachten, um so ein Naturverständnis zu entwickeln. Das sind löbliche und hohe Ansprüche, ich wünschte, es gäbe ein paar moderne Aquarianer mehr, die ihnen frönten, aber natürlich fehlt dieser Aquaristik ein wesentlicher Aspekt, den ein massentaugliches Hobby benötigt: der Wettbewerb. Was das bedeutet? Nun, ein Hobby kann nur dann existieren und sich fortentwickeln, wenn die Hobbyisten sich im sportlichen Wettbewerb untereinander messen können. Die heimische Tier- und Pflanzenwelt bietet nur sehr wenige Arten, die sich dauerhaft im Haus pflegen lassen. Die paar Arten hat jeder nach vergleichsweise kurzer Zeit durch und dann wird es langweilig. Das ist, als ob sich ein literarischer Zirkel bilden will, aber nur über 10 Bücher verfügt. Das wird nichts.


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Die Anfänge der Aquaristik waren so bescheiden, dass dafür noch nicht einmal ein eigenes Fachblatt existierte. Bis zur Gründung der ersten deutschsprachigen Fachzeitschrift, den “Blättern für Aquarien- und Terrarienkunde” im Jahr 1890 waren es allgemeine, alle Aspekte der häuslichen Tier- und Pflanzenpflege betreffende Zeitschriften, in denen sporadisch auch Aufsätze zur Aquaristik erschienen. In diese Zeit fällt auch die Gründung der ersten Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde, ohne die sich ein derart anspruchsvolles Hobby nicht weiterentwickeln kann. Diese Entwicklung verdankt die Aquaristik einem bestimmten Fisch, nämlich dem Paradiesfisch, Macropodus opercularis. Dieser Fisch vereinigt alle Eigenschaften in sich, die man an einen idealen Anfängerfisch stellen kann: er ist wunderschön gefärbt und hat prächtige Flossen; er ist vollkommen anspruchslos in Bezug auf die Wasserzusammensetzung und kann dank eines Hilfsatmungsorgans, des Labyrinths, atmosphärische Luft veratmen, wodurch er sogar in praktisch sauerstofffreiem Wasser noch überleben kann; er ist leicht zu ernähren; er bleibt klein, aber nicht zu klein und benötigt nur wenig Schwimmraum; und er kann stärkere Temperaturschwankungen im Bereich von rund 10°C bis über 30°C ertragen, wie sie unter den damals üblichen, störanfälligen Heizmöglichkeiten (Spiritus-, Gas- oder Kohlebrenner, die unter das Aquarium gestellt wurden) immer wieder einmal auftraten.

Diesen Wunderfisch wollte man haben! Und er war teuer, richtig teuer!

Erstimport nach Frankreich
Die westliche Welt verdankt den Erstimport des Paradiesfischs Frankreich. Am 8. Juli 1869, also vor 150 Jahren erreichten auf dem Seeweg 22 Paradiesfische an Bord der Impératrice Paris. Es waren die Überlebenden von 100 Exemplaren, die der französische Konsul von Ning Po, Eugène Simon, Ehrenmitglied der 1854 gegründeten Société Impériale d’Acclimatation beschafft und dem an Bord der Impératrice dienenden Schiffsoffizier Gérault übergeben hatte. Von den 22 überlebenden Tieren erhielt Pierre Carbonnier 12 Männchen und 5 Weibchen. Zwei Jahre später hatte Carbonnier 200 Nachzuchttiere.

Dies ist die erste (und somit authentische) Abbildung, von den 1869 neu eingeführten Paradiesfischen; sie erschien ursprünglich in der Zeitschrift La Chasse Illustrée. 3 (11): 81 (16.Oktober 1869) und zeigt zwei Männchen. Der Zeichner, Albin Mesnel (1830-1875), war ein geschulter Tiermaler. aus Carbonnier, 1870

Carbonnier, geboren 1828, war offenbar ein begnadeter Aquarianer. Man sagt ihm nach, er habe die Rote Mückenlarve als exzellentes Aquarienfischfutter entdeckt. 1850, also im Alter von nur 22 Jahren, eröffnete Carbonnier in Paris eines der ersten Schauaquarien der Welt. Er besaß aber auch eine Fischzüchterei. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde Carbonniers Fischzuchtanstalt zerstört. Carbonnier baute sie jedoch bald wieder auf. Carbonnier war es auch, der den Populärnamen “Paradiesfisch” prägte. Ihn erinnerte die verschwenderische Flossenpracht der Männchen an den Federschmuck der Paradiesvögel von Neu-Guinea.

Nach Deutschland kamen, den Quellen zufolge, erst 1873/74 die ersten Paradiesfische; das war wohl die Folge der beiderseits betriebenen nationalistischen Feindschaft der beiden Nationen. Importeure nach Deutschland waren u. a. die in Berlin lebenden Gebrüder Sasse; allerdings gab es offenkundig bereits früher vereinzelte Importe, sonst hätte z. B. Bedriaga kaum in der Zeitschrift “Der Zoologische Garten” 1874 über die Tiere berichten können. Ausgestellt und somit einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurden die ersten Paradiesfische in Deutschland aber erst 1876 auf einer Ausstellung des Berliner Vogelzuchtvereines “Aeginata”. Zu dieser Zeit wurden 50 Mark pro Paar gefordert. Eine Mark entspricht ca. 16-18 Euro, also wurden pro Paar Makropoden ca. 800-900 Euro gezahlt. 1878 war der Preis auf 30 Mark gefallen (480-540 Euro). 1886 kostet ein Zuchtpaar 7,50-15 Mark (120-240 Euro), Jungtiere 4-6 Mark (64-96 Euro). Das sind immer noch hohe Summen und erklären zum Teil die Begründung der Aquarienvereine, die ab 1882 in Deutschland erfolgte; man schaffte sich solche teuren Tiere gemeinschaftlich an. Der erste Aquarienverein wurde in Gotha gegründet. Dort entstand bereits 1882 ein Zusammenschluss der dortigen Aquarianer. Der Triton in Berlin folgte 1888 und bereits 1893 wurde auch ein Verein in Hamburg gegründet, der später unter dem Namen „Humboldt“ bekannt wurde. Der Hamburger Verein hat, weil er sozusagen die Quelle der Importe kontrollierte, oft für deren Verbreitung in Deutschland gesorgt (herzlicher Dank an Manuel Thiele für die Daten).
Der Triton, Berlin, erlosch 2015. Gegenwärtig ist wohl die Nymphaea, Leipzig, gegründet 1892, der älteste noch existierende Verein für Aquarien- und Terrarienkunde, gefolgt von der Hottonia, Darmstadt, gegründet 1896. Zu dieser Zeit war der Paradiesfisch bereits erschwinglich geworden und im allgemeinen Sprachgebrauch setzte sich auch die populäre Bezeichnung “Makropode” mehr und mehr durch.

Hier wurde die Originalvorlage augenscheinlich umarrangiert und mit weiteren Import-Fischen aus China ergänzt. Man erkennt Teleskop-Goldfische (Carassius auratus) und Silberkarpfen (Hypophthalmichthys molitrix). aus La Nature, 1873. Auch dieses Bild wurde von Albin Mesnel geschaffen. Der linke Makropode ist das Weibchen, erkennbar an der nur über die halbe Körperhöhe verlaufende Streifung.

Zusammenfassend kann man sagen: der Paradiesfisch gab den Anstoß, sich mit der Pflege und Zucht exotischer Fische zu befassen; das führte zur Gründung von Aquarienvereinen, von Fachzeitschriften und von Betrieben, die Zubehör für die Aquaristik herstellen. Darum ist es nicht übertrieben zu sagen, dass es ohne den Paradiesfisch die moderne Aquaristik wohl nicht gäbe.


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Macropodus opercularis
Es ist nun höchste Zeit, den Paradiesfisch vorzustellen. Die offiziell gültige wissenschaftliche Erstbeschreibung erfolgte 1758 durch Carl von Linné in der 10. Auflage der “Sytema naturae” unter dem Namen Labrus opercularis. Die Artdiagnose war kurz und in Latein. Übersetzt lautet sie: “Schwanzflosse zweizipfelig; Körper mit 10 Streifen; brauner Fleck auf dem Kiemendeckel. China. Lagerstr. 24. Bewohnt Asien.”

Bereits vier Jahre zuvor wurde dieses Exemplar – es gab nur das eine – als Sciaena fasciata beschrieben. Diese Beschreibung ist jedoch ungültig, da sie vor dem offiziellen Beginn der zoologischen Namensgebung (1758) erfolgte. Linné war zu seiner Zeit hochberühmt und geachtet. Er hatte eine treue Fangemeinde, die so genannten “Apostel Linnés”, die ihn mit Naturalien versorgten. Unter ihnen war der Kaufmann und einer der Direktoren Schwedischen Ostindien-Kompanie, Magnus Lagerström. Er präsentierte das Tier (neben anderen Arten) 1748 und 1750; darüber gibt es eine Doktorarbeit aus dem Jahr 1754, nämlich “Specimen Academicus Sistens Chinensia Lagerströmiana”, die von Johannes Laurentius Odhelius verfasst und verteidigt wurde. Hierin erscheint der Name Sciaena fasciata, auf diese Schrift bezieht sich das Kürzel “China. Lagerstr. 24” in Linnés Erstbeschreibung.

Wenngleich Odhelius´ Beschreibung, wie schon gesagt, nicht gültig ist, enthält sie doch wichtige Angaben zu Farbdetails, die in der späteren Beschreibung Linnés fehlen: Punkte auf dem Kopf und dass der Körper bläulich gewesen ist. Leider ging dieses Exemplar, der Holotyp von Labrus opercularis, verloren. Da wir heute mehrere Arten von Paradiesfischen kennen, bringt das Probleme mit sich, denn es ist nicht mehr zweifelsfrei feststellbar, welche Paradiesfisch-Art Linné vorlag. Die Typuslokalität “China” ist zudem sehr vage. Es gibt auch keine Abbildung dieses Tieres. Bis 1945 lehnten darum viele Ichthyologen die Bezeichnung Macropodus opercularis für den Paradiesfisch ab, da die Art aufgrund der Beschreibung nicht identifizierbar sei (Nichols, 1945). Bis in die frühen 1950er Jahre findet man darum die Bezeichnung Macropodus viridi-auratus für den Makropoden in der Literatur. 1958 klärte H. Rendahl das wichtiges Detail auf, dass das Typusexemplar von M. opercularis von Lagerström stammte und somit nur die Stadt Canton (heute Guangzhou) als Typusfundort in Frage kommt, denn dort hatte die Schwedische Ostindien-Kompanie ihren einzigen Zugangshafen nach China. Rendahl verdanken wir auch den Hinweis auf die detaillierte Beschreibung des Typusexemplars des Paradiesfisches durch Odhelius.

Schönes Männchen des Aquarienstammes von Macropodus opercularis.

Nach heutigem Wissensstand gibt es bei Guangzhou zwei Arten von Paradiesfischen, eine rote und eine schwarze. Letztere gehört zur erst 2002 wissenschaftlich beschriebenen Art Macropodus hongkongensis. Da M. hongkongensis zwar einen Kiemendeckelfleck und manchmal auch (wenngleich, verglichen mit M. opercularis, undeutliche) Körperstreifen aufweist, so hat er doch nie ein deutliches Punkt­muster am Kopf. So kann man derzeit davon ausgehen, dass die gegenwärtig als Paradiesfisch im Aquarium verbreitete und gepflegte Art tatsächlich korrekt als Macropodus opercularis Linné, 1758 zu bezeichnen ist.

Andere Arten und Synonyme
Während also die Identität von Macropodus opercularis sensu Linné geklärt scheint, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Paradiesfische, die 1869 von Ning Po nach Frankreich kamen, wirk­lich zu dieser Art gehörten. Lange Zeit glaubte man, es gäbe keine Abbildungen dieser Originaltiere von Carbonnier. Das ist aber falsch, es gibt sie. Und sie zeigen Merkmale, die die heute im Aquarium gepflegten Paradiesfische nicht haben, z.B. verlängerte Flossenstrahlen über die gesamte Hinterkante der Schwanz­flosse, ähnlich, wie man das vom Ceylon-Makropoden (Belontia signata) kennt. Vor allem farblich weichen die Fische aus Ning Po deutlich von allen in der neueren Zeit dokumentierten Paradiesfischen ab, denn sie hatten offenbar gepunktete Flossenmembranen, dafür aber kein deutliches Punktmuster auf dem Kopf. Nun könnte man argumentieren, eine solche Zeitschriften-Illustration erhöbe ja wohl kaum den Anspruch an eine wissenschaftlich korrekte Abbildung. Aber hier liegt der Fall denn doch etwas anders, denn Mesnel, der die Abbildungen schuf, war ein naturwissenschaftlich geschulter Tiermaler.

Dieser handkolorierte Stich, ganz klar eine Kopie der Abbildung von Mesnel, 1869, ziert die Monografie „Die Makropoden ihre Bedeutung als Zierfische, deren Pflege und Zucht“ von Max Ritter von Stubenrauch, 1895. Zur Verfügung gestellt von Frank Fritzlen, Antiquariat Castellum. Die farbige Abbildung ist deshalb so bedeutsam, weil sie beweist, dass von Stubenrauch mit Makropoden roter Grundfärbung züchtetete. Seine Fische waren also Rote Makropoden, nicht, wie die, die Bedriaga (1874) beschreibt, solche von grünlicher Grundfärbung!

1873 publizierte M. N. Joly die detaillierte Beschreibung der Embryonalentwicklung des von Ning Po importierten Paradiesfisches und beschrieb die Art neu als Macropodus paradisi. Typuslokalität dieser Art ist nicht, wie in Eschmeyer (abgerufen 11. August 2019), Canton in China, sondern Ning Po, denn es handelt sich definitiv um Tiere des 1869 nach Frankreich importierten Stammes. Auch wenn die Zeichnung eines erwachsenen Männchens von M. paradisi in Joly nur als missraten bezeichnet werden kann, so zeigt sie doch eindeutig das Merkmal der verlängerten mittleren Schwanzflossenstrahlen und der fehlenden Kopfzeichnung!

1872 war die ursprüngliche Makropodenart von Ning Po bereits durch diese Art ersetzt, bei der es sich wohl um Macropodus venustus handelt. aus Pouchet, 1872

Bereits früher wurden zwei weitere Macropodus-Arten beschrieben, der bereits erwähnte M. viridi-auratus Lacepede, 1801 und M. venustus Cuvier in Cuvier & Valenciennes, 1831. Während M. viridi-auratus auf einer chinesischen Zeichnung beruht, die anatomisch nicht korrekt ist (die Flossen sehen aus wie Haifischflossen und der erste Strahl der Rückenflosse ist der längste), und bezüglich aller erkennbaren Zeichnungsmerkmale lediglich einem gestreiften Gabelschwanz-Makropoden, aber keiner zuordenbaren Art entspricht, ist das bei M. venustus völlig anders. Die Abbildung von M. venustus zeigt wiederum einen Paradiesfisch mit lang ausgezogenen mittleren Schwanzflossenstrahlen! Und – auch das ist sehr bemerkenswert – ohne Kiemendeckelfleck, genau wie bei der Abbildung von M. paradisi!

Auf dieser chinesischen Zeichnung (Iconotyp) beruht die Beschreibung von Macropodus viridi-auratus. Da die Zeichnung anatomisch unkorrekt ist und keine Typuslokalität außer “China” angegeben wird, bleibt der Name zwar verfügbar innerhalb Macropodus, ist jedoch keiner Art zuzuordnen. M. viridi-auratus ist Typusart der Gattung Macropodus.
aus Lacepede, 1801
Nachgestellte Szene der klassischen Abbildung von M. viridi-auratus mit einem lebenden M. opercularis-Wildfang-Männchen. Man sieht sehr schön die Punkte auf dem Kopf und den namensgebenden Opercularfleck.

Die früheste mir bekannte Abbildung von Makropoden in der deutschsprachigen Liebhaber-Literatur ist in der vierten Auflage von Rossmässlers “Das Süßwasser-Aquarium” aus dem Jahr 1880, bearbeitet von Hermes (Rossmässler starb 1867). Hier wird das Tier ganz richtig als Macropodus venustus bezeichnet! Dieser Makropode sieht Cuviers M. venustus sehr ähnlich, aber ohne die ausgezogenen mittleren Flossenstrahlen der Schwanzflosse. Ob vielleicht doch nach 1869 und vor 1880 neue Importe erfolgten? Frank Fritzlen (2019) verdanken wir kostbare und bislang vergessene Hinweise auf Makropoden-Literatur, so auch den auf die vierte Auflage des “Rossmässler”. Etwas später erschien ein Holzschnitt im Buch “Fremdländische Zierfische” von Bruno Dürigen aus dem Jahr 1886. War dieser nur schwarz-weiß, so wurde die gleiche Abbildung in Farbe 1895 als Beilage zu den “Blättern” nochmals verwendet. Auch dieses Tier hat keinen klar abgesetzten Kiemendeckelfleck, lang ausgezogene mittlere Schwanzflossenstrahlen und die Färbung stimmt (inklusive der Rot-Verteilung in der Rückenflosse und der fehlenden Punktzeichnung auf dem Kopf) hervorragend mit Cuviers Macropodus venustus überein. Wenngleich die Bedeutung ausgezogener, mittlerer Schwanzflossenstrahlen (“Kammschwänze”) nicht überbewertet werden darf (im Bookazin No7 finden Sie zu diesem Thema mehr bei der Besprechung der Schwarzen Makropoden) deutet alles darauf hin, dass die Makropoden von Ning Po und die, die zwischen ca. 1880 und 1893 im Aquarium gepflegt wurden, zwei von M. opercularis verschiedene Macropodus-Arten waren.

Die wahrscheinlich früheste in der deutschsprachigen Literatur abgebildete Makropoden-Form aus Rossmässler, 1880. Die kurzen Ventralen deuten auf ein Nachzuchttier hin. Es handelt sich wohl um M. venustus. Die überaus seltene, handkolorierte 4. Auflage des Rossmässler stellte uns Frank Fritzlen zur Verfügung.

1862 wurde der Süden Vietnams (= Cochinchina) von Frankreich besetzt. Es ist überhaupt nicht unwahrscheinlich, dass angesichts der enormen Preise, die für lebende Makropoden anfangs gezahlt wurden (es wird von 30.000 Goldmark berichtet, die der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm für eines der ersten Paare gezahlte haben soll; Fritzlen, 2019) aus Süd-Vietnam lebende Paradiesfische mitgebracht wurden. Die Abbildungen, die ab 1880 bis ca. 1896 publiziert wurden, zeigen ausschließlich Fische, die farblich weder zu den von Ning Po importierten noch zu den heute als M. opercularis bekannten Paradiesfischen passen; es handelt sich auch nicht um Schwarze Makropoden.

1817 erschien diese Abbildung eines Paradiesfisches aus Cochinchina (= Süd-Vietnam) unter der Bezeichnung Macropodus viridi-auratus. aus Cuvier, 1817
Original-Abbildung (Iconotyp) von Macropodus venustus aus Cuvier & Valenciennes, 1831. Es handelt sich ohne jeden Zweifel um die gleiche Art, die Cuvier 1817 zuvor als M. viridi-auratus bezeichnete. Verwirrend ist nur, dass diese Zeichnung laut Cuvier auf Tieren aus Canton, China (= Guangzhou) beruhen soll!
Dies ist eine der ältesten bekannte originäre Abbildungen eines Paradiesfisches aus der deutschen Aquarienliteratur; sie erschien erstmals 1886 in Schwarz-Weiß, 1895 in Farbe. Es handelt sich ohne jeden Zweifel um Macropodus venustus, nicht um M. opercularis oder M. paradisi!

Es ist, meinen Recherchen zufolge, gar nicht Macropodus opercularis, sondern Macropodus paradisi gewesen, der zuerst nach Frankreich kam! Dieser Stamm starb aus, vielleicht in Folge der Zerstörung von Carbonniers Anlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71. Die ausführliche Farb-Beschreibung von Bedriaga (1874) bezieht sich ohne jeden Zweifel bereits auf M. venustus. Spätestens ab 1880 zeigen die Abbildungen in der aquaristischen Literatur M. venustus (oder eine andere, wissenschaftlich noch unbeschriebene Art). Der zur Zeit als M. opercularis bekannte Fisch wird erst seit 1893 im Aquarium gepflegt und gezüchtet. Die nächste mir bekannte Abbildung stammt aus Bade, Das Süßwasseraquarium, 1. Auflage, 1896, es ist jedoch denkbar, dass diese Zeichnung bereits etwas früher angefertigt wurde. Gegenwärtig werden M. venustus und M. paradisi als Synonyme zu M. opercularis geführt, was aber sicher falsch ist. Lebendfotos der beiden Arten sind mir nicht bekannt. Die Typuslokalität von P. venustus wird in der Originalbeschreibung mit “Canton, China” angegeben, also der Typuslokalität von M. opercularis. Das ist sicher ein Hauptgrund dafür, weshalb alle Bearbeiter der Gattung im 20sten und 21sten Jahrhundert M. venustus und M. opercularis für artgleich hielten. Tatsächlich ist aber Canton gar nicht die Typuslokalität von M. venustus. Denn M. venustus, dessen Beschreibung auf einer Zeichnung beruht, die Cuvier von Dussumier aus Canton erhielt, stam­m­te aus Cochinchina. Cuvier publizierte die Art erstmals 1817, damals allerdings noch als Macropodus viridi-auratus, mit Lokalitätsangabe “de Cochinchine”! Die Abbildung zeigt eindeutig M. venustus. Offenbar unterlief Cuvier später während der Bearbeitung der Makropoden 1831 (er unterschied M. viridi-auratus und M. venustus) ein Durcheinander bezüglich der Herkünfte. Leider existieren nur die Zeichnungen, aber keine Typusexemplare von M. venustus und M. paradisi, jedoch besteht für mich kein Zweifel, dass diese Arten von M. opercularis verschieden sind.

Drohendes Männchen vom Aquarienstamm von M. opercularis.

Neugierig geworden? Dies ist nur ein kleiner Auszug aus dem umfangreichen Makropoden-Artikel, der den Hauptteil des gerade erschienenen Bookazine No7 (https://www.animalbook.de/NEWS-Bookazine-Nr-7-Herbst-2019) bildet und alle bislang bekannt gewordenen Makropodus-Beschreibungen plus einige noch unbeschriebene Arten plus alle Zuchtformen vorstellt. Hier noch die Zusammenfassung des Aufsatzes:

Arten der Gattung Macropodus unterscheiden sich in erster Linie durch Details der Färbung. Es lassen sich drei Grundtypen unterscheiden: (1) senkrecht gestreifte, bunte Gabelschwänze, (2) schwarze Gabelschwänze und (3) Rundschwänze. Von der Mehrzahl der nominellen Taxa gibt es kein Typusmaterial und/oder nur unzureichende Fundortangaben, von anderen nur unzureichende Färbungsangaben und/oder Abgrenzungsmerkmale. Aufgrund von deutlichen Zeichnungsunterschieden werden folgende Taxa als valide angesehen: (1) Macropodus opercularis, M. paradisi, M. venustus, und – unter Vorbehalt – M. filamentosus, (2) M. erythropterus, M. hongkongensis, M. spechti und (3) M. ocellatus. Weitere, wahrscheinlich gültige Arten werden vorgestellt, jedoch wegen der wirren Situation bei den vietnamesischen Makropoden und der Unzugänglichkeit mancher Literatur nicht benannt. Die Typuslokalitäten der Arten M. opercularis, M. paradisi und M. venustus werden korrigiert festgelegt. M. oligolepis ist Synonym von M. opercularis; M. concolor, M. phonghanensis, M. tramiensis und M. yeni sind Synonyme von M. spechti; M. lineatus ist Synonym von M. erythropterus; M. baviensis und M. paludosus werden unter Vorbehalt zum Synonym von M. opercularis. M. chinensis, M. ctenopsoides, M. viridi-auratus, und M. yang-ye verbleiben incertae sedis in Macropodus.

Frank Schäfer

Zitierte Literatur

Bade, E. (1896): Das Süßwasser-Aquarium. Berlin

Bedriaga, J. v. (1874): Der chinesische Fisch Macropodus venustus. Der Zoologische Garten 15: 93-97    

Carbonnier, P. (1870): Nouvelle note sur un poisson de Chine appartenant au genre Macropode. Bulletin Mensuel de la Sociétée Imperiale Zoologique d´Acclimatisation: 26-32

Cuvier, G. (1817): Le Règne Animal. Edition accompagnée de planches gravées. Paris

Cuvier, G. & A. Valenciennes (1831): Histoire naturelle des poissons. Tome septième. Livre septième. Des Squamipennes. Livre huitième. Des poissons à pharyngiens labyrinthiformes. F. G. Levrault, Paris. v. 7: i-xxix + 1-531, Pls. 170-208.

Dürigen, B. (1886): Fremdländische Zierfische. Lankwitz-Südende bei Berlin

Fritzlen, F. (2019): Literatura Vivaristica. Aquaristik Fachmagazin 268: 116

Joly, M. N. (1873): Études sur les moeurs, le développement et les métamorphoses d’un petit poisson chinois (1) du genre Macropode (Macropodus Paradisi, Nobis) (2). Mémoires de l’Académie royale des sciences, inscriptions et belles-lettres de Toulouse, Septième Série. v. 5: 312-340, Pl. (figs. 1-24).

Lacepède, B. G. E. (1801): Histoire naturelle des poissons. v. 3: i-lxvi + 1-558, Pls. 1-34

Linnaeus, C. (1758): Systema Naturae, Ed. X. (Systema naturae per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis. Tomus I. Editio decima, reformata.) Holmiae. v. 1: i-ii + 1-824

Rendahl, H. (1958): The original description of the Chinese Paradisefish, Macropodus opercularis (Linnaeus). Copeia 1958, No.2: 145-146

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “150 Jahre Paradiesfisch

  1. Thiele, Manuel

    Sehr geehrter Herr Schäfer,

    ein kleiner Fehler hat sich in Ihren sehr interessanten Beitrag dann doch eingeschlichen. Der erste Aquarienverein wurde in Gotha gegründet. Dort entstand bereits 1882 ein Zusammenschluss der dortigen Aquarianer. Der Triton in Berlin folgte 1888 und bereits 1893 wurde auch ein Verein in Hamburg gegründet, der später unter dem Namen „Humboldt“ bekannt wurde. Der Hamburger Verein hat, weil er sozusagen die Quelle der Importe kontrollierte, oft für deren Verbreitung in Deutschland gesorgt.

    Mit besten Wünschen, Manuel Thiele

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