Mamma mia – Bellamya & Co.!

Immer wieder einmal werden interessante tropische Süßwasser-Schnecken für das Aquarium importiert. Ganz aktuell ist eine Art aus Indien nach Europa gekommen: Bellamya bengalensis. Sie ist eine enge Verwande der heimischen Sumpfdeckelschnecken und Grund genug, diese Weichtiergruppe einmal näher vorzustellen.

Bellamya bengalensis, Wildfang-Weibchen

Die einheimischen Wasserschnecken, die wir üblicherweise im Aquarium und Garten­teich pflegen, nämlich die Schlamm­schnecken (Lymnaea spp. und Radix spp.) und die Posthornschnecken (Planorbarius corneus) haben in unseren Köpfen das folgende Bild ge­prägt: Schnecken sind Zwitter, legen Eier, ver­mehren sich reichlich, können dadurch zur Plage werden und fressen gerne Pflanzen an. Zudem atmen sie über Lungen und können so auch in arg verdrecktem, sauerstoffarmem Was­ser noch überleben. Für die eingangs ge­nannten Arten trifft das durchaus zu. Doch bereits den Urvätern der Aquarienkunde waren auch die Sumpfdeckelschnecken be­kannt, die so ganz anders sind…

ANachzuchtexemplare von Bellamya bengalensis

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Sumpfdeckelschnecken
Nur selten trifft ein deutscher Tiername ins Schwarze, aber hier stimmt er einigermaßen: Diese Schnecken leben vorzugsweise in ruhigen, schlammigen Gewässerteilen (wenn­gleich sie Flüssen und Seen gegenüber Sümpfen deutlich den Vorzug geben) und haben einen Kalkdeckel am Ende des Fußes, mit dem sie, wenn sich die Tiere ins Gehäuse zurückziehen, das Haus wie mit einem Deckel verschließen. Unter Aquarianern nennt man sie auch gerne „Paludinen“. Das kommt von einem alten Gattungsnamen, Paludina. Heute werden die heimischen Arten in die Gattung Viviparus gestellt. Dieser Name bedeutet nichts anderes als „Der Lebendgebärende“. Und dieser Name ist sehr zutreffend, denn Sumpfdeckel­schnecken sind lebendgebärend, bringen also fertig ent­wickelte, lebende Jungtiere zur Welt. Die einander sehr ähnlichen europäischen Arten wer­den im Allgemeinen nicht auf Artniveau unterschieden. Das ist in der Praxis auch ziem­lich egal, denn alle Arten ähneln einander in der Biologie. Aber leider wird im Zoofachhandel fast immer unerkannt die in Deutschland nicht heimische Art Viviparus ater aus Ungarn für Tei­che und Aquarien angeboten. So lange die Tiere im Aquarium oder Gartenteich bleiben, ist das gleich­gültig, aber immer wieder setzen fehl­geleitete Menschen Tiere aus. Dadurch kann es zu Ansiedlungen von gebietsfremden Arten kom­men, was für die ursprünglich vorhan­denen Arten zum Problem werden kann. Da leider unsere in Deutschland heimischen Sumpf­deckelschnecken (Viviparus viviparus, V. acerosus und V. contectus) als gefährdet einge­stuft werden müssen (selbstverständlich ausschließlich durch Umweltzerstörung, ein Sammeln der Tiere für das Aquarium oder den Teich hat keine Aus­wirkungen auf natürliche Bestände), ist ein solches Verhalten strikt abzulehen. Bei den Sumpfdeckelschnecken gilt, was für alle bedroh­ten Kleintierarten gilt: eine Gefährdung ergibt sich nur durch die Zerstörung des Lebens­rau­mes. Ein Individuenschutz ist sinnlos, ebenso ist ein Aussetzen nachgezüchteter Tiere völliger Un­fug. Entweder ist der Lebensraum intakt, dann kommt die Art dort auch vor und braucht keine „Bestandsstützung“, oder der Lebensraum ist geschädigt und dann wird die Art dort auch verschwinden, egal, wie viele Exemplare aus­gesetzt werden.

Bellamya bengalensis, Wildfang-Männchen


Gefühlvolle Fühler
Doch genug von diesem unerfreulichen Thema. Sumpfdeckelschnecken sind nicht nur lebend­gebärend, sondern auch getrenntge­schlecht­lich, das heißt, es gibt Männchen und Weibchen. Eine Selbstbefruchtung, wie bei den Schlamm- und Posthornschnecken ist damit unmöglich und auch eine unerwünschte, daraus folgende, unkontrollierbare Vermehrung, gibt es darum bei Sumpfdeckelschnecken nicht. Männchen und Weib­chen kann man bei allen Arten und Gattungen, den heimischen und ausländischen, daran erkennen, dass bei den Männchen einer der Fühler zu einem Begattungsorgan umge­wan­delt ist. Er sieht dadurch merkwürdig krumm oder dick aus. Sehen also beide Fühler gleich aus, handelt es sich um ein Weibchen, se­hen sie unterschiedlich aus, so ist das Tier ein Männ­chen. Eine Lunge besitzen Sumpf­deckel­schnecken nicht, sie atmen über Kiemen. Das muss man wirklich wissen, denn dadurch verbrauchen sie natürlich Sauerstoff im Wasser, genau wie ein Fisch.

Männchen einer europäischen Sumpfdeckelschnecke, vermutlich Viviparus ater.


Keine Pflanzenzerstörer
Und nun kann auch noch mit dem letzten Vorurteil gegenüber Schnecken aufgeräumt wer­den: Sumpfdeckelschnecken fressen de­finitiv keine Pflanzen an. Ihre Raspelzunge, auch Radula genannt, ist dazu gar nicht in der Lage. Dadurch fressen Sumpfdeckelschnecken aber auch keine festsitzenden Algenbeläge. Ge­wöhn­lich ernähren sich Sumpfdeckel­schnek­ken von der feinen Aufwuchsschicht auf Gegenständen oder auch von der allerobersten Lage von Sediment (umgangssprachlich auch als Schlamm bezeichnet). Man kann sie also nur sehr be­dingt als Algenfresser einsetzen, eher aber als Resteverwerter. Sumpfdeckelschnecken sorgen im Aquarium mit einiger Sicherheit dafür, dass nichts vergammelt. Sie beherrschen aber auch noch einen besonderen Trick. Wie alle Schnecken produzieren auch Sumpfdeckelschnecken fortwährend Schleim. Wenn sie anderweitig nicht genug Futter finden, schleimen Sumpf­deckel­schnecken munter drauflos und bilden ein Schleimnetz in der so genannten Mantel­höhle im Inneren des Schneckenhauses. An dem Schleim bleiben kleine Partikel, die im Wasser schweben, kleben. Schließlich frisst die Schnecke ihren eigenen Schleim wieder auf und mit ihm die daran haftenden Partikel.

Bellamya bengalensis
Diese Sumpfdeckelschnecke aus Indien wurde wohl erst Ende 2014 erstmals nach Europa exportiert. Die Sumpfdeckelschnecken der Gattung Bellamya werden in großen Teilen Asiens gerne gegessen und darum auch von chinesischen Auswanderern in die USA impor­tiert, wo ausgesetzte Exemplare überlebten und sich als „Mystery Snail“ (es handelt sich um die noch nicht als Aquarienschnecke importierte Art Bellamya chinensis) seit etwa 1914 aus­breitet. Bellamya bengalensis, die man populär als Bengalische Sumpfdeckelschnecke bezeich­nen könnte, bildet zahlreiche Varianten aus: 22 Abarten wurden bislang bekannt. Das Tier ist ausgesprochen anpassungsfähig und gedeiht in weichem, sauren Wasser genauso gut wie in hartem, alkalischen Milieu. Auch B. bengalensis ist in Indien eine beliebte Bereicherung des Speise­zettels des Menschen und wird darum in größerem Umfang auf Märkten gehandelt. Sie ist dennoch häufig und wird als „nicht bedroht“ auf der internationalen Roten Liste geführt. B. bengalensis verträgt Temperaturen zwischen 14 und 30°C, kann also in den meisten Zimmer­aquarientypen gepflegt werden.

Cipangopaludina leucythoides

Cipangopaludina leucythoides
Diese Sumpfdeckelschnecke wird häufig aus Vietnam und Thailand importiert. Sie sieht Bellamya bengalensis ziemlich ähnlich, bleibt aber gewöhnlich etwas kleiner und ist kontrast­reicher gezeichnet. Im Handel wird sie gerne als „Tigerturmdeckelschnecke“ bezeichnet, was kein sehr glücklich gewählter Name ist, denn mit den im Boden vergraben lebenden Turm­deckel­schnecken Melanoides tuberculata haben sie verwandtschaftlich nichts zu tun. Die Schnecke Cipangopaludina leucythoides kann bei Temperaturen zwischen 18 und 30°C gepflegt und gezüchtet werden.


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Taia naticoides, die Pianoschnecke, Mutter mit Jungtieren

Taia naticoides
Diese hübsche Art mit dem genoppten Gehäuse stammt aus Burma (= Myanmar) und wurde mit dem netten Namen „Piano-Schnecke“ belegt, da sie oft kontrastreich hell-dunkel gebändert ist – genau wie die Tasten bei einem Piano. Es gibt aber auch einfarbig braune Exemplare. Für den Export werden die Tiere wohl meist im Inle-See gesammelt. Es handelt sich um eine sehr hübsche, leicht zu pflegende Aquarienschnecke, deren Temperaturan­sprüche zwischen 16 und 28°C liegen.

Weibchen von Viviparus sp. mit neugeborenem Jungtier.

Viviparus spp.
Die europäischen Sumpfdeckelschnecken wurden ja schon eingangs erwähnt. Auch sie lassen sich gut im Aquarium pflegen und züchten, gedeihen auf lange Sicht aber besser im Freiland, wo sie sogar ein Einfrieren über­stehen. Zeitweise darf auch für diese Schnecken die Temperatur über 26°C ansteigen, ohne dass das den Tieren schadet, aber wie bei fast allen heimischen Tieren und Pflanzen ist eine lang­jährige Pflege und Zucht unter den relativ gleich­förmigen, zu stressarmen Bedingungen des Zimmeraquariums kniffelig. Es ist besser, man beobachtet sie nur zeitweise im Zimmer­aquarium und lässt sie draußen überwintern. Für regelrechte Kaltwasseraquarien mit dem entsprechenden Licht- und Temperatur-Regime eignen sich Viviparus-Arten aber ausgezeichnet. Früher waren übrigens gold­gelbe Paludinen in der Aquaristik begehrte Pfleg­linge. Es handelt sich um natürliche Farbmangelmutanten (ähnlich Albinos); derzeit sind aber wohl keine derartigen Tiere mehr im Hobby vorhanden. Aber wer weiß, vielleicht tauchen sie ja wieder einmal auf?

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Mamma mia – Bellamya & Co.!

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