
Es gibt mythische, legendäre Tierarten. Manchmal weiß man gar nicht, ob sie existieren oder nur der Fantasie entsprungen sind, wie der Yeti oder das Monster von Loch Ness. Mit der Erforschung solcher Phänomene beschäftigen sich Kryptozoologen. Manchmal finden sie dann neue Tierarten, deren Existenz niemand erwartet hätte, wie das Zwergflusspferd, das Okapi oder den Kongopfau.
Im Falle von Ansorges Flösselhecht, Polypterus ansorgii, liegen die Dinge etwas anders. Von ihm gab es immerhin drei konservierte Exemplare, die BOULENGER 1910 als Grundlage zur Beschreibung der Art dienten. Alle drei Exemplare waren zusammen im Fluss Corbal bei Tchitoli in Portugiesisch-Guinea (heute: Guinea Bissau) gefangen worden. Als ich 2004 mein Buch über Flösselhechte veröffentlichte, waren das die drei einzigen Exemplare die mir zugänglich waren. Sie liegen heute in den Museen von Wien (zwei Tiere) und London (ein Exemplar). Ich hatte damals den leisen Verdacht, es könnte sich bei den drei Tieren um Hybriden, also Kreuzungstiere anderer Arten, oder eine selten auftretende Farbmutante der Art Polypterus bichir handeln, weil seither keine weiteren Tiere gefunden werden konnten.
Doch dann fand ich während der Vorbereitung der Erstbeschreibung von Polypterus mokelembembe im Afrika-Museum in Tervueren (Belgien) zwei weitere Tiere, die C. B. POWELL 1991 in Nigeria gesammelt hatte (eines im Orashi River bei Odieke, eines im Isemu Lake) und die Guy TEUGELS ganz richtig als P.ansorgii bestimmt hatte. Es gab sie also doch! Die beiden nigerianischen Tiere waren – genau wie die der Typusserie – relativ klein, nur etwa 20 cm lang.
Vergebliche Importbemühungen
Seither bemühte ich mich wieder verstärkt darum, doch einmal lebende Exemplare dieser Art zu erhalten, um sie näher studieren zu können. Leider waren meine Bemühungen lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Meist handelte es sich bei den als P. ansorgii angebotenen Fischen um P. bichir, einen engen Verwandten dieser Art. Doch dann erhielt ich tatsächlich von dem Zulieferanten von Aquarium Glaser aus Guinea, Fouad Chaloub, vier Polypterus, bei denen es sich zweifelsfrei um P. ansorgii handelte. Die Tiere waren etwa 25 cm lang. Das war im Winter 2010. Die Tiere sind bis Februar 2014 auf etwa 40 cm Länge herangewachsen, dann musste ich sie leider wegen eines Umzugs abgeben.

Manche frisch importierte Individuen sind kaum bestimmbar. Farblich ähnelt dieser Fisch zwar P. ansorgii, körperliche Merkmale (sehr schlanker Körper, relativ lange Schnauze) sprechen eher für P. bichir. Solche Tiere muss man gewöhnlich lange Zeit pflegen, bevor man eine Artzuordnung vornehmen kann – wenn es überhaupt je gelingt.

Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang – oder doch eher ein P. bichir? Dieses und das darüber abgebildete Exemplar wurden zusammen gefangen.
Polypterus ansorgii werden groß!
Die Ähnlichkeit von Ansorges Flösselhecht mit P. bichir ist enorm. Im Wesentlichen unterscheiden sich die Fische nur im Farbmuster. Während typisch gefärbte P. bichir ein Längsstreifenmuster zeigen, haben typisch gefärbte P. ansorgii eine Zeichnung aus rechteckigen Flecken (“Schachbrettmuster”) auf den Flanken. Bereits aus dieser offensichtlichen, engen Verwandtschaft heraus war zu erwarten, dass P. ansorgii keine Zwergart ist, wie man wegen der geringen Größe der Typusexemplare jahrzehntelang annahm, sondern ähnlich groß wird wie P. bichir. Und der wird immerhin über 60 cm lang. Ein weiteres Indiz sprach dafür, dass P. ansorgii groß wird: meine Fische waren trotz ihrer zuletzt gut 40 cm Länge noch nicht eindeutig geschlechtlich differenziert; bei allen Polypterus-Arten kann man die geschlechtsreifen Männchen an der stark vergrößerten Afterflosse erkennen. Dann konnte Fouad eine echte Sensation vermelden. Er schickte uns ein Foto eines 86 cm langen P. ansorgii, den er und sein Team im Koliba-Fluss, einem Zufluss des Corbal-Flusses nahe einer Stadt namens Gaoual gefangen haben – also topotypisch zu den Typusexemplaren von Ansorges Flösselhecht. Leider kam das Tier bei einem Unfall ums Leben. Dennoch ist mit dem Exemplar der eindeutige Beweis erbracht worden, dass Polypterus ansorgii zu den großwüchsigsten Flösselhechten überhaupt gehört.

Dieses 86 cm lange Exemplar von Polypterus ansorgii beweist, dass die Art zu den größten Polypterus-Arten gehört.
Ansorges Flösselhecht im Aquarium
Die Pflege von Polypterus ansorgii im Aquarium ist leicht. Es handelt sich um sehr ruhige, etwas scheue und sehr friedliche Raubfische. Wie alle Flösselhechte sind es eher dämmerungsaktive Fische, die jedoch nach der Eingewöhnung auch tagsüber zum Fressen erscheinen. Die Ernährung erfolgt am besten mit ganzen, tiefgefrorenen Fischen von etwa 6-8 cm Länge (Stinten).
- Über 50 cm langer P. ansorgii
- Drei über 50 cm lange P. ansorgii
- Zwei über 50 cm lange P. ansorgii
- Zwei über 50 cm lange P. ansorgii
Gegen Artgenossen und artfremde Fische sind Ansorges Flösselhechte meist indifferent. Lediglich zur Fütterungszeit knuffen sie sich auch einmal gegenseitig, aber das scheint bei den geruchsorientierten Tieren, bei denen der Gesichtssinnn nur eine untergeordnete Rolle spielt, eher aus Versehen zu passieren. Ich pflegte die Tiere zusammen mit Hechtsalmlern (Hepsetus odoe), einem Westafrikanischen Lungenfisch (Protopterus annectens) und einigen Welsen. Ein ursprünglich als Futterfisch eingesetzter Roter Cichlide (Hemichromis sp.) tyrannisierte die Flösselhechte derartig, dass sie über einige Wochen nicht mehr fraßen, bis der kleine Stänkerer von kaum 8 cm Länge endlich gefangen und entfernt werden konnte. Man muss bei der Vergesellschaftung dieser sanften Großfische also etwas vorsichtig sein.
Alles in allem konnte Dank der Aquarienkunde wieder einmal ein über hundert Jahre altes Rätsel zumindest ansatzweise gelöst und der Mythos Polypterus ansorgii zu den Akten gelegt werden. Die Systematik der großen Flösselhechte (Polypterus bichir, P. congicus, P. ansorgii, P. lapradei, P. endlicheri) ist allerdings nach wie vor nur unbefriedigend erforscht.

Alle Flösselhechte können stimmungsabhängig stark verblassen, dann wird eine Bestimmung noch schwieriger, als sie es ohnehin schon ist. Auch dieses Bild zeigt P. ansorgii.

Flösselhechte mögen es dämmerig, mit weichem Boden und versteckreich. Da macht P. ansorgii keine Ausnahme.
Frank Schäfer
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