Zu den beliebtesten Zwergfischen gehören die Zwergbärblinge der Gattung Boraras. Lange Zeit stellte man sie in die Gattung Rasbora. Der gegenwärtig gültige Gattungsname ist ein Anagramm von Rasbora und wurde erst 1993 von Kottelat & Vidthayanon aufgestellt.
Die winzigen Fische wurden erst sehr spät entdeckt, man hielt sie wohl zunächst für Jungtiere anderer Arten. Die erste entdeckte Art war B. maculata, die 1904 zusammen mit der Keilfleckbarbe von Georg Duncker, der Leiter der Fischsammlung des Museums Hamburg war, in Johore (Malaysia) gesammelt und beschrieben wurde. Der Zwergbärbling ist weit im tropischen Südostasien (malaiische Halbinsel, Indonesien) verbreitet. Es gibt etliche unterschiedlich aussehende Standortvarianten, die möglichweise sogar verschiedene Arten darstellen. Das zu wissen ist wichtig bei der Zucht, denn unabsichtlich erzeugte Hybriden können unfruchtbar sein. Zum Züchten soll man darum nur Tiere vom gleichen Fundort/Stamm verwenden. Übrigens ist die Zucht nicht ganz einfach. Man braucht weiches, saures Wasser und die Fische sind Dauerlaicher, laichen also zwar nahezu täglich Eier, aber immer nur wenige. Früher diskutierte man darum, ob B. maculata vielleicht eine Kümmerform von der großen Art Rasbora kalochroma sei!
Die zweite entdeckte Art ist Boraras urophthalmoides, die Ernst Ahl 1922 als Rasbora urophthalma beschrieb. Die Hintergründe der Beschreibung dieser Art sind kompliziert; Ahl beschrieb die Tiere anhand eines Aquaristik-Imports aus dem Jahr 1913. Importiert hatten die Tiere die Firma Scholze und Pötzschke, angeblich von stammten sie von Sumatra. Diese Angabe ist aber wohl falsch; natürliche Vorkommen sind aber nur aus Vietnam (Umgebung von Saigon) und Thailand bekannt. Als Maurice Kottelat die angeblichen Typusexemplare von Rasbora urophthalma nachuntersuchte, stellte sich heraus, dass es unidentifizierbare Exemplare irgendeiner Barbe waren. Ob die wirklichen Typen in den Wirren zweier Weltkriege verloren gingen oder ein Etikett vertauscht wurde, wer weiß das schon. Jedenfalls interpretierte Kottelat die Situation so, dass der seit 1922 als Rasbora urophthalma in der Aquaristik bekannte Fisch in Wirklichkeit wissenschaftlich noch unbeschrieben sei und benannte ihn 1991 neu Rasbora urophthalmoides.
Die dritte Boraras-Art, die der Menschheit bekannt wurde, ist Boraras brigittae. Entdeckt wurde dieser bezaubernde Fisch 1977 von Dieter Vogt und Mitreisenden im indonesischen Teil der Insel Borneo, der Kalimantan heißt. Vogt, damals Chefredakteur der DATZ, beschrieb die Art 1978 in derselben Zeitschrift, seinerzeit noch als Unterart von Rasbora urophthalma. Er benannte sie zu Ehren seiner Ehefrau Brigitte. Als deutschen Namen schlug Vogt “Moskitorasbora” vor, denn während des Fanges wurden er und seine Mitreisenden fürchterlich von Moskitos zerbissen. Das natürliche Verbreitungsgebiet liegt südlich der Stadt Banjarmasin, der Hauptstadt der Provinz Kalimantan Selatan. Hier kommt die Art sowohl in colafarbenem Schwarzwasser wie auch in glasklar durchsichtigen Wasser vor. Immer ist das Wasser aber sehr weich.
1991 entdeckte man im Süden Borneos, etwa 400 km weiter westlich von den bisher bekannten Vorkommen von Boraras brigittae, eine weitere Zwerg-Rasbora, die sich von allen anderen Zwerg-Rasboren durch ihren großen, golden umrahmten Schulterfleck unterscheidet. Sie wurde von M. Kottelat als Rasbora merah beschrieben und heißt heute Boraras merah. Interessanterweise gibt es im Verbreitungsgebiet von B. merah teilweise auch B. brigittae, die dort jedoch einen wesentlich schmaleren Seitenstreifen haben. Je nachdem, welche Art im Schwarm dominiert, passt sich die andere farblich an. Ist also B. merah in der Überzahl, sehen die B. brigittae fast wie B. merah aus und sind nur bei ganz genauem Hinsehen zu unterscheiden. Das gleiche gilt umgekehrt. Im Aquarium erwiesen sich darüber hinaus beide Arten als kreuzbar. Ob sie sich in der Natur auch kreuzen, ist unbekannt. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit einem Beispiel dafür zu tun, dass die Artenbildung noch nicht abgeschlossen ist. Auf jeden Fall ist die Art B. merah sehr eng mit B. brigittae verwandt und zumindest in manchen Populationen sehen die Weibchen wie B. brigittae aus und nur die Männchen wie B. merah; es gibt aber auch Populationen, in denen beide Geschlechter in merah-Färbung vorhanden sind.
Heute stehen alle diese Zwerg-Rasboren zusammen in der Gattung Boraras, die anlässlich der Beschreibung der fünften Art, B. micros aus Nord-Thailand, aufgestellt wurde. B. micros ist die kleinste und farblich unauffälligste Art der Gattung.
Als sechste und bislang letzte Art wurde Boraras naevus im Jahr 2011 von Kevin W. Conway und M. Kottelat beschieben. Sie stammt aus Süd-Thailand. Dieser Zwergbärbling war schon vor seiner wissenschaftlichen Beschreibung seit längerer Zeit unter der Bezeichnung „Boraras micros RED“ im Handel. Von allen anderen gepunkteten Zwergbärblingen unterscheidet sich die Art u.a. dadurch, dass Männchen und Weibchen unterschiedlich gezeichnet sind. Der große, runde Schulterfleck ist bei männlichen B. naevus erheblich größer als bei weiblichen.
Keine der Boraras-Arten wird gewöhnlich größer als 1.5 – 2 cm, wobei zu bedenken ist, dass Aquarienfische dieser Arten erstaunlich alt werden können. Diese Miniaturfische machen offenbar die relativ geringen Eimengen, die sie wegen ihrer Körpergröße produzieren, durch Langlebigkeit wett. 10 Jahre und älter werden diese Fischchen im Aquarium locker. Und da Fische zeitlebens wachsen mag mancher Aquarienmethusalem auch mal die 2 cm-Marke überschreiten. In der Natur findet man so große Tiere aber nicht.
Die Zwerg-Rasboren sind gesellig, aber kein eigentliche Schwarmfische. Daher ist eine Gruppe von 10-20 Exemplaren ausreichend. Bezüglich des Wassers sind sie nicht übermässig anspruchsvoll, weich (unter 10° GH) sollte es aber schon sein. Da in solchem Wasser der pH-Wert instabil sein kann, empfiehlt es sich, wenn man Nano-Aquarien damit beschickt, über Luft zu filtern. Die Luftblasen treiben überschüssiges CO2 aus, das in aller Regel für pH-Wert-Schwankungen (die übrigens tödlich sein können!) verantwortlich ist.
Bezüglich der Ernährung sind Zwerg-Rasboren leicht zufriedenzustellen. Als Picker fressen sie alles, was von der Größe her ins Maul passt und tierischen Ursprungs ist. Ob es sich dabei um Trocken-, Frost-, oder Lebendfutter handelt, ist den Fischchen weitgehend egal. Allerdings muss man speziell in Nano-Aquarien sparsam füttern. Gammelnde Futterreste können zu einem tödlichen Desaster für die Fische werden. Es ist sehr sinnvoll, kleine Blasenschnecken (Physella sp.) in Nano-Aquarien als Stammbesatz mitzupflegen. Zum einen sind es äußerst effektive Algenfresser, zum anderen stellen sie sicher, dass im Becken nichts vergammelt. Kommt es bei diesen Schnecken zu einer Massenvermehrung, ist das ein sicheres Indiz, dass zuviel gefüttert wird!
Im Zuchtaquarium kann man Blasenschnecken allerdings nicht brauchen, denn sie fressen auch Fischlaich. Die Zwerg-Rasboren gehören zu den Arten, die, pflegt man sie richtig und füttert man auch feinstes Lebendfutter, wie es die Larven benötigen, ihren Bestand im Aquarium von alleine erhalten. Ist eine dichte Krautecke vorhanden, in die sich die Jungfische, die von ihren Eltern selbstverständlich als Leckerbissen angesehen werden, zurückziehen können, kommen immer genug Jungtiere durch, dass man keine Tiere nachkaufen muss.
Wirklich effektiv zu züchten, ist schwierig, denn die Tierchen sind nicht sonderlich produktiv. Es gibt aber einen Trick, der hilft, wenn man einmal mehr Jungtiere braucht. Die Jungen reagieren nämlich positiv phototaktisch – mit anderen Worten, sie streben dem Lichte zu. Man teilt das Zuchtbecken in der Mitte mit auf einem Rahmen aufgespanntem Fliegengitter (kein Metall!) und setzt einen Trupp Zuchtfische in die eine Hälfte. Das Wasser soll weich und sauer (pH um 5.5) sein. Den Boden im Abteil der Eltern belegt man einige cm dick mit Kokosfasern. Diese bieten den Eiern guten Schutz vor Fressgelüsten der Eltern. Die Hälfte mit den Zuchtfischen hält man im Dämmerlicht, die andere wird gut beleuchtet. Die Jungen wandern dann nach dem Schlupf in die beleuchtete Hälfte ein. So kann man in einem einige Wochen währenden Zuchtansatz dann doch eine erkleckliche Anzahl von Jungfischen erzielen.
Mehr und ausführlichere Informationen zu den Zwerg-Rasboren sind für das nächste, im Februar erscheinende NEWS Bookazine Nr. 2 von Aqualog vorgesehen. Bis dahin lesen Sie doch mal ein gutes Buch? In unserem animalbook.de Shop finden Sie viele Buchtitel zum Thema Nano-Aquaristik!
Frank Schäfer
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Hallo Frank,
ein schön geschriebener Beitrag mit vielen Zusatzinformationen, die man bislang nur gestückelt online finden konnte. Weiter so!
Ich freue mich auf die kommenden Titel der Kolumne.
Gruß
Matthias
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