Bitterlinge und Muscheln – faszinierende Eierverstecker und ihre Wirte (1)

Bei vielen Familien gibt es zu Ostern den Brauch, bunt gefärbte Eier im Garten verstecken und diese von den Kindern der Familiesuchen zu lassen. Aquarianer kennen seit dem Jahr 1869 einen kleinen Fisch, der seine Eier in lebenen Muscheln versteckt: den Bitterling. Erst durch Beobachtung der Tiere im Aquarium wurde die faszinierende Fortpflanzungsbiologie dieser Tiere bekannt.

Teil 1: Bitterlinge

Der einheimische Bitterling (Rhodeus amarus) ist ein kleiner, 6-8 cm lang werdender Karpfenfisch. Er ist berühmt geworden, weil er als Parasit seine Eier in die Kiemenöffnungen lebender Muscheln legt. Das damit verbundene Verhalten ist extrem spannend und macht den Bitterling zu einem idealen Aquarien- und Gartenteichfisch.

Rhodeus amarus, oben Weibchen, unten Männchen

Verschiedene Phasen der Balz beim heimischen Bitterling.

Möglicherweise lebt(e) in Deutschland noch eine zweite Bitterlingsart. Dieses Bild malte der wissenschaftliche Tiermaler Heinrich Harder für das 1913 erschienene Buch „Unsere Süßwasserfische“ von Emil Walter, das die in Deutschland heimischen Fischarten behandelt. Es ist offensichtlich, dass der gemalte Bitterling mit seinen schwarzen Flossensäumen und Punkten in der Schwanzflosse nicht mit Rhodeus amarus identisch ist.

Sämtliche Bitterlingsarten (es gibt etwa 40 verschiedene) pflanzen sich wie die in Deutschland vorkommende Art fort. Sie leben in Asien, nur eine weitere Art, Rhodeus amurensis, findet sich noch im östlichen Europa. Tatsächlich ist auch der heimische Bitterling Rhodeus amarus gar keine natürlich bei uns vorkommende Art, sondern eine vom Menschen versehentlich künstlich angesiedelte, so genannte invasive Art. Bitterlinge kamen erst zwischen 1150 und 1560 in Mitteleuropa an, sie wurden mit Speisekarpfen ungewollt importiert und überlebten in der Umgebung der künstlichen Karpfenteiche. Dann starb der Bitterling in Folge der „kleinen Eiszeit“ (Ende des 16. bis in das 19. Jahrhundert hinein) bei uns wieder aus und kehrte erst gegen Ende des 18ten Jahrhunderts zurück – wieder in Gefolgschaft des Karpfens. Nur so erklärt es sich auch, dass der wirtschaftlich nur als Tierfutter nutzbare Fisch – er schmeckt wirklich bitter und ist für Menschen ungenießbar, obwohl er, verschiedenen Quellen zufolge, in Straßburg regelmäßig auf dem Fischmarkt angeboten wurde – erst vergleichsweise spät von der Wissenschaft entdeckt wurde. Nachdem ihn bereits Conrad Gessner (1516-1565) kannte und beschrieb, geriet er in Vergessenheit. Erst 1782 wurde der in Deutschland vorkommende Bitterling von Marcus Eliser Bloch für das Bildungsbürgertum wiederentdeckt und wissenschaftlich beschrieben. 

Der Hongkong-Bitterling (Rhodeus ocellatus) ist eng mit R. amarus verwandt und bei uns auch winterhart. Er wurde in den 1960er und 1970er Jahren oft irrtümlich in Büchern und Zeitschriften als „heimischer Bitterling“ abgebildet. Es ist zu befürchten, dass er zur „Wiederansiedlung“ der „bedrohten Art“ Bitterling auch gelegentlich gezielt ausgesetzt wurde. Man erkennt R. ocellatus am roten Fleck auf der Schwanzwurzel des Männchens, während das Weibchen einen schwarzen Fleck in der Rückenflosse hat. Beide Merkmale unterscheiden R. ocellatus und R. amarus zuverlässig.

Die einzigartige Fortpflanzungstechnik – der Brutparasitismus in Muscheln – wurde sogar erst 1869 von dem Naturforscher Carl Noll entdeckt. Noll schrieb damals: “Hoffen wir, dass es den nächsten Jahren gelingen werde, den direkten Beweis (Anmerkung: gemeint ist der direkte Beweis, dass es der Bitterling ist, der in Muscheln laicht) zu liefern, vielleicht mit Hilfe des Aquariums, in das zur Laichzeit gefangene Bitterlinge mit Muscheln gesetzt werden, wie es auch vielleicht möglich wäre, die den Muscheln entschlüpfte, allerdings sehr zarte Fischbrut darin zu vollkommenen Bitterlingen heranzuziehen.” Nun, der Beweis wurde erbracht, und zwar genau so, wie Noll es andachte, nämlich durch das Aquarium.

Von Rhodeus amarus gibt es eine xanthoristische Zuchtform, den Goldbitterling.

In den 1960er bis 1980er Jahren erlebte der Bitterling erneut einen schweren Bestandsrückgang in Deutschland, was, wie man glaubte, an der allgemeinen Umweltverschmutzung lag. Heute vermutet man eher, dass es die kalten Frühjahre dieser Periode waren, die dem Bitterling so schwer zusetzten. Somit ist es nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich, den Bitterling in Bezug auf Artenschutzprogramme in Mit­teleuropa zu berücksichtigen. Trotz­­dem wurde der Bitterling in die so genannte FFH-Richtlinie aufgenommen. Das bedeutet, dass er innerhalb der europäischen Union allerhöchsten gesetzlichen Schutz genießt, ein Paradoxon, denn andere invasive Arten werden in der EU bekämpft (wobei man über die Sinnhaftigkeit solcher Bekämpfungsmaßnahmen oft heftig streiten kann!).

Bitterlinge sind wegen ihrer herrlichen Laichfarben perfekte Aquarienfische. Die gegenwärtig 43 beschriebenen und vier weiteren bereits bekannten, aber noch nicht wissenschaftlich beschriebene Arten verteilen sich auf die Gattungen Acheilognathus (Synonyme: Acanthorhodeus, Paracheilognathus, Rhodeops), Paratanakia, Pseudorhodeus, Rhodeus und Tanakia. Erst kürzlich (2014) wurden die verwandtschaftlichen Verhältnisse in einer groß angelegten molekularbiologischen Studie genauer untersucht; im Zuge dieser Untersuchungen wurden die neuen Gattungen Paratanakia und Pseudo­rhodeus beschrieben. Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass fünf gegenwärtig noch zu Acheilognathus gestellte Arten in eine separate Gattung gehören, die jedoch noch nicht festgelegt wurde. Im Jahr 2017 wurde eine weitere Gattung und Art der Bitterlinge neu beschrieben, nämlich Sinorhodeus microlepis aus dem Einzug des Yangtze River, Provinz Szechuan (= Sichuan) in China.

Dieser Kleinbitterling (um 5 cm) mit Barteln wurde als Tanakia himantegus importiert. Die Art wird aktuell der Gattung Paratanakia zugeordnet. Sie soll auf Taiwan und in China vorkommen und 8 cm Länge erreichen können.

Die Bestimmung von Bitterlingen ist nicht einfach, die Spezialliteratur dazu ist unübersichtlich. Hinzu kommt, dass bei der schon erwähnten DNS-Studie noch kryptische, also verborgene Arten festgestellt wurden. Bei Importfischen ist die genaue Herkunft in der Regel nicht zu ermitteln, es kann darum nicht ausgeschlossen werden, dass manche der Namen, die ich hier verwende, in Zukunft noch geändert werden müssen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: ausnahmslos alle Bitterlingsarten sind gut für die Pflege im Aquarium geeignet und da nur eine Art größer als 15 cm wird (und auch diese gewöhnlich nur 8-10 cm Länge erreicht) kann man beim Kauf nicht viel falsch machen. Wegen der Gefahr der ungewollten Hybridisierung sollte man aber immer nur Tiere einer Charge zur Zucht verwenden, denn die Weibchen aller Arten sehen sich extrem ähnlich.

Manchmal werden äußerst farbenprächtige Bitterlinge aus Asien importiert. Oft stammen sie von Taiwan, manchmal kommen sie über Hongkong oder Singapur zu uns. Die exakte Herkunft lässt sich, wie gesagt, leider nur selten ermitteln. Es sind wunderschöne Fische, aber leider werden die vergleichsweise fad gefärbten Weibchen nur selten angeboten. Da heißt es, Jäger- und Sammlereigenschaften zu entwickeln und zuzuschlagen, wenn sich die Gelegenheit bietet!

Acheilognathus tonkinensis ist eine prachtvolle Art, von oben nach unten: Männchen, Weibchen, Männchen in Vollbrunst. Dieser Bitterling wird maximal etwa 12 cm lang, gewöhnlich aber etwa 8 cm. Er stammt aus dem nördlichen Vietnam, südlichen China und dem Nam Mat basin in Laos.

Bitterlinge sind  bezüglich der Wassertemperaturen als subtropische Fische einzuordnen. Die meisten Arten sind bei uns zwar winterhart, es ist aber sicherer, für Überwinterungstemperaturen um 10°C zu sorgen, besonders, wenn nur wenige Exemplare zur Verfügung stehen. Eine Überwinterung bei niedrigen Temperaturen und vor allem unter Kurztagbedingungen (Beleuchtungsdauer deutlich unter 8 Stunden) sind unabdingbar, damit die Fische im Frühjahr bei steigenden Temperaturen und verlängerter Lichtperiode in Laichstimmung kommen. Im Sommer dürfen die Wassertemperaturen durchaus bis 30°C ansteigen, das macht Bitterlingen im Gegensatz zu typischen Kaltwasserfischen wie der Forelle, die schon ab 20°C Probleme bekommen kann, nichts aus.

Acheilognathus macropterus ist eine der größten bekannten Bitterlings-Arten, sie soll fast 30 cm Gesamtlänge erreichen können, wird gewöhnlich aber 8-10 cm lang. Auch hier zeigen wir oben das Männchen, unten das Weibchen. A. macropterus stammt aus China.

Die chemische Zusammensetzung des Wassers bezüglich pH-Wert und Härte ist von untergeordneter Bedeutung für Pflege und Zucht von Bitterlingen. Jedes Trinkwasser ist geeignet. Der pH-Wert sollte jedoch möglichst nicht unter 6 sinken, darum ist mittelhartes oder hartes Wasser günstiger.

Diesen interessant aussehenden Acheilognathus hat Herbert Nigl (Aquarium Dietzenbach) im Jahr 2022 als „sp. Longbody“ importieren können. Die Bestimmung ist mir noch nicht gelungen. Ein großes Problem bei Fischen aus China ist die schlechte Verfügbarkeit der chinesischen wissenschaftlichen Originalliteratur hierzulande.

Die Fütterung von Bitterlingen ist einfach: es sind Allesfresser, ein gutes Flockenfutter kann als Nahrungsgrundlage dienen. Dazu kann man jede Form von Frost- und Lebendfutter reichen. Wie bei allen Barbenverwandten im weitesten Sinne (wissenschaftlich bilden die Bitterlinge eine eigene Unterfamilie, die Acheilogna­th­inae, innerhalb der Familie der Karpfenfische, der Cyprinidae, manchmal werden sie sogar zu einer eigenen Familie erhoben, die dann Acheilognathidae heißt) darf das Aquarium nicht zu sauber sein. Der so genannte Mulm, das sind abgestorbene Pflanzenreste und Kot der tierischen Aquarienbewohner, bildet eine wichtige Zusatznahrung. Dabei ist es wohl weniger dieser Mulm an sich, den die Fische benötigen, als die massenhaft darin lebenden Mikroorganismen, wie Bakterien, Pilze, Einzeller und dergleichen. Es ist jedenfalls immer wieder zu beobachten, dass Kleinbarben und andere, bodenorientiert lebende Cypriniden trotz guter Fütterung abmagern, ohne dass Parasiten oder sonstige erkennbare Ursachen vorhanden sind. Das Phänomen verschwindet, wenn man Mulm im Aquarium duldet.

(Fortsetzung nächste Woche)

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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