Apteronotus: Geisterstunde im Aquarium

Auf den Stocklisten der Zierfisch-Exporteure werden „Black Ghosts“ und „Brown Ghosts“, also Schwarze und Braune Geister angeboten. Ihre deutschen Namen klingen profaner: Weißstirn-Seekuhmesserfisch und Brauner Messerfisch. Doch die in dieser Hinsicht begabteren englischsprachigen Liebhaber haben den einzigartig eleganten Tieren deutlich passendere Namen gegeben. In unvergleichlicher Eleganz gleiten diese Geschöpfe durch das Wasser, als hätten sie das Schweben erfunden – wie Geister eben! Wissenschaftlich heißen diese beiden Arten Apteronotus albifrons und A. leptorhynchus.

Ein wenig geisterhaft erscheint er schon, der Weißstirn-Seekuhmesserfisch, Apteronotus albifrons

Übersicht

Die Südamerikanischen Messerfische kommen in weit über 100 Arten auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent vor, einige haben es auch bis nach Mittelamerika geschafft. Alle Arten besitzen ein elektrisches Organ, das zur Orientierung und zur Kommunikation eingesetzt wird. Sie haben richtig gelesen: diese Fische kommunizieren mittels elektrischer Impulse miteinander! Bei der Orientierung kann man sich den Einsatz der elektrischen Organe analog zu dem Radar oder Sonar vorstellen, das wir Menschen zu diesem Zweck benutzen. Nur eine einzige Art Südamerikanischer Messerfische, nämlich der Zitteraal Electrophorus
electricus hat ein elektrisches Organ, das auch als Waffe eingesetzt werden kann. Dieses bis zu 2 m lange Tier kann damit Stromschläge von 500 Volt bei 1 Ampere austeilen. Wenn es dumm läuft, kann das ausreichen, um einen Menschen zu töten! Aber keine Sorge, das elektrische Organ unserer Geisterfische kann nicht einmal 1 Volt produzieren und selbst bei ausgewachsenen Tieren ist nichts spürbar, wenn man sie anfasst. Mehr zum Zitteraal gibt es hier: https://www.aqualog.de/blog/zitteraale-sie-koennen-angreifen/


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Systematik

Nach diesen einleitenden Worten kurz etwas zur Stellung der Geisterfische im zoologischen System: sie gehören in die Gruppe der Ostariophysii und haben einen Weber´schen Apparat. Das ist ein komplizierte, aus kleinen Knöchelchen bestehende Struktur, die mit der gasgefüllten Schwimmblase der Fische in Verbindung steht. Da die Schwimmblase ein äußerst empfindliches Organ darstellt, das sowohl auf minimale Wasserdruckänderungen reagiert, wie auch als Resonanzkörper für Geräusche dient, kann der Webersche Apparat sehr viele Umgebungsreize an den Fisch weitergeben. Dieses komplizierte Ding ist sicherlich nur einmal in der Evolution “erfunden” worden und kann darum für Aussagen zu Verwandtschaftsverhältnissen herangezogen werden. Demnach stehen die Südamerikanischen Messerfische in einer evolutionären Reihe mit den Karpfenfischen, Salmlern und Welsen.

Man fasst die Südamerikanischen Messerfische in einer Ordnung Gymnotiformes zusammen. Unsere Geisterfische wiederum gehören zur Familie Apteronotidae, die 60-70 Arten in über einem Dutzend Gattungen umfasst. Genauere Angaben sind leider nicht sinnvoll, da derzeit ständig neue Arten entdeckt werden und das Gattungskonzept überprüft wird.

Apteronotus albifrons

Schwarzer Geist

Die am häufigsten im Zoofachhandel anzutreffende Geisterfischart ist Apteronotus albifrons. Sie ist sehr weit in Südamerika verbreitet (Argentinien, Brasilien, Ecuador, Französisch Guyana, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Surinam und Venezuela), doch erscheint es wahrscheinlicher, dass hier mehrere Arten, die sich sehr ähnlich sehen, existieren und nur noch nicht erkannt wurden. Wildfang-Importe erfolgen aus Kolumbien, doch wird diese Art in Indonesien und auch in Mitteleuropa kommerziell für den Aquarienfischhandel gezüchtet. Die Maximallänge liegt bei etwa 50 cm,was jedoch nur für kapitale Männchen gilt. Gewöhnlich erreichen diese Fische eine Länge von 20-30 cm. Nur mal zum Vergleich: der größte bekannte Mensch war etwa 270 groß, aber das ändert nichts daran, dass Mitteleuropäer meist im Bereich von 160-180 cm groß werden. 

Apteronotus leptorhynchus

Brauner Geist

Diese Art, ihr wissenschaftlicher Name lautet Apteronotus leptorhynchus, ist die zweithäufigste im Handel. Auch sie wird aus Kolumbien importiert, auch sie ist sehr weit verbreitet: Brasilien, Französisch Guiana, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam und Venezuela. Diese Art bleibt kleiner, die Maximallänge wird mit weniger als 30 cm angegeben, wobei die Geschlechtsreife um 12 cm einsetzt.

Apteronotus leptorhynchus

Warum Geister?

Man sagt, dass es in Südamerika Stämme gibt, die glauben, die Seelen ihrer Verstorbenen würden in diese Fische fahren und die sie darum als Geisterfische bezeichnen. Ob das der Wahrheit entspricht oder nur eine schöne Anekdote ist, weiß ich nicht. Aber die in der Einleitung zu diesem Aufsatz gegebene Erklärung könnte auch zutreffen. Denn kaum eine andere Fischart kann so geschmeidig und in jede Richtung des dreidimensionalen Raumes schwimmen wie die Messerfische. Das machen sie zudem kopfüber, kopfunter, auf dem Rücken oder in normaler Schwimmstellung, vorwärts wie rückwärts! Niemand, der auch nur einen Rest von Naturliebe besitzt, kann sich diesem fesselnden Schauspiel entziehen.

Apteronotus leptorhynchus

Pflege und Zucht

Im Aquarium sollte man diese Fische grundsätzlich in Gruppen pflegen (5-8 Tiere). Die Geschlechter lassen sich bei den handelsüblichen Jungtieren noch nicht unterscheiden, aber bei einer Länge von 10-12 cm (A. leptorhynchus) bzw. 15-20 cm (A. albifrons) erkennt man die Männchen  haben. Ein 300-400 Liter fassendes Aquarium mit vielen Versteckmöglichkeiten, darunter auch PVC-Rohren, sollte man diesen Fischen bieten. PVC-Rohre sind recht wichtig, denn hier können die Fische bei Bedarf dem “Elektrosmog” entgehen, wenn ihre Artgenossen grade ein Plauderstündchen abhalten und die vergangene Nacht für einzelne
Tiere hart war.

Eine Vergesellschaftung mit anderen Fischarten lässt man besser bleiben. Gegen robuste Arten haben die Geister nicht viel entgegenzusetzen und umgekehrt haben sie die unangenehme Eigenschaft, harmlosen Schwarmfischen gelegentlich die Augen auszubeißen. Wenn dennoch eine Vergesellschaftung erfolgen soll, sind diverse Welsarten noch am besten geeignet. Als Hauptfutter können bei den Geistern Rote und Weiße Mückenlarven (lebend und gefroren) dienen, es werden aber fast alle üblichen Futtermittel akzeptiert, wenn sie nur ins Maul passen. Lediglich Flockenfutter eignet sich kaum. Da Messerfische für Fischverhältnisse sehr intelligent sind, werden sie zahm und lassen sich auch in einem gewissen Rahmen dressieren. Hans Frey berichtete einmal über einen A. albifrons, der besonders gern Tubenfutter fraß (das gibt es heute nicht mehr). Der Messerfisch kam zur Fütterung an die Wasseroberfläche und ließ sich das pastenartige Tubenfutter direkt ins Maul drücken.

Dieser goldgelbe A. leptorhynchus ist keine Zuchtform, sondern eine Mutante. Das Exemplar ist ein Wildfang aus Kolumbien.

Wenn man züchten möchte, muss man wissen, dass diese Fische Saisonlaicher sind, die ihre Geschlechtsorgane außerhalb der
Fortpflanzungszeit so stark reduzieren, dass sie funktionsunfähig sind. Um die Geschlechtsorgane zum Reifen zu bringen, muss man eine Regenzeit simulieren, was dadurch geschieht, dass man über einige Wochen hinweg den Leitwert des Wasser immer weiter absenkt (bis etwa 200-250 µS/cm), dabei den Wasserstand im Aquarium um 10-20 m schwanken lässt und auch das Beregnungsgeräusch kann ein zusätzlicher, wichtiger Auslöser sein. Die Geister laichen in Spalten von Steinen oder Wurzeln ab und betreiben keine Brutpflege. Die Jungfische fressen von Anfang an Artemia Nauplien, die Aufzucht gestaltet sich wenig problematisch. Wer sich näher mit der Zucht dieser Fische beschäftigen möchte, lese bitte bei Kirschbaum & Schugardt (2002) nach.

Alles in allem sind diese Geisterfische sehr zu Recht trotz ihrer Größe jetzt schon seit Jahrzehnten beliebte Aquarienbewohner. Man kann nur empfehlen, es auch einmal mit ihnen zu versuchen. Im Aquarium werden diese Tiere, die in der Natur wohl nur selten älter als drei Jahre werden, ziemlich alt. Über 20 Jahre haben sie ihre Besitzer schon erfreut!


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Entengeister

Apteronotus anas aus Eigenmann und Allen, 1942

Zum Schluss sei noch die bizarrste Art der Geisterfische erwähnt, die von Aquarium Glaser sogar schon einmal aus Peru importiert werden konnte: der Enten-Geisterfisch oder Enten­kopf-Messerfisch (Parapteronotus bona­partii). Bei dieser bis zu 50 cm langen Art entwickelt das Männchen eine geradezu unglaublich lange Schnauze!

Parapteronotus bonapartii wird etwa 40-50 cm lang und hat eine wechselhafte Namensgebung erfahren müssen. Wissenschaftlich am meisten Aufsehen erregte die Art 1942, als Eigenmann und Allen einen grotesken Messerfisch mit riesiger Schnauze als Apteronotus anas beschrieben. Erst 2002 stellte man dann fest, dass A. anas lediglich das erwachsene Männchen der schon 1913 als A. hasemani beschriebenen Art darstellt. Man konnte nachweisen, dass bei dieser Art mit dem Eintritt der Geschlechtsreife die männliche Schnauze immer länger wird. Somit wurde A. anas zum Synonym (ungültiger Name) von A. hasemani.

Bereits ein Jahr vor dieser Entdeckung, nämlich 2001, stellte Albert die Gattung Parapteronotus mit der einzigen Art hasemani für diesen Fisch auf, was leider – wohl aufgrund zeitlicher Überschneidungen zwischen Publikation von Alberts Beschreibung und der Manuskripteinreichung durch Fernandes et al. – in der 2002er Arbeit nicht berücksichtigt wurde.

2007 stellte Triques schließlich fest, dass Parapteronotus hasemani und der bereits 1855 von Castelnau beschriebene Sternarchus bonapartii identisch sind, wodurch der Fisch heute korrekt Parapteronotus bonapartii heißen muss.

Parapteronitus bonapartii, Männchen

Die Exemplare, die Aquarium Glaser im Jahr 2010 importieren konnte, waren bereits 30-35 cm lang. Die Tiere hatten auffällige Zähne im Maul, deren Sinn unbekannt ist. Futterfische verweigerten die Tiere als Nahrung. Darum wurden sie vorwiegend mit lebenden Tubifex gefüttert, was sie gerne annahmen.

Frank Schäfer

Literatur:

Albert, J. S. (2001): Species diversity and phylognetic systematics of American knifefishes (Gymnotiformes, Teleostei). Miscellaneous Publications, Museum of Zoology, University of Michigan No. 190: i-vi + 1-127.

Castelnau, F. L (1855): Poissons. In: Animaux nouveaux or rares recueillis pendant l’expédition dans les parties centrales de l’Amérique du Sud, de Rio de Janeiro a Lima, et de Lima au Para; exécutée par ordre du gouvernement Français pendant les années 1843 a 1847 … Part 7, Zoology. Animaux nouveaux or rares recueillis pendant l’expédition dans les parties centrales de l’Amérique du Sud, de Rio de Janeiro a Lima, … v. 2: i-xii + 1-112, Pls. 1-50.

Cox Fernandes, C. C. , J. G. Lundberg, & C. Riginos (2002): Largest of all electric-fish snouts: Hypermorphic facial growth in male Apteronotus hasemani and the identity of Apteronotus anas (Gymnotiformes: Apteronotidae). Copeia 2002 (no. 1): 52-61.

Kirschbaum, F. & C. Schugardt (2002): Reproductive strategies and developmental aspects of mormyrid and gymnotiform fishes. Journal of Physiology-Paris 96: 557–566.

Triques, M. L. (2007): Parapteronotus bonapartii (Castelnau), considerado sinônimo sênior de Parapteronotus hasemani (Ellis) (Teleostei, Apteronotidae). Revista Brasileira de Zoologia v. 24 (no. 1): 84-86.

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Apteronotus: Geisterstunde im Aquarium

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