Süßwasserhaie?!

Am Karfreitag haben wir über Kreuzwelse berichtet, die auch als „Minihaie“ bezeichnet werden. Allerdings haben die Welse rein verwandtschaftlich nichts mit Haien zu tun, sie haben lediglich eine Schwimmweise, die an die der Haifische erinnert. Diese Schwimmweise haben auch die Haiwelse, Pangasiidae, eine Gruppe von rund 50 großen Welsarten, die u.a. einen der größten Süßwasserfische überhaupt stellen, den Mekong-Riesenwels (Pangasianodon gigas), der gut 3 Meter lang und 300 kg schwer werden kann. Seinen etwas kleineren Vetter, den Gewöhnlichen Haiwels (P. hypophthalmus, Synonym P. sutchi), kann man in jeder Zoohandlung kaufen. Es sind sozusagen Abfallprodukte der Aquakulturzucht dieser großen Welse, die etwa halb so groß wie der Mekong-Riesenwels (um 150 cm) und über 40 kg schwer werden. Die Vettern dieser Babies, die nicht das Glück hatten, als Zierfisch verkauft zu werden, findet man tiefgekühlt in jedem Supermarkt als „Pangasius“-Filet. Es soll hier nicht Thema sein, ob es sinnvoll ist, solchen Großfischen eine gewisse Zeit in privaten Aquarien ein Leben im Paradies zu ermöglichen, bis sie dann doch den Weg alles Irdischen gehen müssen und (in der Regel) als Futterfische in Zoos enden. Denn auch die Haiwelse sind Knochenfische und mit den Haien nicht verwandt. Vielmehr geht es an dieser Stelle darum, ob es auch echte Haie im Süßwasser gibt.

Der Haiwels, Pangasianodon hypophthalmus, ist mit Haien weder verwandt noch verschwägert. Er hat lediglich einen ähnlichen Schwimmstil.

Die Haie und Rochen sind Angehörige der Knorpel­fische oder Elasmobranchier. Etwa 250 Hai-Arten gibt es weltweit, fast alle leben im Meer. Aber es existieren auch Ausnahmen.

Die bekannteste Süßwasserart bei den Haien ist der an den tropisch-gemäßigten Küsten der ganzen Welt ver­breitete Bullenhai, Carcharhinus leucas. Die über 3 m lang werdende Art gehört zu den sogenannten euryhalinen Fischen und kann, ganz nach Belieben, zwischen Süß- und Seewasser hin- und her­pendeln. Allerdings ist der Bullenhai keine reine Süßwasserart, denn es gibt Hinweise darauf, dass er zur Paarung ins Meer zurückkehren muss. Dieser „Hans Dampf in allen Gassen“ ist äußerst anpassungsfähig und frisst alles, was ihm vor das Maul gerät. Da sind auch Menschen keine Ausnahme. Ent­sprechend wird die Art gefürchtet, Angriffe auf Menschen sind jedoch so selten, dass sie immer noch eine Schlagzeile auf Seite 1 hergeben. Vom Bullenhai im Süßwasser gefressen zu werden, ist also eine sehr unge­wöhn­liche Art, zu Tode zu kommen. Da Bullenhaie – so viel man weiß – nur in trübem Wasser jagen, besteht in klarem Wasser kaum eine Gefahr, von ihnen angegriffen zu werden. Vielleicht liegt in ihrer Fähigkeit, rein nach Geruchsinn zu jagen und nicht (wie viele andere Haie) mit Sichtkontakt zur Beute, ihre besondere Gefährlichkeit für Menschen. Denn hat sich ein Bullenhai zum Angriff entschlossen, so tut er dies in einer direkten Attacke.

Andere Großhaie kommen oft erst einmal näher an potentielle Beute heran und inspizieren sie genau. Ist die beobachtete Kreatur ein Wesen, das der Hai nicht kennt, greift er nur relativ selten an. Nicht ohne Grund sind gefährliche Angriffe auf Menschen vor allem von solchen Haien zu erwarten, bei denen Robben zum normalen Nahrungsspektrum gehören!

Bullenhai, Carcharhinus leucas, Sumatra, Jambi, Batang Hari (Süßwasser). photo: H. H. Tan

Einige Populationen des weltweit verbreiteten Bullenhais sind so häufig in Süßwasser anzutreffen, dass sie z.B. als „Sambesi-Hai“ (nach dem Fluss Sambesi in Afrika) oder als „Nikaragua-Hai“ (nach dem Nikaragua-See in Mittelamerika) bezeichnet werden. Sie werden aber auch regelmäßig im Amazonas, manchmal im Ganges (dort offenbar extrem selten), im Tigris und in mehreren nordamerikanischen und australischen Flüssen angetroffen. Gute und seriöse Informationen zum Bullenhai liefert übrigens http://www.sharks-world.com/bull_shark/

Für einen Echten Hai der Gattung Carcharhinus ist der Wechsel vom Meer ins Süßwasser noch viel komplizierter als es dieser Vorgang für „normale“ Fische ohnehin schon ist. Alle Fische haben bei diesem Wechsel grundsätzlich die gleichen Probleme. Im Süßwasserwasser ist das Körperinnere eines Fisches immer erheblich salziger als das Umgebungswasser. Der Fisch droht also zu platzen, wenn er keine Gegenmaßnahmen ergreift, denn durch osmotische Vorgänge dringt ständig passiv Wasser in das Tier. Ein Süßwasserfisch braucht also sehr leistungsfähige Nieren, um überschüssiges Wasser ausscheiden zu können. Im Meer ist es genau umgekehrt, das Innere des Fisches ist weniger salzig als die Umgebung, das Tier droht durch die osmotischen Vorgänge auszutrocknen. Ein Meeresfisch muss darum ständig trinken, damit er dem Wasserverlust entgegenwirken kann. Aber geht denn das, Salzwasser trinken? Wir können das nicht und sterben, wenn wir es trotzdem tun, aber Meeresfische und andere Tiere, die im und am Meer leben, besitzen spezielle Drüsen und Organe, die es ihnen ermöglicht, überschüssiges Salz auszuscheiden. Gut sichtbar ist das bei vielen Seevögeln oder den auf Galapagos lebenden Meeresechsen, sie niesen konzentrierte Salzbrühe aus. Fische machen das subtiler, für ihre Ionenregulation sind die Kiemen zuständig, unglaublich vielseitige Organe, die bei Süßwasserfischen es auch schaffen, die wenigen gelösten Salze (Ionen) aus dem Wasser herauszufiltern. Kurz und gut: es ist alles andere als einfach für Fische, zwischen Süß- und Meerwasser zu pendeln und doch schaffen das ziemlich viele Arten, was zeigt, dass die Methoden, die das ermöglichen, mehrfach unabhängig voneinander erfunden wurden. Der Bullenhai reguliert seinen Harnstoffgehalt im Blut über die Niere und kann sich mit diesem Mechanismus offenbar gut an veränderte Umgebungssalzgehalte anpassen.

Haie der Gattung Carcharhinus, zu denen der Bullenhai zählt, haben noch ein weiteres Problem. Sie müssen nämlich dauern schwimmen, damit ihre Kiemen ausreichend mit Wasser durchströmt werden. Das „normale“ Atmen mit Öffnen und Schließen des Maules reicht dafür bei Carcharhinus nicht aus. Dieses Dauerschwimmen ist im Meer schon Kräfte zehrend genug; im Süßwasser vervielfacht sich der Kraftaufwand, weil Haie – genau wie alle Elasmobranchier (auch Knorpelfische genannt, weil ihr Körperskelett nicht verknöchert ist) – keine Schwimmblase haben. Dieses ungeheuer praktische, gasgefüllte Organ ermöglicht es den modernen Fischen (soweit die Schwimmblase nicht sekundär wieder reduziert ist, wie es bei bodenlebenden Fischen oft der Fall ist) ein Schweben in der Wassersäule ohne jeden Kraftaufwand. Bei Haien übernimmt die sehr fettreiche Leber diesen Job, jedenfalls ansatzweise (schweben kann kein Hai), aber im Süßwasser ist der Auftrieb ja erheblich geringer als im Salzwasser!

So ist es wirklich erstaunlich, dass der Bullenhai diese Leistung vollbingt! Freilich ist der Bullenhai nicht die einzige Meeresart, die ab und zu ins Süßwasser vordringt. Bullenhaie sind lebendgebärend, wie übrigens alle ins Süßwasser vordringende oder ganz und gar dort lebende Elsmobranchier, während etliche im Meer lebende Arten Eier legen. Die vorliegenden Daten sprechen dafür, dass zumindest viele Weibchen des Bullenhais zum Gebären in das Süßwasser wandern und zwar dorthin, wo sie selbst geboren wurden. Die Jungtiere – ihre Zahl schwankte in den beobachteten Fällen zwischen 1 und 10 – sind bei der Geburt bereits gut 80 cm lang. Die Geschlechtsreife erreichen Bullenhaie in Abhängigkeit von Geschlecht und Vorkommen im Alter zwischen 8 und 11 Jahren. In Manchen Gebieten droht eine Überfischung für Fleisch, Flossen und Öl, allerdings gibt es keine gezielte Methode, um Bullenhaie zu jagen. In entsprechend großen Schauaquarien haben sich Bullenhaie als gut haltbar und anpassungsfähig erwiesen.

Weniger bekannt sind weitere Süß­wasser­haie, was auch damit zusammen­hängt, dass nur wenige Systematiker die ver­schiedenen, einander äußerlich sehr ähnlichen, Hai-Arten auseinanderhalten können. Außerdem ist es ziemlich schwierig, derart große Fische zu kon­servieren, weshalb auch in den Museen nur ein geringes Material über Süß­wasser­haie vorhanden ist. Es heißt immer wieder, dass der sehr anpassungsfähige und in Sachen Nahrungsaufnahme nicht wählerische Tigerhai (Galeocerdo cuvier) – man nennt ihn auch schwimmende Mülltonne – auch weit in die Unterläufe von Flüssen einwandert. Aber von dauerhaft im Süßwasser lebenden Populationen dieser weltweit verbreiteten, bis zu 6 m langen Haiart ist nichts bekannt geworden.

Ein Vertreter der Gattung Glyphis, der auf Borneo (Sabah: Sungai Kinabatangan) gefangen wurde. Diese Art wurde erst 2010 als Glyphis fowlerae wissenschaftlich beschrieben. Aufgrund von DNS-Untersuchungen gilt G. fowlerae aber derzeit als Synonym zu G. gangeticus. photo: M. Manjaji

Einen gewissen Berühmtheitsgrad hat jedoch der Ganges-Hai, Glyphis gangeticus, erlangt. Obwohl es sich hier­bei um eine aus wissenschaftlicher Sicht wenig erforschte Art handelt, ist sie von Legenden und Schauermärchen um­rankt. Dieser Hai (er erreicht eine Größe von ca. 2-2,5 m) war schon immer im Be­reich des Ganges vertreten, galt aber lange als verschollen oder gar ausgestorben. Man sagte, die Tiere hätten sich auf den Verzehr von menschlichen Leichen spezialisiert, die in den heiligen Fluss geworfen wurden. Als man von dieser Praxis abkam und die Leichen zuvor vollständig verbrannte, fingen die angeblich zuvor friedlichen Haie an, badende Pilger anzugreifen. In einer ausführlichen Arbeit schildert Tyson Roberts 2006, dass der Gangeshai überhaupt keine Süßwasserart ist, sondern höchstens im Brackwasser führenden Hooghly bis Kalkutta vordringt. Nach Roberts ist der Gangeshai eine häufige Art, die weit entlang der indischen Küste verbreitet ist und dort wahrscheinlich sogar die häufigste Haiart überhaupt darstellt. Er verweist die Mehrzahl der Gerüchte um Glyphis gangeticus in das Reich der Märchen und Legenden.

Wenig ist bekannt über die Haie des Süßwassers. Leider auch nur wenig besser erforscht sind ihre platten Ver­wandten, nämlich die Sägefische, Geigen­rochen und Rochen, von denen viele Arten zeitweise im Süßwasser leben. Viele Stechrochen leben dort ihr Leben lang und pflanzen sich dort sogar fort. Selbst eine Art der Zitter­rochen wurde aus dem Süßwasser ge­meldet. Und erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde mitten in Thai­land ein riesiger Süßwasserrochen (Himatura chaophraya) von über 600 kg Gewicht entdeckt (für Bilder siehe z.B. hier: http://biologypop.com/giant-freshwater-stingray/).  Auch in Afrika (Cross River, dem Grenzfluss zwischen Kamerun und Nigeria) gibt es vielleicht noch eine Riesen ­Art der Süßwasserrochen, die bislang, ähnlich dem Yeti, bisher noch ins Reich der Legenden verwiesen wird.

Zusammenfassend kann man also sagen: ja, es gibt Hai-Arten im Süßwasser, aber sie sind sehr schlecht erforscht. Aktuell werden drei Glyphis-Arten anerkannt, neben G. glyphis (Müller & Henle 1839) und G. gangeticus (Müller & Henle 1839) gibt es noch den erst 2008 aus dem nördlichen Australien und Papua-Neuguinea beschriebenen Glyphis garricki Compagno, White & Last, 2008. Alle drei Arten sollen auch in Süßwasser leben können. Über die eventuelle Pflege von Glyphis-Arten im Aquarium ist mir nichts bekannt, was schade ist. Denn viele Details zur Biologie dieser Fische sind durch Feldarbeit und Untersuchung toter Exemplare nur unbefriedigend oder gar nicht zu lösen.

Frank Schäfer

zitierte Literatur:

Roberts, T. R. (2006): Rediscovery of Glyphis gangeticus: debunking the mythology of the supposed “Gangetic freshwater shark”. Natural History Bulletin of the Siam Society 54(2): 261-278.


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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