Biotopaquarien (Teil 2): Ein Biotop-Aquarium für Rote Neon

Schöne Fische gibt es auf der ganzen Welt. Womit also beginnen? Vielleicht mit dem beliebtesten aller Zierfische, dem Roten Neon (Paracheirodon axelrodi)? Nun denn! Der Rote Ne­on ist sowieso ein pri­ma Einstieg in das Thema, denn mit ihm ist die „Hauptart“ des Beckens immer verfügbar. Außer­­­dem ist der Rote Neon sehr gut ökologisch erforscht. Und er bleibt klein, man kann also so ziemlich in jeder Beckengröße ab 54 Litern ein Biotopaquarium für diesen Fisch gestalten.

Der Rote Neon (Paracheirodon axelrodi) ist der weltweit beliebteste Aquarienfisch.

Die natürlichen Lebensräume
Es gibt eine ausführliche, hervorragende ökologische Arbeit über den Roten Neon, die auch noch in deutscher Sprache abgefasst ist: Geisler, R. & S. R. Annibal (1984): Ökologie des Cardinal Tetra Paracheirodon axelrodi (Pisces, Characoidea) im Stromgebiet des Rio Negro/Brasilien, sowie zuchtrelevante Faktoren. Amazoniana, 9 (1): 53-86. Dieser Aufsatz ist wirklich eine Pflichtlektüre für jeden ernsthaft am Roten Neon interessierten Aquarianer. Alle wesentlichen folgenden Aussagen beruhen auf dieser Quelle. 1992 berichtete Ning Labbish Chao, der Begründer des Projekt Piaba, in der US-amerikanischen Aqua­rien-Zeitschrift TFH in einer Artikelserie ebenfalls ausführlich über die Lebensräume des Roten Neon in Brasilien, diese Artikel stellen eine weitere wichtige Quelle dar.

Rote Neon im natürlichen Lebensraum von oben fotografiert. Photo: John Dawes

Rote Neons leben in kleinen Nebenbächen, den so genannten Igaparés, des Rio-Negro-Gebietes. Der am weitesten verbreitete Irrtum bezüglich des Roten Neon ist, dass er ein typischer Schwarz­wasserbewohner sei. Das ist einfach falsch. Im Hauptfluss des Rio Negro, der Schwarzwasser führt, kommt der Rote Neon nicht vor, er ist ein Klarwasserbewohner.

Man unterscheidet in den Tropen ganz grob drei Wassertypen.
Das Weißwasser ist lehmig-trüb, hat einen relativ hohen Leitwert (das „relativ“ ist sehr ernst gemeint, auch hier liegt der Leitwert oft noch unter 20µS/cm, kann aber auch bei 80-90µS/cm liegen) und einen ungefähr neutralen pH-Wert (ca. 6,5). Dieser Wassertyp ist der produktivste in Amazonien und die Heimat sehr vieler auch großer Fische.
Das Klarwasser ist oft braun, aber glasartig-durchsichtig, sauer (pH zwischen 4 und 5) und hat einen niedrigen Leitwert (meist um 20µ‚/cm, manchmal aber auch nur 5 µS/cm). Es ist sehr nährstoffarm. Hier leben viele unserer kleinen, bunten Aquarienfische.
Das Schwarzwasser, wie im Rio Negro, ist der extremste Wassertyp. Das Wasser hat die Farbe von starkem Kaffee, der pH-Wert kann bis zu 3,5 betragen, der Leitwert liegt auch hier zwischen 5 und 20 µS/cm. Im echten Schwarzwasser überleben nur Spezialisten.


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Ein typischer Klarwasserbiotop; das Wasser ist bräunlich gefärbt, aber glasklar durchsichtig.

Rote Neons können zwar Schwarzwasser ertragen, meiden es aber und wandern ab, wenn es zu ihren Standorten kommt. Der Wasserstand in Amazonien wechselt mit den Jahreszeiten gewaltig. Pegelunterschiede zwischen 6 und 9 Metern sind normal. Rote Neons leben jedoch nur in Flachwasser, das zwischen 40 und 70 cm tief ist. Sie wandern bei steigenden Wasserpegeln bachaufwärts. Innerhalb des Baches leben die Roten Neons nicht etwa in der Strömung des Bachbettes, sondern in Uferbereichen, wo fast Wasserstillstand herrscht. Nach Geisler & Annibal nennt man diese Bereiche in Amazonien „remanso“. In den Überflutungswald dringen Rote Neons gewöhnlich erst bei abfließendem Was­ser vor, bei steigendem Wasser ist es dort vermutlich zu warm und vor allem zu sauerstoffarm, bedingt durch Fäulnisprozesse. Alljährlich ver­trock­nen Abermillionen Roter Neons (weit mehr, als für den Export gefangen werden), wenn der Wasserpegel sinkt, da viele Exemplare bei der Wanderung bachabwärts nicht den richtigen Weg finden, abgeschnitten werden und so den Waldboden düngen.

Also, fassen wir zusammen: in der Natur leben Rote Neons in strömungsarmem Flachwasser, der bevorzugte Wassertyp ist Klarwasser.

Palmsumpf, Lebensraum von Paracheirodon axelrodi.

Der Palmsumpf
Der Lebensraum des Roten Neon ist für Menschen sehr unzugänglich. So wundert es nicht, dass nach der wichtigen und bis heute in allen wesentlichen Punkten gültigen Arbeit von Geisler & Annibal lange Zeit keine wissenschaftlichen Studien folgten. Erst in jüngster Zeit (2012) gab es wieder eine wirklich neue Erkenntnisse bringende Arbeit von Marshall, Forsberg, Hess & de Carvalho Freitas. Dieses Autorenteam untersuchte die ökologischen Unterschiede des Roten Neon und des ähnlichen Blauen Neon (Paracheirodon simulans); von letzterem wird später noch die Rede sein. Dabei charakterisierten sie den natürlichen Lebensraum beider Arten und ergänzten die Arbeit von Geisler & Annibal um einige, auch für uns Aquarianer wichtige Punkte. Die Pflanzengemeinschaft im Lebensraum des Roten Neon benennen die Autoren als Palmsumpf. Der Rote Neon wandert innerhalb der Palmsumpfgebiete beim Einsetzen der Regenzeit zwischen April und Juni sowohl in überflutete Waldgebiete als auch in die Oberläufe der Bäche. Beide Habitate bieten vermehrt Nahrung an; wichtig für den Roten Neon ist dabei, dass die Wassertemperatur möglichst nicht über 30°C steigt, weniger ist besser, die Temperaturuntergrenze im Biotop ist 25°C.

Der Wasserstand im natürlichen Lebensraum des Roten Neons schwankt beträchtlich. Zur Regenzeit ist der Wald meterhoch überflutet.

Sinkt der Wasserspiegel wieder, so wandern viele Rote Neons zurück in die Mittelläufe der Bäche. Die Palmsümpfe sind Teil des Überflutungswaldes (Igapó) und werden als Chavascais oder – häufiger – als Campos bezeichnet.

Leopoldinia pulchra aus “Palm trees of the Amazon and their uses” von Alfred Russel Wallace, 1853

Die stark ans Wasser gebundene Jará-Palme, Leopoldinia pulchra, ist so typisch für den speziellen Lebensraum des Roten Neons, dass man sie direkt als Anzeigerpflanze verwenden kann, sucht man nach dem Fisch. Weitere charakteristische Palmenarten sind Mauritia flexuosa und Mauritiella armata. Ferner gibt es dort Büsche und kleine Bäume wie Machaerium floribundum und Vitex calothyrsa. Wasserpflanzen sind Becquerelia cymosa, Eleocharis sp., Mont­richardia arborescens, Cyperus ligularis und Ischnosiphon sp.

Lichtscheue Pflanzenliebhaber
Zwei ökologische Faktoren sind für Rote Neons sehr wichtig: Schatten oder Deckung und Unterwasserpflanzen. Rote Neons sind ausgesprochen lichtscheu, Jungtiere in stärkerem Maße als Erwachsene. Es gibt eine weitere, für den Lebensraum des Roten Neon sehr typische Pflanzenart, die Geisler & Annibal explizit erwähnen. Der semiaquatische Farn Trichomanes hostmannianum gehört da­zu und ist von besonderer Bedeutung für den Roten Neon. Diese nur zu bestimmten Zeiten überflutete Sumpfpflanze wird vom Roten Neon als wichtige Versteck- und vermutlich auch Ablaichpflanze verwendet.

Fänger bei der Arbeit; der Rote Neon ist der einzige Kleinfisch der Welt, bei dem je wissenschaftliche Langzeit-Untersuchungen über die Auswirkungen des Zierfischfanges auf die natürlichen Bestände durchgeführt wurden. Das Ergebnis: trotzdem der Rote Neon die am intensivsten als Wildfang genutzte Zierfischart der Welt ist, hat diese Nutzung keinerlei negative Auswirkung auf die natürlichen Bestände. Photo: John Dawes

Leider sind alle bisher aufgezählten Pflanzenarten – soweit ich das weiß – nicht im Pflanzenhandel erhältlich.
Ein sehr wichtiger Aspekt im natürlichen Klarwasser-Lebensraum der Roten Neons ist das Vorhandensein großer Mengen von Unterwasserpflanzen. Gewöhnlich fehlen diese im Gebiet des Rio Negro, denn im Weißwasser ist es zu trübe, im Schwarzwasser kommt zum Lichtmangel noch der Nährstoffmangel. Im Klarwasser wach­sen aber mancherorts so riesige Bestände, dass sich davon die Seekuhpopulationen ernähren können. Und die fressen einiges weg! Wie genau es die Wasserpflanzen schaffen, in dem für sie ebenfalls eher lebensfeindlichen Klarwassermilieu zu überleben, ist bislang wissenschaftlich nicht geklärt. Aber für den Roten Neon sind diese Wasserpflanzenbestände überlebensnotwendig. Hauptnahrung des Roten Neons in der Natur sind kleine Copepoden, wir bezeichnen diese Kleinkrebse im deutschen meist als Hüpferlinge oder – verallgemeinernd, ohne damit explizit die Gattung zu meinen – als Cyclops. Die Dichte an Nährtieren in der Natur ist sehr gering, deshalb sind freilebende Rote Neons auch immer halb verhungert, aber sie ist am höchsten an den Wasserpflanzen. Nach Geisler & Annibal könnten ohne die in den Wasserpflanzenbeständen vorhandenen Copepoden die Jungtiere der Roten Neons nicht überleben.

Wunderschöner Biotop in Brasilien. Wer bei diesem Anblick kein Fernweh bekommt, dem ist nicht zu helfen.

Diese grundlegenden Erkenntnisse werden im Wesentlichen durch eine aktuellere Arbeit über das Nahrungsspektrum des Roten Neons durch Walker (2004) bestätigt. Sie stellt allerdings zusätzlich zur Diskussion, dass die Bioproduktion an Nährtieren – die Nahrungskette beginnt mit totem Laub, dessen Zersetzung durch Pilze, wovon sich Chironomiden – wir Aquarianer bezeichnen diese Mü­ckenlarven pauschal als Rote Mückenlarven – und Kleinkrebse ernähren, die Hauptnahrung der Roten Neons sind – trotz der allgemeinen Nährstoffarmut in den natürlichen Lebensräumen der Roten Neons ausreichend ist. Sie glaubt, dass der allgemein schlechte Ernährungszustand von Roten Neons in der Natur eher auf den Distress der Wanderungen und auf Feinddruck als auf direkten Mangel an Nährtieren zurückzuführen ist.

Die Riesen-Haarnixe, Cabomba aquatica, kommt im Lebensraum des Roten Neons vor.
Brasilianisches Mooskraut, Mayaca fluviatilis, eine weitere biotopgerechte Pflanze.

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Die Pflanzen, die Geisler & Annibal iden­tifizieren konnten, waren folgende: Cabomba schwartzi (heute: Cabomba aquatica, die Riesen-Haarnixe), Helodea guianensis (heute: Elodea guianensis, eine Wasserpest), Mayaca sp. (Mooskraut), Nymphyaea sp. (rudgeana?) (Seerosen) und eine Nadelsimse (Eleocharis sp.). Auch auf dem Photo von John Dawes, das Rote Neons in ihrem natürlichen Lebensraum zeigt, erkennt man Haarnixen. Die meisten Pflanzen, die im natürlichen Lebensraum von Roten Neons vorkommen, sind allerdings überflutete Landpflanzen, die absterben, wenn sie dauerhaft unter Wasser leben müssen. Auch die im Hobby beliebten Schwertpflanzen (Echinodorus und Helanthium) wachsen in der Natur übrigens fast immer als Landpflanzen (emers), auch andere Arten, die in der Region häufig gefunden werden, können diese Wuchsform annehmen. Zu den geografisch richtigen, auch im europäischen Pflanzenhandel erhältlichen Arten zählen die Wasserfarne Ceratopteris pteroides und C. thalictroides, die Amazonas-Schwertpflanzen Echinodorus horizontalis und Helanthium tenellus, der Brasilianische Wassernabel Hydrocotyle leucocephala und der Palmenwedel Eichhornia azurea. Nicht vergessen sollte man die Schwimmpflanzen. In der Rio-Negro-Region findet man häufig Azolla (Moosfarn), Eichhornia crassipes (Wasserhyazinthe) und Limnobium laevigatum, den Südamerikanischen Froschbiss.

Der Sand in Amazonien ist sehr fein und schneeweiß. Hier eine sandiges Ufer am Rio Negro.

Feiner Sand und Laub
Der Bodengrund im natürlichen Lebensraum des Roten Neons besteht aus feinem, weißen Sand, der fast keine Nährstoffe enthält. Auf dem Sand befindet sich fast überall eine mehr oder minder mächtige Schicht aus totem Laub der Bäume; diese Laubschicht kann aus nur wenigen Lagen von Blättern bestehen oder auch bis zu 60 cm dick sein. Hinzu kommt jede Menge Totholz, also Äste, Wurzeln und ganze Baumstämme. Mit diesen Informationen geht es nun an die Planung der Grundeinrichtung unseres Biotopaquariums.

Buchenlaub und Totholz – gratis Spitzendeko aus der Natur.

Weiter geht es nächste Woche!

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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