Es kommt eher selten vor, dass man zu einem Aquarien- oder Terrarientier eine persönliche Beziehung aufbaut. In der Regel sind es „Exemplare“, die man zwar pflegt und hegt, doch steht stets die forschende Beobachtung im Vordergrund, nicht so sehr die Ergründung der individuellen Eigenheiten.
Dennoch kommt es im Laufe einer jahrzehntelangen tierpflegerischen Tätigkeit immer wieder zu Begegnungen der besonderen Art. Dann trifft man auf Tiere, die einen aufgrund ihrer ausgeprägten Persönlichkeitsstruktur alle guten Vorsätze, bloß nicht anthroposophisch gegenüber seinen Pfleglingen zu denken, über den Haufen werfen lassen.
Eine solche Persönlichkeit war ein Tokeh, der 4 mal mit mir umzog und sich doch nie länger als bestenfalls einige Tage in einem Terrarium befand. Alles begann mit einem Stück Korkrinde, an dem ein Gelege eines Tokehweibchens festgeklebt war. Diese großen Geckos (wissenschaftlich: Gekko gecko) legen meist ein Zwillingsgelege. Ein spezieller Klebstoff verbindet das Ei fest mit der Unterlage, so dass man die kalkigen und damit sehr zerbrechlichen Reptilien-Eier nicht ohne sie zu beschädigen von der Unterlage ablösen kann. Die Rinde war zu groß für einen herkömmlichen Brutapparat und so fragte mich mein Freund Thomas Petsch von der Firma City-Zoo (damals noch in Darmstadt), ob ich nicht die Zeitigung der Eier zuhause probieren wolle. Klar wollte ich.
Ich füllte also ein Aquarium 10 cm hoch mit Wasser, installierte einen Heizstab, gab zwei Backsteine so hinein, dass deren Oberkante über den Wasserspiegel ragte und legte darauf die Rinde mit dem Gelege. Zwei Monate später ergab es sich, dass ich aus meinem Elternhaus auszog. Die Rinde kam auf einen Stapel Wurzeln, den ich später abholen wollte. Nun ja, das „später“ zog sich dahin und vier Wochen nach meinem Auszug rief mich meine Mutter an und teilte mir mit, in meinem alten Zimmer sei eine Eidechse unterwegs. Sofort zählte ich die Häupter meiner Lieben, doch da fehlte niemand.
Es stellte sich heraus, dass es ein entzückendes Tokehkind war, geringelt, wie es für Jungtiere dieser Art typisch ist. Der Tokeh war, trotz der ungünstigen Bedingungen, aus dem vergessenen Gelege geschlüpft! Ich packte den kleinen „Wildfang“ in eine Transportschachtel. Wieder daheim, kam er in ein Terrarium mit einigen türkischen Eidechsen. Das fand der Tokeh aber scheinbar doof, denn wenige Tage später entschlüpfte er während der Fütterung.
Fortan war sein Lieblingsplatz zwischen zwei übereinandergestapelten Terrarien. Dort saß er in einem Spalt, der genau so breit war, dass ich mit der Hand nicht hinein fassen konnte und blickte mich höhnisch aus seinen geschlitzten Augen an. Da es in jedem Terrarienzimmer dieser Welt eine ausreichende Anzahl freilaufender Heimchen gibt (so auch bei mir), war die Futterversorgung sichergestellt und der Tokeh wuchs munter heran. Etwa ein Jahr später zog ich wieder um. Diesmal sollte der Tokeh aber zu einem ordentlichen Terrarientier mutieren und hinter Glas kommen. Ich kam gar nicht dazu, es zu probieren.
Ich hatte in dem neuen Zimmer gerade angefangen, die Schlangen auszupacken (die sonst nämlich zu dem eher geringen Ergötzen der neuen Vermieter gerne ausbüchsen und in deren Fernsehzimmer aufzutauchen pflegen, was dann zu unangenehmen Gesprächen der Art führt: Wie, Sie halten auch Schlangen? Sie hatten doch geschworen, Sie hätten nur Schildkröten und Fische? Der Trick, alle Schlangen beim Vermieter als einheimische Ringelnattern zu deklarieren, die sich wohl versehentlich in dessen Wohnung verirrt hätten, klappt nur dann, wenn nur eine Spezies auf einmal ausgebrochen ist). Da verrutschte der Deckel der Transportschachtel mit dem Tokeh und das Tier verschwand hinter einem Terrarienturm.
Beim nächsten Umzug, wieder etwa ein Jahr später, gelang es mir sogar, den mittlerweile ausgewachsenen Tokeh in ein Terrarium zu setzen. Doch das war nur von kurzer Dauer. Beim abendlichen Rundgang stellte ich nämlich einige Tage später fest, dass die eine der beiden Frontscheiben einen Spalt weit offen und das Terrarium leer war. Der Tokeh muss scheinbar so lange versucht haben, die Scheibe aufzuschieben, bis ihm das tatsächlich auch gelang! Das konnte er wohl nur wegen seiner lamellenbehafteten Füße, mit denen er auch senkrechte Glaswände emporlaufen konnte. Und wieder war er frei…
Diesmal war sein Vorhandensein im Terrarienzimmer aber nicht unproblematisch. Ich pflegte zu dieser Zeit viele Vögel und brütende Paare bekamen Freiflug im Zimmer, weil sie dann am bequemsten kleine Insekten zur Jungenaufzucht sammeln konnten. Ein mir sehr wertvoller Zeisig verschwand dabei im Rachen des Tokehs.
Seine Verfressenheit wurde dem Tokeh schließlich auch zum Verhängnis. Vier Jahre und einen Umzug später (diesmal hatte ich erst gar keinen Versuch gemacht, ihn einzusperren, sondern sofort im Terrarienkeller ausgesetzt) hatte ich ein großes Problem mit Mäusen. Sie nagten die Stromkabel an und das wurde richtig gefährlich. Der herbeigerufene Kammerjäger legte schließlich Gift aus. Mein Tokeh muss so eine vergiftete, sterbende Maus gefressen haben. Wenig später lag er nämlich am hellichten Tage draussen, vor seinem üblichen Versteck, in das er sonst sofort verschwand, wenn ich den Raum betrat, und liess sich widerstandslos in die Hand nehmen. Zehn Minuten später war er tot.
Mir ist nur selten der Tod einer Echse so nahe gegangen, wie der dieses „ganz banalen“ Tokehs – er war halt eine richtige Persönlichkeit.
Frank Schäfer
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Tolle Geschichte! Lustiger Tokeh. Pfiffiges kerlchen.