Zu den ersten Lebendgebärenden Zahnkarpfen, die überhaupt für die damals noch junge Aquaristik importiert wurden, gehörten der „Dezi“ und der „Kaudi“. Beide Populärnamen sind Verballhornungen der wissenschaftlichen Artnamen Cnesterodon decemmaculatus und Phalloceros caudimaculatus. Ihre Ersteinfuhr erfolgte 1899 und war eine Sensation. Fische, die lebendige Junge bekommen? Wahnsinn! Das wollte jeder einmal selbst erlebt haben, die Tierchen fanden reißenden Absatz. Später starben sie allerdings so gut wie vollständig in den Aquarien aus und sind heutzutage nur bei echten Liebhabern und Spezialisten zu finden. Für den Handel sind sie uninteressant, da viel zu farblos. Allerdings ist das nur bedingt der Grund ihres aquaristischen Aussterbens.
Denn das, was diese Fische aus dem südlichen Südamerika in der Kaiserzeit zu so problemlosen Pfleglingen machte, können wir ihnen heutzutage kaum noch bieten. Liest man die alten Beschreibungen, so erfährt man, dass die Tiere sehr anspruchslos sind. Sie ertragen hohe wie niedrige Temperaturen, können auch in kleinen Aquarien gepflegt werden (und klein hieß damals wirklich klein, also 5-10 Liter) und brauchen lediglich dichte Bepflanzung. Sind sie aber deshalb wirklich anspruchslos? Im Gegenteil! Wie wir heute wissen, brauchen diese Fische den vermeintlichen Stress zum gesundbleiben. Sie brauchen unbedingt stark schwankende Temperaturen und zwar im Tageswechsel ebenso wie im jahreszeitlichen Wechsel. In größeren Aquarien gehen sie einfach unter und verschwinden. Es müssen nicht unbedingt Mini-Aquarien sein, aber groß sollten sie halt auch nicht sein. Und die Sache mit dem Pflanzenwuchs: ohne Mikrofutter, wie es in den damals immer reichlich vorhandenen Algen (man kannte ja keine künstliche Beleuchtung, die Aquarien standen in Fensternähe und erhielten Tageslicht) vorkommt, gedeihen diese Fische nicht wirklich, auch wenn sie willig feines Trockenfutter, gesiebtes Tümpelfutter und Artemia-Nauplien annehmen.
Heutzutage kann man die Ansprüche solcher Fische in Wohnräumen kaum noch erfüllen, es wird hier einfach nicht kalt genug. Vielleicht am ehesten geht es noch bei Frischluftfanatikern auf dem Fensterbrett des Schlafzimmerfensters. Ideal ist es, wenn im Winter die Nachttemperaturen um 14°C, die Tagestemperaturen um 20°C liegen und im Sommer alles 3-4°C wärmer ist, aber ebenfalls schwankend. Tags darf es im Sommer ruhig auch mal 30°C warm werden. Das erreicht man am besten bei Freilufthaltung auf dem Balkon oder im Garten, wo bei entsprechend gewöhnten Tieren auch Temperaturen von 10-12°C kein Problem darstellen. Wesentlich tiefer sollten sie aber nicht sinken.
Obwohl der Kaudi also schon ewig und drei Tage bekannt ist, galt er bis vor kurzem als monotypische Art, d.h. man glaubte, es gäbe nur eine einzige Art, Phalloceros caudimaculatus, die ein riesiges Verbreitungsgebiet habe. Mit dieser Vorstellung räumte 2008 Paulo Henrique Franco Lucinda gründlich auf und beschrieb nicht weniger als 21 neue Arten! (http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S1679-62252008000200001) Allerdings sind viele Freunde der Lebendgebärenden nicht so sehr glücklich mit diesen Neubeschreibungen, denn es werden keine Lebendfotos geliefert und die Merkmale, nach denen die Arten zu bestimmen sind, sind am lebenden Tier oft nicht erkennbar. Zudem braucht man die exakte Herkunft der Fische, da die innerartliche Varianz oft sehr hoch ist.
Letzte Woche schaute ich bei einem hübschen Salmler ins Becken, den Aquarium Glaser aus Paraguay importiert hatte: Mimagoniates barberi. Da sah ich einen kleinen Lebendgebärenden, ca. 1,5 cm lang. Zuerst dachte ich, es sei ein jugendliches Guppyweibchen – uninteressant-, aber dann fing ich mir das Tier doch heraus. Und gucke da: es war ein Kaudi-Männchen! Nach Lucindas Revision ist gegenwärtig nur eine Kaudi-Art in Paraguay nachgewiesen, nämlich der neu beschriebene Phalloceros harpagos. Allerdings weist Lucinda ausdrücklich darauf hin, dass P. harpagos in seinem recht großen Verbreitungsgebiet (Paraná-Paraguay-Becken und Küstenflüsse vom Itaboapana River bis zum Araranguá River: Brasilien, Paraguay und Argentinien) teils sehr unterschiedlich aussehende Populationen ausbildet, die sich nach dem von ihm (Lucinda) erstellten Artkonzept aber nicht ausreichend voneinander unterscheiden lassen, um als eigenständige Arten gelten zu können.
Leider gibt es zurzeit wohl nur dieses eine Männchen in Deutschland. Aber drücken wir die Daumen: Ich habe natürlich in Paraguay beim Lieferanten nachgefragt, ob da nicht noch mehr geht. Schauen wir mal…
Frank Schäfer
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Hallo Herr Schäfer, konnten Sie Anno 2017 weitere Tiere dieser Art finden?
Ich bin erst vor ca. 2 Jahren zufällig auf normale Kaudis (Phalloceros caudimaculatus) gestoßen und inzwischen habe ich ihnen 3 Becken reserviert und im Sommer eine große, schattige Regentonne.
Eine weitere Kaudi-Art würde mich sehr interessieren.