Warum gingen die Fische an Land?

Es gibt den Spruch, dass alles, was man tun kann, auch irgendwann getan werden wird, ungeachtet dessen, ob das sinnvoll ist oder nicht. In der Natur ist es ähnlich. Was geht, wird gemacht und dann: „schaun mer mal“.

Die vergleichende Anatomie zeigt, dass alle existierenden Tiere gemeinsame Vorfahren haben, da die Natur in Bezug auf einmal gemachte „Erfindungen“ extrem konservativ ist. Wir Menschen haben ein Merkmal – die Wirbelsäule – das auch alle anderen Säugetiere sowie die Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische haben. Darum gehören wir zu den Wirbeltieren. In der Organisationsstufe stehen die Fische dabei am Anfang der Entwicklung, waren also die ersten Wirbeltiere. Aus Fischen entwickelten sich die Amphibien, aus denen sich die Reptilien entwickelten. Die Reptilien waren die Vorfahren sowohl der Vögel als auch der Säugetiere. Dass wir Menschen an Land leben, verdanken wir letztendlich Fischen, die aus irgendwelchen Gründen in einem Zeitraum, der viele Millionen Jahre dauerte, begannen, an Land zu gehen. Dass sie das taten, ist unumstritten. Warum sie es taten, unbekannt. Und tun sie es heutzutage auch noch? Das ist das Thema des heutigen und kommender „Franky Friday“ Blogs.

Dies ist ein moderner Salamander der Art Ambystoma marvortium, aber so arg unähnlich sahen wohl die ersten Landwirbeltiere nicht aus.

Die ersten fossilen Fußspuren eines vierfüßigen Landwirbeltieres sind etwa 397 Millionen Jahre alt. Das dazugehörige Tier kennen wir nicht. Das erste Tier, das an Land gehen konnte und das wir auch kennen, war ein Amphib, ein Salamander-ähnliches Tier mit einem massiven Schädel, das man Ichthyostega bezeichnet. Seine bekannten Überreste sind etwa 370 Millionen Jahre alt. Amphibien unterscheiden sich von den Reptilien u.a. dadurch, dass Amphibien ihre Eier ins Wasser legen müssen, da den Eiern eine schützende Schale fehlt. Es gibt grundsätzlich keine Amphibienart, die im Meer laicht, auch wenn manche Arten eine gewisse Salztoleranz aufweisen. Alle Arten tun das in Süßwasser. Darum geht man davon aus, dass es Süßwasserfische waren, die die Vorfahren der Landwirbeltiere sind. Welche genau, das weiß man nicht mit Sicherheit zu sagen. Die vergleichende Anatomie zeigt, dass ausgestorbene Fische der Gruppe der Rhipidistia die Vorfahren der heute noch existierenden Lungenfische und Quastenflosser und auch des Ichthyostega waren.

Latimeria chalumnae (präpariertes Exemplar), der Komoren-Quastenflosser

Der Quastenflosser (Latimeria), eines der berühmtesten „lebenden Fossilien“, lebt im Meer, üblicherweise in Tiefen zwischen 150 und 700 Metern, auch wenn sie schon bis zu 15 Metern aufgestiegen sein sollen. An Land gehen sie jedenfalls nicht. Trotzdem ist die Beobachtung lebender Quastenflosser (es gibt zwei Arten, den Komoren-Quastenflosser, L. chalumnae, und den Indonesischen Quastenflosser, L. menadoensis) unglaublich spannend und gibt interessante Hinweise in der unter Evolutionsbiologen immer noch heiß geführten Diskussion, ob die Quastenflosser oder die Lungenfischen den Vorfahren der landlebenden Vierfüßler näher stehen. Leider werden Quastenflosser in keinem Zoo oder Aquarium der Welt gepflegt, im Handel findet man sie schon gleich gar nicht, so dass wir bei der Beobachtung des seltsamen Kreaturen auf Filmmaterial angewiesen sind, wie man es z.B. hier findet: http://www.arkive.org/coelacanth/latimeria-chalumnae/ Die Schwimmbewegungen sind schon sehr speziell, das muss man sagen und die Beweglichkeit der auf Stielen sitzenden Flossen erstaunlich. Aber so ganz dem vierfüßigen Gang entsprechen sie dann doch nicht, soweit man das erkennen kann. Die Quastenflosser sind übrigens nicht die einzigen Fische, deren Flossen auf Stielen sitzen. Das ist bei den Flösselhechten (Polypterus) auch so. Die sind ebenfalls „lebende Fossilien“ und leben im Gegensatz zu den Quastenflossern im Süßwasser. Etliche Arten der Flösselhechte werden gegenwärtig für die Aquaristik regelmäßig gezüchtet, andere sind als Wildfang erhältlich, ebenso der eng verwandte Flösselaal (Erpetoichthys calabaricus). Die können wir also im Aquarium studieren.

Polypterus endlicherii, eine Flösselhecht-Art, Jungtier, bei dem noch die äußeren Kiemen sichtbar sind.

Dann stellt man fest, dass weder Flösselhechte noch Flösselaale ihre Gliedmaßen wie Landtiere gebrauchen. Es sind vielmehr elegante Schwimmer, wenn sie nicht gerade ausruhen (was sie allerdings die meiste Zeit tun). Flösselhechte und der Flösselaal zeigen keinerlei Tendenzen zum Landgang obwohl sie alle Voraussetzungen dazu hätten. Sie atmen nämlich ohnehin zum großen Teil über Lungen, die Sauerstoffversorgung an Land, die für einen Kiemenatmer ein Problem ist, weil das zarten Kiemengewebe an Land zusammenfällt und verklebt, ist für Flösselhechte und den Flösselaal schon mal keine Schwierigkeit. Des Weiteren haben diese Fische keine normalen Schuppen, sondern so genannte Ganoidschuppen, wodurch ihr Körper wie mit einem Panzer eingehüllt ist. Auch das könnte bei einem potentiellen Landgang nur nützlich sein. Und Flösselhechte und der Flösselaal können zum Fressen den Kopf nach unten, zum Boden hin neigen. Das muss ein Fisch können, um an Land fressen zu können, denn das unter Wasser übliche Saugschnappen funktioniert an Land wegen der erheblich geringeren Dichte der Luft (verglichen mit Wasser) nicht.

Portrait eines Schlammspringers (Periophthalmodon septemradiatus), eines modernen landgehenden Fisches. Mehr über Schlammspringer in einem der nächsten Blogs.

Flösselhechte sind eine wirklich altertümliche Fischgruppe, erste fossile Belege sind rund 100 Millionen Jahre alt. Doch obwohl sie exklusive Süßwasserfische sind und auch in Sümpfen leben, gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass sie je versuchten, an Land zu gehen. Warum? Ist es, weil der Lebensraum „Land“ bereits besetzt ist? Wohl kaum. Denn es gibt auch hochmoderne Fische, wie sehr wohl an Land gehen und damit ziemlich erfolgreich sind, wie die Schlammspringer (Periophthalmus), über die in einem der kommenden Blogs ausführlich berichtet wird (siehe z.B. https://www.aqualog.de/blog/regenbogenschlammspringer/) . Heute bleiben wir noch mal bei den altertümlichen (der Fachausdruck lautet: ancestrale) Fischen, nämlich den Lungenfischen. Es gibt heutzutage nur noch sechs Arten auf drei Kontinenten. In Australien der Australische Lungenfisch (Neoceratodes forsteri), in Afrika die Gattung Protopterus mit vier Arten und in Südamerika eine weitere Art, der Südamerikanische Lungenfisch, Lepidosiren paradoxus. Keine dieser Arten geht an Land. Aber gibt es in ihrem Verhalten Indizien dafür, dass sie den Landgängern nahestehen? Beim Australier nicht. Wir haben erst kürzlich in einem Blog darüber berichtet, wie er schwimmt (siehe https://www.aqualog.de/blog/von-lungenfischen-sechsstreifensalmlern-und-klapperschlangen/). Aber die Afrikaner, die bewegen sich wirklich besonders. Ihre Brust- und Afterflossen sind zu fadenartigen Gebilden umgewandelt. Wozu sie überhaupt dienen, ist unbekannt. Aber die Fische bewegen sie, als wären es Arme oder Beine! Protopterus aethiopicus und P. annectens schreiten förmlich durch das Aquarium, wobei sie teilweise die „Arme“ bewegen, wie ein Kraul-Schwimmer. Der Vortrieb durch die „Ärmchen“ ist dabei sicher vernachlässigbar. Bei Protopterus dolloi, einem weiteren Afrikaner, habe ich etwas beobachten können, was ich bei keiner der beiden schon genannten Arten sah (leider hatte ich noch nie die Gelegenheit die vierte afrikanische Art, P. amphibius, zu pflegen). Afrikanische Lungenfische haben überall am Körper, besonders aber in der Kopfregion, so genannte Lorenzinische Ampullen. Das sind Sinnesorgane, die ganz schwache elektrische Reize wahrnehmen können, so wie sie entstehen, wenn sich ein Muskel bewegt. Äußerlich sehen die Reihen Lorezinischer Ampullen aus wie die Nähte bei Frankensteins Monster. Mit Hilfe dieser Lorenzinischen Ampullen kann P. dolloi einen vergraben Tubifex-Wurm aufspüren, sobald sich der Wurm bewegt. P. dolloi steckt bei der Suche nach dem vergrabenen Wurm den Kopf tief in den Sand – und streckt dabei die „Ärmchen“ straff nach hinten! Ein ganz eigenartiges Bild! Der Südamerikaner benutzt seine Arme und Beine, die denen der Afrikaner ähnlich sind, während der Australier breite, flache Flossenpaddel hat, nach meinen Beobachtungen kaum. Allerdings muss ich zugeben, dass mir zu eingehenden Beobachtungen des Südamerikaners bisher die Gelegenheit fehlte.

Zwei junge Exemplare von Protopterus annectens brieni aus dem Kongo.

Obwohl die jetzt lebenden (rezenten) Lungenfische eigentlich ganz gut gerüstet wären, um auch an Land voran zu kommen – sie atmen durch Lungen, haben derbe Schuppen und können den Kopf abknicken – gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sie diese Fähigkeiten dafür nutzen, um an Land zu gehen. Noch nicht einmal im Falle der Austrocknung der Wohngewässer tun sie das, sondern graben sich ein und bilden einen Kokon, in dem sie abwarten, bis es wieder regnet. Selbstverständlich sind die rezenten Lungenfische nicht identisch mit den Vorfahren der Vierfüßler und ebenso selbstverständlich können wir darum nur recht bedingt aus dem Verhalten der rezenten Arten auf das Verhalten der ausgestorbenen Arten schließen. Aber fest steht auch: es ist bei den gegenwärtig lebenden Lungenfischen keine Tendenz zu beobachten, dass sie zum Landleben übergehen.

Quastenflosser, Flösselhechte und Lungenfische, dieser uralte Fischadel, diese lebenden Fossilien, geben uns keine Antwort auf die Frage, warum die Fische einst an Land gingen, obwohl sie die nächsten lebenden Verwandten der vor 397 Millionen Jahren ausgestorbenen Arten sind, die das zuerst taten. Ihre Bewegungsmuster und ihre Anatomie zeigen uns, dass die Voraussetzungen für den Landgang auch vorhanden sein können, ohne dass es tatsächlich zum Landgang kommt. Nächste Woche schauen wir uns moderne Landgänger unter den Fischen an. Ob sie uns bessere Antworten geben können?

Frank Schäfer

Weiteren Lesestoff über Flösselhechte gibt es hier: https://www.animalbook.de/Polypterus-Floesselhechte-Bichirs


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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3 Kommentare zu “Warum gingen die Fische an Land?

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  2. Rainer Boscheinen

    Sehr geehrter Herr Schäfer,
    mit Interesse habe ich Ihre 3 Artikel gelesen. Haben Sie ein Buch oder ähnliches zu dem Gesamtkomplex “ Hörentwicklung bei Säugern “ geschrieben wo das nochmal detaillierter dargestellt wird oder können Sie mir die 3 Ausgaben nennen in denen die Beiträge abgedruckt sind ?
    Ich bin /war Lautsprecherentwickler ( 67 ) und bin nach über 25 Jahren Suche wegen den Hintergründen der sprachverständlichen Reichweiten 2 spezieller Lautsprecher von mir die mit 1 Watt Leistung an die 100 Meter kommen auf die
    “ ortsspezifischen Neuronen “ im Gehirn aller Säuger gestossen. Und das ist seit 1948 wegen Jeffress FAKT. Also Lautsprecher ist Neurologie und auf KEINEN Fall Physik.
    Ich wart erstmal Ihre Antwort ab. Danke für Ihre Mühe.

    Mit freundlichen Grüssen
    Rainer Boscheinen

    Antworten
    1. Frank Schäfer Beitragsautor

      Sehr geehrter Herr Boscheinen,

      leider kann ich Ihnen gar nicht weiterhelfen. Die drei Beiträge sind Vorstudien zu einem Bookazine, das in ca. 2 Jahren erscheinen soll und sich mit der Pflege und Zucht dieser ungewöhnlichen, teil-amphibischen Fische befassen wird; sie sind bislang nur an dieser Stelle online publiziert. Mit der Neurophysiologie des Hörens bei Säugern habe ich mich nie befasst.

      Viele Grüße

      Frank Schäfer

      Antworten

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