Zuckersüß: der Honiggurami, Colisa chuna

Der Honiggurami (Colisa chuna) ist der kleinste der Fadenfische. Er wird nur etwa 4 cm lang. Wegen seiner Farbenpracht und seines friedfertigen Wesens gehört die Art zum Standardangebot des Zoofachhandels.

Prächtiges Männchen des Honigguramis, Colisa chuna

Die Heimat des Honigguramis liegt im Norden Indiens, in den Bundesstaaten Assam und Bengalen, sowie im benachbarten Bangladesch, in den Fluss-Systemen des Ganges und des Brahmaputra. Die Tiere sind keineswegs selten und werden, genau wie alle anderen kleinen Fische der Region, wie Zebrabäblinge (Danio rerio), Prachbarben (Pethia conchonius) etc. auch als Speisefische genutzt. Man gibt sie frisch in die Suppe oder trocknet sie und verarbeitet sie dann weiter, z.B. zu Fischmehl.

In Bengalen werden auch die kleinen Fische tagtäglich verzehrt. Das Foto entstand auf einem dörflichen Fischmarkt in Assam.

Als Wildfang be­kommt man die Art nur selten zu sehen, meist handelt es sich bei den Fischen im Handel um Nachzuchtexemplare, die vom professionellen Fischzüchtern in Südost­asien vermehrt werden. Die aquaristische Ersteinfuhr des Honigguramis erfolgte ver­gleichsweise spät, 1963, obwohl die Art bereits 1822 zusammen mit den beiden anderen Fadenfischenarten der gangetischen Provinzen, nämlich Colisa lalia und C. bejeus von Francis Hamilton beschrieben wurde. Hamilton hielt Männchen und Weibchen für unterschiedliche Arten, weil sie so verschieden aussehen. Das Männchen nannte er Trichopodus sota, das Weibchen T. chuna. Weil die Beschreibung des Männchens innerhalb des Buches „An Account on the Fishes of the River Ganges“ zuerst erfolgte, gab es zeitweise eine Diskussion, ob der Name Colisa sota der gültige, weil ältere Name sei. Das ist aber Unsinn, denn so etwas wie „Seitenpriorität“ gibt es nicht im System der zoologischen Namensgebung, alle Namen innerhalb einer Publikation gelten als zeitgleich publiziert und sind darum untereinander gleichwertig. Das Regelwerk der zoologischen Namensgebung, der „Code“, sieht für solche Fälle das Prinzip des „First Revisers“ vor. Der erste Wissenschaftler, dem eine Doppelbenennung auffällt, hat das Recht, zu entscheiden, welcher Name Gültigkeit haben soll, sofern er diese Beobachtung, den wissenschaftlichen Regeln folgend, auch veröffentlicht.

Hamiltons Zeichnung von Trichopodus sota
Hamiltons Zeichnung von Trichopodus chuna

Es ist, angesichts der großen Zahl von Publikationen und des gelegentlich fraglichen Publikationsdatums (das eingedruckte Druckdatum ist nicht zwangsläufig auch das Erscheinungsdatum) nicht immer einfach, einen solchen „First Reviser“ zu ermitteln. Und verschiedene Wissenschaftler sind oft genug auch verschiedener Meinung, wie explizit eine solche Namensfestlegung zu sein hat. Dem einen genügt, wenn einer der beiden (oder auch mehreren) Namen in einer Synonymliste aufgeführt wird, der nächste Wissenschaftler fordert aber eine ausdrückliche Festlegung. Manche der aus solchen Fällen resultierenden Diskussionen (es gibt davon leider mehr, als man denken sollte), haben nichts mehr mit Naturwissenschaft und gesundem Menschenverstand zu tun, sondern sind spitzfindige, juristische Debatten, deren Ergebnis leider oft dazu führt, dass sich Parallelsystematik entwickelt. Das geschah z.B. bei einer Gruppe von Malawibuntbarschen, den „Zebras“, die in der europäischen Literatur als zur Gattung Maylandia gehörend gesehen werden, während im amerkanischen Raum die Meinung vertreten wird, die Beschreibung von Maylandia sei ungültig und dass statt dessen der Gattungsname Metriaclima zu verwenden sei.


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In Europa heißt dieser Fisch Maylandia zebra, in Amerika Metriaclima zebra. Ist das sinnvoll?

Auch bei den Fadenfischen kam es zu einer Parallel-Nomenklatur in Bezug auf den gültigen Gattungsnamen. Im Jahr 1801 wurden zeitgleich und ohne dass die Autoren voneinander wussten in zwei verschiedenen Büchern für die Fadenfische neue Gattungsnamen geprägt: Trichogaster von Bloch & Schneider und Trichopodus von Lacepede. In beiden Gattungen waren mehrere Arten vereinigt, in beiden Gattungen war der Punktierte Fadenfisch (Trichogaster trichopterus) enthalten; diese Art war ursprünglich 1770 von Pallas in der Gattung Labrus beschrieben worden, zu der man heutzutage nur noch im Meer lebende Lippfische zählt. Das Prinzip des „Gattungstypus“, in dem der Autor einer neuen Gattung festlegt, welche Art am besten der neuen Gattung entspricht, gab es Anfang des 19ten Jahrhunderts noch nicht. Weder für Trichogaster noch für Trichopodus wurden Gattungstypen festgelegt. In Trichogaster war neben T. trichopterus noch die neu beschriebene Art T. fasciatus (heute: Colisa fasciata) enthalten, in Trichopodus noch ein Riesengurami (T. mentum, heute ein Synonym zu Osphromenus goramy). Später, 1831, stellten die französischen Wissenschaftler Cuvier & Valenciennes die Gattung Colisa auf, da sie der Meinung waren, dass die Fadenfische westlich von Birma (das eine zoogeografische Grenze für Süßwasserfische zwischen der indischen und der südostasiatischen Fischfauna bildet) und die Fadenfische, die östlich dieses Landes leben, nicht zur gleichen Gattung gehörten; Colisa haben eine lange, Trichogaster eine kurze Rückenflosse. Gattungstypen legten Cuvier & Valenciennes nicht fest. In der Folge gab es zwei Lager unter den Fischkundlern; die einen, die meinten, alle Fadenfische gehörten in die gleiche Gattung, diese benutzten den Gattungsnamen Trichogaster für alle Fadenfische und solche, die die Trennung in westliche Fadenfische (Colisa) und östliche Fadenfische (Trichogaster) für richtig hielten. So blieb es bis zur Jahrhundertwende. 1927 arbeitete der Ichthyologe George Myers über die Systematik der Labyrinthfische und kam zu dem Schluss, dass die Fadenfische in zwei Gattungen gehörten und zwar so, wie etwas weiter oben beschrieben, also mit Colisa und Trichogaster.

Wildfangpärchen von Trichogaster trichopterus

Wäre die Nomenklatur eine eigenständige Wissenschaft, der Code ein Gesetzes- und kein Regelwerk und Zoologen keine Biologen, sondern Juristen, so wäre diese Aufteilung zwar richtig, aber die Namen falsch. Denn nach allem, was man in Erfahrung bringen konnte, sind die Regeln, nach den Colisa und Trichogaster in dieser Form gültig wären, nicht richtig angewendet worden. Wahrscheinlich (aber durchaus nicht zwangsläufig) müsste man die westlichen Fadenfische korrekt als Trichogaster bezeichnen und die östlichen als Trichopodus. Fachwissenschaftler tun dies auch in Fachpublikationen, aber dabei wurde etwas ganz wesentliches übersehen: die Nomenklatur ist keine Wissenschaft zum Selbstzweck, sondern eine Hilfswissenschaft, die die universelle Verständigung von wissenschaftlich interessierten Menschen – Laien (!) und Profis – sicherstellen soll. Aus diesem Grund ist Stabilität der Namensgebung die oberste und alle anderen Regeln unwirksam machende Regel des Code. Der Code ist kein Gesetzeswerk, sondern den Regeln folgt man freiwillig und aus Überzeugung, eben weil sie die Stabilität der Namensgebung garantieren sollen (und das gewöhnlich auch tun). Wird der Code verwendet, um eine formell richtige, aber unnötige Namenskorrektur zu erzwingen, so führt das bei sehr populären Tierarten zu Chaos bei der Verwendung der wissenschaftlichen Namen. Und so kam es denn auch. Gibt man heute in Google Scholar (das ist die Abteilung von Google, in der wissenschaftliche Arbeiten erfasst werden) das Schlagwort „Colisa“ ein, so erhält man z.B. für das Jahr 2019 (abgerufen am 9. August) 101 Treffer von neuen, also 2019 erschienenen wissenschaftlichen Arbeiten, in denen der Gattungsname Colisa für die westlichen Fadenfische benutzt wird. Und 2023 wurde in über 200 in Google Scholar erfassten wissenschaftlichen Publikationen der Gattungsname Colisa für die westlichen Fadenfische verwendet. Selbst unter Wissenschaftlern ist also die spitzfindige, rein an juristische Auslegung des Code orientierte Umbenennung von Colisa nach Trichogaster und Trichogaster nach Trichopodus noch nicht angekommen! Biologen sind keine Juristen, sie sind üblicherweise Freidenker und lassen sich nicht gerne Vorschriften machen. Folgen wir also weiter dem obersten Grundsatz des Code und verwenden die Gattungsnamen Colisa für die westlichen Fadenfische mit langer Rückenflosse und Trichogaster für die östlichen mit kurzer Rückenflosse, wie es eine ganze Generation von Menschen zwischen 1927 und 2008 getan hat; eine Änderung ist unnötig.

Wildfangmännchen von Colisa chuna.

Zurück zum Honiggurami: im Handel haben es diese niedlichen Fische leider nicht leicht, denn sie sind von Natur aus etwas scheu und die Männchen zeigen dann nicht ihre Prachtfärbung, sondern sehen genau wie die Weibchen aus: beige mit einem dunklen Längband.

Männchen des Honigguramis in Schlicht-Tracht

Die Goldform
Leider ist – wie so oft – die Entstehungs­ge­schichte der goldfarbenen Zuchtform von Colisa chuna nicht dokumentiert. Zuchtformen polarisieren die Aquarianer. Viele Aquarianer lehnen sie als “un­natürlich” ab und zwar – so scheint es – vor allem die Aquarianer, die in Fachzeitschriften publizieren. Anders lässt es sich kaum erklären, dass es so wenig zuverlässige Quellen darüber gibt, wie und wann solche Zuchtformen entstanden. Es spricht jedoch einiges dafür, dass der goldene Honiggurami erst relativ spät, nämlich in den späten 1980er oder frühen 1990er Jahren entstand.

Goldener Honiggurami, Männchen

Beim goldenen Honiggurami ist die beige Körper­grundfarbe durch ein leuchtendes Gelb ersetzt. Dem liegt augenscheinlich eine Mutation zugrunde, bei der die schwarzen Pigmentzellen des Körpers, die Melano­phoren deutlich reduziert sind. In Folge dessen erscheint das Körperlängsband nicht mehr so deutlich. Das ist sicherlich verkaufs­fördernd, denn “Goldfische” erfeuen sich beim breiten Publikum immer einer großen Beliebtheit, ganz egal ob es sich dabei um Barben, Lebendgebärende Zahnkarpfen, Buntbarsche oder – wie in diesem Falle – um Labyrinthfische handelt. Leider bezieht sich dieser Pigmentmangel aber auch darauf, dass die Männchen während der Balz keine schwarze Brust bekommen.

Goldener Honiggurami, Weibchen

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Der Honiggurami “Fire Red”
Rein farblich gleicht der “Fire Red” im Wesent­lichen der Goldform des Honigguramis. Lediglich erscheint das Rot in den weich­strahligen Teilen der Rücken- und Afterflosse, sowie der Schwanzflosse brillanter, doch das mag auch eine Frage der Fütterung sein. Der entscheidende Unter­schied liegt darin, dass die Männchen bereits mit etwa 2 cm Länge ihre Prachtfärbung aus­bilden und sie auch dauerhaft zeigen. Diese winzigen Tiere sind wahre Farbwunder.

Zuchtform „Fire Red“

Bezüglich der Pflege aller Honigguramis sollte man beachten, dass diese Tiere nicht dauerhaft zu warm ge­hal­ten werden sollten. Raumtemperatur (18 – 22°C) ist als Normaltemperatur günstig, nur zur Zucht sollte man auf 28-30°C heizen. Man sollte Honigguramis außerdem in Gruppen pflegen, dann sind sie nicht so scheu und die Männchen präsentieren schönere Farben. So gehalten bleiben die Fische lange Zeit fit und gesund und begeistern ihren Pfleger.

Bei der Fortpflanzung zeigt Colisa chuna Besonderheiten, die andere Fadenfische nicht haben. Am auffälligsten ist der Balztanz, bei dem das Männchen sich senkrecht (Schwanzflosse nach unten) vor das Weibchen stellt, eine Art Flattertanz aufführt, dann zum Schaumnest schwimmt und sich auch hier wieder senkrecht hinstellt. Das Schaumnest ist beim Honiggurami meist nur einlagig und zerfällt rasch. Die Eier sind bei allen Fadenfischen leichter als Wasser, auch beim Honiggurami. Das Männchen – das ist jetzt wieder eine Besonderheit des Honigguramis – spuckt nach dem Ablaichen sehr oft vom Nestrand aus Wasser in die Luft, das in Tropfenform in das Nest platscht. Dadurch werden die Laichkörner etwas nach unten verwirbelt, woraufhin das Männchen sie einsammelt, bis zum Schluss das gesamte Gelege aus rund 200-300 Eiern in einem kirschkerngroßen Klumpen zusammengetragen ist. Das Männchen lässt danach das Schaumnest meist völlig zerfallen.

Die Aufzucht der winzigen Jungen ist nicht schwer, aber langwierig und mühselig. Es dauert bis zu zwei Wochen, bis die Kleinen frisch geschlüpfte Artemia-Nauplien aufnehmen können, rund 6 Wochen, bis sie etwa 1 cm lang sind. Danach geht die Aufzucht flotter voran.

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Zuckersüß: der Honiggurami, Colisa chuna

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