Alarm! Rettet den Artenschutz!

Heute, am Freitag dem 5. November 2021 soll im Bundesrat eine Empfehlung an den Gesetzgeber erfolgen, jeglichen Wildtierimport in die Europäische Union zu verbieten. Die Befürworter einer solchen Gesetzesinitiative argumentieren, dass dadurch ein wichtiger Beitrag gegen das weltweite Artensterben geleistet würde und dass zugleich die Gefahr von Zoonosen (das sind von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten) vermindert würde.

Aus wissenschaftlicher Sicht greift keines der beiden Argumente. Der Handel mit lebenden Wildtieren ist – insgesamt gesehen – ohne Bedeutung beim Artensterbengeschehen, weil die Anzahl der im Lebendhandel befindlichen Spezies viel zu gering ist. Nur relativ wenige, besonders attraktive Tierarten werden gehandelt. Von den über 32.000 Fischarten der Erde werden z.B. nur rund 100 Süßwasserfischarten regelmäßig in großen Mengen gehandelt (80% davon als Nachzucht), weitere 400 Spezies als Raritäten und im Meerwasserbereich ebenfalls weniger als 100 Arten. Zudem ist der internationale Handel mit lebenden Tieren seit 40 Jahren über das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) geregelt.

Bei der überwältigenden Mehrheit aller freilebenden Tierarten besteht keine Zoonosengefahr. Wo es sie gibt, haben wir sie quasi vor der Haustür. Die Gefahr, sich bei einem Waldspaziergang mit einer Zoonose zu infizieren, ist jedenfalls unendlich größer, als sich bei einem Aquarien- oder Terrarienbewohner anzustecken.

Ja, sie haben richtig gelesen: das Wildtierimportverbot würde auch sämtliche Fisch-, Amphibien,- Reptilien-, Insekten-, Spinnen-, Mollusken-, Stachelhäuter-, Wurm- und Blumentierarten betreffen, völlig unabhängig davon, ob es sich um häufige oder seltene, geschützte oder als in ihrer Heimat als Schädlinge verfolgte Arten, und auch ganz egal, ob es sich um Wildfänge oder um Nachzuchten handelt, denn es ist nun einmal nicht möglich, letzteres an der Grenze zur EU festzustellen.

Eine Gesetzesinitiative, die den Wildtierhandel und damit letztendlich die Wildtierhaltung grundsätzlich verbietet, würde dazu führen, das Erhaltungszuchtprogramme vom Aussterben bedrohter Tierarten nicht fortgeführt werden können. Menschen, die in den strukturarmen Ländern der Erde zur Zeit gut und umweltfreundlich vom Fang und der Zucht z.B. von Zierfischen leben, müssten zur Brandrodung oder anderen Erwerbszweigen mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt (z.B. Goldschürfen mit der damit verbundenen Quecksilberverseuchung der Gewässer) übergehen.

Dieser Vorstoß einiger Bundesländer erfolgte erst in der letzten Woche, die Widerspruchsfristen waren extrem kurz. Zwar waren zuvor bereits ähnliche Ideen formuliert worden, die jedoch bei weitem nicht dieses Ausmaß hatten. In den ursprünglichen Texten hieß es „den illegalen Wildtierhandel regulieren“; durch Streichung des Wortes „illegal“ kam es zu der aktuellen, katastrophalen Fassung. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2021/0601-0700/697-1-21.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Aquarium Glaser hat gerade noch rechtzeitig reagieren können und folgenden Antrag zu der zuständigen hessischen Bundesrats-Ausschuss-Mitarbeiterin, Frau Patricia Friedrich, geschickt:

Sehr geehrte Frau Friedrich,

mit Sorge haben wir die Veröffentlichung der Drucksache 697/1/21 zum Verbot des Wildtierhandels zur Kenntnis genommen, bei der offensichtlich die Länder Hessen und Berlin maßgeblich beteiligt waren.

Wir bitten Sie darum, diese Initiative nochmals kritisch zu prüfen, da es sich hierbei um ein sowohl ökologisch als auch sozioökonomisch sehr komplexes Thema handelt, bei dem übereilte Maßnahmen zu massiven Verwerfungen führen, die im Ergebnis keine Erfolge zeitigen, aber schnell zu einer Verschlechterung der gegenwärtigen Situation führen (wildlifetrafficking).

Unseres Erachtens muss der Wildtierhandel grundsätzlich differenziert betrachtet werden. DAS Wildtier gibt es nicht, ein Wisent ist anders zu beurteilen als ein Guppy! Es stimmt auch nicht, dass der Wildtierhandel, wie behauptet, immer weiter zunimmt, im Gegenteil: er stagniert und nimmt in Teilen ab; der Wildtierhandel ist sozioökonomisch von hoher Wichtigkeit für meist wenig entwickelte Herkunftsregionen. Wir sind aufgrund der zu diesem Thema existierenden wissenschaftlichen Arbeiten der Auffassung, dass ein solches Verbot tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Biodiversität des Planeten hätte und zudem zehntausenden Familien in äußerst strukturarmen Gebieten der Erde ihre Existenzgrundlage entziehen würde. Wenn der Handel mit legalen, nachhaltigen und keine Arten gefährdenden Wildfängen von Zierfischen verboten würde, müssten diese Menschen alternativlos in zutiefst destruktiven, ganze Lebensräume zerstörenden und tausende von Arten vernichtenden Beschäftigungsverhältnissen arbeiten: Goldschürfen, Brandrodung für Viehzucht, Ölpalmenanbau, Soja-Monokulturen etc. Bitte berücksichtigen Sie folgende, wissenschaftlich bewiesene Tatsachen:

– Es wurde noch nie auch nur eine einzige Zierfischart durch Wildfang ausgerottet.

– Zahlreiche in der Natur durch Lebensraumvernichtung ausgestorbene Spezies werden in Erhaltungszucht für künftige Generationen bewahrt.

– Der Handel mit Wildfängen ist nicht zunehmend, sondern beschränkt sich bezüglich hoher Stückzahlen konstant seit Jahrzehnten auf wenige Arten (weniger als 10 Arten weltweit); alle anderen Wildfang-Arten sind so genannte Raritäten und nur gelegentlich und in kleinen Stückzahlen verfügbar. In allen Fällen hat sich die Entnahmemenge als unbedenklich für die wildlebenden Bestände erwiesen.

– von den rund 32.000 existierenden Fischarten weltweit (Süß- und Meerwasser) wurden bisher noch keine 4.000 jemals im Aquarium gepflegt (inklusive Zoo- und Schauaquarien).

– Im Zoofachhandel weltweit sind nur etwa 100 Arten Zierfische permanent vorhanden, 95% davon ausschließlich in Form von Nachzuchten. Weitere rund 400 Arten (80% Nachzuchten) sind gelegentlich verfügbar.

– Eine Überfischung oder gar Ausrottung von Zierfischen durch Lebendfang ist aufgrund ihrer speziellen Ökologie nicht möglich.

– Der Zierfischfang ist in tropischen Regionen ein nachhaltiges und umweltschützendes Einkommen für zehntausende von Familien, die direkt oder indirekt davon leben.

– In den Zuchtregionen für Zierfische außerhalb der EU (z.B. Südostasien und Israel) leben weitere zehntausende von Familien von dieser umweltfreundlichen Industrie. Nachzuchtexemplare von Wildtypen der Zierfische sind von Wildfängen nicht unterscheidbar, ihr Import in die EU würde daher durch ein Importverbot für Wildfänge extrem erschwert oder unmöglich gemacht, was diesen Menschen ihr Einkommen nehmen würde.

– Die Biodiversitätsforschung im Bereich Kleinfische wird seit ca. dem Jahr 1900 nahezu ausschließlich von interessierten Laien („Aquarianer*innen“) betrieben. Hunderte der seit 1900 wissenschaftlich neu beschriebenen Kleinfischarten sind direkt oder indirekt von Aquarianer*innen entdeckt worden. Ohne Artenkenntnis kann es keinen Artenschutz geben!

– Der hochentwickelte, höchsten Tierschutz-Ansprüchen entsprechende Tierhandel in der EU beliefert die Aquarianer*innen. Das unersetzliche Fachwissen um den richtigen, schonenden und verlustarmen Umgang mit Wildfängen ginge bei Wildfanghandelsverboten verloren, was bei – so ist zu befürchten – künftig immer häufiger notwendig werdenden Erhaltungszuchtprogrammen zu einem kritischen Faktor wird.

– Auch im europäischen Tierhandel würden viele Arbeitsplätze durch ein Wildtier-Importverbot gefährdet. Es ist ja nicht so, dass Wildtier-Import nicht stattfindet, er findet nur in absolut Tier- und Artenschutz-konformem Umfang statt.

Alle diese Thesen sind belegbar. Wir hängen Ihnen eine ausgewählte Linksammlung und einige PDF-Dateien an und hoffen inständig, dass unsere Argumente bei Ihnen noch rechtzeitig Gehör finden.

Bitte bedenken Sie: der offizielle Handel mit Wildtieren, wie wir ihn betreiben, unterliegt bereits jetzt vielfältigen, strengen rechtlichen Vorgaben und wird entsprechend kontrolliert und ist damit vollständig transparent; der Wildtierhandel ist Teil einer Wertschöpfungskette und bietet qualifizierte Arbeitsplätze weltweit; sollte diese Form des Handels verboten werden, wird er in die Illegalität abrutschen mit allen unerwünschten Begleiterscheinungen, aber der Tierhandel wird deshalb sicher nicht verschwinden!

MIt freundlichen Grüßen

Auch der ZZF, der Dachverband des deutschen Zoofachhandels, hat reagiert und eine Stellungnahme veröffentlicht: https://zzf.de/fileadmin/files/ZZF/Rubrik_Themen/ZZF_Stellungnahme_Bundesrat_Wildtierimporte-28-10-2021-1900.pdf

Letztendlich muss ein Protestaufschrei allerdings von den privaten Tierhaltern kommen. Aquarianer*innen, Terrarianer*innen und Vogelzüchter haben schon vor 125 Jahren, als sonst weltweit kein Mensch auch nur einen Gedanken daran verschwendete, zum Schutz von Kleintieren aufgerufen, und zwar sowohl zum Arten-, wie auch zum Tierschutz. Bei den Tierhalterverbänden liegt geballte Kompetenz, für die es global gesehen, nichts vergleichbares gibt. Alle Tierhalter*innen sollten sich, unabhängig von der persönlichen Interessensausrichtung, an der großartigen Aktion des VDA (Verband Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde (VDA) e.V. gegr. 1911) „Rettet den Artenschutz“ beteiligen. Deutschland und die EU sind Demokratien! Alle Macht geht vom Volke aus! Wir müssen uns für die großartige Artenschutzarbeit, die die privaten Tierhalter direkt oder indirekt seit über 125 Jahren leisten, nicht rechtfertigen und schon gleich gar nicht schämen. Werden wir laut! Heute kann man noch den zuständigen Vertreten im Bundesrat eine Meinungsäußerung per E-Mail schicken. Ich denke, jeder von uns sollte das tun!

Frank Schäfer

PS: Gerade (12.47 Uhr) erreicht uns die frohe Botschaft, dass die Forderung nach einem generellen Wildfangimportverbot vom Tisch ist! Hurra!

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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3 Kommentare zu “Alarm! Rettet den Artenschutz!

  1. Schulz Christian

    „… vom Tisch ist“? Ja, für den Augenbluck, aber die treibenden Kräfte werden in der nächsten Bundesregierung wohl eine entscheidende Rolle spielen, sie werden das als Rückschlag für ihr Anliegen sehen, es aber ganz sicher nicht aufgeben, sie werden es aus einer besseren Position weiter betreiben. Notfalls auf dem Umweg über die EU.

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  2. Silvio Klemm

    vom Eis ist die Kuh noch lange nicht.
    Nun kommt man ja mit dem verpflichtenden Sachkundenachweis daher. Dann kommt der Tod halt schleichend.
    Wer soll sich denn noch für das Hobby interessieren wenn solche finanziellen Hürden davor aufgetürmt werden? Die Kosten für Unterlagen & Prüfung überschreiten die Kosten für ein einfaches Beginner-Set um ein mehrfaches!

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