

1949 erwähnt Werner Ladiges erstmals einen blauen Zwergskalar, der vor dem zweiten Weltkrieg in einem großen Zuchtbestand spontan (wohl infolge von Mutation) auftrat. Neben der eigenartig blauen Farbe war für diese Fische charakteristisch, dass sie eine maximale Körperhöhe von etwa 5 cm aufwiesen. Der Stamm konnte über den Krieg gerettet werden, Ladiges schrieb jedoch, dass immer nur wenige Exemplare existierten, da wegen der geringen Laichwilligkeit des blauen Zwergskalares eine Reinzucht nicht möglich war.

Im Jahr 2009 tauchten erstmals wieder Skalare im Handel auf, die ebenfalls einen sehr hohen Blauanteil in der Färbung haben (fotografisch schwer darzustellen, weil das Blitzlicht die silberfarbenen Komponenten sehr verstärkt). Ursprünglich war es diese ungewöhnliche Färbung, die den Großhandel veranlasste, die Fische in das Sortiment aufzunehmen, doch stellte sich in der Zwischenzeit heraus, dass auch dieser blaue Stamm die genetisch bedingte Verzwergung zeigt, wie sie damals von Ladiges beschrieben wurde.
Damit stand mit dem blauen Zwergskalar ein schöner Segelflosser zur Verfügung, der sich auch zur Pflege und Zucht in kleineren Aquarien eignet.



Doch wie sieht es heute damit aus? Es gibt sie noch, die Blauen Skalare, jedoch nicht mehr als Zwerge. Die Berufszüchter haben sich der Tiere angenommen und durch das Einkreuzen in bewährte Stämme sind sie heute bezüglich des Größenwachstums nicht mehr von den zahkreichen anderen Skalarzuchtformen zu unterscheiden. Man mag das bedauern oder begrüßen, je nach Geschmack und Interessenlage. Grundsätzlich stellt sich ja immer die Frage in der Haustierzüchtung, was man eigentlich möchte.

Inzwischen (2021) hat sich eine weitere blaue Linie des Segelflossers fest im Handel etabliert, der „Belem Sky Blue“. Erzüchtet wurde er von dem Zierfischzüchter Kurt Jülich. Kurt schrieb mir dazu:
„Im Jahre 2015 wurde in der Sendung zu einem Rochenimport aus Belem, Para, Brasilien durch MGSM (persönliche Mitteilung) ein Skalar eingeführt, den zu diesem Zeitpunkt keiner bei uns kannte. Bereits 2016 fielen in einer F1-Nachzucht einige wenige blaue Mutanten mit roter Iris aus. Diese blauen Skalare der Wildfangnachzucht bildeten die Ausgangstiere für die Stabilisierung unserer Mutationszuchtlinie „Belem Sky Blue“. Die F2 der Selektionszucht zeigte bereits ihr Potential in Farbe, Größe und Flossenausbildung. Das Brutpflegeverhalten ist vorbildlich und, wie für Skalare typisch, sehr intensiv. Erst jetzt erkennt man das vorhandene Spektrum der sich in schwarz und blau ausbildenden Farben.“

Die Blaufärbung ist eine interessante Farbmutation, die bisher noch kaum erforscht ist. Man findet sie bei allerlei unterschiedlichen Fischen, am bekanntesten ist sie wohl beim Blauen Fadenfisch, Trichogaster trichopterus.

Auch dieser Fisch ist eng mit dem Namen Werner Ladiges verknüpft, denn man schob Ladiges sozusagen die wissenschaftliche Beschreibung des Blauen Fadenfischs als Trichogaster trichopterus sumatranus unter.

1934 erschien ein Katalog der Firma „Aquarium Hamburg“, verfasst von Werner Ladiges. Allerdings war Ladiges in Guyana, als der Katalog gedruckt wurde, weshalb der damals sehr bekannte Autor von Fachartikeln in Aquarienmagazinen Christian Brüning das Endlektorat übernahm. Beim Blauen Fadenfisch machte Brüning dabei einen Fehler, jedenfalls sagt Ladiges später (1957), dass er nie vorhatte, den Blauen Fadenfisch als Art zu beschreiben, sondern lediglich als Varietät vom Punktierten Fadenfisch (Trichogaster trichopterus) und Brüning habe bei der Bildunterschrift, die „Trichogaster trichopterus sumatranus“ hätte lauten sollen, kurzerhand das „trichopterus“ gestrichen. Ob Versehen oder nicht: die Beschreibung genügt formell allen Anforderungen, die an eine wissenschaftliche Beschreibung zu stellen ist. Trichogaster sumatranus Ladiges, 1934 ist ein regelkonformer, verfügbarer Name im Sinne der Regeln der zoologischen Nomenklatur. Das Publikationsdatum ist 1934, nicht, wie in vielen Büchern zu lesen ist, 1933. Dieser Irrtum geht übrigens auf das deutsche Standardwerk der Aquarienfische aus dieser Zeit, den Arnold-Ahl aus dem Jahr 1936 zurück. Man sieht, die wissenschaftliche Erfassung des Blauen Fadenfisches stand unter keinem glücklichen Stern und ist mit vielen Irrtümern und Fehlern behaftet.

Erstmals nach Deutschland eingeführt hat den Fisch 1933 ein Hamburger Seemann – sein Name ist nicht überliefert -, der für die HAPAG fuhr und der die Tiere bei B. Berthold in Medan gekauft hatte. Berthold wiederum hatte diese Tiere tatsächlich aus freier Wildbahn bekommen. Er war Tierhändler der alten Schule, der vom Orang Utan über Tiger, Vögel, Reptilien und Fische so ziemlich jedes Viech lieferte, das bei drei nicht auf dem Baum war. Die Zeichnung der Blauen von Ladiges in dem 1934er Katalog ist nicht gut, vor allem ist die Rückenflosse viel zu weit vorne angesetzt. Im beschreibenden Text von T. sumatranus wird aber nichts dergleichen erwähnt, vielmehr schreibt Ladiges dort, dass der Fisch, bis auf die – allerdings sehr außergewöhnliche Färbung – ganz dem gewöhnlichen Trichogaster trichopterus gleiche, aber „robuster“ gebaut sei. Auch später, 1957, wiederholt Ladiges die Tatsache, dass es beim Blauen Fadenfisch „im Habitus mancherlei augenfällige Abweichungen von der bekannten Form“ gäbe; leider spezifiziert er das aber nicht. In Aquarianerkreisen werden Blaue Fadenfische bis heute gerne als die „Blauen Zigarren“ bezeichnet, denn es gibt auffallend viele Tiere dieser Farbform mit kurzem Kopf und eher walzenförmigem Körper. Bei Weibchen ist das auffälliger als bei Männchen. Es gelang bislang nie wieder, Blaue Fadenfische in der Natur nachzuweisen und man muss davon ausgehen, dass alle heutzutage im Aquarium schwimmenden Blauen Fadenfische auf den ersten Import 1933 zurückgehen. Allerdings ist es durchaus vorstellbar, dass irgendwann zwischendurch „normale“ T. trichopterus eingekreuzt wurden. Medan, die Hauptstadt der Provinz Nord-Sumatra (Sumatera Utara) liegt am Fluss Deli. Es wäre wirklich interessant, einmal Wildfänge aus dem Einzug des Deli zu untersuchen, um festzustellen, ob bei dieser Population eine Tendenz zur „Zigarrenform“ vorliegt. Allerdings: wer je eine größere Anzahl Wildfänge des Punktierten Fadenfisches (Trichogaster trichopterus) sah, der weiß auch, dass je nach Ernährungszustand und allgemeiner Kondition individuell recht erhebliche Unterschiede feststellbar sind. Wir wissen übrigen recht genau, wie die ersten Blauen aussahen. Bei Aquarium Hamburg fotografierte W. Hoppe (leider weiß ich nicht einmal den vollständigen Vornamen) und dokumentierte auch die Blauen Fadenfische der damaligen Zeit; wir bringen das Bild hier, um zu dokumentieren: seit 84 Jahren gelingt die ununterbrochene Erhaltungszucht dieses Fisches im Aquarium.

Zumindest die blaue Farbe ist kein Merkmal, das eine Unterart rechtfertigt. Es handelt sich dabei um eine Farbmutation, eine spontane Änderung des Erbgutes. Sie tritt bei ganz unterschiedlichen Fischen auf, ist aber sehr, sehr selten. Gegenwärtig kennt man sie vom Paradiesfisch (Macropodus opercularis) vom Segelflosser (Pterophyllum scalare) (siehe oben) und vom Aland (Leuciscus idus). Ladiges erwähnt auch einen blauen Döbel (Squalius cephalus) aus der Würm in Bayern, doch wurde das Tier offenbar nicht zum Aufbau eines Zuchtstammes benutzt. Kürzlich (2009) tauchten erstmals unter 43.000 Nachzuchttieren der Äsche (Thymallus thymallus) 11 blaue Exemplare auf, die jetzt in der Lehranstalt für Fischerei Aufseß gepflegt werden. Es erscheint grundsätzlich also möglich, dass die blaue Mutation bei allen möglichen Fischen auftaucht. Einen eigenen Namen gibt es nicht für diese Mutation, mir ist jedenfalls keiner bekannt.


Frank Schäfer
Literatur:
Arnold, J. P. & E. Ahl (1936): Fremdländische Süßwasserfische. Gustav Wenzel & Sohn, Braunschweig
Ladiges, W. (1934): Tropische Zierfische. Aquarium Hamburg
Ladiges, W. (1949): Eine Diskussion über die Arten der Gattung Pterophyllum. DATZ 2 (3): 50-53
Ladiges, W. (1957): Über einige Farbabweichungen bei Fischen. Datz 10 (6): 153-156
Seyfried, R., Speierl, T. & R. Klupp (2011): Zur Situation der Äsche in Oberfranken. Blaue Äschen aus der Wiesen. http://www.bezirk-oberfranken.de/fileadmin/1_Aktuelles/infos/bilder/110211_blaueaeschenaufsess.pdf
Vierke, J. (1978): Labyrinthfische und verwandte Arten. Engelbert Pfriem Verlag, Wuppertal-Elberfeld
Und hier gibt es weiteren Lesestoff:
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Pingback: Franky Friday: Blauer Blog über Skalare und Fadenfische - my-fish
Lieber Herr Schäfer,
als Noch-nicht-Aquarianer bin ich eher zufällig auf Ihren „Blauen Blog“ geraten und da über den Namen Trichogaster trichopterus gestolpert. Dieser Name ist falsch, auch wenn er offenbar ständig so benutzt wird. Das Genus Trichogaster ist feminin, wie alle Gattungsnamen mit dem Suffix -gaster (ICZN Art. 30.1.2 – Examples). Nach Art. 31.2 müssen adjektivische Artnamen im Geschlecht mit dem Genus übereinstimmen. Weil trichopterus die maskuline Version des Adjektivs trichopter-us, -a, -um ist, muss der Artname nach Art. 34.2 zu trichoptera emendiert werden.
Bsp: Der Name der heimischen Libelle Cordulegaster bidentata wurde in den 1990er Jahren zu C. bidentata korrigiert, was von der Schar der Libellenkundler ohne Murren aufgenommen wurde. Vermutlich werden sich die weniger wissenschaftlich interessierten Aquarianer ungern umstellen, aber da gibt es nur Richtig oder Falsch.
Gruß, Reinhard Jödicke
Lieber Herr Jödicke,
da haben Sie einfach mal recht. Vielen Dank!
Viele Grüße
Frank Schäfer