Das Aquarium von Livorno

Urlaub!!! Zwei Wochen frei!!! Nix wie weg!!! Wir machen eine kleine Rundreise durchs nördliche Italien. Oberste Priorität hat natürlich: den Kopf freibekommen und Energie tanken. Der Seele freien Lauf und den Läppi zuhause lassen. Aber ein bisschen Natur gucken gehört trotzdem dazu. Seit Jahrzehnten studiere ich die Mauereidechsen; die Pflanzen des Mittelmeerraumes faszinieren mich fast ebenso lang und ein besonderes Ziel der aktuellen Reise war der Mauergecko (Tarentola mauritanica). Mauereidechsen und Blumen gibt es in Italien ja überall in rauen Mengen, aber für Mauergeckos muss man in Küstennähe, da die Art nicht weiter als ca. 100 km landeinwärts geht. Ich dachte an die Festung von Livorno (Fortezza Nouva – siehe https://it.wikipedia.org/wiki/Fortezza_Nuova) als romantische Gecko-Kulisse. Und da waren sie auch – brave Tiere!

Eher zufällig bekam ich mit, dass Livorno auch über ein Schauaquarium verfügt. Ein Berufsaquarianer, der ein Schauaquarium nicht besucht? So etwas gibt es nicht, auch nicht im Urlaub. Mein liebes Weib nahm es auf sich, so lange in einem Café auf mich zu warten – die Gute! Es sollten vier Stunden werden..

Eingang zum Aquarium von Livorno

Zunächst ließ sich das Ganze nicht sehr gut an. Ich hatte natürlich gehofft, dass hier viele lokal vorkommende Mittelmeerarten ausgestellt und meine Bildersammlung um manch rare Spezies ergänzt würde. Und dann das verhasste Schild: Blitzlichtverbot! Diese Unsitte greift massiv um sich. Viele Besucher glauben inzwischen tatsächlich, Blitze schadeten den Fischen. Das ist aber Blödsinn. Ob andere Besucher durch fotografieren mit Blitz gestört werden, darüber kann man natürlich diskutieren. Aber Fakt ist ja, dass haufenweise nutzlose Handyfotos trotzdem mit Blitz gemacht werden, weil die User nicht kapieren, wo der Blitz abgestellt wird. Doch wer als „richtiger“ Fotograf blitzt, riskiert den Rausschmiss. Also muss man erst mal durch die Ausstellung hindurch und dann entscheiden, welche Art es wert ist, gegen das Blitzverbot zu verstoßen und dann am langgezogen Ohr herausgeführt zu werden.

Ich probiere es erst mal so. Ein Fuffzichstel kann ich grade noch so ohne Stativ halten, alle 3200 ASA rein, die die Kamera hergibt und Blende auf bis zum Anschlag. Das rauscht zwar wie Sau, aber vielleicht ist ja doch ein Zufallstreffer dabei. Am Anfang der Ausstellung gab es schon die ersehnten Becken mit Lokalkolorit. Im ersten der große Einsiedlerkrebs Dardanus calidus mit Schmarortzerseerosen (Calliactis parasitica) und ein Pärchen Grauer Lippfische (Symphodus cinereus). Oh wie gerne hätte ich den Einsiedler gemacht! Der war gut sichtbar, vorn an der Scheibe, was für ein Glück! Doch da wurde nix draus. Die Beleuchtung dieses Beckens war einfach zu duster. Mist. Eins weiter hellte sich meine Stimmung dann aber auf, auch hier waren ein Pärchen Grauer Lippfische, diesmal gemeinsam mit einem Kleinen Bärenkrebs (Sycllarus arctus), einem jungen Geißbrassen (Diplodus sargus) von ca. 15 cm Länge und einem Schwarzschwanz-Lippfisch (Symphodus melanocerus), dem Putzer des Mittelmeeres, untergebracht. Dieses Becken war besser beleuchtet. Der Geißbrassen hatte schlechte Laune und scheuchte die Lippfische ganz ordentlich.

Ein paar Becken weiter: zwei echte Raritäten. Mittelmeerhaarsterne (Antedon mediterranea) und Lanzen-Seeigel (Cidaris cidaris). Herrlich! Leider wieder ein sehr dunkles Becken. In dieser Abteilung fiel mir noch besonders ein Aquarium mit Wachsrosen (Anemonia sulcata) und den bei ihnen lebenden Grundeln (Gobius bucchichi) auf. Zu sehen gab es ferner Drachenköpfe, mehrere Arten Seesterne, weitere Lippfischarten, Krabben, Einsiedler, die Trug-Koralle (Parerythropodium coralloides) und Kaisergranate (Nephrops norvegicus), Langusten und Blutstriemenbarsche (Serranus cabrilla). Leider sind viele Becken so dunkel, dass man nicht nur nicht fotografieren kann, sondern auch die Beobachtung nur schwer möglich ist. Vielleicht ist das aber eine notwendige Maßnahme, um ein Veralgen der sessilen Bewohner zu verhindern. In einem dieser Aquarien schwamm ein Trupp Meerbarbenkönige (Apogon imberis) und ein kleiner Meerrabe (Sciaena umbra) von vielleicht 8 cm Länge. Den hätte ich soooo gerne fotografiert, aber das ergab nur schwarzen Adler auf schwarzem Grund.

Blick in das große Becken vom Charakter „Seegraswiese“, das von verschiedenen Brassenarten domniert wird.
Die Scheibendicke ist beeindruckend.
Dickes Glas, lange Belichtungszeiten, hohe ASA-Zahl, große Blende: schlechte Aufnahmen. Aber was für geile Fische…

Etwas frustriert zog ich weiter. Dann wurde ich aber mehr als entschädigt. Ein erstes Großbecken, hauptsächlich mit diversen Brassen-Arten, aber auch Dicklippigen Meeräschen (Chelon labrosus), Mönchsfischen (Chromis chromis), Meerjunkern (Coris julis), Pfauen-Lippfischen (Symphodus tinca) und einem großen Kleingefleckten Katzenhai (Scyliorhinus caniculata), von dem auch etliche Eier im (künstlichen) Seegras zu sehen waren. Der Katzenhai hatte sich mit einem sehr großen Exemplar des Streifenbrassens (Spondyliosoma cantharus) zusammengetan. Dem Streifenbrassen waren Teile seiner Beflossung abhandengekommen. Diese Brassen-Art ist etwas Besonderes, nicht nur unter den Brassen, sondern ganz allgemein unter den Meeresfischen, denn sie übt Brutpflege aus. So etwas – gang und gäbe unter Süßwasserfischen – ist im Meer die ganz große Ausnahme. Wie fast alle Meerbrassen ist auch Spondyliosoma cantharus ein protogyner Zwitter, beginnt das Leben also als Weibchen und wandelt sich vermutlich nach vier bis fünf Jahren zum Männchen um. Geschlechtsreif wird der Streifenbrassen mit etwa 20 cm im Alter von ca. 2 Jahren. Die Männchen wedeln mit der Schwanzflosse eine Grube in den Sand. Hier hinein werden die klebrigen Eier (10.000 bis 100.000 Stück, Durchmesser ca. 1 mm, Laichzeit Februar bis Mai) gelegt und 9 Tage lang vom Männchen bis zum Schlupf bewacht und mit Frischwasser befächelt. Die Plexischeibe dieses Beckens hatte eine beeindruckende Dicke.

Gegenüber dieses Beckens, in dem ein sandiger Biotop mit Seegrasbeständen gezeigt wird, befindet sich ein Streichelaquarium mit Rochen. Die Arten sind schwer zu bestimmen, ich denke, es waren Raja asterias und R. miraletus.

Von hier aus ging es in die Abteilung mit Fischen der tropischen Meere.

Das nächste Becken ist das größte des Aquariums in Livorno. Ein Becken mit Tieren des Indo-Pazifik, Inhalt: 300.000 Liter. Es enthält gleich zwei der Vorzeigetierarten des Aquariums: Napoleonfische und Meeresschildkröten. Es wäre aber ungerecht, das Becken auf diese zwei prominenten Arten zu reduzieren; da wäre z.B. der große Trupp Fledermausfische (Platax orbicularis). Diese Art sieht als Jungfisch völlig anders aus und erinnert dann eher an die aus dem Süßwasser bekannten Segelflosser (Pterophyllum). Die Jungfische leben in der Mangrove und imitieren hier tote Blätter. Wie diese lassen sie sich von der Strömung treiben. Die erwachsenen Fische sind hingegen aktive Schwimmer. Da Fledermausfische beliebte Speisefische sind, werden sie in Aquakultur gehalten und vermehrt. Jungtiere kommen auch in den Zierfischhandel. Es sind ausdauernde und schöne Pfleglinge.

Natürlich ziehen auch Haie immer den Blick auf sich. In diesem Fall sind es drei Arten: Schwarzspitzen-Riffhaie (Carcharhinus melanopterus), ein männlicher Weißspitzen-Riffhai (Triaenodon obesus) und Zebrahaie (Stegostoma fasciatum). Leider sind die Bestände aller Haie stark rückläufig, die Überfischung für Haifischflossen und das Öl der Leber zusammen mit der vergleichsweise geringen Vermehrungsrate dieser Tiere sind besorgniserregend. Der ovovivipare Zebrahai wird regelmäßig im Aquarium gezüchtet; Jungtiere sind sehr kontrastreich schwarz-weiß geringelt. Die beiden Riffhai-Arten sind echt lebend gebärend. Für den häufig in Schauaquarien gezeigten Schwarzspitzen-Riffhai existiert sogar ein Zoo-Erhaltungszuchtprogramm; der Weißspitzen-Riffhai wird seit 1982 erfolgreich in Aquarien gezüchtet. Wenngleich diese Nachzuchten ausreichen, um ggf. den Bedarf von Zoos und Schauaquarien zu decken, braucht man sich dennoch nicht der Illusion hinzugeben, man könne damit die Folgen des weltweiten Haisterbens mindern. Auch wenn alle Lebendhaltungen der Erde zu 100% aus Wildfängen bestehen würden, hätte das keinen spürbaren Einfluss auf die Wildbestände. Man muss Haie in Zoos und deren Nachzuchten genau wie andere Raubtiere sehen: als Botschafter ihrer Art, als Chance, die schönen Seiten dieser Tiere zu sehen und für ihren Schutz zu werben.

Das gilt letztendlich auch für die Napoleonfische, die größten Lippfische der Welt. Der Rekord liegt bei 2,3 m, das im großen Barriereriff vor Australien gefangene Tier war 190 Kilogramm schwer. Leider gehört der Napoleonfisch (Cheilinus undulatus) zu den bedrohtesten Meeresfischen überhaupt. Sein Fleisch ist sehr fest und wohlschmeckend, es werden bis zu 200$ pro Kilogramm bezahlt. Da der höchste Preis für frisch geschlachtete, noch lebend im Restaurant ausgesuchte Exemplare bezahlt wird, fangen die Fischer sie häufig mit Betäubungsmitteln, wie Cyanid, einer Blausäureverbindung. Die Fische erholen sich scheinbar von der Vergiftung; das täuscht aber. Meist tragen sie irreparable Leberschäden davon. Das Gift schadet aber nicht nur den unmittelbar damit gefangenen Fischen, sondern schädigt auch nachhaltig alle anderen Riffbewohner in der näheren Umgebung. Auch die Fischer, die sich der Schädlichkeit ihrer Handlungen nicht bewusst sind, bringen sich selbst und ihre Familien in höchste Gefahr, denn sie verzehren alle Fische, die den Fang nicht überleben. Es geht die Rede, dass eine hohe Zahl von Missbildungen bei den neugeborenen Kindern der Fischerfamilien zu beobachten ist. Dieser Gift fang ist die größte Seuche der tropischen Meere. Leider wurden und werden wohl auch immer noch auch Zierfische mit dieser Methode gefangen. Es ist mir unbegreiflich, dass dieser seit Jahrzehnten beklagte Missstand nicht unterbunden werden kann. Hinter dem Vertrieb des Giftes müssen schließlich kriminelle Vereinigungen stehen, man bekommt ja Blausäure nicht einfach so in der Apotheke nebenan oder im Supermarkt.

Die Bestände des Napoleonfischs befinden sich leider in einer steten Abwärtsspirale. Je rarer er wird, desto teuerer wird er, je teurer er wird, desto begehrter wird sein Verzehr als Statussymbol. Somit findet eine gnadenlose Ausplünderung der Bestände statt. An sich können Korallenfische aufgrund ihres gewaltigen Vermehrungspotentials solchem Feinddruck entgegenwirken. Napoleonfische werden z.B. mit rund 35 cm Länge geschlechtsreif, andere Quellen geben ca. 60 cm an. Es wird geschätzt, dass sie dann 5-7 Jahre alt sind. Wie die meisten Lippfisch-Arten haben Napoleonfische drei Geschlechter. Es gibt Weibchen, Primärmännchen und Sekundärmännchen. Primärmännchen werden bereits als Männchen geboren und bleiben zeitlebens Männchen. Sekundärmännchen hingegen waren zunächst Weibchen. Ab einer Größe von rund 60 cm, im Alter von etwa 15 Jahren wandeln sich die Weibchen in Männchen um. Beim Laichgeschehen finden sich Napoleonfische eines größeren Riffabschnitts zum Gruppenlaichen zusammen. Einige wenige große Sekundärmännchen befruchten den Laich fast aller Weibchen. Die Primärmännchen sind optisch und bezüglich der Größe nicht von Weibchen zu unterscheiden. Sie mischen sich in das Laichgeschehen als so genannte Sneaker (also „Schleicher“) ein und werden von den großen Männchen nicht als Konkurrenten erkannt. Aus unbekannten Gründen waren Napoleonfische nie wirklich häufig. Die Dichte wird auch in völlig unbefischten Gebieten auf höchstens 20 Exemplare auf 10.000m2 geeignete Rifffläche angegeben. Dabei werden von den Tieren jährlich Millionen von Eiern je Weibchen gelaicht. Das Wissen um die Details der Biologie dieser beeindruckenden Fische ist leider verheerend gering. So heißt es, Weibchen würden mit maximal 32 Jahren Lebenserwartung älter als die Männchen werden. Was ist der Grund, warum sich nicht alle Weibchen zu Männchen umwandeln? Warum verwandeln sich nur so wenige Larven, warum ist die Art auch in ungestörten Riffen so selten? Obwohl der Napoleonfisch ein sehr weites natürliches Verbreitungsgebiet hat, weiß man so, so wenig über ihn…. Aber die gute Nachricht zum Schluss: eine relativ neuen Studie aus dem Jahr 2015 (NOAA Technical Memorandum NMFS-PIFSC-48 . Status Review Report: Humphead Wrasse (Cheilinus undulatus). Kostenloser Download hier: https://repository.library.noaa.gov/view/noaa/9052) kommt zu dem Ergebnis, dass zumindest in absehbarer Zeit (den nächsten 50 Jahren) wohl kein akutes Risiko besteht, dass die Art ausstirbt.

In Livorno leben zwei große Männchen der Art, beeindruckende Gestalten! Die Weibchen haben eine rote Grundfärbung. Den komischen Namen „Napoleonfisch“ hat der Fisch übrigens davon erhalten, dass der Stirnbuckel erwachsener Männchen an den Zweispitz-Hut erinnern soll, den Napoleon Bonaparte zu tragen pflegte.

Leider sind auch die Meeresschildkröten weiterhin bedroht. Im Aquarium von Livorno wird ein wunderschönes, ausgewachsenes Paar der Suppenschildkröte (Chelonia mydas) gezeigt. Die Suppenschildkröte ist die einzige der sieben gegenwärtig bekannten Meeresschidkrötenarten, die sich weitestgehend auf pflanzliche Nahrung spezialisiert hat. Es ist darum relativ risikoarm, sie gemeinsam mit Fische zu pflegen. Die Art ist weltweit verbreitet, es wird kontrovers diskutiert, ob sie in Unterarten aufzugliedern sei. Geschlechtsreif werden Meeresschildkröten erst mit ca. 20 Jahren. Bis dahin gehen die meisten Schlüpflinge zugrunde; obwohl Meeresschildkröten riesige Gelege von bis zu 180 Eiern produzieren ist es darum schwierig, die Bestände zu stützen. Man versucht dazu vor allem, die Strände, an denen die Eier gelegt werden, zu schützen. Schildkrötengelege werden bereits durch eine Vielzahl von Fressfeinden gefährdet, Menschen, Schweine und Hundeartige graben sie aus. Bei besonders bedrohten Arten und Populationen der Meeresschildkröten werden die Schlüpflinge einige Jahre in Gefangenschaft aufgezogen, wodurch die individuelle Überlebenschance, die – statistisch gesehen – bei deutlich weniger als 0,1% der Schlüpflinge liegt, verbessert werden soll. Aufgrund des makellosen Panzers des Pärchens in Livorno (die Tiere haben Namen und heißen Ari und Cuba) sind die beiden wohl solche Aufzuchttiere. Sie sollen sich erst seit 2017 in Livorno befinden. Das Männchen ist leicht an der sehr langen Schwanzrübe zu erkennen.

Ein Schwarm Wimpelfische (Heniochus cf. acuminatus) stand leider stets zu tief im Becken, um die subtilen Artunterschiede zu H. diphreutes sicher erkennen zu lassen. Die schönen, über 20 cm großen Tiere trauten wohl der Räubergesellschaft, die sich in Scheibennähe aufhielt, nicht über den Weg. Zumindest bei den beiden großen Muränen, gut zu sehen war eine Große Netzmuräne (Gymnothorax favagineus), die andere Art huschte nur kurz durch das Becken und versteckte sich dann wieder, ist diese Vorsicht wohl angebracht, denn denen darf man nicht trauen. Das tun die Pfleger wohl auch nicht, die Muränen sind hübsch feist. Nur satte Muränen sind harmlose Muränen… Der Zackenbarsch (Epinephalus malabaricus) ist hingegen in der gegenwärtigen Größe (ich schätze 40-50 cm) noch keine Gefahr für die Wimpelfische, aber die Art wird immerhin bis 120 cm lang. Für die Wimpelfische harmlos sind auf jeden Fall die Rotfeuerfische (Pterois miles), die neugierig an der Scheibe den Besucher betrachten und posieren. Zwei über 20 cm große Großkaiser – ein Pomacantus imperator und ein P. annularis – wirken in dieser Gesellschaft trotz aller Farbenpracht eher unscheinbar und unauffällig, ebenso die skurrilen Nashornfische (Naso brevirostris). Sehr schön, dass auch in diesem Großbecken zwei Putzerfische (Labroides dimidiatus) ihrer Passion nachgehen können, hier kann man sehr naturnahe Beobachtungen an den winzigen Kerlchen machen, wie sie die Muräne und den Zackenbarsch bedienen. Ein Trupp noch jugendlicher Blaustreifenschnapper (Lutjanus kasmira) hat wohl ähnliche Motive wie die Wimpelfische sich recht eng beisammen zu halten.

Meine persönlichen Favoriten waren aber zwei Pferdemakrelen (Caranx hippos), die mit unfassbar herrlich mürrischen Gesichtsausdruck, dicht beieinander schwimmend durch das Becken patrouillierten. Irgendwie ist es ja schwer, sich von dem Gedanken zu lösen, dass solche silbrigen Schwarmfische nur namenlose und weitgehend persönlichkeitslose Tiere sind. Caranx hippos ist – zoogeografisch gesehen – hier eigentlich fehl am Platz, denn es ist eine atlantische Art, die sogar im Mittelmeer angetroffen werden kann und weit die Flüsse hinaufwandert. Das Aquarium hat ansonsten, wie schon erwähnt,  indo-pazifischen Besatz. Aber egal, die Besucher merken es eh eher selten und die Pferdemakrelen sind eine echte Schau. Die Maximallänge der Art wird mit 125 cm angegeben, gewöhnlich werden die Tiere um die 75 cm lang. Es sind begehrte Speisefische, Caranx hippos gilt, obwohl jährlich viele hundert Tonnen gefischt werden, als nicht gefährdet.

Die Karibik ist Thema des nächsten Großaquariums. Die Karibik, ein Teil des Atlantiks, der das Meer zwischen einer Inselkette (den großen und kleinen Antillen, den Inseln unter dem Winde und weiteren) und der süd- und mittelamerikanischen Küste, ist nicht sehr artenreich, vergleicht man das etwa mit dem Indo-Pazifik; aber es gibt dort dennoch eine sehr charakteristische Artengesellschaft, die in dem Aquarium gut abgebildet wird. Leider war aufgrund der Beleuchtung ein Fotografieren hier nahezu unmöglich. Sehr schade… Einige Arten werden hier darum nur erwähnt und nicht gezeigt, so ein sehr schöner Königin-Engelfisch (Holacanthus ciliaris) und drei der vier karibischen Doktorfisch-Arten, die erstaunlich friedlich miteinander umgingen, was bei diesen Tieren nicht so selbstverständlich ist.

In fünf sehr schönen Arten sind die Grunzer (Haemulinae) vertreten, sehr typische Karibik-Arten. Sie haben ihren Gebrauchsnamen nach der Fähigkeit bekommen, durch reiben mit den Schlundzähnen und der Schwimmblase als Resonanzkörper knarrende Geräusche von sich zu geben.

Hier kommen zwei Aufnahmen von Grunzern, die „normal“ geblitzt wurden, um die wahre Schönheit der Tiere zu zeigen. Dieses Bild von Haemulon flavolineatum entstand im Shedd-Aquarium in Chicago.
Dieser Haemulon plumieri schwimmt im Kattegat-Center in Greena (Dänemark).

Grunzer sind auch in der Hobbyaquaristik ab und an zu sehen, sie erreichen 15-30 cm Länge. Jungtiere sehen farblich  völlig anders aus als die erwachsenen Tiere. In der Natur fressen Grunzer hauptsächlich nachts, tagsüber halten sie sich in größeren Trupps auf, was gegen Raubfische ein Sicherheits-Plus bedeutet, gegen menschliche Fischer aber das Gegenteil. Grunzer sind wichtige Speisefische in ihrem Vorkommensgebiet. Ihrerseits fressen Grunzer Plankton, also kleine Krebstiere, Jungfische etc.

Bei Tauchern ist das „Küssen“ der Grunzer berühmt. Es handelt sich dabei um ein ritualisiertes Maulkämpfen, das uns Aquarianern ja von sehr vielen Arten bekannt ist.

Nach der Karibik geht es weiter mit Mittelmeertieren. Den Anfang macht der vielleicht schönste Fisch des Mittelmeeres, der Fahnenbarsch (Anthias anthias). Seine Exotik erwartet man eigentlich aus tropischen Gewässern, wo die Fahnenbarsche tatsächlich sehr artenreich verteten sind. Dort leben sie in riesigen Schwärmen an den Riffkanten und fangen Planktonorganismen. Das macht ihre Pflege für so manchen Riffaquarianer schwer. Denn häufiges Füttern in kleineren Portionen, wie es für die Haltung von Fahnenbarschen ideal ist, wird im Riffaquarium nicht gerne praktiziert. Das belastet nämlich das Wasser. Diese Einstellung zur Fischfütterung ist sehr schade; Fahnenbarsche sind durchaus auch mit Futtergranulaten als Ernährungsbasis zufrieden, die man in handelsüblichen Futterautomaten sehr leicht in kleinen Portionen mehrmals über den Tag verteilt verabreichen kann, auch als berufstätiger Mensch.

Fahnenbarsche in Livorno

Richtig gehaltene Fahnenbarsche sind durchaus nicht hinfällig, wie man in zahlreichen Schauaquarien, so auch in Livorno, beobachten kann. Dort schwimmen nämlich teils wahre Giganten von Fahnenbarschen, Exemplare die viel, viel größer als in freier Natur sind. Fische werden nun mal in menschlicher Obhut erheblich älter als draußen, wo Distress durch Parasiten, Nahrungsmangel, Fressfeinde und Konkurrenz mit Artgenossen das Leben erheblich verkürzt. Gewöhnlich wird Anthias anthias 10-15 cm lang, aber die Tiere in Livorno sind fast doppelt so groß. Es ist ein faszinierender Anblick, die Fische bei ihren Balzspielen zu beobachten, in denen sie ihr prächtiges Flossenwerk so richtig zur Geltung brngen.

Dieser Mittelmeerfahnenbarsch wurde nicht in Livorno fotografiert, sondern in einem Aquarium, in dem Blitzlicht erlaubt ist. So erkennt man Details der Färbung besser.

Bei den großen Flossen handelt es sich um typische Luxsbildungen, die zu nichts weiter gut sind, als den Weibchen zu imponieren. Man kann das am besten mit Pfauenfedern vergleichen. Vermenschlichend ausgedrückt besagen sie: wer es schafft mit derart unpraktischen Flossen zu überleben, der wird auch gute Gene an meine Nachkommen weitergeben. Draußen findet man nur relativ wenige Männchen, denn die Fahnenbarsche sind protogyne Zwitter. Sie beginnen ihr Leben allesamt als Weibchen. Erst nachdem sie einige Zeit als funktionelles Weibchen existiert und schon viele hunderttausend Eier gelaicht haben, wandeln sie sich in Männchen um. Fahnenbarsche geben ihre Geschlechtsprodukte einfach ins freie Wasser ab, wo sie sich im Plankton entwickeln; die Fische sind Dauerlaicher, nur der Mittelmeerfahnenbarsch, der als tropisches Element in das Mittelmeer gekommen ist und etwas höhere Temperaturen als andere Mittelmeerbewohner bevorzugt, legt in den Wintermonaten Laichpausen ein.

Meerrabe, Sciaena umbra

Der Sinn dieser Geschlechtsumwandlung liegt auf der Hand: ein Männchen reicht aus, um den Laich sehr vieler Weibchen zu befruchten. Und ein Weibchen, das es geschafft hat, bis zur Geschlechtsumwandlung zu überleben, gibt auf jeden Fall auch als Männchen gute Gene weiter. In Livorno und anderen Schauaquarien führt das allerdings dazu, dass man kaum Weibchen zu Gesicht bekommt. Die alten, prachtvollen Buben dort haben die Geschlechtsumwandlung längst hinter sich gelassen. Ab einer gewissen Größe der Männchen wird es auch schwierig, Weibchen nachzusetzen, denn Fahnenbarsche sind – zoologisch gesehen – sehr, sehr eng mit den Zackenbarschen verwandt. Wie diese können sie ganz ordentliche Brocken schlucken und das macht die kleinen Weibchen zu Futtertieren. So tanzen denn in LIvorno die Jungs ihr Männerballett und weit und breit ist keine Frau in Sicht. Nur ein paar Meerraben (Sciaena umbra), die das Aquarium mit den Fahnenbarschen teilen, sehen die Tänze, doch sie interressieren sich nicht dafür…

Zum Schluss kommt man in einen weiteren Raum mit einem riesenhaften Aquarium, in dem vorwiegend Großfische des Mittelmeerraumes schwimmen. In den Wänden rund um dieses Aquarium gibt es kleinere Aquarien, in denen kleine tropische Riff-Fische schwimmen, die man auch zuhause gut pflegen kann. Das ist zweifellos hübsch und darf in einem Schauaquarium nicht fehlen, war für mich aber weniger interessant. Sehr spannend ist es dagegen, die seltsamen Perlboote (Nautilus) zu beobachten, die letzten rezenten (also heute lebenden) Tintenfischverwandten, die eine feste Außenschale haben, so wie die längst ausgestorbenen Ammoniten.

Im Großbecken begrüßt mich zuallerst der Atlantischen Drücker (Balistes capriscus). Diese bis zu 60 cm lange Art ist der einzige Vertreter der Drückerfische, der sogar ab und zu in der Nordsee vorkommt. Im Aquarium gelten Drücker ganz allgemein als Rabauken, die gerne mal das ganze Aquarium beherrschen und auch keine Skrupel haben, den Pfleger zu beißen, wenn der ihnen blöd kommt. Aber in Großaquarien fällt so etwas nicht weiter ins Gewicht. Drücker sind intelligente Fische, ich habe bei ihnen oft den Eindruck, sie beobachten die Besucher genau so neugierig wie umgekehrt.

Brauner Zackenbarsch, Epinephelus marginatus

Natürlich dürfen auch die legendären großen Zackenbarsche (Epinephelus) in diesen Großbecken nicht fehlen. Es gibt mehr Arten von ihnen im Mittelmeer, als man gemeinhin denkt; auch wenn das auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheint: die weiter oben vorgestellten Fahnenbarsche (Anthias anthias) gehören auch zu ihnen! Die Fahnenbarsche sind nur mit zwei Arten im Mittelmeerraum vertreten, vier kleinere (15-30 cm) Zackenbarsch-Arten gehören zur Gattung Serranus, von denen der Schriftbarsch (Serranus scriba) wohl der bekannteste ist; Serranus cabrilla ist weiter oben abgebildet. Die Serranus-Arten sind funktionale Simulatan-Zwitter, d.h. sie haben gleichzeitig funktionsfähige Hoden und Eierstöcke. Zur Not können sie sogar ihren eigenen Laich befruchten und somit Klone von sich selbst produzieren! Die Ephinephelus-Arten, die allesamt deutlich über 1 m lang werden können, sind zwar auch Zwitter, aber protogyne, d.h., sie beginnen ihr Geschlechtsleben als Weibchen und wandeln sich dann nach einigen Jahren zu Männchen um. Funktional haben Epinephelus immer nur ein Geschlecht. Meist wird in Schauaquarien der Braune Zackenbarsch (Epinephelus marginatus) gezeigt, der eine maximale Länge von 140 cm erreichen kann. Auch in Livorno ist diese Art vertreten, die man früher als E. guaza kannte.

Zahnbrassen, Dentex dentex

Es ist natürlich nicht möglich, all die wunderbaren Fische zu würdigen, die im Aquarium von Livorno leben, aber eine Art hat es mir dann doch noch besonders angetan, die in diesem letzten Großbecken in mehreren prachtvollen Exemplaren vorhanden ist und die man sonst eher von der Speisekarte her kennt: die Zahnbrasse (Dentex dentex). Diese Brassen-Art wird maximal einen Meter lang. Erwachsene Zahnbrassen sind getrenntgeschlechtlich, aber manche jungen Exemplare sind – sozusagen als Notprogramm – zwittrig. So kann auch bei hohem Feinddruck noch eine gewisse Reproduktion der Art stattfinden.

Mein Fazit für das Aquarium Livorno: ein ganz wunderbares Schauaquarium mit hervorragend gepflegten Tieren, das auch verwöhnten Fischfreunden ausgesprochene Raritäten präsentiert. Ein Besuch ist absolut uneingeschränkt empfehlenswert!

Frank Schäfer

Hier geht es zur Homepage des Aquariums: http://www.acquariodilivorno.com/aquarium.php

Wer bis dahin mehr über die Tierwelt des Mittelmeeres lesen möchte findet hier den Lesestoff: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=mittelmeer


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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2 Kommentare zu “Das Aquarium von Livorno

  1. Pingback: Franky Friday: Das Aquarium von Livorno - my-fish

  2. Michael Köhler

    Für Freunde des Mittelmeeres möchte ich auch das Cretaquarium bei Heraklion auf Kreta empfehlen. Das Konzept ist ähnlich wie hier, aber noch konsequenter auf Mittelmeertiere zugeschnitten. Gigantische Becken mit kapitalen Exemplaren fast aller Brassen, Umberfische, Zackenbarsche, Adlerfische, Haie, aber auch viele kleine Becken mit Lippfischen, Himmelsguckern, kleinen Plattfischen u.a. Dazu einige Becken, die den Lessepsschen Einwanderern gewidmet sind. Unbedingte Empfehlung!

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