Eine extreme Seltenheit: Sandelia capensis

Was bedeutet eigentlich das Wort „Seltenheit“? Das Wort “selten” ist selbstverständlich nicht eindeutig in seinem Gebrauch. Im Zusammenhang mit Tieren kann es heißen, dass es weltweit nur wenige Individuen gibt, dass eine Art ein beschränktes Verbreitungs­ge­biet hat, dass sie in ihrem Lebensraum kaum gefunden wird oder auch – im Zusammenhang mit Aquarien­fischen – sie nur von wenigen Menschen gepflegt wird.

Etwa 5 cm langes Weibchen von Sandelia capensis.

Auf Sandelia capensis treffen gleich meh­rere der genannten Gründe zu, was es erlaubt, ihn mit Fug und Recht als „extreme Seltenheit“ zu bezeichnen. Die Art kommt nur in Südafrika und dort nur in den westlichen und östlichen Kap-Pro­vinzen vor, weshalb der Fisch auch als “Kap-Labyrinthfisch” bezeichnet wird. Die Tiere erreichen eine Maximallänge von 22 cm, werden aber bereits mit 5 cm Länge geschlechtsreif. Jedenfalls steht es so in der Literatur. Erst in jüngster Zeit zeigte sich, dass sich unter dem Namen “Sandelia capensis” vermutlich mehr­ere, wissenschaftlich noch unbe­schriebene Arten, verbergen. Und daher wurde S. capensis jetzt in der neueste “Roten Liste” der gefährdeten Tierarten als dringend zu er­forschen geführt. Denn wenngleich es große und stabile Populationen gibt, sind andere, vor allem durch eingeschleppte Nutzfische (Forellen etc.), akut vom Aus­ster­ben bedroht.

Etwa 6 cm langes Männchen von Sandelia capensis. Streifen können, in Abhängigkeit von der Stimmung, gezeigt oder ausgeblendet werden.

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Nach aktuellem Forschungsstand kann man von drei kryptischen, also äußerlich nicht so ohne weiteres voneinander zu unterscheidbaren Arten ausgehen (Bronaugh, Swartz & Sidlauskas, 2019): Einer „Westküsten-Gruppe“, die in den Flüssen Langvlei, Verlorenvlei, Berg und Diep vorkommt, die endemische „Klein River Art“ und eine „Südküsten-Gruppe“, die das gesamte restliche Artareal, das nach klassischer Vorstellung praktisch alle Tieflandgewässer und Flussmitteläufe vom Coega River im Östlichen Kap zum Verlorenlei und dem Berg River im Süd-Westen des Kaps umfasst, besiedelt.

Sandelia bainsii ist stark vom Aussterben bedroht. Photo: W. Foersch

Im Jahr 2004 publizierte der südafrikanische Ichthyologe Jim Cambray, der schon seit Jahrzehnten im Artenschutz für die einzige weitere Sandelia-Art S. bainsii engagiert ist, eine wissenschaftlich fundierte Analyse des Ablaichverhaltens von S. capensis. S. bainsii ist die durch die Zerstörung des Lebensraums (Einsatz von gebietsfremdem Raubfischen zu Angelzwecken, Überwuchern der Gewässer mit einer eingeschleppten Schwimmfarn-Art, die so dicht wuchert, dass die Labyrinthfische nicht mehr zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen können und ersticken) immer noch akut vom Aussterben bedroht, aber das ist eine andere Geschichte. Cambray schreibt über das Ablaichverhalten von S. capensis: „Die Männchen zeigten eine ausgeprägte Balz-Färbung, die aus einer intensiv schwarz umrandeten, schwarzen Kiemenregion besteht, wobei alle Flossen schwarz gefärbt sind. Die Weibchen hatten eine hellgelbe Farbe mit einigen mattschwarzen Markierungen. Sandelia capensis sind uniparentale Substratlaicher. Es wurde kein Nestbauverhalten beobachtet. Das Männchen wählt eine Laicharena, die es aggressiv gegen andere Männchen verteidigt. Im Gegensatz zu anderen Anabantiden zeigt das Männchen nicht die typische U-förmige Umschlingung des Weibchens. Das Weibchen schwimmt in die Laicharena, das Männchen nimmt eine Position direkt hinter ihr ein, das Weibchen berührt dann das Substrat und die Eier werden ausgestoßen, während der Körper des Weibchens vibriert, das Männchen schwimmt dann über die Stelle und jagt danach das Weibchen fort. Das Männchen bewacht den Laichplatz, und seine Balz-Färbung wurde dabei noch verstärkt. Wassergehärtete, befruchtete Eier waren hellgelb, adhäsiv, demersal und 1,28 mm im Durchmesser mit 0,61 mm großen Ölkügelchen.“

S. capensis, Weibchen

Dieses Fortpflanzungsverhalten ist innerhalb der gesamten Labyrinthfisch-Verwandtschaft nicht nur selten: es ist einzigartig. Die U-förmige Umschlingung gibt es selbst bei den nur weitläufig mit den Labyrinthfischen verwandten Blaubarschen (Badidae), sie ist sicher ein ganz ursprüngliches Verhaltenselement, das sowohl von den brutpflegenden Labyrinthfischen (z.B. Fadenfischen, Kampffischen, Makropoden) wie auch von nicht-brutpflegenden Arten (z.B. Buschfische, Küssende Guramia, Kletterbarsche). Der molekulare Stammbaum der Labyrinther, den Rüber, Britz und Zardoya 2006 publizierten, zeigt Sandelia capensis eingebettet in die Kletterbarsch/Buschfischverwandtschaft, wo man die Art bereits aus anatomischen Gründen auch früher schon platzierte. Das Laichverhalten von Sandelia capensis ist also kein basales, in dieser Art konserviertes Verhalten, sondern ein Sonderweg, den der Kap-Labyrinthfisch ging. Der verwandte S. bainsii praktiziert – obwohl auch diese Art Hafteier produziert – eine U-förmige Umschlingung. Die engsten Verwandten von Sandelia capensis sind übrigens, den Ergebnissen von Rüber et al. zufolge, die nicht-brutpflegenden, schlanken Buschfische der Gattung Ctenopoma s. str., also die Typusart Ctenopoma multispine, dazu C. gabonense (früher als C. nigropannosum bekannt), C. nigropannosum (früher als C. pellegrinii bezeichnet). Die betreiben keinerlei Brutpflege, sondern sind Freilaicher, die Schwimmeier produzieren. Da kein einziger Fall unter den Fischen bekannt ist, dass sich innerhalb einer brutpflegenden Verwandtschaftsgruppe heraus eine nicht-brutpflegende Form entwickelt hätte, der umgekehrte Weg aber nachweislich häufig vorkommt (also dass innerhalb einer an sich nicht-brutpflegenden Verwandtschaftsgruppe eine brutpflegende Form entstand), ist die Annahme naheliegend, dass sich das einzigartige Ablaich- und Brutpflegeverhalten von Sandelia capensis unabhängig von den übrigen Labyrinthfischen entwickelt hat, wobei der Vorfahr von Sandelia capensis ein nicht-brutpflegender Kletterbarsch, nicht unähnlich den heutigen Ctenopoma s.str. war. Dieser Prozess begann, Rüber et al. zufolge, vor rund 24 Millionen Jahren.

Buschfische der Art Ctenopoma multispine – dies ist ein Exemplar aus dem See Mweru Wantipa in Sambia – sind die engsten Verwandten von Sandelia capensis.

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Alle S. capensis, die hier gezeigt werden, sind Nachzuchten von Jürgen Schmidt, Weißwasser.

In neuerer Zeit ist m.W. nur ein einziges Mal, nämlich 2008, Sandelia capensis in nennenswerter Stückzahl im Handel aufgetaucht. Diese Tiere stammten allesamt aus der Nach­zucht des begnadeten Buschfischzüchters Jürgen Schmidt, Weißwasser (den Ortszusatz macht man in Labyrintherkreisen, um Verwechslungen mit dem gleichnamigen Jürgen Schmidt, Redakteur und Herausgeber, der in Labyrintherkreisen vor allem für seine Forschungen an Vertretern der Gattung Betta bekannt ist, zu verhindern). Männchen und Weibchen lassen sich bereits bei Längen um 5 cm gut unterscheiden. Die gleichalten Männ­chen sind größer und haben vor allem ei­nen längeren Kopf.

Gepflegt werden diese Top-Raritäten in kühlen (nicht dauerhaft über 22°C!) und gut gefilterten Aquarien. Ohne Strömung werden die an sich ro­bus­ten Tiere krank­heits­­an­fällig. Pflanzen und andere Fische, so­fern sie nicht als Nah­rung in Be­tracht kom­men, wer­den ignoriert. Untereinander sind Sandelia zänkisch, weshalb vergleichsweise große Aquarien empfehlenswert sind.

Kämpfendes Männchen von S. capensis.

Graue, zänkische und noch dazu bezüglich der Pflege aufwändige Fische werden niemals eine große Anhängerschaft finden, ganz gleich wie selten sie sind. Aquaristisch werden Sandelia darum immer Raritäten bleiben. Es wäre unter dem Aspekt der Fragestellung, ob die aufgrund molekularer Daten entdeckten kryptischen Arten bei der Pflege im Aquarium nicht doch auch Verhaltens- oder Farbunterschiede aufweisen, ein Import lebender Exemplare mit definierter Herkunft sehr wünschenswert.

Der unge­wöhn­­liche Gat­­tungs­name „Sandelia“ wur­­de übrigens von dem Be­schreiber Castel­nau 1861 zu Ehren des “chef caffre” Sandelie ge­wählt, einem Führer der Xhosa und so­mit Volks­genosse von Nelson Mandela; Mgolombane Sandile (1820–1878) – so die gegenwärtige Schreibweise des Namens, Castelnau hatte eine andere – war eine wichtige Figur in den kolonialen Kriegen, die als 7. (1846-47), 8. (1850-53) und 9. (1877-79) Grenzkrieg zwischen Engländern und Xhosa stattfanden. Am 29 Mai 1878 wurde Sandile dabei tödlich verwundet. Und auch das ist selten: dass nämlich im 19ten Jahrhundert ein schwarzer Häuptling seitens eines europäischen Naturwissenschaftlers gewürdigt und geehrt wurde.

Frank Schäfer

zitierte Literatur

Bronaugh, W. M., Swartz, E. R., & Sidlauskas, B. L. (2020): Between an ocean and a high place: coastal drainage isolation generates endemic cryptic species in the Cape kurper Sandelia capensis (Anabantiformes: Anabantidae), Cape Region, South Africa. Journal of Fish Biology, 96(5): 1087-1099.

Cambray, J. A. (2004): Spawning behaviour of Sandelia capensis (Teleostei: Anabantidae): Ichthyological Exploration of Freshwaters, 15(4): 311-322.

Castelnau, F. L. (1861): Mémoire sur les poissons de l’Afrique australe. Paris. i-vii + 1-78.

Rüber, L., Britz, R., & Zardoya, R. (2006): Molecular phylogenetics and evolutionary diversification of labyrinth fishes (Perciformes: Anabantoidei). Systematic Biology, 55(3): 374-397.

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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