Kennen Sie die häufigsten Tiere der Welt? Seegurken sind Erfolgsmodelle der Evolution!

Hand auf’s Herz: wären Sie bei der Eingangsfrage auf ”Seegurken” gekommen? Und doch ist es wahr! Seegurken stellen etwa 90% der Biomasse der Tiefsee und da rund 70% der Erdoberfläche in der Tiefsee liegen, stimmt die Rechnung.

Seegurken oder Seewalzen bilden im zoologischen System die Klasse der Holothuroidea. Etwa 600 Arten sind weltweit bekannt. Sie leben ausschließlich im Meer und alle Arten ernähren sich von Kleinstlebewesen. Es gibt dabei – grundsätzlich – zwei Methoden. Die eine Gruppe frisst Unmengen Sand und Schlick in sich hinein, sortiert im Körperinneren das Verdauliche vom Unverdaulichen und scheidet das Unverdauliche als gereinigten Sand wieder aus. Die zweite Gruppe fischt mit ihren umgebildeten Mundtentakeln Plankton aus dem Wasser.

Colochirus crassus ist eine wunderschöne, planktonfressende Seegurke.

Außerirdische?
Alle freilebenden*, mehrzelligen Tiere auf Erden sind bilateral-symmetrisch – bis auf die Stachelhäuter! Bilateralsymmetrisch bedeutet, dass es eine rechte und eine linke Körperhälfte gibt. Stachelhäuter – das sind die Seelilien, Schlangensterne, Seesterne, Seeigel und eben die Seegurken – sind dagegen radiärsymmetrisch, sie haben 5 Körperachsen oder ein Vielfaches dieser Zahl. Das Leben auf der Erde ist wohl nur ein einziges Mal entstanden, weshalb alle Lebewesen – egal ob Bakterien, Pilze, Pflanzen oder Tiere – irgendwie miteinander verwandt sind. Am deutlichsten zeigt sich das in der Biochemie, basieren doch Energiegewinnung und Stoffwechsel bei allen Lebewesen auf den gleichen Prinzipien. Aber auch in der Anatomie gibt es grundsätzliche Übereinstimmungen. Wie kommt es also zu der Radiärsymmetrie der Stachelhäuter? Sind sie am Ende gar außerirdische Lebensformen, die einst aus einer anderen Galaxie zu uns kamen? Nein, wohl kaum. Denn die Larven der Stachelhäuter sind ganz normal bilateralsymmetrisch. An den Eiern der Seeigel wurde sogar die grundsätzliche Entwicklung der tierischen Eizelle nach der Befruchtung erforscht, weil Seeigel-Eier so groß, widerstandsfähig und vor allem durchsichtig sind. Die Entwicklung eines menschlichen Embryos unterscheidet sich anfangs nicht von der Entwicklung des Embryos einer Seegurke. Seegurken sind, genau wie wir, irdische Eingeborene.

*Viele Schwämme und einige andere festsitzende Tiere sind amorph, also ohne reguläre Gestalt.

Die Mundtentakel von Pseudocolochrius sehen aus wie Weichkorallen.

Atmen durch den Popo
Die besser bekannten Seesterne und Seeigel haben nur eine wichtige Körperöffnung, die bauchseits in der Mitte des Körpers liegt. Durch diese Körperöffung wird gefressen, Kot ausgeschieden und die Geschlechtsprodukte freigesetzt. Seesterne und Seeigel haben auch keine Atmungsorgane im eigentlichen Sinne. Sie pumpen über eine Art hydraulisches System Wasser, das über eine siebartige Platte (die so genannte Madreporenplatte) durch den Körper. Das dient nicht nur der Sauerstoffversorgung, sondern auch der Mobilität. Die vielen kleinen Füßchen, die man am Körper der Seesterne, Seeigel und Seegurken findet, die so genannten Ambulakralfüßchen, werden durch ein hydraulisches System bewegt! Eine Seegurke ist im Prinzp ein auf der Seite liegender, sehr langgestreckter Seestern. Die Veränderung der Körperform bedingte, dass die Madreporenplatte im Körperinneren zu liegen kam. Wie kommt dort das Wasser hin? Offenbar war es für die Seegurken unpraktisch, alles über eine einzige Körperöffung abzuwickeln. Es ist wohl günstiger, die aufgenommenen Sedimente wie auf einem Fließband längs des Körpers zu verarbeiten und hinten wieder auszuscheiden: der After der Stachelhäuter war erfunden! Außerdem steigert die Existenz eines Afters die Effizienz der Nahrungsaufnahme. Verließen die unverdaulichen Sedimentreste die Seegurke wieder über die Mundöffnung, so würde sie verhältnismäßig viel unnützes Material erneut aufnehmen. Über die Afteröffnung atmen die Seegurken auch! Seegurken haben im Körperinneren sackartige Organe entwickelt, die so genannten Wasserlungen, deren Enden fein verzweigt sind. Die Wasserlungen werden durch den After mit Wasser vollgepumpt. Sie entziehen dem Wasser Sauerstoff, zusätzlich brauchen die Seegurken das Wasser aber auch für ihr Hydrauliksystem.

Holothuria edulis, der Name bedeutet ”essbare Seegurke”, wird in Massen zu Trepang verabeitet.

Achtung, sehr giftig!
Seegurken haben keine nennenswerten Sinnesorgane und nur ein sehr einfaches Nervensystem. Eine Flucht vor Fressfeinden ist ausgeschlossen. Da Seegurken überall so massenhaft verbreitet sind, könnte man meinen, viele Fische und Krebse hätten sich auf diese leichte Beute spezialisiert. Falsch gedacht! Alle Seegurken verfügen über ein extrem potentes Gift, das so genannte Holothurin. Es wird am stärksten in den so genannten Cuvierschen Schläuchen gebildet, das sind fadenförmige Anhängsel des Enddarmes. Bei starker Belästigung schleudert die Seegurke diese Cuvierschen Schläuche durch die Afteröffnung dem Angreifer entgegen. Die Cuvierschen Schläuche sind nicht nur sehr giftig für Fische, sondern auch sehr klebrig. Trotzdem werden Seegurken in den Tropen gegessen! Reizt man die Seegurke nach dem Ausschleudern der Cuvierschen Schläuche noch weiter, so stößt sie sämtliche Innereien aus. Für uns stinkt das abscheulich, aber in der Südsee isst man das, roh oder als Suppeneinlage. Die gesamte, entleerte und gehäutete Seegurke wird geräuchert oder gekocht und dann getrocknet und findet als ”Trepang” vor allem in China und auf den Philippinen Verwendung in Medizin und Küche. Falsche Zubereitung kann zu Vergiftungen führen. Für den Menschen ist Holothurin wenig gefährlich. Doch Hautkontakt kann zu brennenden Schmerzen führen, Augenkontakt sogar zur Erblindung. Verschluckt man Holothurin, so führt es zu Muskelkrämpfen, Verdauungsbeschwerden und in schweren Fällen zum Tod durch Atemlähmung.

Holothuria atra – diese Art kann über 30 cm lang werden.



Im Aquarium

Die Giftigkeit für Fische macht Seegurken zu nicht ungefährlichen Pfleglingen. Die bloße Anwesenheit mancher Arten kann zum Sterben des gesamten Fischbestandes führen. Meist muss eine Seegurke aber extrem gereizt oder gequält werden, um zur Gefahr im Aquarium zu werden. Die größte Gefahr geht von Ansaugöffnungen von Pumpen aus. Wer Seegurken pflegen möchte – und einige Arten sind ja extrem attraktiv – muss durch entsprechende Schutzmaßnahmen unbedingt verhindern, dass das Tier angesaugt wird. Auch die gemeinsame Pflege größerer Krabben oder Krebse verbietet sich, da diese allzeit fressbereiten Tiere sich durchaus an einer Seegurke vergreifen können und damit den gesamten Besatz gefährden. Die Seegurke selbst verfügt übrigens über ein extremes Regenerationsvermögen. Sämtliche inneren Organe können binnen weniger Wochen wieder hergestellt werden. Die schönen Seegurken der Gattungen Colochirus und Pseudocolochirus sind Planktonfresser, die man im Aquarium mit Artemia-Nauplien, gefrostetem Plankton, Cyclops etc. gut ernähren kann. Zunehmend werden auch die wenig attraktiven Arten der Gattung Holothuria gepflegt, die in Aquarien mit größeren Sandflächen hervorragende biologische Helferlein darstellen. Sie braucht man gewöhnlich nicht extra zu füttern. Seegurken sind übrigens getrennt geschlechtlich. Wenn sie Zwitter sind, so zeitweise männlich und zeitweise weiblich. Über eine Zucht im Aquarium ist noch nicht berichtet worden. Die Risiken der Giftigkeit sollten unbedingt bedacht werden, bevor man sich Seegurken anschafft. Auf Korallen etc. wirkt das Holothurin nicht giftig, doch für Fische ist es tödlich. Es muss aber auch ganz klar gesagt werden, dass bislang nur sehr selten über Unfälle mit Seegurken im Aquarum berichtet wurde!

Pseudocolochirus wird auch ”Seeapfel” genannt. Im Aquarium sucht sie sich ein ruhiges Plätzchen.

Frank Schäfer


Anzeige


Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

Weiterlesen

Ein Kommentar zu “Kennen Sie die häufigsten Tiere der Welt? Seegurken sind Erfolgsmodelle der Evolution!

  1. Pingback: Blog Wirbellose – aquaterra70

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert