Die Fische sind die erfolgreichste Wirbeltiergruppe der Erde, zumindest was die Artenzahl angeht. 36.759 Arten kennt man bereits und jedes Jahr werden mehrere dutzend bis hunderte neue Arten entdeckt. Die Hälfte aller Arten lebt im Süßwasser. Sie alle kann man auch im Aquarium pflegen!
Allerdings reichen auch viele Menschenleben nacheinander nicht aus, um das zu tun. Seit 1850 (seit diesem Zeitpunkt gibt es die Aquarienkunde im modernen Sinne) wurden ca. 4.800 Süßwasser-Arten (ca. 13,2% aller Fischarten) schon mindestens 1x im Aquarium gehalten, jedoch nur 300-400 Süßwasser-Arten gehören zum Standardsortiment des weltweiten Zierfischhandels (ca. 1,1% aller bekannten Arten). So stellt sich die Frage: welche Art(en) soll(en) es denn bei mir zuhause sein?
Klein – bunt – friedlich – lebhaft
So wie den oben gezeigten Guppy stellen sich wohl die meisten einen typischen Aquarienfisch vor. Und dieser Typ Fisch, der „Zierfisch” , ist es auch, der in einer großen Auswahl im Zoofachhandel schwimmt. Fast immer handelt es sich bei den Tieren um Nachzuchtexemplare, die in speziellen Zuchtfarmen für das Hobby vermehrt werden. Am häufigsten liegen die Zuchtfarmen in den Tropen. Die klassischen Zierfischzuchtgebiete sind in Süd- und Südostasien angesiedelt: Singapur, Thailand, Malaysia, Vietnam, Sri Lanka und Indien. Aber es gibt auch große, professionelle Zierfischzuchtbetriebe in Israel, der Tschechischen Republik, in Deutschland und den USA. Über 80% der weltweit gehandelten Aquarienfische stammen aus Zuchtbetrieben – jedenfalls soweit das die Süßwasserfische betrifft.
Das hat mehrere Gründe. Zunächst einmal sind die meisten Zierfische züchterisch verändert, kommen also so, wie sie im Aquarium schwimmen, in der Natur gar nicht vor. Die vielen Guppys, Platys, Mollys, Schwertträger, Segelflosser, Goldfische, Kampffische, Fadenfische, Kardinalfische, schleierflossige Zebrabärblinge, Pracht- und Sumatrabarben in peppigen Farben, alle Albinos, die Parrot-Cichliden, Diskusbuntbarsche, Flammen-Kaiserbuntbarsche und so weiter und so fort.
Und bei den Meerwasserfischen? Hier liegen die Dinge anders, und zwar vor allem, weil die weltweite Gesamt-Nachfrage so gering ist. Es ist heutzutage kein Problem mehr, Meerwasserfische in menschlicher Obhut zu vermehren. Aber man benötigt dazu teure technische Anlagen und einen hohen Personalaufwand. Daher müssen Meerwasser-Nachzuchten im großen Maßstab erfolgen, sonst werden die Nachzuchttiere zu teuer. Da aber nur vergleichsweise wenige Menschen ein Meerwasseraquarium betreiben besteht keine ganzjährige hohe Nachfrage. Von einem Pärchen Kaiserfische (Pomacanthus) kann man zwar jeden Monat mehrere tausend Jungfische erhalten, aber weltweit höchsten einige hundert verkaufen – bei den allermeisten Kaiserfisch-Arten deutlich weniger. Darum gibt es nur von ganz wenigen Arten, wie dem Rotmeer-Halbmondkaiser Pomacanthus asfur, der aufgrund seiner Herkunft und der dortigen schwierigen politischen Lage nur sehr unregelmäßig als Wildfang zur Verfügung steht, ständig Nachzuchttiere zu kaufen – in diesem Fall aus Taiwan.
Pomacanthus asfur
Aber auch im Korallenfisch-Bereich erobern sich Nachzuchten mehr und mehr einen Platz, da es nur vergleichsweise wenige Korallenfisch-Arten gibt, die sich uneingeschränkt für artenreich eingerichtete Riffaquarien eignen. Von den rund 2.100 Fischarten, die man als Korallenfisch bezeichnen kann (das entspricht ca. 13% der aus dem Meer bekannten Fischarten), werden die allermeisten für Heimaquarien zu groß oder sie fressen an den wirbellosen Tieren herum oder sie belasten aufgrund ihres hohen Nahrungsbedarfs das Wasser zu stark mit ihren Stoffwechselprodukten. Wieder andere haben ein unerfreuliches Verhalten (sind also zänkisch und aggressiv) oder sie sind farblos. Darum sind auch im Meerwasserhandel nur weniger als 100 Fischarten in nennenswerten Stückzahlen regelmäßig vertreten. Ideale Riffaquarienbewohner sind die Anemonenfische (Amphiprion). Und die lassen sich auch ohne gewaltigen Aufwand züchten. Sogar privaten Liebhabern gelingt seit den 1960er Jahren die Zucht, wenn man sich etwas Mühe gibt. Und so gibt es inzwischen dutzende von Zuchtformen von Anemonenfischen. Das sind Farbmutanten, die es in freier Natur nicht gibt. Diese Farbformen ermöglichen es, sich ab und an mal eine „neue“ Art für das heimische Aquarium zu gönnen, ohne das harmonische Funktionieren des privaten Miniriffs zu gefährden.
Zuchtform von Amphiprion percula, dem Clownfisch („Nemo“).
In diesem Blog soll es aber um Süßwasserfische gehen. Wer sich in das Thema der Korallenfisch-Nachzuchten weiter einlesen will, der kann das z.B. hier tun: https://www.aqualog.de/blog/sind-nachzuchten-fuer-das-meerwasseraquarium-sinnvoll/
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Also zurück ins Süßwasser. Auch die wie ihre wildlebenden Ahnen aussehenden Zierfische werden meist als Nachzucht gehandelt. Es sind vor allem kaufmännische Überlegungen, die dafür verantwortlich sind. Denn Wildfangfische sind aufgrund von Regen- und Trockenzeiten nicht ganzjährig lieferbar, sie haben eine Saison. Wer eine bestimmte Art also ganzjährig anbieten möchte, der muss auf Nachzuchten zurückgreifen. Zudem sind die Preise von Nachzuchtexemplaren leichter zu kalkulieren. Während Wildfänge am Anfang und Ende der Saison knapp und teuer sind, gibt es zur Hauptsaison mehr, als man braucht und das macht die Preise uneinheitlich. Das ist im Handel unerwünscht, also nimmt man Nachzuchttiere, die ganzjährig zu fixen Preisen erhältlich sind.
Die Vorstellung, Wildfänge seien empfindlicher im Aquarium als Nachzuchten, die ”die Bedingungen im Aquarium gewöhnt sind”, ist naiv und nicht zu Ende gedacht. Denn ”die Aquarienbedingung” gibt es nicht, jedes Aquarium ist anders. Aus der Sicht eines Fisches ist es völlig egal, ob er aus einem Zuchtteich in Singapur gefangen und nach Europa gebracht wird, ob das Geschehen seinen Ursprung in einem Zuchtaquarium im Böhmerwald nimmt, oder ob er aus dem Amazonas kommt. Für das Tier stellen sich Fang, Transport und Umgewöhnung auf eine neue Umgebung immer gleich dar.
Fische können damit gut umgehen, denn auch in der Natur ist nichts konstant. Auch die natürliche Umgebung verändert sich ununterbrochen. Wir können den Fisch nicht fragen, aber er empfindet den Prozess von Gefangenwerden etc. wohl genau so, wie er eine Hochwasserwelle in seiner Ur-Heimat empfindet. Erst ist alles chaotisch, dann wieder ruhig. An die neue Umgebung gewöhnt sich ein Fisch leicht, in dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Wildfang nicht von einem Nachzuchtexemplar.
Wer braucht graue Mäuse?
Der allergrößte Teil der im weltweiten Handel mit Aquarienfischen benötigten Tiere stammt also aus Zuchtfarmen. Die dort vermehrten Arten sind zudem besonders bewährte Aquarienfische, also Tiere, deren Ansprüche im ”Normal-Aquarium” mindestens so gut erfüllt sind wie im ursprünglichen Biotop.
Wozu also noch andere Arten, wozu die ”grauen Mäuse”, die im Vergleich mit ihren knallbunten Vettern aus den Zuchtbetrieben nach nichts Besonderem aussehen?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: weil Aquaristik ein Hobby ist und weil die Geschmäcker in allen Lebensbereichen des Menschen unterschiedlich sind. Das gilt im Hobby ebenso wie im Alltag. Es gibt Menschen, die sich ausschließlich von Fertiggerichten ernähren und andere, die täglich frisch kochen. Der eine mag Heavy Metal, der andere Lieder von Franz Schubert. Für einige muss Urlaub am Meer sein, andere zieht es in die Berge. Und schließlich ändert sich der Geschmack auch öfter mal im Leben.
Am Anfang jeder Aquarianer-Karriere steht das erste Becken. Man muss erst einmal lernen, damit klarzukommen. Die Technik will ebenso beherrscht werden, wie die alltägliche Routine des Fütterns und der Wasserpflege. Für den Anfänger sind alle Fische toll und neu. Erst mit der Zeit, mit Erfahrung, wächst die Artenkenntnis. Dann sieht man in den Tieren mehr als nur bunte Hausgenossen, die durch ihre Farbenpracht erfreuen. Man erkennt ihre Persönlichkeit, ihr Wesen. Und damit wächst der Wissensdurst, die Neugierde darauf, weitere Arten kennenzulernen.
Recht bald wird man feststellen, dass es Arten gibt, die einem besser gefallen, die einen mehr ansprechen, als andere. So wie es Menschen gibt, die eher Hunde halten und solche, die lieber Katzen mögen. Ein Buntbarschfan wird einen Neon immer langweilig finden, mag er noch so bunt sein. Und der Killianer, der ein ganzes Regal voll kleiner und kleinster Aquarien betreut, in jedem nur ein Pärchen eines besonderen Fisch-Juwels, das sich aber der normalen Beobachtung lieber entzieht und darum täglich mittels einer Taschenlampe auf den Gesundheitszustand hin überprüft werden muss, wird um keinen Preis der Welt mit dem 3-Meter-Aquarium tauschen mögen, in dem sich Piranhas und große Raubwelse tummeln.
Die Vielfalt macht das Hobby schön!
Die meisten Aquarienbesitzer erreichen ein solches Stadium freilich nie. Das müssen sie auch gar nicht. Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, nur ein ”normales” Gesellschaftsaquarium zu betreiben, mit einer harmonischen Fisch- und gegebenenfalls auch Pflanzengesellschaft. Dazu reichen die eingangs erwähnten, aus Zuchtanstalten stammenden Standardfische vollkommen aus. Aber das ist ja noch lange kein Grund, den anderen Aquarianern die Freude daran zu verderben, neue Arten kennenzulernen, tief in die Lebensgeschichte dieser Tiere einzudringen und auf ihre speziellen Bedürfnisse einzugehen.
Wer das reglementieren oder gar verbieten möchte, der macht sich eines schlimmen Verbrechens schuldig: der Unterdrückung der gleichberechtigten Interessen seiner Mitmenschen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Artenvielfalt in der Aquaristik einzuschränken. Die Forderung nach Positivlisten (in Positivlisten wird geregelt, welche Arten gehalten werden dürfen. Alle Arten, die nicht auf der Postivliste stehen sind automatisch verboten), die auch in der Bundesrepublik immer wieder von Tierhaltungsgegnern in die politische Debatte eingebracht wird, ist nicht weniger als der Versuch, die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Glaubensfreiheit aufzuheben. Wer generell gegen Tierhaltung ist, dem steht es ja frei, keine Tiere zu halten. Die darüber hinaus gehende Forderung, nämlich dass niemand Tiere halten darf (oder vielleicht noch gnadenweise solche Arten, die auf Positivlisten geführt werden) ist eine unverholen vorgetragene Attacke auf die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens.
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Dennoch schrecken ewig Gestrige nicht davor zurück, den Pluralismus, also die Meinungsvielfalt und die möglichen unterschiedlichen Sichtweisen, die Menschen auf Dinge haben können, gnadenlos zu bekämpfen. Dafür ist diesen Personenkreisen jedes Mittel recht. Es ist sehr traurig, dass ein so harmloses und fröhliches, naturverbundenes Hobby wie die Aquaristik nun auch in die Schusslinie solcher radikalen antidemokratischen Kräfte geraten ist.
Niemand braucht Positivlisten
Keine einzige Fischart ist durch Überfischung für die Haltung im Aquarium im Bestand bedroht oder war es je. In jedem Verdachtsfall, es könne zu einer gefährlichen Übernutzung wildlebender Bestände kommen, kann dem sehr leicht durch Nachzucht begegnet werden. Die tiergerechte Haltung und Vermehrung jeder Fischart im Aquarium sind grundsätzlich möglich. Aquarianer sind keine Tierquäler, die Freude daran haben, Mitgeschöpfe zu piesacken. Hören Sie nicht auf die Dummschwätzer, die solches behaupten.
Und nochmal: bunt oder grau?
Das Wichtigste an der Aquaristik ist, dass sie Freude macht und für eine positive Lebenseinstellung sorgt. Aquaristik ist auch sehr gesund, denn sie wirkt nachweislich gegen zu hohen Blutdruck, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Woraus jeder einzelne Aquarianer Freude schöpft, ist jedoch sehr unterschiedlich. Es kann das Miteinander der Fische sein; die Beobachtung des Fortpflanzungsverhaltens; zu sehen, dass ein schwieriger Fisch gut gedeiht; und in besonders gelagerten Einzelfällen kann so ein Fisch sogar zum echten Haustier werden, mit dem der Halter eine spezielle Fisch-Mensch-Beziehung eingeht. Die Frage ”bunt oder grau” spielt tatsächlich in den meisten Fällen gar keine so große Rolle mehr.
Was auch immer Ihnen Freude am Aquarium macht: lassen Sie sie sich nicht von den ewigen Nörglern und vermeintlichen Weltverbesserern vermiesen. Genießen Sie ihr Aquarium oder ihre Aquarien und haben Sie Freude an den Fischen, ganz egal ob sie bunt oder grau, groß oder klein sind!
Frank Schäfer
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