Afrikanische Krebstiere aus der Lagune von Lagos

Die Lagune von Lagos in Nigeria ist ein flaches, gewöhnlich nur 2 Meter tiefes, etwa 30°C warmes Brackgewässer. Die maximale Ausdehung beträgt rund 60 km bei einer maximalen Breite von rund 15 km. Das Wasser ist organisch stark belastet und somit sehr nährstoffreich. Die ortsansässige Bevölkerung nutzt diesen Nährstoffreichtum für die Aquakultur von Speisefischen und Krebstieren. Das ist nicht risikolos, denn in der Dreckbrühe entwickeln sich auch viele Bakterien und Mikroorganismen, die zu Erkrankungen beim Menschen führen können.

Traditionell werden auch etliche wildlebende Krebstierarten, die in der Lagune vorkommen, zu Speisezwecken gesammelt. Manche Exemplare haben Glück und landen nicht im Kochtopf, sondern in unseren Aquarien und Terrarien, wo sie noch lange leben können.

Ökologisch gesehen handelt es sich bei den Krabbenlebensräumen in der Lagune von Lagos um Mangrovenwälder. Als „Mangrove“ bezeichnet man eine bestimmte Wald­for­mation, die sich an den Küsten tropischer Meere findet. Innerhalb dieses Waldes, der sehr stark von den Gezeiten des Meeres geprägt ist, gibt es ein gewaltiges Nährstoffangebot. Während der Flut spült das Meer massenhaft Tier- und Pflanzenmaterial in die Mangrove, das beim Zurückweichen des Wassers während der Ebbe in der Mangrove verbleibt. Dieses Nahrungsangebot nutzen u.a. verschiedene Krabbenarten. Zusätzlich nutzen die Krabben das abgefallene Laub der Mangrovenbäume und spielen im Ökosystem der Mangrove eine extrem wichtige Rolle als Destruenten, vergleichbar der der Regenwürmer in unseren Wiesen. Was ich hier „Mangrovekrabben“ nenne, hat aus systematischer Sicht nicht viel miteinander zu tun. Diese Krabben haben jedoch alle eine ähnliche Lebensweise. Die Flut verbringen sie meist gut versteckt, oft in selbstgegrabenen Röhren, die auch als Fluchmöglichkeiten während der Ebbe genutzt werden können.

Arten, die kaum noch über Kiemen atmen können, laufen dabei Gefahr, während der Flut zu ertrinken. Oft lösen sie das Problem dadurch, dass sie ihre Höhlen so geschickt mit Schlick verschließen, dass ein Luftvorrat in der Höhle verbleibt, auch wenn die Flut die Höhle bereits erreicht hat und das Wasser über dem verschlossenen Höhleneingang steht.

Andere Arten, wie die beliebte Cardisoma armatum, haben zwei Atmungssysteme, eines, das sie unter Wasser zum atmen verwenden (Kiemen) und eines, das sie an Land verwenden („Lunge“).

Mit der Flut kommen eine Vielzahl von Meerestieren in die Mangrove, wo sie von dem bereits erwähnte Nährstoffreichtum nutznießen. Für die Krabben eine gefährliche Zeit, denn für viele dieser Tiere stellen sie eine schmackhafte Nahrungsergänzung dar. Fällt die Mangrove dann bei Ebbe trocken, wagen sich die Krabben aus ihren Verstecken. Auch jetzt ist es alles andere als sicher für sie, denn obwohl Krabben gut gepanzert sind und mit ihren Scheren schmerzhaft zwicken, sind ihre Freßfeinde Legion. Millionenfach werden daher täglich Mangrovekrabben der unterschiedlichsten Arten Opfer von Freßfeinden wie Stelzvögeln, Affen, Schlangen oder Echsen.

Mangrovekrabben müssen nicht nur auf Ebbe und Flut flexibel reagieren können, sondern auch mit stark schwankenden Salzgehalt ihres Umgebungswassers klarkommen. Während der oft sturzbachartigen Regenfälle in den Tropen geraten die Tiere schnell von reinem Süßwasser in reines Meerwasser und umgekehrt. Besonders nährstoffreich und damit als Lebensraum besonders begehrt sind Mangroven dort, wo Flüsse oder Bäche einmünden, wie das in der Lagune von Lagos der Fall ist. Denn hier sterben nicht nur die Organismen ab, die während des Ebbe den Weg ins Meer nicht mehr finden, sondern sämtliche reinen Süßwasserorganismen, die das Salz des Meeres nicht vertragen und sämtliche Meerestiere, die mit Süß- bzw. Brackwasser nicht klarkommen. Für Allesfresser, wie es die Krabben sind, ist hier ein Schlaraffenland. Und so kommen sie in ungeheurer Zahl vor, trotz all der Freßfeinde, die sie bedrohen.

Ernährung von Krabben

Es gibt kaum ein Getier, das weniger Probleme bezüglich der Fütterung macht, als Kabben. Es handelt sich bei diesen Tieren in aller Regel um allesfressende Opportunisten, d. h. gefressen wird, was sich gerade im Angebot befindet.
Einen extrem wichtigen Nahrungsanteil aller in der Mangrove lebender Arten bildet Laub. Das Laub von Mangroven ist kaum beschaffbar, als gut geeigneter Ersatz ist das vorjährige (also im Herbst von alleine abgefallene) Laub von Obstbäumen, Buchen, Eichen und Erlen zu nennen, daneben allerlei Kräuter wie Löwenzahn, Wegerich (Plantago sp.) etc. und jede Form von Obst. Eine tödliche Gefahr droht den Krabben durch Insektizide, es ist unbedingt sicher zu stellen, dass Pflanzenteile, die als Krabbenfutter gedacht sind, niemals mit Spritzmitteln in Berührung gebracht wurden. Aus diesem Grund stellt z.B. das Verfüttern von Salat aus dem Supermarkt ein enorm hohes Risiko dar. An fleischlicher Kost kann man den Krabben alles anbieten, was man Aquarienfischen gibt: Frostfutter (wichtig: vor dem Verfüttern nicht auftauen, es bilden sich dabei sehr schnell gefährliche Substanzen; eine „Verkühlung“ durch zu kaltes Futter gibt es nicht!), Flockenfutter, Tabletten und Granulate (Vorsicht, nicht zu viel geben, Reste verderben das Wasser enorm!). Es kommt der Ernährungsweise der sozialen Winkerkrabben oder Sesarmiden sehr entgegen, wenn man das Futter über das Landteil verstreut anbietet. An Lebendfutter bieten sich vor allem Regenwürmer an, die von vielen Arten gerne gefressen werden. Im Wasser lebende Krabben fressen oft kleine Wasserschnecken. Von einer Verfütterung anderer Krebstiere, wie Daphnien, Bachflohkrebse (Gammarus) etc. rate ich ab, weil eine Ansteckung mit Krankheitserregern durch diese Futtertiere nicht ausgeschlossen ist.
Hungern, selbst über mehrere Wochen, schadet Krabben in aller Regel nicht (die mögliche Dauer eine Hungerperiode hängt dabei selbstverständlich von den vorhandenen Reserven ab). Allerdings muss man damit rechnen, dass sich bei längeren Fastenperioden kannibalische Gelüste bei den Krabben einstellen. Muss man Krabben also, aus welchen Gründen auch immer, länger als ein paar Tage unversorgt lassen, so empfiehlt es sich dringend, die Tiere während dieser Phase zu vereinzeln.

Für allgemeine Pflegehinweise eines Paluariums für Mangrovekrabben siehe hier: https://www.aqualog.de/blog/ein-paludarium-fuer-mangrovekrabben/


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Fortpflanzung der Krebstiere aus der Lagune von Lagos

Eier tragendes Weibchen von Cardisoma armatum

Alle hier vorgestellten Arten gehören dem so genannten „primitiven“ Fortpflanzungstyp der Krebstiere an. Das bedeutet, dass die Tiere große Mengen Eier (mehrere hundert bis mehrere tausend pro Gelege) produzieren, aus denen winzige, Zoea genannte Larven schlüpfen, die sich über mehrere Häutungsstadien hinweg freischwimmend im Plankton des Meeres entwickeln, bis sie in Krabbenform wieder in die Lagune zurückkehren. Im Aquarium/Terrarium laichen alle Arten regelmäßig, aber die Aufzucht ist sehr aufwändig, weshalb sie kaum jemals praktiziert wird. Wirtschaftlich ist sie keinesfalls; da alle Arten zudem, wie bereits mehrfach gesagt, in er Natur sehr häufig sind, ist es ökologisch sinnvoller, auf Wildfänge zurückzugreifen, womit man, nebenbei gesagt, auch noch den einheimischen Fischern ein gutes Nebeneinkommen ermöglicht. Denn der Fischer erhält für die gleiche Krabbe erheblich mehr Geld, wenn er sie als Aquarien/Terrarientier verkaufen kann, als wenn er sie Markttier zu Speisezwecken fängt. Dennoch ist die Aufzucht eine spannende und interessante Angelegenheit, vielleicht demnächst an dieser Stelle mehr darüber.

In die Gruppe der Mangrovenkrabben im hier genannten Sinne gehören viele in der Lagune von Lagos z.B. Winkerkrabben, Sesarmiden, Springkrabben (Grapsiden) und die bunten Afrikanischen Landkrabben (Cardisoma armatum).

Die am häufigsten importierten Arten stelle ich hier kurz vor:

Cardisoma armatum

Cardisoma armatum stammt von den Küsten West- und Zentralafrikas. Die „Afrikanische Lankrabbe“, „Blau-rote Afrikakrabbe“ oder auch „Harlekinkrabbe“ (deutsche Gebrauchsnamen sind niemals verbindlich, am besten prägt man sich darum immer gleich den wissenschaftlichen Namen ein) besticht durch ihre leuchtend orange gefärbten Beine, welche einen kräftigen Kontrast zum blauen Körper bilden. Der Krabbe sollte ausreichend Platz zur Verfügung stehen, da sie mit einem Panzerdurchmesser von 10 cm nicht zu der kleinen Arten zählt. und zudem sozial ist, also in Gruppen von idealerweise 10-15 Exemplaren gepflegt werden sollte. Nur als Pärchen oder in kleinen Gruppen gepflegt vertragen sie sich oft nicht gut. Einzeltiere werden sehr zahm und ziemlich alt. Als überwiegend auf dem Land lebende Krabbe benötigt sie im Aqua-Terrarium nur einen kleinen Wasserteil. Ganz ohne Wasser geht es allerdings auch nicht, da die Landkrabben zum Teil über Kiemen atmen und das Wasser in der Kiemenkammer stetig erneuert werden muss. Daher muss das Wasser von einwandfreier Qualität sein. Empfehlenswert ist Brackwasser mit einem Salzgehalt von 5-10 g Salz pro Liter.

Perisesarma huzardi

Diese Krabbe aus Nigeria ist sozusagen die große Schwester der „klassischen“ Roten Mangrovekrabbe (Pseudosesarma moeschi) aus Südostasien. Bezüglich der Pflege gibt es kaum Unterschiede zu dieser wohlbekannten Art, außer dass P. huzardi gut doppelt so groß wird (etwa 8 cm Panzerbreite) und entsprechend mehr Platz benötigt.

Auch diese Perisesarma-Art ist vollständig euryhalin, d.h. sie verträgt reines Seewasser ebenso gut wie reines Süßwasser; in der Praxis hat es sich jedoch bewährt, ein Brackwasser an zumischen (5-10 g Seesalz pro Liter), weil dann Nitrit und Nitrat erheblich weniger giftig wirken als in reinem Süßwasser.

Clibanarius africanus

Der Einsiedlerkrebs Clibanarius africanus gehört mittlerweile zu den beliebten Wirbellosen. Er ist wiederum ein euryhaliner Krebs, d.h. dass er sowohl in reinem Süß- als auch in reinem Meerwasser leben kann. Allerdings ist die Lebenserwartung des Tieres im Brackwasser höher. Clibanarius sind reine Detritusfresser, nehmen also abgestorbene pflanzliche und tierische Stoffe auf, im Aquarium auch jedes übliche Fischfutter.

Goniopsis pelii

Diese prächtig gefärbte Mangrovekrabbe gehört – systematisch gesehen – zu den Springkrabben oder Grapsiden. Es sind sehr flinke Tiere, die besonders an der Übergangszone zwischen Land und Wasser leben und hier Algenbewuchs von Holz un Steinen abweiden. Es ist noch nicht viel über die Pflege diese Krabben berichtet worden; die Mehrzahl der Pfleger empfiehlt, G. pelii in Gruppen zu halten.


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Afruca (früher Uca) tangeri

Winkerkrabben zeichnen sich besonders dadurch aus, dass die Männchen eine riesenhafte Schere entwickeln, mit der sie „winken“ und damit Weibchen anlocken und mit anderen Männchen wetteifern. Es kann entweder die linke oder die rechte Schere sein, bei Nachzuchttieren kommt es (wenn auch selten) manchmal dazu, dass beide Scheren sich riesenhaft entwickeln. Da mit der kleinen Schere die Nahrung in den Mund geschaufelt wird – Afruca tangeri ernährt sich hauptsächlich von angespültem Kleinkram – sind solche Tiere in freier Natur wohl nicht überlebensfähig. Im Aquaterrarium, wo Nahrung im Überfluss vorhanden ist und es keine Fressfeinde gibt, kommen auch solche behinderten Tiere noch durch. Bei der Pflege von Winkerkrabben – Afruca tangeri ist übrigens die einzige Art, die in Portugal auch auf europäischen Boden besiedelt – muss man einen Sandstrand anlegen, den die in Gruppen lebenden Krabben ständig nach verwertbaren Futterpartikel (am besten staubfeines Trockenfutter) untersuchen.

Alles in allem bieten die Krebstiere aus der Lagune von Lagos viele spannende Beobachtungsmöglichkeiten. Größere Krabben bestechen zudem durch ihr intelligent wirkendes Gehabe. Wenngleich alle hier vorgestellten Arten auch in (hartem) Süßwasser bei pH-Werten über 8 gepflegt werden können, ist die Pflege in Brackwasser problemloser und darum eher zu empfehlen. Man bedenke, dass ein funktionierender Stickstoffabbau durch Bakterien im Filter unter Brackwasserbedingungen eine erheblich längere Einlaufphase benötigt als im Süßwasser. Ansonsten ist es nur eine kleine Mühe, dem Wasser 5-10 Gramm Meersalz pro Liter zuzufügen. Hierzu darf allerdings nur richtiges Aquariensalz, wie es für Riffaquarien hergestellt wird, Verwendung finden.

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Afrikanische Krebstiere aus der Lagune von Lagos

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