Seit einiger Zeit findet man im Zoofachhandel seltsame, schneeweiße bis elfenbeinfarbene, zigarrenförmige Fische mit rubinroten Augen. Um was es sich dabei wohl handelt?
Es sind Albinos einer der ältesten Fischarten dieses Planeten, eines so genannten lebenden Fossils: des Senegal-Flösselhechtes, Polypterus senegalus. Angeblich hat man Fossilfunde dieser Art entdeckt, die 60 Millionen Jahre alt sein sollen. Zu dieser Zeit beherrschten noch die Dinosaurier die Erde!
Erfinder der Gentechnik
Die Dinosaurier sind gegangen, geblieben sind die Flösselhechte. Ihre Existenz – zur Zeit unterscheidet man 13 Arten – ist ein Rätsel. Warum haben sie so lange überlebt, obwohl doch ganze Tierklassen in viel kürzeren Zeiträumen für immer von diesem Planeten verschwanden? Und wie passen sie sich den immer wieder drastisch wechselnden Umweltbedingungen an? Zumindest auf die letzte Frage geben DNS-Untersuchungen eine Antwort: durch Hybridisierung! Die Erbsubstanz beweist eindeutig, dass sich verschiedene Arten von Flösselhechten immer wieder einmal miteinander gekreuzt haben. Zwar sind die Hybriden, die aus solchen Kreuzungen hervorgehen, untereinander nicht fortpflanzungsfähig (zumindest gibt es keinen Hinweis darauf, dass derartiges in der Natur vorkäme), aber sie können sich mit den Elternarten paaren. Bei Haustieren spricht man in solchen Fällen von Rückkreuzungen. Dabei wird dann neues genetisches Material in die Population eingeschleust, dass offenbar fit macht für den Überlebenskampf. Man sieht, Gentechnik ist keine Erfindung des Menschen, manche Fische praktizieren sie bereits seit Jahrmillionen.
Überlebenskünstler
Hinzu kommt aber sicher auch das sagenhafte Überlebenspaket, das die Natur für die Flösselhechte geschnürt hat. Ihre Konstruktion ist derart bewährt, dass es scheinbar kaum etwas zu verbessern gibt. So atmen diese Fische nicht nur durch Kiemen, sondern auch durch Lungen. Ihren Körper umgibt ein Kettenhemd aus rautenartigen Knochenplatten, den so genannten Ganoid-Schuppen, die die Fische fast unverletzbar machen (jedenfalls verglichen mit den zarten Schuppen der meisten anderen Fische). Flösselhechte sind reine Fleischfresser und als wechselwarme Tiere, die nicht – wie wir Menschen – den größten Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Energie für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur verbrauchen, kommen sie mit wenig Nahrung lange aus. Für Fressfeinde sind die Flösselhechte ihrerseits wenig attraktiv. Ihre einzelnen Rückenflösschen, die so genannten Flössel, sind rasiermesserscharf – das kratzt ordentlich beim Schlucken! Noch ist die Humanmedizin nicht auf die Flösselhechte aufmerksam geworden, aber es ist sehr zu vermuten, dass diese Überlebenskünstler sogar über Mittel verfügen, Krebs und krankmachende Viren zu besiegen.
Kleine Drachen
Im Aquarium sind Flösselhechte sehr gut haltbare und interessante Studienobjekte. Da es sich allerdings um Raubfische handelt, werden sie in Mitteleuropa hauptsächlich von Spezialisten gepflegt. In Asien hingegen sind sie sehr populär. Sie erinnern an den Drachen, ein glückbringendes Fabeltier. Und aus Südostasien kommen auch die Albino-Nachzuchten von Polypterus senegalus. Albinotische Tiere üben nicht nur in Asien, sondern auch in unserer Heimat eine große Faszination auf den Menschen aus. Man denke nur an die Mythen und Legenden, die sich um weiße Hirsche drehen. Einhörner werden immer als weiße Tiere dargestellt. Und Herman Melville wählte in seinem Roman „Moby Dick“ einen weißen Pottwal als Sinnbild für die unbezwingbare Natur, gegen die sich aufzulehnen immer Verderben bringt.
In diesem Kontext sind auch die albinotischen Zuchtformen zu sehen, die die Aquarianer in zwei Lager spalten: die, die sie als überflüssige Kunstkreaturen ablehnen und die, die von ihrer reinen weißen Farbe fasziniert sind.
Fakten zum Senegal-Flösselhecht
Polypterus senegalus ist weit im westliche und zentralen Afrika verbreitet. Importe von Wildfängen kommen gewöhnlich aus Nigeria. Farblich variiert die Art kaum, sie sieht im Wesentlichen überall gleich aus: grau mit wenigen, winzigen schwarzen Tüpfeln. Die Flossen sind weißlich-grau. Nur eine Zwergform aus Nigeria, die bereits mit etwa 10 cm Länge Geschlechtsunterschiede aufweist, hat gelbliche Flossen. Die Maximallänge des Senegal-Flösselhechtes liegt bei etwa 30 cm, anderslautende Literaturangaben beruhen auf Verwechslungen mit anderen Flösselhecht-Arten. Die Geschlechtsreife setzt bei einer Länge von etwa 20 cm im Alter von rund zwei Jahren ein. Die Männchen sind kleiner und schlanker als die Weibchen und haben eine stark vergrößerte Afterflosse, die bei der Paarung schüsselförmig von unten um das Weibchen geschlungen wird. Darin werden die hirsekorngroßen Eier aufgefangen und befruchtet. Die Larven, die aus den Eiern schlüpfen, sehen ganz anders als die Eltern aus und erinnern eher an Molchlarven, denn sie haben äußere Kiemenbüschel. Ganz junge Senegal-Flösselhechte sind zudem braun-weiß längs gestreift, doch verliert sich diese Kinderzeichnung bereits bei einer Länge von etwa vier Zentimetern.
Aus dem Kongo wurde eine Unterart beschrieben, Polypterus senegalus meridionalis. Der Unterschied zur Nominatform soll in der Dauer liegen, während der die äußeren Kiemen erhalten bleiben. Ich habe die Typusexemplare von meridionalis im Afrika-Museum in Tervueren nachuntersucht. Zumindest an den konservierten Exemplaren sind keinerlei Unterschiede zu normalen P. senegalus aus Nigeria festzustellen. Die Unterart hat also keine Gültigkeit, P. s. meridionalis ist ein Synonym zu P. senegalus.
Senegal-Flösselhechte im Aquarium
Die Pflege von Polypterus senegalus ist sehr leicht. An die chemische Wasserzusammensetzung werden keinerlei Ansprüche gestellt, man kann sie in jedem Wasser pflegen, das auch als Trinkwasser für den Menschen taugt. Untereinander und gegen Fische, die nicht als Futter in Frage kommen, sind Senegal-Flösselhechte vollkommen friedlich. Am besten pflegt man sie in einer kleinen Gruppe von 4-6 Exemplaren. Das Aquarium sollte dafür rund 120 cm lang sein. Die Einrichtung ist für die Flösselhechte ohne Belang, man sollte den etwas steifen Tieren allerdings genug freien Schwimmraum lassen und das Becken nicht zu dicht bepflanzen. Eine mäßige Strömung, ein weicher, sandiger Boden, gedämpftes Licht (Flösselhechte sind dämmerungs- und nachtaktiv) und eine Wassertemperatur von 24-28°C (zeitweise zur Zucht-Stimulation auch niedriger, unter 18°C sollte die Temperatur aber besser nicht sinken) sorgen bei Senegal-Flösselhechten für Wohlbefinden. Als Futter eignet sich am besten grobes Frostfutter (Muscheln, Shrimps, Stinte, Tintenfisch etc.), dazu reicht man gelegentlich Lebendfutter in Form von Regenwürmern, auch Mehlkäferlarven (Mehlwürmer) werden sehr gern gefressen. Wöchentlich tauscht man ca. 25% des Wassers aus. Zur Zucht setzt man einige Wochen mit dem Wasserwechsel aus und senkt während dessen die übliche Pflegetemperatur. Dann führt man kurz hintereinander (im Abstand von 1-2 Tagen) mehrere große Wasserwechsel durch (80-90% des Beckeninhalts), wofür man möglichst etwas weicheres Wasser verwendet. Anschließend erhöht man die Temperatur auf ca. 28°C. Die Männchen treiben recht heftig und balzen mit weit gespreizter Afterflosse, der Laich wird frei im Becken verstreut. Je nach Größe des Weibchens können es viele hundert Eier sein. Eine Brutfürsorge üben Flösselhechte nicht aus, eher werden sie dem Laich durch Fressen gefährlich. Die Aufzucht der Jungtiere ist leicht, sie fressen von Anfang an Artemia-Nauplien und gewöhnen sich bald an eine Fütterung mit Granulat.
Im Aquarium werden Senegal-Flösselhechte ziemlich alt und können deutlich über ein Jahrzehnt leben. Sie sind nicht krankheitsanfällig, aber eine Besonderheit sollte hier trotzdem Erwähnung finden. Wildfänge kommen, wie bereits erwähnt, meist aus Nigeria. Manchmal kommen die Tiere mit starkem Parasitenbefall an, verursacht durch den Saugwurm Macrogyrodactylus polypteri. Das ist ein Verwandter der im Aquarium häufig vorkommenden, sehr lästigen Gyrodactylus und Dactylogyrus-Würmer. Wie diese stellt er keine unmittelbare Gefahr für den befallenen Fisch dar, der Parasit schwächt jedoch sein Opfer und die Saugstellen sind Eintrittspforten für bakterielle und Pilzinfektionen.
Macrogyrodactylus polypteri ist, soweit bekannt, wirtsspezifisch, lebt also nur auf Flösselhechten und dem Flösselaal. Im Senegal wurden vor wenigen Jahren weitere Macrogyrodactylus-Arten identifiziert. Dort kann Polypterus senegalus von bis zu drei Arten befallen sein! Zwei Arten dieser Monogenea wurden auch auf einem anderen Wirt nachgewiesen, nämlich Clarias anguilloides, einem Froschwels, wo sie Haut und Kiemen parasitierten. Die aus aquaristischer Sicht gute Nachricht ist: Macrogyrodactylus polypteri ist lebendgebärend. Das ist darum günstig, weil man sie dadurch gut bekämpfen kann. Eierlegende Haken-Saugwürmer (Dactylogyrus) sind hingegen eine Heimsuchung, ihre Bekämpfung ein klassischer Kampf gegen Windmühlen, denn ihre Eier sind praktisch unangreifbar. Da die Eier tage-, wochen- oder monatelang liegen können, bis sie schlüpfen, weiß man nie, ob man die Plagegeister wirklich los geworden ist. Ob die Fische am Ende an einer Schwächung durch Wurmbefall sterben oder an den ständigen Medikamenten, die ja auch alles andere als harmlos sind, ist letztlich egal. Aber wie gesagt, Macrogyrodactylus polypteri ist legendgebärend und in aller Regel genügt eine klassische Wurmkur, um sie dauerhaft loszuwerden.
Frank Schäfer
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