Polypterus senegalus – ein Geisterfisch ?!

Seit einiger Zeit findet man im Zoofachhandel seltsame, schneeweiße bis elfenbeinfarbene, zigarrenförmige Fische mit rubinroten Augen. Um was es sich dabei wohl handelt?

In Asien werden Albinos des Senegal-Flösselhechtes kommerziell als Aquarienfische gezüchtet.

Es sind Albinos einer der ältesten Fisch­arten dieses Planeten, eines so genann­ten lebenden Fossils: des Senegal-Flössel­hech­tes, Polypterus senegalus. Angeb­lich hat  man Fossilfunde dieser Art entdeckt, die 60 Millionen Jahre alt sein sollen. Zu dieser Zeit beherrschten noch die Dinosau­rier die Erde!

Erfinder der Gentechnik

Halbwüchsiger Wildfang des Senegal-Flösselhechtes aus Nigeria.

Die Dinosaurier sind gegangen, geblieben sind die Flösselhechte. Ihre Existenz – zur Zeit unterscheidet man 13 Arten – ist ein Rätsel. Warum haben sie so lange überlebt, obwohl doch ganze Tierklassen in viel kürzeren Zeit­räumen für immer von diesem Planeten ver­schwanden? Und wie passen sie sich den immer wieder drastisch wechselnden Um­welt­bedingungen an? Zumindest auf die letzte Frage geben DNS-Untersuchungen eine Antwort: durch Hybridisierung! Die Erbsubstanz beweist eindeutig, dass sich ver­­schiedene Arten von Flösselhechten immer wieder einmal miteinander gekreuzt haben. Zwar sind die Hybriden, die aus sol­chen Kreuzungen hervorgehen, untereinan­der nicht fortpflanzungsfähig (zumindest gibt es keinen Hinweis darauf, dass derarti­ges in der Natur vorkäme), aber sie können sich mit den Elternarten paaren. Bei Haus­tieren spricht man in solchen Fällen von Rück­kreuzungen. Dabei wird dann neues genetisches Material in die Population ein­ge­schleust, dass offen­bar fit macht für den Überlebenskampf. Man sieht, Gentechnik ist keine Erfindung des Menschen, manche Fische praktizieren sie bereits seit Jahrmillionen.

Überlebenskünstler

Ein voll erwachsenes Wildfang Männchen von etwas über 25 cm Länge.

Hinzu kommt aber sicher auch das sagen­hafte Überlebenspaket, das die Natur für die Flösselhechte geschnürt hat. Ihre Konstruk­tion ist derart bewährt, dass es scheinbar kaum etwas zu verbessern gibt. So atmen diese Fische nicht nur durch Kiemen, sondern auch durch Lungen. Ihren Körper umgibt ein Kettenhemd aus rautenartigen Knochenplatten, den so genannten Ganoid-Schuppen, die die Fische fast unverletzbar machen (jedenfalls verglichen mit den zarten Schuppen der meisten anderen Fische). Flösselhechte sind reine Fleisch­fresser und als wechselwarme Tiere, die nicht – wie wir Menschen – den größten Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Energie für die Aufrechterhaltung der Körpertempe­ratur verbrauchen, kommen sie mit wenig Nahrung lange aus. Für Fressfeinde sind die Flösselhechte ihrerseits wenig attraktiv. Ihre einzelnen Rückenflösschen, die so genann­ten Flössel, sind rasiermesserscharf – das kratzt ordentlich beim Schlucken! Noch ist die Humanmedizin nicht auf die Flössel­hechte aufmerksam geworden, aber es ist sehr zu vermuten, dass diese Überlebens­künstler sogar über Mittel verfügen, Krebs und krankmachende Viren zu besiegen.

Kleine Drachen

Diese Zwergform des Senegal-Flösselhechtes wird nur knapp 10 cm lang.

Im Aquarium sind Flösselhechte sehr gut haltbare und interessante Studienobjekte. Da es sich allerdings um Raubfische handelt, werden sie in Mitteleuropa hauptsächlich von Spezialisten gepflegt. In Asien hingegen sind sie sehr populär. Sie erinnern an den Drachen, ein glückbringendes Fabeltier. Und aus Süd­ostasien kommen auch die Albino-Nach­zuch­ten von Polypterus senegalus. Albi­no­tische Tiere üben nicht nur in Asien, son­dern auch in unserer Heimat eine große Fas­zi­na­tion auf den Menschen aus. Man denke nur an die Mythen und Legenden, die sich um weiße Hirsche drehen. Einhörner werden immer als weiße Tiere dargestellt. Und Herman Melville wählte in seinem Roman „Moby Dick“ einen weißen Pottwal als Sinn­bild für die unbezwingbare Natur, gegen die sich aufzulehnen immer Verderben bringt.

In diesem Kontext sind auch die albino­ti­schen Zuchtformen zu sehen, die die Aqua­ria­­ner in zwei Lager spalten: die, die sie als über­flüssige Kunstkreaturen ablehnen und die, die von ihrer reinen weißen Farbe fasziniert sind.

Fakten zum Senegal-Flösselhecht

Eine sehr seltene, platinfarbene Mutante des Senegal-Flösselhechtes mit schwarzen Augen.

Polypterus senegalus ist weit im westliche und zentralen Afrika verbreitet. Importe von Wild­fängen kommen gewöhnlich aus Nigeria. Farblich variiert die Art kaum, sie sieht im Wesentlichen überall gleich aus: grau mit wenigen, winzigen schwarzen Tüpfeln. Die Flossen sind weißlich-grau. Nur eine Zwerg­form aus Nigeria, die bereits mit etwa 10 cm Länge Geschlechtsunterschiede auf­weist, hat gelbliche Flossen. Die Maximal­länge des Senegal-Flösselhechtes liegt bei etwa 30 cm, anders­lautende Literatur­angaben beruhen auf Verwechslungen mit anderen Flössel­hecht-Arten. Die Ge­schlechts­reife setzt bei einer Länge von etwa 20 cm im Alter von rund zwei Jahren ein. Die Männchen sind kleiner und schlanker als die Weibchen und haben eine stark vergrößerte Afterflosse, die bei der Paarung schüsselför­mig von unten um das Weibchen ge­schlungen wird. Darin werden die hirse­korn­großen Eier aufge­fangen und befruchtet. Die Larven, die aus den Eiern schlüpfen, sehen ganz anders als die Eltern aus und erinnern eher an Molchlarven, denn sie haben äußere Kie­men­büschel. Ganz junge Senegal-Flössel­hechte sind zudem braun-weiß längs ge­streift, doch verliert sich diese Kinder­zeich­nung bereits bei einer Länge von etwa vier Zentimetern.

Ganz junge P. senegalus sind gestreift und haben Außenkiemen wie Molche.

Aus dem Kongo wurde eine Unterart beschrieben, Polypterus senegalus meridionalis. Der Unterschied zur Nominatform soll in der Dauer liegen, während der die äußeren Kiemen erhalten bleiben. Ich habe die Typusexemplare von meridionalis im Afrika-Museum in Tervueren nachuntersucht. Zumindest an den konservierten Exemplaren sind keinerlei Unterschiede zu normalen P. senegalus aus Nigeria festzustellen. Die Unterart hat also keine Gültigkeit, P. s. meridionalis ist ein Synonym zu P. senegalus.

Diese beiden Bilder zeigen den in Paris hinterlegten Holotypen von Polypterus senegalus, oben die Totale, darunter der Kopf von oben. Der Holotyp ist das namentragende Exemplar, auf dem die Art beruht. Das Exemplar hat die Sammlungsnummer MNHN 5765.
Diese beiden Bilder zeigen eines der Typenexemplare (ein Holotyp wurde nie festgelegt, es existieren etliche einander gleichwertige Syntypen) von P. s. meridionalis. Es ist im Afrikamuseum in Tervueren, Belgien, deponiert und hat die Sammlungsnummer MRAC 20656. Es gibt, wie man sehen kann, keinerlei Unterschied zu P. senegalus, weshalb der Name Polypterus senegalus meridionalis ein ungültiges Synonym darstellt.

Senegal-Flösselhechte im Aquarium

Dieses alte Weibchen wurde im Laufe der Jahre im Aquarium fast schwarz.

Die Pflege von Polypterus senegalus ist sehr leicht. An die chemische Wasserzusammensetzung wer­den keinerlei Ansprüche gestellt, man kann sie in jedem Wasser pflegen, das auch als Trink­wasser für den Menschen taugt. Unter­einander und gegen Fische, die nicht als Futter in Frage kommen, sind Senegal-Flösselhechte vollkommen friedlich. Am besten pflegt man sie in einer kleinen Gruppe von 4-6 Exem­plaren. Das Aquarium sollte dafür rund 120 cm lang sein. Die Einrichtung ist für die Flösselhechte ohne Belang, man sollte den etwas steifen Tieren allerdings genug freien Schwimmraum lassen und das Becken nicht zu dicht bepflanzen. Eine mäßige Strömung, ein weicher, sandiger Boden, gedämpftes Licht (Flösselhechte sind dämmerungs- und nachtaktiv) und eine Wassertemperatur von 24-28°C (zeitweise zur Zucht-Stimulation auch niedriger, unter 18°C sollte die Tem­peratur aber besser nicht sinken) sorgen bei Senegal-Flösselhechten für Wohlbefinden. Als Futter eignet sich am besten grobes Frost­futter (Muscheln, Shrimps, Stinte, Tinten­fisch etc.), dazu reicht man gelegentlich Le­bend­futter in Form von Regenwürmern, auch Mehlkäferlarven (Mehlwürmer) werden sehr gern gefressen. Wöchent­lich tauscht man ca. 25% des Wassers aus. Zur Zucht setzt man einige Wochen mit dem Wasserwechsel aus und senkt während dessen die übliche Pflege­temperatur. Dann führt man kurz hinter­einander (im Abstand von 1-2 Tagen) mehrere große Wasserwechsel durch (80-90% des Beckeninhalts), wofür man mög­lichst etwas weicheres Wasser ver­wen­det. Anschließend erhöht man die Temperatur auf ca. 28°C. Die Männchen treiben recht heftig und balzen mit weit gespreizter Afterflosse, der Laich wird frei im Becken verstreut. Je nach Größe des Weibchens können es viele hundert Eier sein. Eine Brutfürsorge üben Flösselhechte nicht aus, eher werden sie dem Laich durch Fressen gefährlich. Die Aufzucht der Jungtiere ist leicht, sie fressen von Anfang an Artemia-Nauplien und gewöhnen sich bald an eine Fütterung mit Granulat.

Im Aquarium werden Senegal-Flösselhechte ziemlich alt und können deutlich über ein Jahrzehnt leben. Sie sind nicht krankheitsanfällig, aber eine Besonderheit sollte hier trotzdem Erwähnung finden. Wildfänge kommen, wie bereits erwähnt, meist aus Nigeria. Manchmal kommen die Tiere mit starkem Parasitenbefall an, verursacht durch den Saugwurm Macrogyrodactylus polypteri. Das ist ein Verwandter der im Aquarium häufig vorkommenden, sehr lästigen Gyrodactylus und Dactylogyrus-Würmer. Wie diese stellt er keine unmittelbare Gefahr für den befallenen Fisch dar, der Parasit schwächt jedoch sein Opfer und die Saugstellen sind Eintrittspforten für bakterielle und Pilzinfektionen.

Frisch importierter Polypterus senegalus mit starkem Befall durch Macrogyrodactylus polypteri, einem Haken-Saugwurm.

Macrogyrodactylus polypteri ist, soweit bekannt, wirtsspezifisch, lebt also nur auf Flösselhechten und dem Flösselaal. Im Senegal wurden vor wenigen Jahren weitere Macrogyrodactylus-Arten identifiziert. Dort kann Polypterus senegalus von bis zu drei Arten befallen sein! Zwei Arten dieser Monogenea wurden auch auf einem anderen Wirt nachgewiesen, nämlich Clarias anguilloides, einem Froschwels, wo sie Haut und Kiemen parasitierten. Die aus aquaristischer Sicht gute Nachricht ist: Macrogyrodactylus polypteri ist lebendgebärend. Das ist darum günstig, weil man sie dadurch gut bekämpfen kann. Eierlegende Haken-Saugwürmer (Dactylogyrus) sind hingegen eine Heimsuchung, ihre Bekämpfung ein klassischer Kampf gegen Windmühlen, denn ihre Eier sind praktisch unangreifbar. Da die Eier tage-, wochen- oder monatelang liegen können, bis sie schlüpfen, weiß man nie, ob man die Plagegeister wirklich los geworden ist. Ob die Fische am Ende an einer Schwächung durch Wurmbefall sterben oder an den ständigen Medikamenten, die ja auch alles andere als harmlos sind, ist letztlich egal. Aber wie gesagt, Macrogyrodactylus polypteri ist legendgebärend und in aller Regel genügt eine klassische Wurmkur, um sie dauerhaft loszuwerden.

Frank Schäfer


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Polypterus senegalus – ein Geisterfisch ?!

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