Es sind mehrere Arten Schachbrettcichliden (Gattungen: Crenicara und Dicrossus) im Handel. Die meisten dieser Arten sind nicht nur wunderschön, sondern gehören auch zu den ausgesprochenen Raritäten. Grund genug, sie hier etwas näher vorzustellen.
Entdeckungsgeschichte
1758, Stockholm – Der schwedische Naturforscher Karl von Linné (der sich selbst, wie unter den Gelehrten damals üblich, den lateinischen Namen Carolus Linnaeus gab) veröffentlicht die 10. Auflage seines Buches „Systema naturae“, in dem alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Tier- und Pflanzenarten benannt und klassifiziert wurden. Seither gibt es erstmals in der Menschheitsgeschichte ein weltweit von allen Wissenschaftlern akzeptiertes einheitliches Konzept zur Benennung von Tier- und Pflanzenarten, das bis heute Gültigkeit hat.
1863, London – Das naturhistorische Museum in London ist das Zentrum der wissenschaftlichen Welt geworden. Die Kuratoren haben eine monumentale Sammlung von Typusexemplaren zusammengetragen. Nach Linné merkte man nämlich schnell, dass es sinnvoll ist, eine Tier- oder Pflanzenart auf beispielhaften, typischen Exemplaren zu begründen. Diese gelten als „Typen“ (Singular: Typus) der Art und sind, streng genommen, die einzigen 100%ig sicher bestimmten Angehörigen ihrer Spezies. Albert C. L. G. Günther ist Fischkundler am Londoner Museum. In diesem Jahr beschreibt er eine Buntbarschart aus Guyana als Acara punctulata, basierend auf drei Exemplaren aus dem Essequibo River in Guyana.
1875, Wien – Franz Steindachner beginnt mit der Publikation einer großen Übersicht über die Buntbarsche des Amazonas, inspiriert durch die reichhaltige Sammlung von Louis Agassiz aus der Thayer-Expedition (1865-1866). Steindachner beschreibt zwei neue Gattungen, Crenicara und Dicrossus mit jeweils einer neuen Art, Crenicara elegans (gesammelt aus der Thayer-Expedition bei „Gurupa, Cudajas und Curupira“) und Dicrossus maculatus (ebenfalls Exemplare der Thayer-Exepdition, gesammelt im „Lago Maximo und José Assu sowie in Nebenarmen des Amazinenstromes bei Tocantins, im Rio Hyavary und im Rio Tapajuru“).
1905, London – Charles Tate Regan ist jetzt der Ichthyologe des naturhistorischen Museums. Er überarbeitet die Buntbarsche Südamerikas und findet heraus, dass Günthers Acara punctulata auf zwei verschiedenen Arten basiert. Er legt ein Exemplar als gültigen Typen fest (die beiden anderen gehören zu der Art, die wir heute als Nannacara anomala oder Glänzenden Zwergbuntbarsch kennen) und entdeckt, dass diese Art mit Steindachners Crenicara elegans identisch ist. In solchen Fällen gilt der ältere, also zuerst geprägte Namen (punctulata). Regan vereinigt zudem Crenicara und Dicrossus in einer gemeinsamen Gattung. Dabei ändert er „Crenicara“ in das sprachlich bessere „Crenacara“ um, ein Akt, der jedoch unzulässig ist. Es gibt nun also zwei Crenicara-Arten, C. punctulata und C. maculata.
1935, Santarem – Der Aquarianer Walter Praetorius beschreibt Pflege und Zucht einer Crenicara-Art, wobei der Redakteur der Zeitschrift (Hugo Weise) aus Versehen (er glaubte, die wissenschaftliche Erstbeschreibung durch Ernst Ahl sei bereits erfolgt) die wissenschaftliche Benennung als Crenicara praetoriusi vornimmt.
1936, Berlin – Ernst Ahl vom Zoologischen Museum beschreibt Crenicara praetoriusi als neue Art auf der Basis von drei Tieren, die er konserviert von Praetorius 1934 aus dem Igarapè Irurà-Mapiry (Amazonas-Einzug, Pará, Brasilien) erhalten hatte.
1958, Hamburg – Anhand von zwei Exemplaren aus dem Zierfischimport-Handel beschreibt Werner Ladiges die neue Art Crenicara filamentosa. Die Herkunft der Tiere ist ihm nicht bekannt, er vermutet, sie stammten vom oberen Amazonas. Seine neue Art ist u.a. dadurch unterschieden, als dass das Männchen eine zweizipfelig ausgezogene Schwanzflosse besitzt. Ladiges nennt 1959 auch erstmals den Liebhabernamen für die neue Art: Schachbrett-Cichlide, basierend auf dem amerikanischen Populärnamen „checkerboard cichlid“.
1986, Stockholm – Sven O. Kullander, Fischkundler und diesbezüglich aktueller Nachfolger von Linné in Stockholm, stellt fest, dass der von Steindachner gewählte Gattungsname Crenicara gültig ist und sein Geschlecht neutrum, da er sich aus den griechischen Worten krene (Quelle) und kara (Gesicht) zusammensetzt und nicht, wie Regan 1905 annahm, aus krene und dem indianischen Tupi-Wort Acara (für Buntbarsch), mit weiblichem Geschlecht. Es muss also bei aus Adjektiven gebildeten Artnamen das grammatikalisch richtige Geschlecht gebildet werden, also Crenicara punctulatum (statt des weiblichen C. punctulata). Kullander stellt fest, dass es mindestens 3 wissenschaftlich noch unbeschriebene Crenicara-Arten gibt.
1990, Stockholm – Kullander trennt Crenicara und Dicrossus wieder voneinander, zu Crenicara zählt jetzt nur noch C. punctulatum, zu Dicrossus D. maculatus und D. filamentosus.
1990, Stockholm, Berlin, Paris – Kullander und Wolfgang Staeck, Buntbarsch-Kenner aus Berlin, beschreiben eine zweite Crenicara Art: C. latruncularium. Sie ist C. punctulatum sehr ähnlich, jedoch geografisch scharf von der anderen Art getrennt, nirgendwo kommen sie gemeinsam vor. C. latruncularium kennt man nur aus dem Grenzgebiet zwischen Bolivien und Brasilien, im Einzug der Flüsse Guaporé und Marmoré, C. punctulatum hat hingegen ein riesiges Verbreitungsgebiet in Brasilien, Kolumbien, Peru, Ekuador und Guyana.
2008, Berlin – Ingo Schindler und Wolfgang Staeck beschreiben eine neue Dicrossus-Art aus dem Einzug des Rio Atabapo in Kolumbien als Dicrossus gladicauda. Die Männchen der neuen Art haben eine Verlängerung nur in der oberen Hälfte der Schwanzflosse. Entdeckt wurde D. gladicauda 2002 durch Zierfischimporte.
2010, Dresden – Ein Wissenschaftler-Team, bestehend aus Uwe Römer, Ingo J. Hahn und Pablo M. Vergara beschreiben formell zwei Dicrossus-Arten, die bereits seit 1981 bzw. 1992 aquaristisch bekannt sind. Während erstere Art – sie erhält den Namen Dicrossus foirni – unter der Bezeichnung „sp. Doppelfleck“, „sp. Rio Negro“ oder ”sp. Rotflossen” durch den Importhandel bekannt wird, entdeckt Kullander 1990 die zweite Art in Museumsmaterial. Frank Warzel reist zwei Jahre später nach Brasilien, fängt die Art im Rio Tapajós, bringt sie nach Deutschland und züchtete sie hier auch nach. Sie erhält den provisorischen Namen „sp. Tapajós“ und wird nun, 18 Jahre später, von Römer et al. als Dicrossus warzeli beschrieben.
2013, Berlin – Schindler und Hans-Joachim Paepke veröffentlichen eine Arbeit über die Typusexemplare südamerikanischer Buntbarsche im Museum für Naturkunde in Berlin, darunter auch die drei Exemplare von Crenicara praetoruisi, die Ahl 1936 als Grundlage zur Beschreibung dienten. Schindler und Paepke bestätigen die von vielen früheren Bearbeitern bereits angenommene Artgleichheit von Crenicara praetoriusi mit Dicrossus maculatus.
Es dauerte von 1863 bis 2013, um den heutigen Wissensstand über die Arten der Schachbrettbuntbarsche zu erreichen. Aquarianer und Zierfischhändler hatten daran maßgeblichen Anteil. Und noch immer sind bezüglich der Artenanzahl Fragen offen, die der Klärung bedürfen (siehe weiter unten bei Dicrossus filamentosus). Auf jeden Fall stellen die Schachbrettbuntbarsche ein wunderbares Beispiel dafür dar, wie wichtig ein freier Handel und eine uneingeschränkte Möglichkeit zur Pflege und Zucht durch Liebhaber sind, um die Lebewesen auf diesem Planeten kennen und schützen zu lernen. Denn man kann nur schützen, was man kennt!
Schachbrettcichliden im Aquarium
Zuerst wurde Crenicara punctulatum nach Europa eingeführt. Der sehr schöne Fisch hat leider einen entscheidenden Nachteil: er ist fast immer sehr scheu. Darum konnte er sich aquaristisch nie so richtig durchsetzen, obwohl es nur wenige Buntbarscharten gibt, die derart friedlich und damit ausgezeichnet für ein Gesellschaftsaquarium geeignet sind, wie eben dieser Cichlide. Ein Gesellschaftsaquarium ist ideal zur Pflege dieser Art geeignet, da die anderen Fische den Schachbrett-Cichliden etwas von ihrer Scheu nehmen. Vielleicht ist es diese Scheu von Crenicara punctulatum, die viele Aquarianer davon abhält, es einmal mit diesen schönen Tieren zu versuchen.
Aber auch um Dicrossus-Arten ranken sich wenig schöne Mythen: sie gelten als äußerst empfindlich und hinfällig. Meist werden dafür die extremen Wasserwerte verantwortlich gemacht, die diese Arten in der Natur vorfinden: eine Härte ist dort kaum nachweisbar, der pH-Wert liegt unter 5. Das bedingt eine extreme Keimarmut. Und gegen eine hohe Bakteriendichte sind Schachbrett-Cichliden tatsächlich empfindlich. Aber die Hauptschwierigkeiten scheinen in der früher wohl ziemlich unzureichenden Hälterung in den Ursprungsländern gelegen zu haben. Es kamen dadurch viele stark vorgeschädigte Tiere in den Handel, die nur unter großen Schwierigkeiten eingewöhnt werden konnten. Heute ist das anders und Wildfänge von Dicrossus stellen einigermaßen geübte Aquarianer vor keine nennenswerten Probleme mehr. Für die Pflege sind die Wasserwerte von untergeordneter Bedeutung, eine Gesamthärte bis etwa 20° dH und ein pH-Wert zwischen 5 und 7,5 sind gut geeignet. Weder Pflanzen, noch andere Fische werden von Schachbrett-Cichliden behelligt. Die Wassertemperatur wähle man lieber etwas höher als üblich, zwischen 26 und 30°C sollten wenigstens während der Eingewöhnungszeit geboten werden. Gefressen wird jedes übliche Zierfischfutter, egal ob Lebend-, Frost- oder Trockenfutter.
Der allerwichtigste Faktor für eine erfolgreiche Pflege von Schachbrett-Cichliden ist aber der Bodengrund: es müssen unbedingt Flächen mit feinem Sand zur Verfügung stehen! Dieser wird ständig nach Nahrung durchsucht. Ohne Sand lassen sich Schachbrett-Cichliden auf die Dauer nicht erfolgreich pflegen.
Crenicara punctulatum
Crenicara punctulatum wird im männlichen Geschlecht ca. 12 cm lang, ist also kein eigentlicher Zwergbuntbarsch mehr. Aber da diese Art sehr friedlich ist, fällt das nicht weiter ins Gewicht. Crenicara punctulatum gehört zu den ganz wenigen Arten unter den Süßwasserfischen, bei denen ein echter Geschlechtswechsel stattfinden kann. Soweit bekannt kommen alle C. punctulatum als Weibchen zur Welt. Man erkennt sexuell aktive Weibchen aller Schachbrett-Cichliden sehr leicht an den intensiv orangefarbenen Bauchflossen. Befindet sich kein Männchen im Becken, wandelt sich das kräftigste Weibchen von einem funktionsfähigen Weibchen zu einem funktionsfähigen Männchen um. Man nennt dieses Phänomen, das bei Korallenfischen sehr verbreitet ist, protogynen Hermaphrodismus. Die Pflege von C. punctulatum ist leicht. C. punctulatum ist ein Offenbrüter mit Haremsbildung, ein Männchen verpaart sich also mit mehreren Weibchen und bewacht das Revier, während die Weibchen für die Eier und Jungfische zuständig sind.
Crenicara latruncularium
Diese Art ist C. punctulatum extrem ähnlich, man kann sie an zwei Merkmalen erkennen: nur 15 Stachelstrahlen in der Rückenflosse (16-17 bei C. punctulatum) und zwei grünlich-irisierenden Streifen unter dem Auge. Pflege und Zucht gleichen C. punctulatum, allerdings wurde die Geschlechtsumwandlung bei C. latruncularium bislang nicht beschrieben; es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sich C. latruncularium in dieser Hinsicht nicht von C. punctulatum unterscheidet.
Dicrossus filamentosus
Dies ist die einzige Art Schachbrett-Cichlide, die wirklich fast immer im Handel zu finden ist. Sie kommt weit verbreitet in Brasilien, Kolumbien und Venezuela vor und gehört zu den Zwergcichliden: Männchen werden etwa 9 cm, Weibchen 6 cm lang. Der Lebensraum entspricht in etwa dem der Neonfische Paracheirodon axelrodi und P. simulans (Roter und Blauer Neon). Die Pflege ist nicht schwierig, die Zucht aber hohe Schule der Aquaristik. Die Eier können sich nur bei sehr saurem, fast destilliertem Wasser entwickeln. Auch dieser Schachbrett-Cichlide ist ein Offenbrüter mit Haremsbildung, allerdings verteidigen die Männchen kaum ein Revier. Diese Art ist vielleicht der friedlichste Buntbarsch überhaupt. Es gibt mindestens zwei Farbformen, die sich an der Schwanzflossenfärbung der Männchen unterscheiden. Möglicherweise handelt es sich dabei um verschiedene Unterarten. Da man die Weibchen nicht unterscheiden kann, sollte man niemals Tiere unterschiedlicher Herkunft miteinander verpaaren.
Dicrossus maculatus
Auch die Dicrossus-Art gehört zu den Zwergcichliden – und zwar zu den schönsten überhaupt! Männchen werden rund 9 cm, Weibchen 5 cm lang. Im Aquarium gehört die Art zu den absoluten Raritäten. Die Zucht ist ähnlich anspruchsvoll wie bei D. filamentosus, aber D. maculatus ist ein Weißwasserbewohner und kommt nur im unteren Amazonas in Brasilien vor.
Dicrossus gladicauda
Die Entdeckung dieses Schachbrett-Cichliden war eine echte Überraschung. Die kolumbianische Art unterscheidet sich von D. filamentosus nur durch die Schwanzflossenform, die Männchen haben ein unverwechselbares Obenschwert. Jungtiere und Weibchen sind allerdings nicht von D. filamentosus zu unterscheiden. Da Schachbrett-Cichliden fast ausschließlich als Jungtiere von 2-3 cm Länge importiert werden, bei denen die Schwanzflosse noch nicht ausgewachsen ist, ist jede Sendung aus Kolumbien ein Überraschungspaket. Übrigens: Die Männchen von D. gladicauda finden Weibchen von D. filamentosus sehr sexy…
Dicrossus foirni
Im Hobby war diese Art seit ca. 1980 als „Rotflossen-Schachbrett-Cichlide“ oder Dicrossus sp. Rio Negro bekannt. Alte Männchen können fast 10 cm lang werden, damit ist D. foirni die größte aller Dicrossus-Arten. Und eine der schönsten! D. foirni ist ziemlich pflegeleicht, wären da nur nicht die Probleme bei der Zucht… Auch diese Art braucht extrem weiches, saures Wasser, um sich erfolgreich fortpflanzen zu können. Von Zeit zu Zeit gibt es stabile Wildfang-Importe im Handel.
Dicrossus warzeli
Dieser Schachbrett-Cichlide wurde bislang nur sehr selten importiert. Unseres Wissens ist er zur Zeit nicht im Handel erhältlich, wenn überhaupt, kann man ihn nur bei spezialisierten Zwergbuntbarsch-Liebhabern erstehen. D. warzeli kommt nur im Rio Tapajós in Brasilien vor.
Ganz aktuell (10. November 2022) kamen 30 Exemplare bei Aquarium Glaser an. Vielleicht gelingt es ja mit ihnen, einen dauerhaften Stamm aufzubauen. Verdient hätte es die schöne Art!
Frank Schäfer
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