
Folgt man den jüngsten Publikationen, sowohl in der wissenschaftlichen wie auch in der Regenbogenpresse so könnte man tatsächlich zu diesem Schluss kommen. Selbst seriöse Wissenschaftler, die es doch eigentlich besser wissen sollten, scheuen sich nicht, den Handel mit Flusskrebsen zu Zwecken der Aquarienhaltung als tatsächliche oder zumindest potentielle Gefahrenquelle der bedrohten Edelkrebsbestände darzustellen.
Der historische Hintergrund
1890 wurden aus Nordamerika Krebse nach Europa gebracht, um sie hier anzusiedeln. Das war zu der damaligen Zeit ein beliebter Zeitvertreib. Seit der klassischen Antike bis heute wurden und werden immer wieder fremdländische Tierarten ausgesetzt, um die heimische Natur zu „bereichern“, oder weil man sich sonst irgend etwas davon versprach. Fasan, Kaninchen, Regenbogenforelle, Karpfen, Sonnenbarsch – um nur einige zu nennen, sind z.B. in Mitteleuropa solche Exoten, die hier eigentlich nicht vorkommen. Von den Krebsen erwartete man sich einen praktischen Nutzen. Die eingeführte Art, der Camberkrebs Orconectes limosus (der Artname „limosus“ bedeutet „schlammig“) besiedelt in seiner Heimat Gewässer, die aufgrund ihrer schlechten Qualität von Edelkrebsen (meist Astacus astacus, es gibt weitere Arten, aber das ist hier nicht so wichtig) nie bewohnt werden könnten. Hinzu kam, dass man europaweit zwischen 1860 und 1870 ein massives Krebssterben beobachtete, das die Bestände der ursprünglich vorhandenen Krebsarten bis an die Unwirtschaftlichkeit brachte. Die Ursache dafür ist den alten Quellen nur schwer zu entnehmen, es war wohl eine parasitäre Erkrankung, die dieses Krebssterben auslöste.
So versprach man sich von der Einfuhr des Camberkrebses eine Speisekrebsproduktion auch für solche Gewässer, in denen das zuvor nicht möglich war. Was man nicht wusste: In Nordamerika sind viele Flußkrebse mit einer Pilzerkrankung infiziert, gegen die zwar die dort vorkommenden Arten ziemlich immun sind, nicht jedoch die Europäischen Arten. Und so rottete diese eingeschleppte Erkrankung die verbliebenen Edelkrebsbestände in Mitteleuropa binnen weniger Jahre nahezu aus. Die Seuche wütete unter den Edelkrebsen wie weiland der Schnupfen unter der Urbevölkerung Südamerikas.
Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben
Nun hatte man also erfolgreich das Gegenteil dessen erreicht, was man wollte: Statt zusätzlicher Krebsproduktion gab es praktisch gar keine mehr. Doch der Mensch wäre nicht, was er ist, hätte er keine Lösung für das Problem gefunden. Wenn also die amerikanischen Krebse gegen die Seuche immun sind, setzen wir doch einfach diese aus! Schon bald nach 1890 war es geschafft, der Camberkrebs ein unausrottbares Mitglied der freilebenden Tierarten Mitteleuropas. Bis heute ist er die häufigste Krebsart weit und breit, obwohl ihm der ebenfalls aus Nordamerika stammende Louisiana-Sumpfkrebs (Procambarus clarkii), der in großem Umfang erst in den 1970er Jahren importiert und als Speisekrebs kultiviert wurde, derzeit Konkurrenz macht – wohl wegen des Klimawandels, denn der Louisiana-Sumpfkrebs mag es warm. In Gewässern, in denen diese beiden Arten nicht überleben können, weil es zu kalt und zu nährstoffarm für sie ist, hat Homo sapiens den Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus) seit 1960 ausgesetzt.
Daraus erwachsen natürlich weitere Gefahren für die ursprünglich heimischen Arten. War es zunächst „nur“ die fast 100%ig tödliche Krebspest (mir sind keine entsprechenden Untersuchungen über die Krebspest bekannt, doch ist bislang noch keine 100%ig tödliche Erkrankung bekannt geworden, weder bei Tieren, noch Pflanzen, noch Menschen und so ist stark anzunehmen, dass zumindest wenige Promille der ursprünglichen Krebspopulationen Mitteleuropas mittlerweile eine gewisse Resistenz gegen diese Pilzerkrankung haben. Andernfalls wären sie wahrscheinlich auch längst vollständig ausgestorben), die als ständiges Seuchenpotential weiter in den Camberkrebsen schlummert, kam nun sekundär auch noch die Verdrängung der Edelkrebse durch die Konkurrenz der Camberkrebse hinzu.
Sinnlose Polemik gegen Aquarianer
Was hat dies alles aber mit den Aquarianern zu tun? Die Krebshaltung im Aquarium ist zur Zeit populär wie nie zuvor. In den letzten 25 Jahren hat sie sich tatsächlich zu einem ernst zu nehmenden Spezialzweig der Aquarienkunde entwickelt. Damit nahm auch die Zahl der gehaltenen Arten zu und – logischerweise – die Zahl der Arten, die theoretisch, einmal ausgesetzt, auch in Mitteleuropa frei leben könnten.
Einen Sonderfall stellt dabei die Art dar, die als „Marmorkrebs“ (eine Form von Procambarus fallax), im Hobby weit verbreitet ist. Diese Art, sie wird etwa 7 cm lang, existiert als parthenogentische Nur-Weibchen-Population. Männchen sind bislang nicht bekannt geworden. Die Fortpflanzung erfolgt durch Klonen, d.h., es werden keine Gene neu kombiniert, wie das bei der Befruchtung geschieht, sondern die Nachkommen sind genetisch ein exaktes Abbild des Muttertieres. Es scheint, als sei der Marmorkrebs in der Lage, in Mitteleuropa ganzjährig überleben zu können. Erste Funde in freier Wildbahn ließen die Alarmglocken schrillen: Ein „sich selbst klonender Monsterkrebs“ bedroht die heimischen Krebse! Ein einziges Weibchen reicht theoretisch, um eine neue Population aufzubauen! Und sie übertragen die Krebspest! Aquarianer haben sie ausgesetzt!
Ich weiß nicht recht, warum diese Meldungen derart hohe Wellen schlagen. Als Biologe und Naturwissenschaftler kann ich dazu nur sagen – na und? Selbstverständlich ist das Aussetzen fremdländischer Arten, sei es absichtlich oder aus Versehen, strikt abzulehnen. Aber es ist kaum anzunehmen, dass der Marmorkrebs irgend etwas in der freien Wildbahn anrichten könnte, was der Camberkrebs, der Louisiana-Sumpfkrebs und der Signalkrebs nicht schon seit über 100 Jahren längst erreicht hätten. Die Krebspest ist bereits flächendeckend und unausrottbar mittels dieser Arten über ganz Mitteleuropa verbreitet. Natürlich reicht theoretisch ein einziges Weibchen des Marmorkrebses, um eine neue Population dieser Art aufzubauen. Ebenso natürlich reicht theoretisch ein einziges Pärchen einer beliebigen anderen Art, um eine neue Population aufzubauen. Wo liegt da der große Unterschied? In der Praxis ist derartiges kaum zu befürchten. Intakte Lebensräume werden bereits von Krebsen besiedelt (meist den Camberkrebsen), dort hat keine andere Art eine große Chance. Aus Versuchen mit Wiederausbürgerungen einst heimischer Arten oder auch aus künstlichen Ansiedlungsversuchen fremdländischer Arten weiß man, dass es mit dem Prinzip „Arche Noah“, also einem Pärchen pro Art, nicht getan ist. Meist werden viele hundert, meist tausende von Individuen benötigt, um eine erfolgreiche Ansiedlung zu ermöglichen, meist geht aber auch das schief. Doch es gibt zugegebenermaßen auch Ausnahmen, wie Waschbär und Bisamratte eindrucksvoll zeigten; die Gründe für den Erfolg dieser „invasiven Arten“ in fremden Lebensräumen, in denen sie ja in Konkurrenz zu eigentlich hochangepassten ursprünglich heimischen Arten treten, sind weitestgehend unverstanden.
Die Verantwortung der Aquarianer und des Handels
Dennoch zeigt der Fall des Marmorkrebses die besondere Verantwortung, die Aquarianern und dem Tierhandel zukommt, sehr deutlich auf. Laien, denen der naturwissenschaftliche Hintergrund und das nötige Spezialwissen fehlen, glauben durchaus, wenn derartige Horrormeldungen in der Presse auftauchen, dass sie wahr sind. Schnell kann sich dann eine Lobby bilden, deren Ziel es ist, den Handel mit (in diesem Falle) Krebsen generell zu verbieten. Und das ist keine Fiktion, derart überzogene Forderungen sind bereits zu hören gewesen, in manchen Staaten sind sie sogar schon Realität! Aquarianer sollten daher niemals irgendwelche Krebse in die freie Natur entlassen. Gartenteichbesitzer sollten am besten ganz auf den Besatz mit Krebsen verzichten.
Selbst an sich einheimische Edelkrebse unbekannter Herkunft könnten im Falle eines Entweichens genetischen Schaden bei der ortsansässigen Population anrichten. Stellen Sie sich nur einmal vor, die ortsansässigen Tiere seien genetisch immun gegen die Krebspest und Ihre Gartenteichtiere nicht. Kreuzten sich beide, ergäbe das wieder einen hohen Prozentsatz nicht-immuner Tiere unter den Nachkommen, was die Population nachhaltig schädigen würde.
Der Handel sollte Krebse ausdrücklich nur zur Aquarienhaltung verkaufen und auf die besondere Verantwortung des Halters hinweisen.
Die Verantwortung aller
Aus genau den gleichen Gründen sind auch an sich gut gemeinte Wiederansiedlungsversuche von Edelkrebsen grundsätzlich abzulehnen (von speziellen Ausnahmen, auf die hier einzugehen unmöglich ist, einmal abgesehen). Aquarianer, Gartenteichbesitzer, Tier- und Pflanzenhalter allgemein müssen dafür Sorge tragen, dass aus ihrem Hobby kein Schaden an der freien Natur entsteht. Ebenso müssen Artenschützer, Biologen und Umweltschützer sich endlich von dem Gedanken lösen, die Natur sei ihr privater Freiluftzoo für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Die Natur gehört keiner beider Gruppen und gleichzeitig beiden. Ihr gemeinsames Ziel muss sein, die Natur in ihrer gesamten Schönheit zu erhalten. Gezielte Desinformation und gegenseitige Verleumdungen helfen da nicht weiter. Nur Wissen tut es. Die Lehre aus der Vergangenheit und dem Fall des Camberkrebses ist die bittere Lektion: mit einfachen Maßnahmen kann man angesichts der Komplexität natürlicher Regelkreise rein gar nichts erreichen.
Frank Schäfer
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