„Unsichtbare Kostbarkeiten“ – Discordipinna griessingeri

Die Riffaquaristik unterliegt einem steten Wandel. Weichkorallen sind den kleinpolypigen Steinkorallen oftmals gewichen und die farben­prächtigen Großfische werden zusehends aus vielen Riffaquarien verbannt. Große Becken weichen kleinen – für meinen Geschmack manches Mal zu kleinen – Aquarien.

Eine besondere Grundel ist die extrem scheue und somit sehr versteckt lebende Griessingers Grundel Discordipinna griessingeri. Photo: Joachim Frische

Dieser Trend scheint sich derzeit mehr und mehr durchzusetzen: Die Pflege kleiner Tiere in entsprechend gestalteten Aquarien von ausreichender Größe. Leider aber werden die großen Becken für meinen Geschmack manches Mal gegen viel zu kleine Aquarien eingetauscht. In Gesprächen mit Meer­wasser­aquarianern kristallisiert sich heraus, dass die Fischlein deshalb in „Nanoaquarien“ gepflegt werden, damit gewährleistet ist, dass man die kleinen, scheuen Tiere auch zu Gesicht bekommt. Eine durchaus nachvoll­ziehbare Antwort, die für mich aber nicht zufrieden stellend ist, denn gerade mit der Pflege kleiner Fische in größeren Aquarien ergibt sich die Chance einer wirklich art­gerechten Pflege, auch in Bezug auf den natürlichen Platzanspruch.

Ein Experiment nimmt seinen Lauf

Vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich über „Kobolde im Korallenwald“ berichtet (Frische 2004) und bei meinen Recherchen erkannt, dass selbst winzige Fische Territorien bean­spruchen, deren Fläche überraschend groß ist. Aus dieser Thematik heraus ergab sich für mich die Frage, ob es nicht möglich wäre, in einem Riffaquarium von 800 Litern die Zwerge der Korallenriffe so zu pflegen und zu vergesellschaften, dass ich sie regelmäßig studieren könnte. Der Vorteil wäre, die kleinen Fische ließen sich in einem solchen Wasser­volumen artgerecht mit ausreichend Lebens­raum versorgen. Für mich wäre dies der perfekte Zustand! Um diese Thematik zu bearbeiten war eine Voraussetzung, dass ich mich von Fischen trennen musste, die meiner Familie und mir über Jahre ans Herz gewachsen waren. Anderer­seits aber war ich davon überzeugt, dass meine Idee nur dann zu realisieren war, wenn keine großen Fische mehr im Aquarium verblieben. Ihr stetes Umher­streifen im Aquarium hätte zur Folge gehabt, dass die kleinen Fische dazu bewogen worden wären, bei Annäherung Zuflucht in ihrer sicheren Behausung zu suchen. Sie wären nicht zu beobachten gewesen. Ledig­lich ein Paar Ctenochaetus tominiensis ver­blieb im Aquarium um die Ansammlung von Detritus und Sediment auf dem Boden­grund und der Dekoration überschaubar zu halten.

„Die Scheue unter den Scheuen“

Im Juni 2006 wurde mit dem eben beschrie­benen Experiment mit einer Heraus­for­derung der besonderen Art gestartet, mit der Griessingers-Grundel Discordipinna griessingeri Hoese & Fourmanoir, 1978. Warum ich die Pflege der dreieinhalb Zentimeter lang werdenden Griessingers Grundel als Herausforderung betrachte, hängt damit zusammen, dass all jene Aquarianer, welche diese Art schon pflegten, darin überein stimmen, dass es sich um eine ausge­sprochen scheue, versteckt lebende Grundel handelt, die selbst in kleinen Aquarien bei entsprechender Dekoration nur sporadisch ihren Unterschlupf verlässt (Pfleiderer, 2004, Schmiedel, 2006). Discordi­pinna griessingeri trägt den englischen Namen Spikefin Goby, was soviel bedeutet wie Stachelflossen-Grundel. Dieser Name leitet sich von der stark verlängerten ersten Rückenflosse ab, welche einem Stachel oder langem Nagel ähneln soll. Der deutsche Trivialname „Gries­singers-Grundel“ passt meines Erachtens erheblich besser. Der Artname wurde von Hoese & Fourmanoir 1978 zu Ehren von Mr. S. Griessinger verliehen, welcher die Paratypen gefangen hatte. Häufig wird während der Erstbeschreibung neben dem Holotypus eine ganze Typenserie angegeben, um die Stabilität bzw. Variation von Merkmalen zu dokume­ntieren. Die neben den Holotypus gestellten Exemplare einer solchen Serie heißen Paratypen. Der Holotypus hingegen beschreibt während der Erstbeschreibung einer nominellen Art oder Unterart ein besonders herausgestelltes Exemplar bzw. Individuum, das eine objektive Bezugs­grundlage für den neuen Namen darstellt. Der Holotypus von Discordipinna griessingeri ist weiblichen Geschlechts. Mit einer Länge von rund 19, 5 Millimeter SL wurde er in 9 – 12 Meter Tiefe entdeckt und gefangen. Der Erstfundort ist El Himeira, ein Gebiet im Golf von Akaba, auf israelischer Seite (Hoese & Fourmanoir, 1978). Inzwischen wurde die Art in vielen Riffen der Welt gefunden und die Verbreitung wird derzeit von Kuiter & Debelius (2006) mit Indonesien und Ost-Australien angegeben. Weiterhin gelten das Rote Meer, die Marquesas und die Gambier Inseln als Vorkommens­gebiet. Meine Exemplare stammen von den Philippinen. Ihr Lebens­raum findet sich zwischen lebenden Korallen, Geröll und Sand. Eine Lebens­gemeinschaft mit Garnelen in Höhlen ist bisher nicht dokumentiert, vielmehr siedelt die Grundel unter Steinen. Es bleibt noch zu ergänzen, dass es zwei beschriebene Arten der Gattung Discordipinna gibt. Die zweite Art ist Discordipinna filamentosa Chen, Suzuki & Shao, 2012. Ein Bild dieser Art findet sich hier:  http://www.meerwasser-lexikon.de/de/13/397/Discordipinna/sp.htm. In der Beschreibung von D. filamentosa wird eine dritte, wissenschaftlich noch nicht bearbeitete Spezies erwähnt.

Ein Fisch mit Charisma

Den ersten Kontakt mit dieser farblich sehr auffälligen Grundel hatte ich vor gut drei Jahren. In einem etwa 40 Liter fassenden Verkaufsaquarium kauerte sie regungslos in einer hinteren Ecke. Jegliche Dekoration fehlte, denn nur so konnte sie überhaupt entdeckt werden. Gut in Erinnerung sind mir die riesigen Brustflossen geblieben, die bei scheinbarer Gefahr aufgestellt wurden und mit kräftigen wellenförmigen Bewegungen hin und her geschaukelt wurden. Nur einmal zuvor hatte ich den Einsatz der Brustflossen in dieser Art und Weise schon gesehen, das war bei einer Callogobius hasseltii. Auch die stark verlängerte Rückflosse wurde aufge­richtet und konnte problemlos so weit nach vorne gekippt werden, dass sie auf dem Kopf aufschlug und weit über die „Nasenspitze“ hinaus ragte. Warum ich das Tier damals nicht erworben hatte, lag schlicht an dem hohen Preis, den Pfleiderer (2003) treffend als astronomisch bezeichnet hat. Doch wer einmal eine Discordipinna griessingeri gese­hen hat, wird sie nicht wieder vergessen. Sie hat sich in das Unterbewusstsein eingeprägt und man lauert nur auf eine passende Geleg­enheit, um der Tiere habhaft zu werden.

Griessingers Grundel zieht in mein Aquarium

Im Juni 2006 bot sich mir erneut die Gelegenheit zum Kauf. Dieses Mal war es sogar ein Pärchen, das zu einem vergleichs­weise zivilen Preis angeboten wurde. Warum ich davon ausgehe, dass es sich um ein Paar handelte, ist darin begündet, dass sich die beiden Grundeln sofort nach Einsatz suchten und gemeinsam im ausgewählten Unter­schlupf verschwan­den. Phänotypische Ge­schlechts­merk­male sind meines Wissens jedoch bisher nicht beschrieben. Beide Tiere massen etwa 2 cm und saßen bereits sechs Wochen in der Verkaufsanlage. Ernährt wurden die Tiere mit lebenden Artemia-Nauplien, Bosmiden, Fischeiern und selbst kleine gefrorene Artemia salina wurden gefressen, was eine Probefütterung zeigte. Dass die Aufnahme von Ersatz­nahrung nicht generell voraus­zusetzen ist, belegen Angaben von Pfleiderer (2003), der darauf hinweist, dass lediglich lebende Artemia-Nauplien gefressen wurden und auch Schmiedel (2006) beschreibt in seinen Ausführungen, dass er bis heute nicht weiß, was sein Pärchen Discordipinna griessingeri frisst, da er sie in seiner bis dato zweijährigen Pflege noch nie bei der Nahrungsaufnahme beobachtet hat. Nachdem das Grundelpaar an die neuen Wasserparameter angeglichen war, wurden sie vorsichtig in das 800 Liter Riffaquarium entlassen. Dies dankten mir die beiden Fischlein mit einem spektakulären Show­tanz: Neben den beschriebenen wellen­artigen Bewegungen der Brustflossen kam dem hinzu, dass die verlängerte Rücken­flosse wippend bewegt wurde. Auf und ab wurde sie bewegt und es schien, als würde sie, gleich einem Taktstock, nach einer nicht zu hörenden Melodie geschwungen. Während die beiden genannten Organe in der beschriebenen Abfolge in Bewegung gehalten wurden, begannen die Grundeln nun zusätzlich, sich hüpfend fortzubewegen; sie suchten offenbar einen sicheren Ort in der Dekoration. Da an dieser Grundel schein­bar alles in Bewegung war, konnte der Betrachter erahnen, wozu dieser Aufwand des Showtanzes betrieben wurde. Es scheint so, dass damit der Körperumfang vergrößert wird. Frank Schäfer (pers. Mttlg) vertritt außerdem die Auffassung, dass nach seiner Beobachtung eine giftige Nacktschnecke bzw. Plattwurm imitiert werden könnte. Diese als Zoomimese bezeichnete Nach­ahmung findet im Tierreich oft Verwendung. Außerdem konnte ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass die rotfarbenen Körperbereiche, die in den Flossen verstärkt ausgebildet waren, als Warnfarbe dienten. Eine Fehlinterpretation, denn in der Natur erscheint die Farbe Rot in den Tiefen, in welchen diese Grundeln leben, als grau. Kaum war ein geeigneter Unterschlupf erreicht, waren beide Tiere verschwunden. Etwa auf nimmer wiedersehen?

Versteckt, versteckter, „am Verstecktesten“

Am nächsten Morgen konnte ich beide Tiere nochmals im Schein der Blaubeleuchtung entdecken. Die sofort gereichten Fischeier und Bosmiden wurden gierig aufge­nom­men, so sie in geeigneter Nähe am Maul vorbei trieben. Um dies zu erreichen, wurden jeweils 10 g des genannten Futters als Würfel direkt ins Wasser verabreicht. Mit dem Einschalten der Tageslichtbeleuchtung ver­schwanden die beiden charismatischen Grundeln in den Schutz der Dekoration. Noch einmal war es mir vergönnt, die beiden Discordipinna griessingeri zu Gesicht zu be­kommen. Etwa acht Wochen später konnte ich das Paar zu ähnlicher Uhrzeit praktisch an gleicher Stelle nochmals beobachten und füttern. Seit dieser Zeit allerdings sind sie verschollen. Nicht verwunderlich, denn Schmiedel berichtet, dass es zehn Monate gedauert hat, ehe er wieder eine seiner Griessingers Grundeln auftauchte.

Eine empfehlenswerte Art?

Die scheue Griessingers Grundel ist eine im Verborgenen lebende charismatische Schönheit, die sich nur selten ihrem Be­trachter zeigt. Dieses Verhalten lässt sich sowohl in kleinen Aquarien mit den Maßen 80 x 40 x 40 cm (Schmiedel 2006), als auch in einem 800 Liter Aquarium beobachten. Ständig zu sehen wäre sie nur in einem kleinen Aquarium ohne entsprechende Dekoration. Eine Haltung die ich nicht unterstützen würde, da sie nicht artgerecht ist und die gestresste Grundel keine natür­lichen Verhaltensweisen zeigen würde. Da diese Grundel aber territorial zu leben scheint, bleibt zumindest der Trost, dass der Aquarianer weiß, wo die kleinen Tiere auftauchen müssten, so sie denn einmal das Bedürfnis haben, ihren Unterschlupf zu verlassen. Eine andere Möglichkeit, die mir Dr. Thomas Heeger von Marine Fauna in einem Gespräch empfahl, wäre, die Anzahl der Tiere pro Aquarium zu erhöhen. Je mehr Paare in einem Aquarium leben, desto eher besteht die Möglichkeit, das eine oder andere Exemplar zu sehen. Eine interessante Ant­wort, deren Realisie­rung aber daran scheitert, dass Griessingers Grundel nicht nur optisch als Juwel bezeichnet werden kann, sondern auch durchaus preislich hier entsprechend mithalten kann.

Danksagung

Ich danke Herrn Peter Staudacher vom Riff Aqua-Zoo für die Beschaffung des Paares Griessingers-Grundel. F. Schäfer dankt Matthias Reising (Fa. Meerwasser-Reising, Alzenau-Wasserlos) für die Möglichkeit, in seiner Anlage fotografieren zu dürfen.

Joachim Frische

Literatur

Baensch, H. A. & Debelius, H. (1992): Meerwasser-Atlas – Band 1. Mergus Verlag, Melle. 1216 S.

Frische, J. (2004): „Kobolde im Korallenwald“ . Der Meerwasseraquarianer 8(1), 52-58.

Hoese, D. F. & Fourmanoir, P. (1978): Discordipinna griessingeri, a New Genus and Species of Gobiid Fish from the Tropical Indo-West Pacific. Japanese Journal of Ichthyology 25(1), 19-25.

Kuiter, R. H. & Debelius, H. (2006): Atlas der Meeresfische. Kosmos Verlag. Stuttgart. 720 S.

Pfleiderer, J. (2004): Griessingers-Grundel – eine extrem „rare“ Rarität. Der Meerwasseraquarianer 8(1), 7.

Schmiedel, P. (2006): http://www.reefsafe.de

Wikipedia (2006): http://de.wikipedia.org


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