Die Menschen der westlichen Welt wollten schon immer möglichst frühzeitig wissen, ob eine Schwangerschaft eingetreten ist oder nicht. Der erste wissenschaftlich exakte und dabei problemlos zu handhabende Schwangerschaftstest waren Krallenfrösche, in diesem Falle Angehörige der Gattung Xenopus. Spritzt man nämlich geschlechtsreifen Weibchen dieser Arten den Morgenurin einer schwangeren Frau in den Rückenlymphsack, so bewirkt das darin enthaltene Schwangerschaftshormon Choriongonadotropin, dass das Weibchen spätestens nach 12 Stunden Eier legt.
Schon vor dieser Entdeckung in den 1940er Jahren waren Krallenfrösche (vor allem Xenopus laevis) gefragte Labortiere. Man untersuchte und erforschte an ihnen zahllose neurophysiologische und genetische Grundlagen. Es erfolgte nach der Entdeckung, dass sich Krallenfrösche als sicherer Schwangerschaftstest eignen, ein wahrer Run auf diese Tiere, so dass die Laborzucht immer wichtiger wurde, weil der Nachschub (per Schiff aus Afrika!) nicht so ganz problemlos sicherzustellen war. Auch unsere Großeltern wussten offenbar die Vorteile einer Familienplanung schon ziemlich zu schätzen.
Später fand man heraus, dass dieser Test auch mit einheimischen Fröschen gelingt, freilich nicht mit den Weibchen. Bei den mitteleuropäischen Fröschen ist die Eireife bei den Weibchen streng zyklisch und nur wenige Wochen im Jahr möglich. Aber die Männchen können fast immer (wenn man sie richtig behandelt) und hier stellte man dann die Schwangerschaft einer Frau durch das Vorhandensein von Samenfäden nach einer Urininjektion fest.
Heutzutage ist es eher ungewöhnlich, im Wartezimmer eines Gynäkologen ein Aquarium mit Krallenfröschen oder ein Terrarium mit Grasfröschen (Rana temporaria) anzutreffen. Aber die Froschzüchter in aller Welt machen sich die Eigenart der Frösche, positiv auf menschliches Sexualhormon zu reagieren, immer noch zunutze, wenn es nicht recht gelingen will, die Tiere trotz sexueller Reife zur Nachzucht zu bringen. Details überlasse ich der Phantasie des Lesers…
Der Große Krallenfrosch
Studiert man die wissenschaftliche und die Liebhaber-Literatur in Bezug auf Krallenfrösche, so ist dort meist vom Großen Krallenfrosch, Xenopus laevis, die Rede. In vielen Fällen ist die Bestimmung fragwürdig, weil nur wenige Menschen die verschiedenen Arten von Xenopus auseinanderhalten können; erst im Dezember 2015, wurden sechs (!) neue Arten Krallenfrösche beschrieben! Eine weitere Art (Xenopus calcaratus) wurde aus der Synonymie geholt und jetzt beträgt die Artenzahl in der Gattung (inklusive der nur noch als Untergattung eingestuften Silurana) 29 (Evans et al. 2015). Aber dessen ungeachtet sei Xenopus laevis etwas näher vorgestellt.
Der Große Krallenfrosch erweckte schon immer das Interesse der Menschen. Xenopus bedeutet übrigens “mit fremdartigem Fuß”. In Afrika schrieben die Menschen diesen Fröschen geheimnisvolle Kräfte zu. Das plötzliche Auftauchen der Tiere nach der Regenzeit in Tümpeln interpretierten sie so, dass diese Frösche Regenbringer seien. Auch andere Mythen und Legenden ranken sich um diese Amphibien.
In Europa war das Interesse der Wissenschaftler an den Tieren pragmatischer. Man untersuchte an ihnen morphologische und entwicklungsphysiologische Eigenheiten. In der modernen Wissenschaft nutzt man sie, um Klone (also genetisch identische Individuen) herzustellen und andere genetische Untersuchungen anzustellen. Die moderne Gentechnologie wurde an Krallenfröschen entwickelt und heute gehören Große Krallenfrösche zu den am besten genetisch untersuchten Lebewesen überhaupt.
In der Vivaristik hat dieser Frosch auch schon früh Eingang gefunden, was unter anderem mit seiner enormen Temperatur-Toleranz (die Haltung ist möglich bei Temperaturen zwischen 12 und 36°C, das Optimum liegt allerdings bei 22°C) zusammenhängt. Auch in ungeheizten Aquarien ist das Tier problemlos zu halten. Erste Pflege- und Zuchtberichte erschienen bereits um 1905.
In Afrika hat der Große Krallenfrosch (im weiteren Sinne, es verbergen sich mehrere genetisch unterschiedliche Formen hinter diesem Namen) ein riesiges Verbreitungsgebiet und besiedelt fast ganz Afrika. Verwilderte Populationen gibt es sogar in Europa (Wales) und in den USA. Das größte bisher gefangene Weibchen der Nominatform maß 12,5 cm. Es fand sich in einem Goldfischteich, wo es sich an den Zierfischen gemästet hatte. Männchen bleiben immer kleiner. Der Große Krallenfrosch ist überaus anpassungsfähig und findet sich in Tümpeln und Weihern ebenso wie in Seen und Flüssen. Als Kulturfolger besiedeln sie auch Gartenteiche und Parks. Kurz: Es sind Hansdampfs in allen Gassen, wie man so schön sagt. Unsere Aquarienstämme sind wohl kaum noch reine Unterarten. Kann man Wildfänge erhalten, sollte man unbedingt reinblütig mit ihnen züchten. Allerdings ist das legal künftig kaum noch möglich, denn die Art wurde als EU-weite invasive Bedrohung eingestuft, der Handel, die private Pflege und Zucht wird darum 2022 verboten werden, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Der Hintergrund hierzu ist, dass eine sich vermehrende Population des Großen Krallenfrosches in Frankreich entdeckt wurde. Wegen des Klimawandels befürchtet man jetzt, diese Art könne in Europa invasiv werden. Um dem vorzubeugen, soll der Handel mit ihr darum verboten werden.
Wels oder Frosch?
Im Jahre 1864 beschrieb der berühmte Zoologe John Edward Gray eine neue, seltsame Froschart anhand einiger Kaulquappen und frisch verwandelter Jungfrösche aus Afrika als Silurana tropicalis. Das merkwürdige Geschöpf besaß als Kaulquappe zwei lange Barteln, keinerlei Zähne, gut ausgebildete Augen, einen umlaufenden Flossensaum (ähnlich einem Aal) und eine zweite, kurze Flosse unter dem Bauch. Keine der Flossen besaß stützende Flossenstrahlen. Gray war sich durchaus im Klaren darüber, dass es sich um einen Frosch handelte. Die neue Gattung, die er schuf, setzt sich aus den lateinischen Worten “Silurus” (= Wels) und “Rana” (= Frosch) zusammen. Damit wies er auf die überaus erstaunliche Ähnlichkeit zu Welsen hin, denn derart abstruse Kaulquappen hatte noch nie ein Mensch gesehen oder beschrieben.
Es waren die Kaulquappen der Art, die wir heute als Gespornten Krallenfrosch, Xenopus tropicalis, kennen. Xenopus tropicalis (oft auch als Silurana tropicalis bezeichnet) unterscheidet sich deutlich von Xenopus laevis. Er wird nur ca. 4 cm groß, hat kleinere Augen und ist eine tropische Art, die niemals einen europäischen Winter überstehen könnte.
Vielleicht sollte an dieser Stelle einmal ein kleiner Exkurs erlaubt sein, wie denn normalerweise eine Kaulquappe aussieht. Alle Kaulquappen, außer den Kaulquappen der Zungenlosen, besitzen hornige Lippenzähnchen, die in Leisten angeordnet sind. Mit diesen Lippenzähnchen, die in Art und Form so charakteristisch sind, das man daran die Art bestimmen kann, raspeln die Kaulquappen ihre Nahrung klein, die, je nach Art, aus Aufwuchs (das ist der aus Algen und Kleinstlebewesen bestehende Belag auf Steinen, Wurzeln, Blättern etc.) oder auch tierischer Nahrung bestehen kann.
Die Kaulquappen der Krallenfrösche haben aber keine Lippenzähnchen. Die Kaulquappen der Krallenfrösche (Untergattungen Xenopus und Silurana) sind zu Filtrierern geworden. Dabei haben sie eine Lebensweise angenommen, die der kleiner, sich von Plankton (als Plankton bezeichnet man die Gesamtheit der sich frei im Wasser bewegenden Organismen) ernährender Fische entspricht. Zusätzlich haben die Kaulquappen der Krallenfrösche auch noch lange Bartfäden, die tatsächlich genau wie die Oberlippenbarteln bestimmter Welse (etwa der Glaswelse, Kryptopterus) aussehen.
In der Natur schwimmen diese Kaulquappen frei im Wasser, und zwar in Schwärmen. Die Ähnlichkeit zu Fischen ist wirklich verblüffend.
Kannibalenzucht
Krallenfrösche besiedeln auch künstliche, ziemlich sterile Wasserkörper, wo sie sich außerhalb ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes etabliert haben, z.B. in den USA. Als man untersuchte, wovon sie sich dort ernähren, stieß man auf Erstaunliches: Die Mägen der untersuchten Tiere enthielten zu bestimmten Zeiten vorwiegend Kaulquappen der eigenen Art!
Die übliche Nahrung der Krallenfrösche stellen, zieht man Vergleichsuntersuchungen heran, vor allem größere Insekten dar. In neuen, kahlen Lebensräumen herrscht aber unter Umständen gewaltiger Nahrungsmangel. Zwar macht Krallenfröschen auch ein mehrwöchiges Fasten kaum etwas aus, aber auf die Dauer muss sogar ein Xenopus mal was fressen.
Der Überlebenstrick der Krallenfrösche: Sie setzen Nachwuchs in die Welt! Das klingt auf den ersten Blick widersinnig. Ist es aber nicht. Die Kaulquappen von Xenopus ernähren sich nämlich bekanntlich von Mikroplankton (also Schwebealgen und dergleichen), und daran mangelt es in frisch angelegten, künstlichen Teichen kaum jemals, wie viele Gartenteichbesitzer zu ihrem Leidwesen – Stichwort: grünes Wasser – schon lernen mussten.
Wenn man nun daran denkt, dass ein einziges Xenopus-Weibchen von 6,5 cm Länge schon locker 1.000 Eier auf einmal legen kann, ein 10,5 cm langes Weibchen gar 17.000 Eier und dass Xenopus durchaus mehrfach pro Brutsaison ablaichen, kommt da einiges zusammen. Die Folge dieses Treibens: Hunderte und tausende von Xenopus-Kaulquappen, die das für die Erwachsenen unbrauchbare Mikroplankton in wertvolles Bioeiweiß umwandeln.
Vielleicht ist diese Überlebenstechnik aus menschlicher Sicht moralisch nicht ganz einwandfrei. Sie ist aber in jedem Fall wirkungsvoll.
Frank Schäfer
Literatur:
Evans, B. J., Carter, T. F., Greenbaum, E., Gvoždík, V., Kelley, D. B., McLaughlin, P. J., … & Tobias, M. L. (2015). Genetics, morphology, advertisement calls, and historical records distinguish six new polyploid species of African clawed frog (Xenopus, Pipidae) from West and Central Africa. PLoS One, 10(12), e0142823.
Furman, B. L., Bewick, A. J., Harrison, T. L., Greenbaum, E., Gvoždík, V., Kusamba, C., & Evans, B. J. (2015). Pan‐African phylogeography of a model organism, the African clawed frog ‘Xenopus laevis’. Molecular Ecology, 24(4), 909-925.
Und weiteren Lesestoff über Krallenfrösche finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=krallenfrosch
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