Laub im Aquarium (Teil 5) Die Schwarzerle, der universelle Medizinbaum

Im Rahmen einer naturnahen Aquaristik gewinnt die Erkenntnis immer mehr die Oberhand, dass die Pflege und Zucht von Fischen, Garnelen, Krebsen, Schnecken, Muscheln und Wasserpflanzen um so besser und befriedigender gelingt, je mehr man sich am Vorbild der Natur orientiert. Wer diesen Weg gehen möchte, der begegnet auf ihm sehr bald den größten Landpflanzen, die es gibt: den Bäumen. Ihre Äste und Wurzeln bieten Versteckmöglichkeiten, ihr Laub bildet die Basis der Nahrungskette in nahezu allen natürlichen Zierfischgewässern und ist für sehr viele kleine Tiere das tägliche Brot. Ihre medizinisch wirkenden Inhaltsstoffe kennen aber nur wenige Aquarianer – leider! Diesmal geht es nicht um das Laub, sondern um die Früchte der Erle, da sich das an sich gut für das Aquarium geeignete Herbstlaub des Baumes wegen seiner Standorte normalerweise kaum sammeln lässt.

Erlen sind kurzlebige Bäume, die gewöhnlich nur 100-120 Jahre alt werden. Bereits junge Bäume fruchten reich.

Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
So dichtete Johann Wolfgang von Goethe 1782 in seiner wohl bekanntesten Ballade. Der Schwarzerle (Alnus glutinosa) haftet im Volksglauben seit jeher etwas Unheimliches an. Der Erlkönig ist zwar nur eine Erfindung der Romantik, aber die Eigenschaft der Schwarzerle, in sumpfiger, nasser Umgebung zu wachsen, machte sie den Menschen früher unsympathisch. Nicht jedoch den Pionieren der Aquaristik. Wer zuhause Nattern, Kröten und glitschige Fische hegt und pflegt, der ist um seinen Ruf nicht sehr besorgt und lehnt Vorurteile gegenüber der belebten Umwelt ab. So fanden unsere Vorväter im Hobby sehr bald heraus, dass mit den Fruchtständen der Schwarzerle, den so genannten Erlenzäpfchen, ein Naturheilmittel ersten Ranges zur Verfügung steht.

Die reifen Zäpfchen sind schwarz.

Die Schwarzerle, botanisch gesehen
Die Gattung Alnus – Erlen – ist in Mitteleuropa mit drei Arten vertreten. Weltweit sind es – je nach Auffassung der jeweiligen Wissenschaftler – zwischen 17 und 50 Arten. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Alle Erlen sind Bäume oder Sträucher. Doch nur die Schwarzerle ist perfekt an nasse Standorte angepasst, darum besteht keinerlei Verwechslungsgefahr. Die Schwarzerle gehört zu den Birkengewächsen (Betulaceae), ist also eine Verwandte von Birken (Betula) und Haselnüssen (Corylus). Wie bei diesen gibt es männliche und weibliche Blüten, beide befinden sich am gleichen Baum. Die männlichen Blüten, die den Pollen hervorbringen, nennt man Kätzchen. Die weiblichen Blüten sind sehr unscheinbar und sitzen in Trauben am Ende kleiner Äste. Die Bestäubung übernimmt der Wind.

Die männliche Blüte der Schwarzerle nennt man Kätzchen. Die Bestäubung erfolgt durch den Wind.
Die weibliche Blüte der Schwarzerle ist sehr unscheinbar. Männliche und weibliche Blüten kommen am gleichen Baum vor, das nennt man in der Botanik „getrennt geschlechtlich einhäusig“.

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Überlebenskünstler
Wie alle Tiere und Pflanzen auf diesem Planeten braucht auch die Schwarzerle Sauerstoff für die Atmung. Bäume, die längere Zeit überflutet werden, ersticken und sterben ab. Schwarzerlen nicht. Warum? Die Schwarzerle verfügt als einzige heimische Baumart über die Fähigkeit, mit dem Stamm Sauerstoff aus der Luft aufzunehmen und in die Wurzeln zu transportieren, wo er veratmet werden kann. Als Anpassung an nährstoffarme Moorböden ist die Schwarzerle zudem eine Symbiose mit Bakterien eingegangen, die Stickstoff direkt aus der Luft binden können. Stickstoff ist einer der wichtigsten Pflanzennährstoffe überhaupt. Und schließlich hat die Schwarzerle eine Menge fäulnishemmender Stoffe entwickelt, die verhindern, dass die Pflanze in der nassfeuchten Umgebung, in der sie lebt, verfault. Es sind vor allem diese fungiziden (pilzhemmenden) und bakteriziden (bakterienhemmenden) Wirkstoffe, die die Schwarzerle für uns so wertvoll macht.

Reife Erlenzäpfchen

Die Wirkstoffe
Leider liegen über die exakten Inhaltsstoffe der Erlenzäpfchen keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, jedenfalls sind uns keine bekannt. Da jedoch Rinde und Laub der Schwarzerle in der Humanmedizin Verwendung finden, sind deren Inhaltsstoffe gut bekannt. Wie bei allen Naturprodukten schwankt die Konzentration der einzelnen Stoffe in Abhängigkeit von Standort und Sammelzeitpunkt, aber ungefähr kann man angeben, dass etwa 10-20% Inhaltsstoffe Gerbsäuren sind (Gallussäureester), weitere Hauptwirkstoffe sind Phenylpropane, Flavonolglykoside (Hyperosid), Zimtsäure, Stilbenderivate, Steroide und Triterpensäuren (Taroxerol (Alnulin) und Taroxeron (Protaenulin)), Nebenwirkstoffe sind Anthrachinone (Emodin), Zucker, Harzsäuren und Wachse (alle Angaben nach LAGONI, 2003).

Erntereife Zäpfchen am Baum

Anwendung
In der Humanmedizin werden Erlenrindentees als Gurgelmittel bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum, Zahn- und Halsschmerzen und bei Zahnfleischbluten eingesetzt, als Bad oder Umschlag nutzt man Erlenrinde und -blätter bei vielerlei Hauterkrankungen, Ekzemen, eitrigen Wunden, Verbrennungen und Hämorrhoiden. Die Erlenzäpfchen finden in der klassischen Medizin seltsamerweise keine Anwendung, nur in der Volksmedizin – hier macht man ein Aphrodisiakum daraus. Die Anwendung im Aquarium ist denkbar einfach und tausendfach erprobt: man wirft ein Erlenzäpfchen auf ca. 10-20 Liter Wasser in das Aquarium. Fertig. Man kann auch niedriger dosieren, bei Naturheilstoffen gilt ganz allgemein NICHT die Regel ”viel hilft viel”. Im Gegenteil, oft sind Spuren medizinisch viel wirksamer. Ein Überdosieren ist kaum möglich, allerdings wird das Wasser zunehmend undurchsichtig, bis es schließlich maximal die Farbe starken Kaffees annimmt. Auch dieses Wasser ist durchaus unschädlich für die Tiere, aber die Pflanzen werden unter dem durch die Braunfärbung verursachten Lichtmangel erheblich leiden.

Die Zapfenschuppen öffnen sich nur, wenn das Zäpfchen trocken ist.

Machen Erlenzäpchen sauer?
Grundsätzlich lautet die Antwort: ja! Der pH-Wert wird durch die Gerbsäuren durchaus beeinflusst, wie man sehr leicht feststellen kann. Destilliertes Wasser hat einen pH-Wert von 7 und keine Pufferkapazität, kann also keine Säuren ”einfangen” und neutralisieren. Wenn man acht Erlenzäpfchen in ein Glas mit 100 ml Wasser gibt, (was viel mehr ist, als man je im Aquarium dosieren würde), senkt das den pH-Wert von 7 auf knapp über pH 4 ab. Anderslautende Aussagen hängen vielleicht mit dem Sammelzeitpunkt zusammen. Erlenzäpfchen sammelt man am besten im Winter, wenn die Samen ausgeschüttelt sind. Erlensamen möchte man nicht im Aquarium haben, sie würden das Wasser nur unnötig belasten. Da die Schuppen der Zäpfchen sich nur bei trockenem Wetter öffnen und die Samen freigeben, kann es passieren, dass schon etliche Regengüsse über die Zäpfchen hinweg gingen, wenn der Erntezeitpunkt gekommen ist. Vielleicht haben frühreif geerntete und anschließend getrocknete Erlenzäpfen eine andere Wirkung auf die Wasserchemie und besonders den pH-Wert, ähnliches kann für im Frühjahr oder Sommer geerntete gelten, doch haben wir das nie ausprobiert. Die im Handel angebotenen Erlenzäpfchen stammen jedenfalls aus Winterernten und senken den pH-Wert in weichem Wasser ab.

Wann und wozu Erlenzäpfchen?
Man kann von Erlenzäpfchen sagen: sie schaden nie und nutzen fast immer. Es empfiehlt sich deshalb, ganz grundsätzlich niedrig dosiert (wegen der Pflanzen) Erlenzäpfchen im Aquarium zu haben. Nach jedem Teilwasserwechsel dosiert man nach, 1 Zäpfchen auf 10-20 Liter Wasser. Ältere, verbrauchte Zäpfchen sehen unschön aus und sollten deshalb entfernt werden, aber das ist Geschmacksache. Schaden richten sie keinen an. Wie für alle Naturheilmitteln gilt: bei akuten Erkrankungen unterstützen sie die Heilung, ersetzen aber NICHT konventionelle Medizin! Der wichtigere Effekt ist darin zu suchen, dass Tiere und Pflanzen in Aquarien mit Naturstoffen wie Erlenzäpfchen schlicht robuster sind und somit erst gar nicht krank werden!

Frank Schäfer

Literatur:
Lagoni, N. (2003): Arzneiliche Anmerkungen zur Schwarzerle – Alnus glutinosa (L.) GAERTNER. pp. 20- 22 In: Schmidt, O. (Hrg): Beiträge zur Schwarzerle. LWF Wissen 42. Berichte der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, 77pp.


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Laub im Aquarium (Teil 5) Die Schwarzerle, der universelle Medizinbaum

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