Die meisten Menschen kennen den Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen nicht. Auf diesen Unterschied angesprochen, neigen sie dazu, folgende Antwort zu geben: Tiere bewegen sich und Pflanzen nicht! Diese Antwort ist aber leider falsch. Es gibt nämlich durchaus bewegliche, ortsverändernde Pflanzen, z. B. die Kugelalge Volvox und es gibt Tiere, die zu keiner aktiven Ortveränderung fähig sind, wie etwa Korallen, Schwämme, Röhrenwürmer oder Seepocken.
Nun gut, sagen da viele, mag sein, so mikroskopische Pflanzen vielleicht, aber richtige Pflanzen können sich doch trotzdem nicht aktiv bewegen! Stimmt nicht, das können sie sehr wohl. Manche ganz schnell, etwa die fleischfressende Pflanzen Venus-Fliegenfalle, andere machen das halt langsam. Viele Pflanzen machen Schlafbewegungen, klappen die Blätter also zum Schlafen zusammen. Das kann man sehr schön im Wald beobachten. Der Sauerklee, Oxalis acetosa, sieht zwar aus wie Klee, gehört aber, botanisch gesehen, ganz woanders hin. Klee gehört zu den Schmetterlingsblütlern, Sauerkleeblüten erinnern eher an kleine Anemonen. Abgesehen davon eignet sich der Sauerklee so gut, um die Blattbewegung zu beobachten, weil er ganzjährig grün ist. Und das ganz Jahr hindurch klappt er bei Dunkelheit die Blättchen nach unten und schläft… Ein sehr bekanntes Phänomen ist, dass sich bei tagblühenden Pflanzen – z.B. Tulpen oder Krokus – die Blüten nachts schließen. Das gibt es aber auch umgekehrt. Die nachtblühende Tigerlotus, eine tropische Seerose, die gerne im Aquarium gepflanzt wird, öffnet ihre Blüten nur nachts. Und wenn man einmal im Zeitraffer sieht, wie sich eine Rankpflanze, z.B. eine Bohne, an einem Ast hochringelt, dann bleiben keine Zweifel an der Beweglichkeit von Pflanzen.
Die berühmteste sich bewegende Pflanze ist freilich die Sinnpflanze oder Mimose (Mimosa pudica). Wenn man sie berührt oder den Tisch erschüttert, auf dem sie steht, so falten sich die Blättchen zusammen und der Blattstiel klappt nach unten. Nach einiger Zeit richtet sie sich wieder auf und die Blättchen nehmen ihre ursprüngliche Stellung wieder ein. Wie macht sie das?
Im Grunde genommen nicht viel anders als die Tiere das machen, wenn sie sich bewegen. Hier wie dort gibt es ein Eiweiß (= Protein), das unter Einsatz des universellen Energielieferanten allen Lebens, des ATP (= Adenosintriphosphat, das ist so etwas wie das Benzin der Zelle) Natrium und Kalium pumpt. Damit kann die Mimose sehr schnell den Druck in den Gelenkzellen der Blätter und Blattstiele ändern, wodurch es zu der raschen Bewegung kommt. Natürlich ist das alles viel komplizierter, als ich es hier in Ultrakurzform darstelle, aber das Prinzip stimmt.
Es macht viel Spaß Mimosen zu pflegen und die Blattbewegungen zu beobachten. Und – hurra! – kein „Tierschützer“ fängt deswegen an, moralinsauer zu brabbeln. Die gewöhnliche Mimose ist eine Landpflanze, die man am besten in einem hellen Blumenfenster pflegt. Die Luftfeuchte darf nicht zu niedrig sein, sonst bekommt die Pflanze leicht Spinnmilben-Befall. Für Terrarien-Bepflanzung kann man Mimosen natürlich auch benutzen, zumal die meisten Tiere sie nicht fressen, obwohl sie nicht giftig sind. Es halten sich aber hartnäckig Gerüchte, sie seien unverträglich und man warnt davor, dass kleine Kinder oder Haustiere davon naschen könnten. Wieviel davon moderne Großstädterhysterie ist und wieviel Wahrheit, sei einmal dahingestellt. Bei gekauften Pflanzen aus dem Blumenhandel muss man aber natürlich immer etwas vorsichtig sein, denn sie werden zu Dekorationszwecken gezüchtet und nicht zum Essen. Darum sind sie oft erheblich mit Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden belastet – beides Stoffgruppen, die nicht unbedenklich sind, wenn man sie verzehrt. Und diese Stoffgruppen sind es auch, die es zwingend erfordern, dass man Mimosen, die man gerne im Terrarium gemeinsam mit Tieren pflegen möchte, mindestens einige Wochen, besser ein halbes Jahr außerhalb des Terrariums pflegt. Erst dann kann man sich einigermaßen sicher sein, dass eventuelle Pestizide sich vollständig abgebaut oder zumindest in einen biologisch unwirksamen Bereich reduziert haben.
Erheblich bedeutsamer ist allerdings die Tatsache, dass Mimosen ziemlich unangenehme, nach hinten gekrümmte Stacheln haben. Der Einsatz von Mimosen in Terrarien mit sich schnell bewegenden oder zu Panik neigenden Tieren ist darum nicht ratsam, sie können sich an den Mimosen wie an Stacheldraht verletzen. Außerdem wird jedes Herausfangen eines Tieres aus einem mit Mimosen bepflanzten Terrarium zu einer schmerzhaften und blutigen Angelegenheit für den Pfleger.
Man kann Mimosen durch Aussaat heranziehen, wobei man die Samen vor der eigentlichen Saat 1-2 Tage in 30-40°C warmem Kamillentee vorbehandelt. Man kann sie aber auch oft im Pflanzenhandel als fertige Pflanze kaufen. Es gibt übrigens sehr viele Mimosa-Arten, im Handel ist aber nur M. pudica. In vielen Regionen der Tropen ist sie ein gefürchtetes Unkraut. Die ursprüngliche Heimat der Mimose ist das tropische Südamerika, heutzutage ist sie aber weltweit verbreitet, soweit das Klima es zulässt.
Mimosen gehören zu den Schmetterlingsblütern, sind also Verwandte der Erbsen, Bohnen und Lupinen, auch wenn man das den puscheligen, rosa Blüten nicht wirklich ansieht. Unter den Mimosen gibt es auch echte Wasserpflanzen, deren Kultur sehr spannend, aber auch ziemlich kniffelig ist. Die bekannteste – dem Namen nach – ist die Wassermimose, Neptunia oleracea. Sie ist ein flutendes Gewächs. Sie wurzelt im Boden, doch die typischen Mimosen-Blätter legen sich sich auf die Waseroberfläche. Die Wassermimose blüht gelb; wie ihre rosafarben blühende, an Land lebende Vetterin kann man sie auch bei hoher Luftfeuchte als Klettergewächs ziehen. In Thailand wird die Wassermimose als Gemüse angebaut, obwohl auch sie fiese Stacheln hat. Wie so viele Schwimmblattpflanzen ist die Wassermimose ein schwieriger Pflegling und leider auch nur sehr selten zu bekommen. Manchmal kann man Samen kaufen, den man in sehr heißem Wasser (aber nicht über 50°C, sonst gerinnt das Eiweiß und der Samen stirbt ab) vorbeizen muss, damit er keimt.
Eine Hitzebehandlung benötigen die Samen zahlreicher Pflanzen, damit sie ihre Samenruhe (Dormanz) unterbrechen. Es gibt für viele von ihnen sogar einen speziellen Fachausdruck: Pyrophyten. So nennt man Hitzekeimer immer dann, wenn für ihre Keimung zwingend ein Feuer (also ein Wald- oder Steppenbrand) mit teils sehr hohen Temperaturen nötig ist. So eine Pflanze ist z.B. die Korkeiche. Kein Waldbrand, keine Korkeichenkinder, so könnte man sagen. Wassermimosen sind m. W. keine echten Pyrophyten (obwohl es unter den Sumpfpflanzen auch so etwas gibt, etwa bei der Venus-Fliegenfalle, Dionaea muscipula), aber die notwendige Wärmebehandlung könnte erklären, warum man sie vor allem in flachen, häufiger austrocknenden Gewässern findet. Temperaturen um 50°C werden auch in den Tropen im Wasser auch bei voller Sonneneinstrahlung kaum jemals erreicht. Im Schlamm, der während des Austrocknens eines Gewässers übrigbleibt, kann dagegen an der Oberfläche schon sehr heiß werden. Den Effekt kennt jeder, der schon einmal barfuß im Hochsommer über den Strand gelaufen ist. Da wird das Laufen schnell zum Hüpfen, so heiß ist ist Sandoberfläche!
Die Kultur der Wassermimose gelingt am besten, wenn man ein ansonsten leeres Aquarium mit Gartenteicherde beschickt (etwa 5-8 cm hoch) und das ganze recht sonnig im Sommer im Garten aufstellt; eine Aquarien-Heizung, die die Wassertemperatur auf mindestens 25, besser 28-30°C hält, ist aber auch dann unabdingbar. Auch wenn es kniffelig ist, sollte man die Kultur der Wassermimose ruhig einmal versuchen, wenn man die Gelegenheit dazu bekommt.
Seit einiger Zeit ist eine weitere Art als „Wassermimose“ im Handel, bei der es sich um Aeschynomene fluitans handelt, einen aus Afrika stammenden Schmetterlingsblüter. Die Blätter dieser Pflanze reagieren genau wie die der echten Mimosen, sind aber nicht so fein gefiedert. Die Blüte ist eine typische Schmetterlingsblüte und gelb, kein Puschel wie bei Mimosa und Neptunia. Die Aeschynomene kann unter günstigen Bedingungen ordentlich wuchern und eignet sich in der warmen Jahreszeit auch für den Gartenteich. Die Gattung Aeschynomene ist ausgesprochen artenreich und es gibt einige weitere Arten, die in den Tropen kultiviert werden, etwa A. americana, die auf Sri Lanka als „Stachellose Mimose“ bekannt ist und in vielen Regionen gerne angepflanzt wird, da sie nicht nur einen hübsche Zierpflanze ist – es gibt sogar Zuchtformen davon – sondern auch ein gutes Futter-Heu ergibt. A. americana ist eine einjährige Pflanze und wächst in feuchter Umgebung, genau wie A. evenia, die jedoch ein ausdauerndes Gewächs ist. In Indien wächst A. aspera in Nassreisfeldern, A. elaphroxylon, bekannt als Balsa-Baum, stammt aus Afrika und wächst ebenfalls am Wasser. Die Indische Schampflanze, A. indica, wird oft als Gründünger angebaut, ist aber giftig. Vor Kulturversuchen dieser speziellen Art im Aquarium sei gewarnt, das Gift ist ähnlich zu Rotenon, einem extremem Fischgift. Es würde zu weit führen, hier weitere Aeschynomene-Arten aufzuzählen, aber die Gattung enthält sicher noch einige Arten, die für die Kultur in Aquarium und Paludarium interessant sind.
Es gibt also allerlei Mimosen. Und sie bewegen sich. Pflegen sie doch mal welche, das macht wirklich Spaß! Und dann meditieren Sie vielleicht auch über die alte Frage, wie sich Pflanzen und Tiere eigentlich unterscheiden und ob diese Unterschiede wirklich so gravierend sind, wie viele annehmen. Und jetzt wollen Sie doch noch eine Antwort von mir, wie sich Tiere und Pflanzen denn unterscheiden? Na gut: Pflanzenzellen haben Zellwände, Tierzellen nicht. Das war´s. Mehr für alle Pflanzen und Tiere zutreffenden sichtbare Unterschiede gibt es nicht…
Frank Schäfer
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