Teil 1: Panzerwelsschwärme – gibt es sie wirklich?
Die Panzerwelse der Gattungen Corydoras, Scleromystax, Brochis und Aspidoras werden in der aquaristischen Literatur ganz gerne pauschal als „Schwarmfische“ bezeichnet, verbunden mit der Empfehlung, immer mindestens 4-6 Exemplare gemeinsam zu pflegen. Im Aquarium schwimmen Panzerwelse aber höchstens ab und zu mal im Schwarm, sind es also wirklich Schwarmfische?
Nun, zunächst sind 4-6 Exemplare niemals ein Schwarm. Denn ein Schwarm wird in der Biologie als großer (!), meist anonymer (die einzelnen Schwarmmitglieder kennen einander also nicht) Verband von Tieren bezeichnet.
Bekannte Beispiele für Schwärme sind etwa Starenschwärme (Star, Sturnus vulgaris, ein sehr häufiger einheimischer Vogel), Bienenschwärme oder Sardinenschwärme (Sardine, Sardina pilchardus, ein Meeresfisch).
Charakteristisch für diese Schwärme ist, dass der Schwarm reagiert wie ein einziger, großer Organismus. Die Flugmanöver eines Starenschwarms oder die Schwimmmanöver eines Sardinenschwarmes sind beeindruckend! Die Erforschung der Mechanismen, wie ein solcher Schwarm funktionieren kann, ist ein faszinierendes Forschungsgebiet.
Schwärme im Aquarium?
Es gibt fast keine Fischart, die im Aquarium im Schwarm schwimmt und sich, wie oben beschrieben, verhält. Die einzige Ausnahme ist der Rotkopfsalmler (Hemigrammus bleheri). Pflegt man diese Art in ausreichend großer Stückzahl (ab 50 Exemplaren aufwärts) in einem hinreichend großen Aquarium (ab 150 cm Länge), so kann man tatsächlich – zumindest zeitweise – ein echtes Schwarmverhalten beobachten.
Alle anderen „Schwarmfische“, also die vielen Salmler, Barben, Bärblinge und auch die Panzerwelse, tun das gewöhnlich nicht. Im Gegenteil: auch wenn man 6 Panzerwelse im Aquarium hat, wird man sie nur selten dicht beieinander vorfinden. Die Tiere halten immer einen gewissen Abstand zueinander. Vor allem die sogenannten Sattelschnäuzer unter den Panzerwelsen sind fast als einzelgängerisch zu bezeichnen. Wie nennt man dieses Verhalten? Statt als „Schwarmfische“ sollte man diese Tiere eigentlich besser als „Gruppenfische“ oder als „soziale Fische“ bezeichnen. Das meint, dass Individuen der betreffenden Art in ständiger, gewöhnlich friedlicher innerartlicher Kommunikation miteinander stehen. Im Aquarium kennen sich die Tiere häufig sogar persönlich (in der Natur dürfte das kaum jemals der Fall sein). Tatsache ist, dass solche Fischarten oft verhaltensauffällig werden, wenn sie einzeln gepflegt werden, darum auch die durchaus richtige Empfehlung, sie stets im Trupp zu pflegen. Im Gegensatz hierzu gibt es aber auch viele Fischarten, die lediglich tolerant gegenüber Artgenossen sind, sie aber nicht zum allgemeinen Wohlbefinden brauchen und dann gibt es auch noch die strikten Einzelgänger, die keinen Artgenossen – außer vielleicht noch einen Geschlechtspartner, aber auch den meist nur zu Zeiten der Fortpflanzung – tolerieren.
Panzerwels-Schwärme
Es stimmt, dass etliche Corydoras-Arten in der Natur in echten Schwärmen, also Verbänden von mehreren hundert bis tausend Individuen vorkommen. Diese Arten kommen entsprechend häufig und preiswert in den Handel, denn sie sind leicht und in großer Stückzahl zu fangen.
Leider kann man das echte Schwarmverhalten aber im Aquarium auch bei diesen Arten nur wenige Tage beobachten. In dieser Zeit schwimmen sie tatsächlich wie ein einziger großer Organismus, als hätten sich die Schwarmmitglieder abgesprochen. In Wirklichkeit macht aber nur jedes Schwarmmitglied sofort nach, was der Nachbarfisch macht. Haben sich die Tiere aber erst einmal eingewöhnt und gemerkt, dass ihnen im Aquarium keinerlei ernsthafte Gefahr droht, geben sie das Schwarmverhalten sehr schnell auf. Denn der biologische Nutzen – relativer Schutz vor Fressfeinden – ist im Aquarium nicht gegeben: dort gibt es keine Fressfeinde. Nun überwiegt der Nachteil des Schwarmverhaltens, nämlich das Futter mit dem Schwarmnachbarn teilen zu müssen. Darum vereinzeln sich die Panzerwelse sehr bald und jeder geht für sich allein seinen Alltagsgeschäften nach.
Die Anwesenheit von Artgenossen hat trotzdem einen positiven Einfluss, denn sie zeigt den Panzerwelsen, dass im Bedarfsfall ja jederzeit ein Schwarm gebildet werden könnte. Das gibt den Fischen ein Gefühl von Sicherheit und erhöht somit das Wohlbefinden. Da sich die Panzerwelse dafür nicht individuell kennen müssen und aller Wahrscheinlichkeit auch nicht zählen können, genügen im Aquarium 4-6 Exemplare.
Denen begegnet der einzelne Fisch im Aquarium ausreichend oft, um das Gefühl zu bekommen, dass reichlich Artgenossen vorhanden sind. Wenn also auch die Beobachtung eines echten Schwarmverhaltens bei Panzerwelsen im Aquarium nur wenigen Menschen (meist Mitarbeitern im Großhandel, die die Fische nach dem Import betreuen) für einen recht kurzen Zeitraum vergönnt ist: es gibt sie wirklich, die Panzerwels-Schwärme!
Teil 2: Amblydoras nauticus – der Knurrende Dornwels
Dieser Dornwels gehört seit Jahrzehnten zu den am häufigsten importierten Vertretern der Familie. Allerdings ist Amblydoras nauticus seit 1950 falsch identifiziert worden, nämlich als Amblydoras hancockii; unter diesem Namen findet man die Fische in der meisten aquaristischen und wissenschaftlichen Literatur. Die Dornwelsart hancockii gibt es wirklich, es ist ein schwarzer Dornwels mit einem hellen Längsband, der heutzutage in der Gattung Platydoras steht. Es handelte sich also um eine klassische Fehlbestimmung von Amblydoras nauticus.
Amblydoras nauticus wurde 1874 aus Peru beschrieben; leider gab es von Anfang an Verwirrung um diese etwa 7-8 cm lang werdende, sehr friedliche Art. Der Erstbeschreiber Cope merkte nämlich nicht, dass sein Material zum Teil (4 von 6 Exemplaren) der von ihm selbst zwei Jahre früher (1872) beschriebenen Art Amblydoras monitor gehörte! Offenbar sind sich diese beiden Amblydoras-Arten also außerordentlich ähnlich. A. monitor hat aber eine sehr viel weitere Verbreitung: Brasilien, Kolumbien und Guyana. A. monitor wird auch etwas größer, nämlich 9 cm.
Gezüchtet wurde A. nauticus noch nicht; die Beschreibung, dieser Dornwels sei ein Schaumnestbauer, bezieht sich vermutlich auf Verwechslungen mit Callichthys callichtys. Denn der Entdecker der Art Platydoras hancockii, John Hancock, beschreibt in einer Publikation aus dem Jahr 1828, dass der Dornwels aus Demerara (Guyana) bei Austrocknung des Wohngewässers über Land wandern solle und eben auch zur Fortpflanzung ein Schaumnest baue. Beides tut Callichthys callichthys, aber keine Dornwels-Art.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle als „Amblydoras hancockii“ gehandelten Dornwelse in Wirklichkeit A. nauticus oder A. monitor sind. Die Unterscheidung der beiden Arten ist schwierig; sie kommen auch gemeinsam vor. Verlässliche Unterscheidungsmerkmale sind unseres Wissens nicht publiziert, die von Cope genannten scheinen nicht zuverlässig zu sein.
Teil 3: Trachelyopterus fisheri – der Wurzelwels
Gelegentlich wird ein sehr merkwürdiger Wels im Handel angeboten, nämlich Trachelyopterus fisheri. Ursprünglich stammt dieser „Schwemmholz-Wels“ (der englische Populärname ist „Driftwood Catfish“) aus Kolumbien, wo er im System des Rio Sucio vorkommt. Von dort gibt es nur sehr selten Importe. Nur einmal in den letzten Jahren – 2014 – hatte Aquarium Glaser ein Männchen dieser extraordinären Art als Wildfang im Stock.
Wie die Delfinwelse (Ageneiosus) entwickeln Trachelyopterus-Männchen zur Brutzeit einen riesigen Rückenflossenstachel, verdickte Oberkieferbarteln und ein penis-artiges Begattungsorgan, mit dem eine innere Befruchtung der Weibchen erfolgt. Alle diese Merkmale verschwinden zumindest bei Ageneiosus-Arten nach der Fortpflanzungszeit wieder, dann sind Männchen und Weibchen äußerlich nicht auseinanderzuhalten. Wie die Verhältnisse bei Trachelyopterus sind, ist noch unbekannt.
Interessanterweise wird diese seltene Art in Indonesien kommerziell für die Aquarienhaltung gezüchtet. Solche Nachzuchtexemplare sind inzwischen regelmäßig im Handel. Die Fische sind farblich sehr variabel, wir haben jetzt sogar einen Weißling darunter entdeckt. In der Großhandels-Anlage schwimmen diese Welse auch tagsüber aktiv herum und zwar am liebsten in engem Kontakt zu Artgenossen.
Tracheyopterus fisheri wird gewöhnlich etwa 12-15 cm lang (das größte je bekannt gewordene Exemplar hatte eine Länge von 28 cm) und ist ein friedlicher Fisch, sehr kleine Mitbewohner werden allerdings als Nahrung angesehen.
Lexikon: Trachelyopterus: bedeutet „mit extremer Flosse“. fisheri: Widmungsname für Carl G. Fisher aus Indianapolis, der eine zweite Expedition zur Typuslokalität der Art ermöglichte.
Vorschlag eines deutschen Gebrauchsnamens: Fishers Wurzelwels
Teil 4: Corydoras tukano und Corydoras desana
Die Artenvielfalt bei den Panzerwelsen lässt sich kaum noch überblicken. Zu den schönsten, noch relativ neuen Arten im Aquarium gehört Corydoras tukano aus Brasilien. Dieser ”Panda” unter den Panzerwelsen wurde nach dem Tukano-Volk benannt, auf dessen Territorium die Art lebt. Corydoras tukano ist eine kleine Art (ca. 5 cm), bei der die Männchen deutlich größere Flossen entwickeln als die Weibchen.
Der ”Langschnäuzer” zu Corydoras tukano ist eine erst kürzlich wissenschaftlich beschriebene Art: Corydoras desana. Zuvor kannte man ihn im Hobby als Corydoras sp. „Glaser“, C. sp. „Tukano Longnose“ oder C. sp. CW 11. Belegte Vorkommen gibt es bislang nur aus einem Fluss im Einzug des Rio Tiquié (der wiederum ein Zufluss des Rio Uaupés ist, der zum oberen Rio Negro-Einzug gehört). Dieser Fluss heißt Igarapé Catanha. Der Artname „desana“ bezieht sich auf eine Ethnie, die entlang dieses Flusses lebt und sprachlich und kulturell eng mit dem Volk der Tukano verwandt ist.
Streng genommen ist Corydoras desana ein Sattelschnäuzer, kein Langschnäuzer. Diese Art gehört derzeit sicherlich zu den begehrtesten Panzerwelsen überhaupt, denn sie ist im Handel extrem selten und teuer. Selbstverständlich sind diese Tiere in der Natur nicht im eigentlichen Wortsinn selten, aber sie leben einzeln und sind sehr scheu, so dass in einem Zeitraum, in dem man tausende von Corydoras tukano fangen kann, nur ein oder zwei Exemplare von C. desana ins Netz gehen. Auch Aquarium Glaser kann die Art immer nur in wenigen Exemplaren importieren …
Der Sinn dieser Mimikry – also warum völlig verschiedene Arten einander farblich nachahmen – wurde erst in jüngster Zeit geklärt. Fischfressende Vögel und Raubfische meiden Panzerwelse künftig, wenn sie die kratzigen Tiere einmal heruntergeschluckt haben (falls sie sie nicht ohnehin vorher wieder ausspucken). So profitieren auch artfremde Tiere mit sehr ähnlichem Aussehen davon, wenn ein Räuber lernt, dass ”Panzerwels” nicht schmeckt.
Es gibt ein Artenpaar in Kolumbien, dass sehr ähnlich zu den brasilianischen C. tukano und C. desana ist, nämlich Corydoras reynoldsi und dessen Langnase. Der Sattelschnäuzer ist in diesem Falle wissenschaftlich noch unbeschrieben. Ian Fuller vergab an ihn die Codenummer CW 12.
Corydoras reynoldsi gehört in die unmittelbare Verwandtschaft von C. tukano, während die beiden Langnasen am nächsten mit C. ellisae und C. septentrionalis verwandt sein dürften.
Frank Schäfer
Anzeige
Hallo Herr Schäfer,
ich bin begeisterter Leser der Aqualog News.
Die Berichte sind eine schöne Sonntagslektüre beim Frühstück.
Leider bekommen ich seit einiger Zeit den Newsletter nicht mehr per Email.
Was kann ich tun um die News wieder zu bekommen?
Mit freundlichen Grüße
Silvio Zöllner