Endlich ist das neue Bookazine (#8) erschienen und mit ihm der erste Teil der Darstellung aller afrikanischen Salmler, der u.a. alle Distichodus-Arten zeigt. Dies ist das erste Mal seit 1902, dass etwas derartiges versucht wurde. Über hundert Arten in 16 teils extrem unterschiedlich aussehenden Gattungen werden in der Familie Distichodontidae zusammengefasst, die ihren Populärnamen nach der gerade verlaufenden Seitenlinie erhalten haben. Neben idealen Aquarienfischen – klein, bunt, interessant – finden wir hier auch großwüchsige, teils langweilig gefärbte, teils aber auch prachtvolle Arten. Die meisten Distichodontidae sind Kleintier- oder Pflanzenfresser, etliche haben aber auch eine parasitische Lebensweise entwickelt und fressen Schuppen und Flossenteile anderer Fische.
Grundsätzlich kann man zwei Hauptgruppen unterscheiden, die teils auch als eigenständige Familien gesehen wurden: die “normalen” Geradsalmler mit typischer Fischgestalt und unbeweglichen Oberkiefern, die sich von Pflanzen und Kleinlebewesen ernähren, und die spindelförmigen Flossenfresser, deren Oberkiefer beweglich ist und nach oben geklappt werden kann. Letztere sind reine Fleischfresser und ernähren sich, je nach Art, von Flossenstücken, Schuppen oder ganzen Fischen. Die größte Art der Distichodontidae ist Distichodus nefasch, bei dem der Größenrekord bei 83 cm Länge liegt und die kleinste Art ist Neolebias powelli, der gewöhnlich unter 2 cm Standardlänge (also ohne Schwanzflosse) bleibt.
Anzeige
Die Gattung Distichodus Müller & Troschel, 1844
Mit derzeit 26 anerkannten Arten ist die Gattung Distichodus recht umfangreich; es ist aber ziemlich sicher, dass noch längst nicht alle existierenden Spezies erfasst sind, es gibt offenbar Artenkomplexe, die der Revision bedürfen. Aquaristisch sind nur wenige Arten bedeutsam. Teils werden sie sehr groß (es gibt allerdings auch kleinbleibende Arten), alle sind Pflanzenfresser und untereinander wie auch gegen andere Fische können sie manchmal sehr zänkisch sein. Nichts desto trotz sind viele Distichodus attraktive Fische und eine breitere aquaristische Erforschung der Gattung erscheint sehr wünschenswert, da bislang im Wesentlichen nur mit Daten aus Freilanduntersuchungen gearbeitet werden kann.
In ihrer Heimat sind Distichodus – zumindest die größeren Arten – beliebte und wichtige Speisefische, die lokal bis über 70% der angelandeten Fänge ausmachen können. Als primär herbivore Macrophytenfresser (primär : vorwiegend, hauptsächlich; herbivor: Pflanzen fressend; Macrophyten: größere Pflanzen, auch Algen, im Gegensatz zu mikroskopisch kleinen Algen) sind sie zudem hochinteressante Objekte für Aquakultur, da sie vergleichsweise wertloses Grünzeug in wertvolles Protein umwandeln können und untereinander weit weniger aggressiv sind als die derzeit hauptsächlich dafür genutzen Tilapien. Einer Aquakultur in größerem Umfang steht allerdings noch entgegen, dass es bislang noch nicht zu einer erfolgreichen Nachzucht in menschlicher Obhut kam. Die besondere Schwierigkeit liegt wohl darin, dass diese Fische ein fein aufeinander abgestimmtes Massenablaichen praktizieren, bei dem die gesamte laichfähige Population binnen weniger Stunden oder Tage zur Fortpflanzung kommt. Zumindest in Kamerun ist das mehrfach dokumentiert worden und es gibt sogar einen Begriff dafür: “dok” (Brummet & Teugels, 2003). “Dok”-Ereignisse finden im oberen Cross River und im Ntem während der langen Regenzeit im Oktober/November statt und außer verschiedenen Distichodus-Arten ist auch Labeo batesii daran beteiligt. Nach einem “dok” färbt sich das sonst klare Wasser weißlich durch die Milch der Männchen. Dies ist das Signal für die lokalen Fischer, die Laichgewässer mit Stellnetzen abzusperren, um den ausgelaichten Fischen den Weg für die Rückwanderung zu versperren und sie zu fangen. Der Laich wird nicht gesammelt und verwertet, um künftige”dok”-Ereignisse nicht zu gefährden.
Für Distichodus antonii, eine kongolesische Art, wurden zwei Peaks in der Gonadenentwicklung festgestellt, einer im April und einer im September. Die Eier sind klein und sehr zahlreich, es besteht ein Zusammenhang zwischen Eianzahl und Körpergewicht, die absoluten Eizahlen bei den untersuchten Tieren (40 Weibchen von 0,21-0,85 kg Gewicht) lag zwischen 94.000 und 344.500 Eizellen (Osombause Sango et al., 2013).
Das deckt sich im Wesentlichen mit Untersuchungen an Distichodus rostratus, die Shinkafi et al. 2013 im Fluss Rima in Nordwest-Nigeria durchführten. Sie untersuchten die Nahrung und sexuelle Reife des “grasseaters” (= Gras-Fressers), wie die Art dort genannt wird. Bei 66 untersuchten Exemplaren von 20,2 bis 46,2 cm Totallänge und 104,2 bis 846 g Gesamtgewicht, die über einen Zeitraum von Juli bis Dezember gesammelt wurde, waren 24 Weibchen und 42 Männchen. Äußere Geschlechtsunterschiede gab es nicht. Die absoluten Eizahlen betrugen hier 2.980 – 21.010, was deutlich weniger ist, als in einer ähnlichen Studie zu dieser Art, in der Berté et al. (2008) zwischen 81.048-100.747 Oozyten je Weibchen im Bandama River ermittelten. In dieser Studie war das Geschlechterverhältnis umgekehrt zu Gunsten der Weibchen (1:1,61), das kleinste sexuell aktive Männchen war 39,6 cm, das kleinste Weibchen 46,3 cm lang (jeweils Standardlänge), es wurde nur ein Peak in der Fortpflanzung festgestellt, nämlich von August bis Oktober.
Die Gattung Distichodus ist relativ leicht an der beschuppten Schwanzflosse zu identifizieren. Die Bestimmung mancher Arten kann kniffelig sein, weil die Jugendzeichnung teils erheblich von der Erwachsenenzeichnung abweicht und die Jungtiere mancher Arten einander imitieren. Es gab zahlreiche Verwechslungen in der wissenschaftlichen Literatur, erst recht in der aquaristischen. In einem der wichtigsten aquaristischen Bestimmungsbücher, dem sechsbändigen Aquarien-Atlas, sind die dort vorgestellten Arten teils völlig falsch benannt. Deshalb habe ich mich nach längerem Zögern entschlossen, im aktuellen Bookazine erstmals in der aquaristischen Literatur wirklich alle bekannten (und ein paar wissenschaftlich nicht eindeutig identifizierbare) Distichodus-Arten zu besprechen und abzubilden, auch wenn nur wenige Arten zur Zeit aquaristisch bedeutsam sind. Hier im Blog stelle ich nur die Arten vor, die im Aquarien-Atlas versehentlich falsch bezeichnet sind. Ich möchte damit keinesfalls den Aquarien-Atlas diskreditieren. Im Gegenteil, ich denke, er gehört nach wie vor zum eisernen Pflicht-Bestand jeder aquaristischen Handbibliothek.
In Band 1 sind Distichodus decemmaculatus, D. lusosso und D. sexfaciatus richtig bestimmt, der als D. fasciolatus bezeichnete Fisch ist allerdings D. antonii und der als D. affinis bezeichnete D. altus.
In Band 2 ist Distichodus rostratus als D. notospilus bezeichnet.
In Band 4 ist Distichodus engycephalus als D. rostratus bezeichnet.
In Band 6 ist Distochodus nefasch als D. engycephalus bezeichnet, der dort als D. mossambicus vorgestellte Fisch ist D. atroventralis, D. noboli ist korrekt bestimmt, D. petersii ist in Wirklichkeit D. brevipinnis und D. sp. cf. sexfasciatus eine Farbvariante von D. lusosso.
In den Bänden 3 und 5 sind keine Distichodus-Arten enthalten.
Distichodus antonii Schilthuis, 1891
Diese Art stammt aus dem Kongobecken und bildet mit D. fasciolatus Boulenger, 1898, D. langi Nichols & Griscom, 1917 und D. polli Abwe, Snoeks, Chocha Manda & Vreven, 2019 ein Artenkomplex. Die Arten sehen sich nicht nur sehr ähnlich, sondern leben auch – zumindest lokal – zusammen (syntop), worauf bei eventuellen Importen zu achten ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Arten ist die Oberkieferstruktur, was auf unterschiedliche Nahrungsnutzung der Arten hindeutet. Moelants et al. (2014) revidierten den Komplex und stellten dabei fest, dass die lange Konfusion der drei zuerst beschriebenen Arten, also D. antonii, D. fasciolatus und D. langi u.a. darauf zurückzuführen ist, dass das Typusmaterial aller drei Arten bereits aus einem Mix verschiedener Arten bestand.
Distichodus antonii unterscheidet sich von den in jugendlichen Stadien sehr ähnlich aussehenden anderen Arten durch die endständige Stellung der Mundspalte. Sämtliche mir bekannten bislang in der aquaristischen Literatur abgebildeten “D. fasciolatus” stellen tatsächlich D. antonii dar. D. antonii wird nach Boulenger gut 55 cm lang, andere Autoren geben sogar über 80 cm an, die Typuslokalität ist “Bayari Sea”, Mbutu, D. R. Kongo, eine heutzutage nicht mehr klar auszumachende Lokalität. Die Spezies besiedelt nahezu das gesamte Kongobecken, sie fehlt allerdings nach gegenwärtigem Kenntnisstand im Einzug des Luapula.
Spezielle Angaben zur Pflege im Aquarium gibt es nicht, unter der Bezeichnung “D. fasciolatus” werden Jungtiere als friedfertig geschildert, doch handelt es sich dabei kaum um ausführliche Erfahrungsberichte, sondern eher um kurzfristige Beobachtungsergebnisse an Frischimporten. Ein spezielles Farb-Merkmal, an dem man zumindest Jungtiere von D. antonii sehr gut identifizieren kann, ist die tiefschwarz gerandete, dreifarbige Fettflosse (von außen nach innen: schwarz-weiß-grau). Ab ca. 20 cm Länge beginnen die senkrechten Streifen zu verblassen, ab ca. 25 cm Länge sind gar keine eindeutigen Zeichnungsmuster mehr zu erkennen; ein rußiger, schwärzlicher Fleck oberhalb der Brustflossen scheint aber typisch für große Exemplare zu sein.
Im Freileben spielen Hühnerhirsen (Süßgräser der Gattung Echinochloa) eine entscheidende Rolle für die Existenz von D. antonii, denn sie bilden die Hauptnahrung der Art. Im Malebo Pool entwickeln die Fische sogar Jahresringe auf den Schuppen, weil in der Zeit des Niedrigwassers nicht genug Nahrung zur Verfügung steht und darum das Wachstum stagniert (Mbadu Zebe et al, 2010b). Mbadu Zebe et al. (2010a) untersuchten im Malebo Pool auch das unterschiedliche Nahrungsspektrum von drei dort syntop lebenden Distichodus-Arten, nämlich D. antonii, D. affinis und D. lusosso. Dabei stellten sie fest, dass die Nahrungspräferenz von D. antonii die Blätter und Fruchtstände der Echinochloa-Gräser sind, D. affinis eher Halme und Wurzeln dieser Gräser frisst und D. lusosso als Generalist ein breites Nahrungsspektrum nutzt, das nicht vorwiegend aus Pflanzen, sondern Detritus und tierischen Bestandteilen (Insektenlarven, Fische, Garnelen, Krabben etc.) besteht, wodurch die drei Arten, ohne in Nahrungskonkurrenz zueinander zu treten, coexistieren können.
Anzeige
Distichodus altus Boulenger, 1899
Dieser Name ist im Hobby kaum verbreitet, der Fisch hingegen schon. Bei allen rotflossigen Tieren, die ich auszählen konnte und die in der aquaristischen Literatur als D. affinis bezeichnet wurden, handelt es sich tatsächlich um D. altus; in Sterba (1959) ist D. altus korrekt bezeichnet.
Die Typuslokalität der nach 3 Exemplaren beschrieben Art sind Kutu und Utanda, Lake Leopold II (= Lac Mai Ndombe), von diesem See wurde D. altus auch schon gelegentlich gemischt zusammen mit D. noboli importiert. Darüber hinaus ist die Art wohl auch weiter im Kongo verbreitet, ungewöhnlich ist die Meldung aus dem Tschad (Port-Archambault) durch Pellegrin (1904, 1914). Seit 1904 wurde kein Exemplar dort mehr gefunden, obwohl Blache et al. (1964) danach suchten. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Verwechslung von Fundortangaben und D. altus kommt nur im Kongobeken vor.
Distichodus altus ist “der” Rotflossen-Distichodus und ein hübscher, empfehlenswerter Fisch, der rund 15 cm Länge erreicht. Man muss seine pflanzenfressenden Gewohnheiten beachten, ansonsten ist die Pflege problemlos.
Zuchtberichte sind mir nicht bekannt, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass wegen der häufigen Verwechslungen mit D. affinis die Zuchten dieser Art mit jener erfolgten.
Die Unterscheidung von D. altus und D. affinis kann mit Sicherheit nach meinen Beobachtungen nur anhand der Schuppenzahl zwischen Bauchflossenansatz und Seitenlinie erfolgen (8-9 bei D. altus, 7 bei D. affinis), aber es gibt auch Farbunterschiede. Bei D. altus sind alle Flossen (bis auf die farblosen Brustflossen) zumindest an der Basis kräftig rot, bei D. affinis manchmal nur rötlich überhaucht oder ohne jedes Rot (es gibt aber auch Populationen mit kräftig roten Flossen), und die Körpergrundfärbung ist bei D. altus bronzefarben bis bräunlich, bei D. affinis grau bis schwarz. Als recht zuverlässig hat sich die relative Position der Rücken- zur Afterflosse erwiesen. Denkt man sich eine senkrechte Linie vom Ende der Rückenflosse zur Bauchkante, so ist der Ansatz der Afterflosse bei D. altus fast an diesem Punkt (eine kleine Lücke gibt es schon), während bei D. affinis hier eine deutliche Lücke besteht, die Afterflosse also weiter hinten ansetzt. Allerdings sind alle diese Unterschiede eher subtil, eine Revision der beiden Arten erscheint wünschenswert.
Sowohl bei D. altus wie auch bei D. affinis gibt es Exemplare, die im Bereich der Körpermitte auffällige schwarze Schuppengruppen haben. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es sich dabei um ein sekundäres Geschlechtsmerkmal der Männchen handelt.
Distichodus nefasch (Bonnaterre, 1788) und D. rostratus Günther, 1864
Distichodus nefasch ist die am längsten der wissenschaft bekannte Art der Gattung, wenngleich es um Autorenschaft und korrekte Benennung einige Verwirrung gab. Lange Zeit wurde D. nefasch als D. niloticus bezeichnet, denn Bonnaterres Salmo nefasch galt als nicht verfügbarer Vernakulär-Name, was gegenwärtig anders gesehen wird; Müller & Troschel, die die Art nefasch zur Typusart ihrer Gattung Distichodus machten, wiesen die Autorenschaft von D. nefasch darum Lacepéde, 1803, zu. Nach Fricke, 2008, ist Salmo nefasch Bonnaterre aber durchaus verfügbar. Ein früher viel gebrauchtes Synonym dieser Art ist Salmo niloticus Linnaeus in Hasselquist, 1762; die Beschreibung von S. niloticus lässt auch wenig Zweifel, dass es sich dabei um D. nefasch handelt, denn zwei Indizien sind eindeutig: 1. die beschuppte Schwanzflosse und 2. dass der arabische Name “Nefasch” sei, aber das Buch von Hasselquist, F. (1762): D. Friedrich Hasselquists, der Akademien der Wissenschaften zu Stockholm und Upsala Mitglieds, Reise nach Palästina in dem Jahren von 1749 bis 1752. Auf Befehl Ihro Majestät der Königinn von Schweden herausgegeben von Carl Linnaeus. Aus dem Schwedischen [übersetzt von T. H. Gadebusch]. Johann Christian Koppem, Rostock: i-xviii + 1-606 wurde schon 1956 von der Kommision für zoologische Nomenklatur auf die Liste der verworfenen und ungültigen Werke für Zoologie gesetzt (ICZN Dir. 32 (1956). Siehe auch ICZN Opinion 57.)
Noch schwieriger als die Ermittlung des korrekten Namens ist allerdings die Ermittlung, welche Distichodus-Art sich dahinter verbirgt, denn es gibt zwei gemeinsam im nilo-sudanischen Gebiet auftretende Zwillingsarten – D. nefasch und D. rostratus – die sich kaum sauber voneinander unterscheiden lassen. Da diese Schrift hier keine wissenschaftliche Revision des Komplexes sein kann, folge ich Boulenger (1907), der als den First Reviser dieser beiden Arten Günther (1864) benennt, da er als erster eine Trennung zwischen den beiden Arten durchführte; Boulenger folgt Günther aus Gründen der Stabilität, obwohl er (Boulenger) die beiden Arten lieber anders herum definiert hätte, weil Geoffroy St. Hilaire in seinem klassischen Werk über die während Napoleons Ägypten-Feldzuges gesammelten Fische nämlich D. rostratus als D. niloticus abbildete. Wie auch immer, Boulenger bildet als D. niloticus (= D. nefasch) einen Fisch ab, der als Jungtier deutliche senkrechte Streifen, einen Humeralfleck und einen Caudalfleck hat und bei dem auch in adultem Stadium noch andeutungsweise Streifen im Schulterbereich sichtbar sind, während er als D. rostratus ein einfarbiges Tier abbildet; die meristischen Werte, nach denen sie sich unterscheiden lassen (tendenziell mehr, also kleinere Schuppen bei D. nefasch) überlappen sich, so dass im Einzelfall eine Artbestimmung danach nicht möglich ist. Für D. rostratus gibt Boulenger keine spezielle Jugendfärbung an, erwähnt aber ein farbiges Aquarell von Delhez, das dieser von einem D. rostratus (sensu Boulenger) von St. Louis, Senegal, erstellte. Dabei erscheint mir besonders erwähnenswert die rote Iris, denn die zeigt auch die Abbildung in Sandon (1950), der sich auch außer Stande sah, D. nefasch und D. rostratus im Sudan sauber voneinander zu unterscheiden. Es ist immer etwas schwierig, einen Sachverhalt nur aufgrund einer Zeichnung zu beurteilen, aber an der Zeichnung von D. rostratus in Sandon (1950) finde ich die gebänderte Anale sehr bemerkenswert.
In Nigeria kommen nach Lévêque et al (1990) drei Distichodus-Arten vor: D. rostratus, D. engycephalus und D. brevipinnis. Sie erwähnen aber, dass Holly (1928, 1930) und Blache et al. (1964) eine vierte Art aufführen, D. niloticus, für dessen Existinz in der Ober-Guinea-Region Westafrikas Lévêque et al. aber keine weiteren Belege fanden und darum annahmen, es handele sich um fehlbestimmte kleine D. brevipinnis. Importiert als Aquarienfische wurden aber schon vier deutlich unterschiedlich aussehende Distichodus-Arten aus Nigeria, von denen eine im Aquarien-Atlas Band 2 irtümlich als Distichodus notospilus bezeichnet wird. Mit dieser Art hat der “Äschen-Geradsalmler” (dieser vorgeschlagene Populärname passt sehr gut) allerding nicht einmal entfernte Ähnlichkeit. Es ist mir nicht klar, auf welchem Fehler diese völlig falsche Bestimmung beruht; es handelt sich dabei m. E. um D. rostratus, während alle in der mir bekannten Aquarienliteratur abgebildeten “D. rostratus” tatsächlich D. nefasch zeigen. Diese letztgenannte Fehleinschätzung geht auf die ausgezeichnete Abbildung von “D. rostratus” in Stiassny et al. (2007: 424) zurück, die aber de facto einen D. nefasch in Juvenilzeichnung zeigt.
Distichodus martini Steindachner, 1870 aus dem Senegal (Typuslokalität: Dagana und Podor, Senegal) wurde seit Boulenger, 1909, als Synonym zu D. rostratus geführt, es handelt sich nach meiner Argumentation hier jedoch um D. nefasch. Die Streifung ist schräg (senkrecht bei D. nefasch aus dem Niger und Nil), ansonsten spricht nichts gegen die Synonymie. In Daget et al. (1982) wird D. martini als nomen nudum, verwendet von Schilthuis, 1891: 84 angegeben. Das ist aber nicht richtig. Schilthuis identifizierte lediglich kongolesische Distichodus, die Greshoff bei Boma, unterer Kongo, und bei Kinshassa, Stanley Pool, oberer Kongo, nahe Brazzaville, gesammelt und nach Amsterdam geschickt hatte, als D. martini Steindachner. Es dürfte sich dabei um D. antonii handeln, da D. martini (egal ob diese Form, D. nefasch oder D. rostratus) im Kongo nicht vorkommt.
Die Literatur über die Ökologie und Aquarienbiologie der großwüchsigen Formen Distichodus nefasch und D. rostratus – beide werden über 60 cm lang – ist wegen der ständigen Verwechslungen und Fehl-Identifizierungen kaum auszuwerten. Immerhin könnte die Erkenntnis, dass eben doch vier Arten im Niger vorkommen, die beobachteten Größen- und Wachstumsunterschiede der Populationen von “D. rostratus” in Nigeria (Berté et al., 2008, Nwani, 2006, Shinkafi et al., 2013) erklären.
Im Nil sind die Bestände der beiden Arten offenbar stark rückläufig (Neumann et al, 2016), was von anderen Autoren mit dem Bau des Assuan-Staudammes in Verbindung gebracht wird
Überall, wo D. rostratus vorkommt (Senegal bis Tschad, Nil, Cross River), wird er befischt und die bis zu 76 cm lange und bis über 6 kg schwere Art wird auch in Aquakultur gehalten. Die dazu verwendeten Fische werden allerdings nicht gezüchtet, sondern man fängt die Jungbrut und zieht sie dann geschützt bis zur Schlachtreife auf. D. rostratus ist ein ausgeprägter Pflanzenfresser und wird in großen Teilen seines Verbreitungsgebietes “Grass-Eater” (also Grasfresser) genannt. Man bedenke bei diesen Angaben bitte immer, dass wohl häufig Verwechslungen mit D. nefasch stattfanden und stattfinden.
Im Aquarium sind Jungtiere leicht haltbar, allerdings ist eine Bepflanzung des Aquarium aussichtslos. Untereinander sind die Tiere zänkisch, was man auch daran erkennt, dass es kaum Photos von Tieren ohne leichte Flossenschäden gibt. In hinreichend großen Aquarien ist dennoch eine Gruppenhaltung möglich und empfehlenswert. Tiere dieses Komplexes werden ganz gerne in Schauaquarien gezeigt, da sie trotz ihrer schlichten Färbung imposante Gestalten sind. Im Aquarium von Bremerhaven (Klimahaus 8° Ost) waren 2017 D. rostratus zu sehen.
Distichodus engycephalus Günther, 1864
ist eine weitere nilo-sudanische Art. Typuslokalität ist der obere Nil bei Khartum, die Spezies kommt aber, genau wie D. rostratus und D. nefasch, auch im Niger-Einzug vor; das gesamte Verbreitungsgebiet umfasst den Senegal, Niger, Volta, Nil, das Tschad-Becken, den Wouri und den Cross River. Nach Daget et al. (1984) lebt sie vor allem über steinigem Boden. Vor allem als Jungtier sieht D. engycephalus D. nefasch ziemlich ähnlich. D. engycephalus wird normalerweise ca. 40 cm lang, was einer Totallänge von ca. 50 cm entspricht.
Jungtiere haben viele kleinere, etwas verwaschene Flecken am Körper und einen ausgeprägten Schwanzwurzelfleck. Letzterer verschwindet bei Exemplaren ab etwa 10 cm Länge (soweit ich das bei der sehr begrenzten Anzahl von Bildern und Tieren, die ich zu Gesicht bekam, beurteilen kann). Erwachsene D. engycephalus sind ab etwa 20 cm Länge einfarbig und mehr oder weniger silbrig-grau, wenngleich die dunklen Punkte noch durchschimmern, wie man auf dem Bild eines jung erwachsenen Tieres von einem Fischmarkt klar erkennen kann.
Distichodus touteei Pellegrin, 1906, Typuslokalität Niger River, bei Gaya, Boussa und Badjibo, Sudan, benannt zu Ehren des Sammlers Toutée, wurde bereits 1909 von Boulenger mit D. engycephalus synonymisiert. Ich habe bei der groben Examinierung der drei Syntypen, von denen besonders MNHN 1900-103 sehr gut erhalten ist, nichts gefunden, was gegen diese Synonymisierung spräche.
Njoku et al. (2009) untersuchten die Nahrungspräferenz von D. engycephalus von März 2003 bis Oktober 2004 im Lake Oguta (Süd-Nigeria) und fanden, dass Fadenalgen 31,2%, höhere Pflanzen 22%, Detritus 13%, einzellige Grünalgen 9,6%, Diatomeen 6,7%, Cyanobakterien (Blaualgen) 6% und Rotiferen 3,5% des Mageninhaltes ausmachten. D. engycephalus ist also ein herbivorer Fisch. Mir erscheint für die aquaristische Praxis der Detritus-Anteil in der Nahrung wichtig. Detritus, aquaristisch auch als Mulm bezeichnet, ist eine Masse aus verottendem pflanzlichen und tierschen Material. Er ist biologisch hochaktiv und enthält Unmengen Bakterien, Pilze und andere Destruenten. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass D. engycephalus – und wohl auch die anderen Distichodus-Arten – diesen Mulm als aktive Verdauungshilfe für das ansonsten schwer aufzuschlüsselnde pflanzliche Material in ihrer Nahrung brauchen. Stallknecht hat schon früher auf die Problematik überfilterter, übertrieben hygienischer Aquarien hingewiesen, in denen vorher problemlos seit Generationen gezüchteter Barben dahinsiechten, bis wieder etwas Mulm (also “Dreck”) im Aquarium zugelassen wurde. Von da an erholten sich die Fische und wurden wieder kräftig und gesund.
Bezüglich der Pflege kann ich kaum Angaben machen. Das fotografierte Exemplar war ein Einzeltier, das sich problemlos eingewöhnte und sich in keiner Weise auffällig verhielt.
Distichodus brevipinnis Günther, 1864
Auch die Typuslokalität dieser Art liegt bei Khartum am oberen Nil im Sudan, auch diese Art ist im Gambia, Senegal, Niger, Volta, Nil und Tschad-Becken verbreitet. Eine nennenswerte Umfärbung macht auch dieser Fisch, der ca. 59 cm lang wird, was ca. 70 cm Gesamtlänge bei bis zu 6 kg Gewicht bedeutet, durch, die Fleckung des Jugendkleides verschwindet im Alter.
D. brevipinnis ist eine pflanzenfressende Art, Details zur Autökologie sind mir – abgesehen von einigen eher allgemeinen Angaben über Wachstum und Parasitenfauna, nicht bekannt.
Das junge Exemplar, das wir hier abbilden, war ein einzelner Beifang zu D. nefasch aus Nigeria und fiel optisch wegen der gewaltigen “Goofy-Nase” sofort auf. Irgendwelche besonderen Beobachtungen konnte ich an dem Tier nicht machen.
Intertessant? Das waren nur sieben der 26 Arten. Alle finden Sie -ausführlich besprochen und bebildert – plus alle Arten von Xenocharax und der Familie Citharinidae im aktuellen Bookazine #8. Außerdem ist dort ein umfangreiches Literaturverzeichnis zu finden. Und ein ausführlicher Artikel über eine schlimme Amphibienkrankheit, den „Salamanderfresser“, der höchstwahrscheinlich mit der seit 1897 in Europa bekannten „Molchpest“ identisch ist und nicht, wie seitens der Behörden angenommen wird, erst jüngst durch Molchimporte für Terrarianer nach Europa kam. Und natürlich gibt es im Bookazine auch den beliebten und unterhaltsamen Teil „Vermischtes“, insgesamt hat das Bookazine 144 Seiten, durchwegs farbig bebildert.
Frank Schäfer
Hallo Frank,
Gratulation zu einem fantastischen Bookazine! Ich glaube, es gibt weltweit keine Arbeit, die dem interessierten Leser auch nur ansatzweise derart übersichtlich, umfassend und kompetent die faszinierende und aquaristisch leider arg vernachlässigte Familie der Distichodontidae näher bringt. Und dazu noch tolle Fotos in Hülle und Fülle! Ich kann es kaum erwarten bis der nächste Band erscheint. Kannst du dazu schon was sagen? Und wie viele Bände wird es insgesamt zu den afrikanischen Salmlern geben?
Viele Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
vielen herzlichen Dank für das Kompliment! Der ganze Verlag freut sich darüber, weil es schon ein gewisses verlegerisches Risiko bedeutet hat, so viel Raum für eine aquaristisch bislang so wenig beachtete Gattung wie Distichodus einzuräumen. Wir müssen ja auch bedenken, dass sich nun einmal nicht alle unsere Leser für Salmler interessieren.
Aus diesem Grund steht noch nicht fest, wie es exakt weitergeht. Wir wollen erst noch einige Reaktionen abwarten. Aquaristische Messen, sonst unser wichtigstes Feedback, fallen ja leider bis auf weiteres aus.
Fest steht bislang nur, dass die kommenden Teile folgende, in sich geschlossene Einheiten enthalten sollen: 1. Die kleinen Distichodontidae (Nannaethiops, Neolebias); 2. Bodensalmler (Nannocharax etc.); 3. Flossenfresser (Phago & Co.); 4. Wolfssalmler (Hydrocynus); 5. restliche Alestiadae.
Viele Grüße, bleib gesund & uns gewogen
Frank