Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (1): der Berliner Schwertträger

 

Berliner Schwertträger

Beim Berliner Schwertträger handelt es sich um eine ursprünglich durch Artkreuzung her­­vor­gebrachte Zuchtform, die später durch Verdrängungszucht dem Aussehen von Schwertträgern angeglichen wurde. Bei roten und gelben Zuchtstämmen des Platys (Xipho­phorus maculatus) treten gelegentlich als Folge einer spon­tanen Mutation schwarz­gefleckte Tiere auf. Diese Farbmutation ist geschlechtsgebunden und kommt nur bei weib­lichen Platys vor. Durch Kreuzung sol­cher schwarzgefleckter Platy­weib­chen mit roten Männchen des Schwert­trägers erhält man Hybriden, bei denen auch die Männ­chen die schwarze Fleckung tragen können. Diese Hybriden stehen, wie alle bislang bekannt gewordenen Kreuzungen verschie­dener Xiphophorus-Arten, interme­di­är zwi­schen den Elternarten. D.h., sie haben bezüg­lich des Aussehens etwas von beiden Eltern­teilen abbekommen. Die Hybrid­männchen sind größer als normale Platys, doch so hoch­rückig und gedrungen wie diese. Von dem Schwert des hellerii-Vaters ist meist kaum etwas zu erkennen. Erst durch konsequente Weiterkreuzung der schwarz­gefleckten Hybrid­­männchen auf rote Schwert­­­träger­weibchen erhielt man schließ­lich Berliner Schwertträger.

Berliner Schwertträger müssen nicht zwingend rot sein, hier ein sehr hübsches, weißes Weibchen. Gut zu sehen: die schwarzen Flecken im Rückenbereich irisieren bei typischen Berlinern.

Leider stellte man bald fest, dass gerade die schönsten Tiere mit hohem Schwarzanteil kaum lebensfähig waren, denn sie ent­wickel­ten Krebs aus den schwarzen Farb­zellen. Was schlecht für die Fische war, ist ein Segen für die Menschheit, denn mit diesen Berliner Schwert­trägern hatte man die ers­ten Mo­dell­organismen, die eine Erfor­schung von Krebserkrankungen erst mög­lich mach­ten. Unzählige an Krebs erkrankten Menschen verdanken ihre Heilung unmittelbar den Ergebnissen, die sich aus der Forschung an Berliner Schwertträger-Stämmen mit Farbkrebs ergaben.

Bei diesem Männchen ist der Schwarzanteil in der Schwanzflosse bedenklich hoch.

Züchter müssen jedoch darauf achten, keine Tiere mit zu hohem Schwarzanteil zu züch­ten, damit die Fische keinen Krebs bekommen! Das sind wir aus ethischen Gründen unseren Tieren schuldig. Um das Auftreten von Farbkrebs zu vermeiden muss man immer wieder einmal einfarbige Schwertträger einkreuzen, meist wird man dazu rote Tiere nehmen, es gibt aber auch sehr hübsche Berliner auf andersfarbigem Grund.

Leicht zu verwechseln sind Berliner Schwertträger übrigens mit Güntheri-Schwertträgern und heutzutage sind wohl auch beide Formen stark miteinander verkreuzt. Es gibt nämlich auch in freier Wildbahn schwarz gefleckte Schwertträger. Einer der berühmtesten Ichthyologen aller Zeiten, Albert Carl Ludwig Gotthilf Günther (1830-1914), hat sie 1866 als erster der Wissenschaft vorgestellt. Er hielt sie für eine Farbvariante des gewöhnlichen Schwertträgers aus dem Rio Chisoy (Einzug des Rio Usumacinta) in Guatemala. Etwas später, 1896, beschrieben David Starr Jordan und Barton Warren Evermann in ihrem Klassiker „The fishes of North and Central America“ auf der Basis der Beschreibung und Abbildungen von Günther diesen Schwertträger als eigenständige Art Xiphophorus guntheri (Achtung, sie schrieben wirklich guntheri und nicht guentheri, diese ursprüngliche Schreibweise bleibt auch für alle Zeiten gültig!). Spätere Autoren werteten aber den „guntheri“ nur als Farbvariante oder als Unterart von X. hellerii. Diese Frage ist wissenschaftlich bis heute ungeklärt, in der Aquaristik bezeichnen die Liebhaber die schwarz gepunkteten Schwertträger aber fröhlich als „Güntheris“.

Auf der Basis dieser Abbildung wurde der Xiphophorus guntheri beschrieben.

Kürzlich führte uns der Weg übrigens wieder einmal nach Berlin, es ist ja immer eine Reise wert. Und wenn ich in Berlin bin, muss ich auch in den Zoo. Berlin hat bekanntlich zwei Zoos, den ehemaligen West-Berliner Stadtzoo mit dem Aquarium und den ehemaligen Ost-Berliner Tierpark Friedrichsfelde. Beide haben ihren Reiz und Charme, ich liebe Friedrichsfelde wegen der fantastischen zoologischen Sammlung. Hier kann man z.B. im Dickhäuterhaus nicht nur Elefanten und Nashörner, sondern auch Seekühe, genauer: Amazonas-Manatis (Trichechus inunguis) bewundern, die in einem riesigen Aquarium leben. Naja, sie machen ja auch einen Haufen Dreck, da braucht man viel Wasser für die Verdünnung. In dem Manati-Becken schwimmen auch unzählige Guppys, sehr hübsche Quetzal-Buntbarsche (Vieja melanura, früher V. synspila), einige Schilderwelse und – tatah – Schwertträger! Besonders hat mich gefreut, dass ein feinsinniger Pfleger einige Berliner Schwertträger mit eingesetzt hat. Selbstverständlich ist das nicht, an jeder Ecke bekommt man solche Berliner Schwertträger nicht. Und wer das kleine Video von den Manatis (Aufnahmeort: natürlich Tierpark Berlin) genauer ansieht, der bemerkt auch, dass hier ein Berliner Männchen (es ist stets das gleiche, es ist rot und hat ein pechschwarzes Schwert) gleich drei Cameo-Auftritte hat – herrlich!

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Frank Schäfer

Weiteren Lesestoff über Lebendgebärende Zahnkarpfen finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=lebendgeb%E4rende

 


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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Ein Kommentar zu “Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (1): der Berliner Schwertträger

  1. Florian Weigl

    Wenn ich von solchen Züchtungen höre, stellt sich bei mir immer ein diffuses Gefühl des Unwohlseins ein – einerseits existiert ja offenbar ein wissenschaftlicher Nutzen, andererseits kommen dann auch Tiere dabei raus, deren Leid und Tod frühzeitiger Tod schon genetisch angelegt ist. Das erinnert mich ein bisschen an Hunde wie den überzüchteten Mops, der nicht einmal richtig atmen kann.
    Zu meinem eigenen Vergnügen in der Aquaristik sind mir jedenfalls Tiere lieb, die ihren Artgenossen in der Natur noch möglichst nahe stehen.

    Vielen Dank für diesen interessanten Artikel!

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