Wer hat Angst vorm Bösen Wolf?

In Hessen ist seit dem 9.10.2007 die private Haltung „gefährlicher Tiere“ verboten. Ausgenommen von dem Verbot sind kommerzielle Haltungen. Das Gesetz soll dem Schutz der Bevölkerung vor diesen gefährlichen Kreaturen dienen. Welche Arten unter das Haltungsverbot fallen, regelt eine Liste. Die aktuell (Stand Juli 2017) gültige Liste kann hier abgerufen werden: https://rp-darmstadt.hessen.de/sites/rp-darmstadt.hessen.de/files/Liste%20gefährlicher%20Tierarten.pdf

Exemplare dieser gefährlichen Arten, die vor dem 9.10.2007 erworben wurden, fallen unter Bestandsschutz. Das bedeutet, auch Privatpersonen dürfen die Tiere behalten, allerdings mussten sie sie bis zum 30.4.2008 bei der zuständigen Behörde, dem Re­gierungspräsidium, melden. Wichtig: auch Tiere, die schon lange meldepflichtig sind und beim Regierungspräsidium bereits ordnungsgemäß gemeldet wur­den, mussten nochmals gemeldet werden, wenn sie nun in der Kategorie „gefährliche Tiere“ eingeordnet wurden. Die Zucht mit den Tieren ist Privatpersonen jedoch verboten.

Wölfe sind keine für den Menschen gefährlichen Tiere. Mit diesem Ammen­märchen muss endlich Schluss gemacht werden!

Auf der Liste der verbotenen Arten finden sich u.a. Skorpione, Spinnen, Giftschlangen, aber auch alle Krokodilarten und groß­wüchsige Riesenschlangen. Auf den ersten Blick wirkt das Gesetz vernünftig, ja, vielleicht schon lange überfällig. Es darf sich ja auch nicht jeder einfach so eine großkalibrige Waffe kaufen. Warum also hochgiftige Schlangen oder Skorpione?

Auf den zweiten Blick bekommt die Angelegenheit jedoch einen bitteren Bei­geschmack. Wird hier nicht die jahr­zehntelange Arbeit der Tier- und Arten­schützer gnadenlos zunichte gemacht? Diese Gruppierungen kämpfen auf­opfe­rungs­voll darum, Tierarten endlich nicht mehr in die Kategorien „nützlich“ und „schädlich“ einzuordnen. Und jetzt wird in einem Gesetz wieder, wie im finsteren Mittelalter, Panik gemacht, mit Urängsten der Menschen vor dem Gefressen- oder Ge­bissen­werden gespielt. Es werden Gefahren heraufbeschworen, die überhaupt nicht existieren. Denn, um den oben aufgeführten Vergleich noch einmal zu bemühen, der einzige Zweck einer großkalibrigen Waffe besteht darin, Menschen zu töten oder zu verletzen. Hingegen spielte der Mensch in der Evolution der giftigen Schlangen und Skorpione überhaupt keine Rolle. Sie sind nicht giftig, um Menschen töten zu können, und belästigt man sie nicht, werden sie weder beißen noch stechen. Aus Unwissen­heit und Angst werden sie dennoch in ihren natürlichen Lebensräumen verfolgt und getötet und häufig an den Rand der Ausrottung gebracht. Es sind die Arten­schützer, und unter ihnen in diesem spe­zi­el­len Fall eben vor allem die privaten Tierhalter, die durch ihre Arbeit mit den Tieren helfen, diese sinn­losen Vorurteile ab­zu­­bau­en und die Arten wenig­stens in mensch­licher Ob­hut vor dem Aus­ster­ben zu bewah­ren. Und nun solch ein Gesetz.

Androctonus australis – im Bild ein Exemplar aus Ägypten – gehört zu den giftigsten Skorpionsarten überhaupt. Seine Haltung ist Privatpersonen in Hessen verboten. Zu Unfällen kommt es jedoch nur in den Heimatländern der Skorpione, wenn die nachtaktiven Tiere auf der Suche nach einem Tagesversteck in Schuhe oder Schlafsäcke kriechen. Kein Androctonus würde jemals aus Bosheit einem Menschen verletzen!

Dies lässt das Gesetz beim dritten Blick in noch schlechterem Licht er­schei­nen. Wird hier etwa ein ganz anderes Ziel ver­folgt? Möchte man eine engagierte Minderheit ohne Lobby, nämlich die privaten Halter und Züchter von Giftschlangen, Spinnen und Skorpionen, aus populistischer Kal­kül heraus einem mediengeilen Mob zum Fraß vorwerfen? Dieser Eindruck drängt sich auf, studiert man die Liste der verbotenen Arten noch einmal genauer. Taucht dort doch tatsächlich sogar ein Frosch auf, nämlich Phyllobates terribilis, eine Pfeil­gift­froschart. Sicherlich kann dieses Tier, wie viele andere Pfeilgiftfrösche auch (die übri­gens in der Liste nicht aufgeführt sind), in Stress-Situationen ein hochpotentes Gift in seiner Haut entwickeln. Um jedoch eine Vergiftung beim Menschen hervorzurufen, muss dieses Gift erst einmal in den Blutkreislauf gelangen. Wie soll das ein kaum 5 cm großes Fröschlein, das weder über Zähne, noch über Krallen, noch über sonst irgendwelche anatomische Strukturen verfügt, die die menschliche Haut verletzen könnten, denn bewerkstelligen?

Es ist völlig unbestritten, dass Phyllobates terribilis über ein sehr starkes Haut­gift verfügt. Er setzt es jedoch nicht aktiv und schon gleich gar nicht gegen Menschen ein. Seine Zucht im Terrarium dient der Arterhaltung und ist Privatpersonen in Hessen verboten, es sei denn, sie stammen „aus nachweislich verlässlichen Nachzuchten“ – was auch immer damit gemeint sein mag.

Liest man die Liste weiter, entpuppt sich das Gesetz vollends als Farce. Wer, um Himmels willen, hat die denn zusammengestellt und mit welchen Quellen als wissenschaftlicher Grundlage? Offenbar wurde da neben der „Sendung mit der Maus“ und dem Hand­buch des Fähnleins Fieselschweif (woher sonst sollte ein offenbar zoologischer Laie die Information haben, dass Phyllobates terribilis ein starkes Hautgift hat) nur noch die Märchensammlung der Gebrüder Grimm und die Erstausgabe von Brehms Tierleben be­müht. Findet sich doch auf der Liste tatsächlich der (böse) Wolf! Dabei ist Canis lupus eine unter höchstem Artenschutz ste­hen­de Spezies, deren private Haltung – wenn überhaupt – seit 1980 auch nach bisheriger Gesetzes­lage nur unter strengsten behördlichen Auf­lagen möglich war. Eine Gefahr für die Bevöl­kerung durch privat gehaltene Wölfe be­stand und besteht nicht! Alle anderen Hun­de­artigen sind nicht auf der Liste. Ebenso fehlen die Hyänen. Dafür wird eine Anzahl Großkatzen-Arten aufgeführt, das gefähr­lichste aller Wildtiere jedoch, dem jährlich Menschen durch unprovozierte Angiffe zum Opfer fallen, nämlich das Flusspferd, fehlt auf der Liste. Das klang wohl nicht gefährlich ge­nug. Dafür sah der für die Liste Verant­wort­liche aber fern. Denn alle Bären sind jetzt auch verboten – Bruno sei Dank.

Flusspferde verursachen unter allen Großtieren Afrikas die meisten tödlichen Angriffe auf Menschen. In Hessen gelten sie aber von Amts wegen nicht als gefährlich.

Da die kommerzielle Zucht aller „gefährlicher“ Arten nach wie vor erlaubt ist, müssen Terrarianer nicht befürchten, ihre kostbaren Zuchtgruppen möglicherweise nicht ersetzbarer Exemplare auflösen zu müssen. Wer es nicht aus steuer­lichen Gründen ohnehin schon tut, braucht die Zucht nur als Gewerbe anzumelden und ist aus dem Schneider. Doch liest man die Liste der „gefährlichen Tiere“ mit leichtem Kopfschütteln noch ein letztes Mal, ist es kaum zu vermeiden, dass es einem eiskalt den Rücken herunter läuft. Nicht wegen der „gefährlichen Tiere“. Aber das gleiche Ministerium, das diese unsägliche Liste zu verantworten hat, ist auch für die Reaktor­sicherheit von Kernkraftwerken zuständig. Da kann man nur beten, dass die Sachbear­beiter dort kompetenter sind und ihre Vorschriften nicht anhand der Gebrauchs­anweisung eines Märklin-Metall-Baukastens erlassen!

Auf dem obigen Bild sehen Sie das gefährlichste Gifttier der Welt, dem alljährlich mehr Menschen zum Opfer fallen, als allen Giftschlangen, Spinnen, Skorpionen und sonstigen Gifttieren zusammen genommen: die Honigbiene. Trotzdem käme niemals jemand auf den Gedanken, die Imkerei zu verbieten, die nichts anderes ist als ”die private Haltung für den Menschen gefährlicher Wildtiere”!

Frank Schäfer


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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