Land- und Wasser-Mimosen – Pflanzen, die sich bewegen

Die meisten Menschen kennen den Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen nicht. Auf diesen Unterschied angesprochen, neigen sie dazu, folgende Antwort zu geben: Tiere bewegen sich und Pflanzen nicht! Diese Antwort ist aber leider falsch. Es gibt nämlich durchaus bewegliche, ortsverändernde Pflanzen, z. B. die Kugelalge Volvox und es gibt Tiere, die zu keiner aktiven Ortveränderung fähig sind, wie etwa Korallen, Schwämme, Röhrenwürmer oder Seepocken.

Laub von Mimosa pudica, der Sinnpflanze

Nun gut, sagen da viele, mag sein, so mikroskopische Pflanzen vielleicht, aber richtige Pflanzen können sich doch trotzdem nicht aktiv bewegen! Stimmt nicht, das können sie sehr wohl. Manche ganz schnell, etwa die fleischfressende Pflanzen Venus-Fliegenfalle, andere machen das halt langsam. Viele Pflanzen machen Schlafbewegungen, klappen die Blätter also zum Schlafen zusammen. Das kann man sehr schön im Wald beobachten. Der Sauerklee, Oxalis acetosa, sieht zwar aus wie Klee, gehört aber, botanisch gesehen, ganz woanders hin. Klee gehört zu den Schmetterlingsblütlern, Sauerkleeblüten erinnern eher an kleine Anemonen. Abgesehen davon eignet sich der Sauerklee so gut, um die Blattbewegung zu beobachten, weil er ganzjährig grün ist. Und das ganz Jahr hindurch klappt er bei Dunkelheit die Blättchen nach unten und schläft… Ein sehr bekanntes Phänomen ist, dass sich bei tagblühenden Pflanzen – z.B. Tulpen oder Krokus – die Blüten nachts schließen. Das gibt es aber auch umgekehrt. Die nachtblühende Tigerlotus, eine tropische Seerose, die gerne im Aquarium gepflanzt wird, öffnet ihre Blüten nur nachts. Und wenn man einmal im Zeitraffer sieht, wie sich eine Rankpflanze, z.B. eine Bohne, an einem Ast hochringelt, dann bleiben keine Zweifel an der Beweglichkeit von Pflanzen.

Die gewöhnliche Mimose ist eine Landpflanze und blüht in rosa Puscheln.

Die berühmteste sich bewegende Pflanze ist freilich die Sinnpflanze oder Mimose (Mimosa pudica). Wenn man sie berührt oder den Tisch erschüttert, auf dem sie steht, so falten sich die Blättchen zusammen und der Blattstiel klappt nach unten. Nach einiger Zeit richtet sie sich wieder auf und die Blättchen nehmen ihre ursprüngliche Stellung wieder ein. Wie macht sie das?

Blühender Trieb von Mimosa pudica

Im Grunde genommen nicht viel anders als die Tiere das machen, wenn sie sich bewegen. Hier wie dort gibt es ein Eiweiß (= Protein), das unter Einsatz des universellen Energielieferanten allen Lebens, des ATP (= Adenosintriphosphat, das ist so etwas wie das Benzin der Zelle) Natrium und Kalium pumpt. Damit kann die Mimose sehr schnell den Druck in den Gelenkzellen der Blätter und Blattstiele ändern, wodurch es zu der raschen Bewegung kommt. Natürlich ist das alles viel komplizierter, als ich es hier in Ultrakurzform darstelle, aber das Prinzip stimmt.

Fruchtstand der gewöhnlichen Mimose.

Es macht viel Spaß Mimosen zu pflegen und die Blattbewegungen zu beobachten. Und – hurra! – kein „Tierschützer“ fängt deswegen an, moralinsauer zu brabbeln. Die gewöhnliche Mimose ist eine Landpflanze, die man am besten in einem hellen Blumenfenster pflegt. Die Luftfeuchte darf nicht zu niedrig sein, sonst bekommt die Pflanze leicht Spinnmilben-Befall. Für Terrarien-Bepflanzung kann man Mimosen natürlich auch benutzen, zumal die meisten Tiere sie nicht fressen, obwohl sie nicht giftig sind. Es halten sich aber hartnäckig Gerüchte, sie seien unverträglich und man warnt davor, dass kleine Kinder oder Haustiere davon naschen könnten. Wieviel davon moderne Großstädterhysterie ist und wieviel Wahrheit, sei einmal dahingestellt. Bei gekauften Pflanzen aus dem Blumenhandel muss man aber natürlich immer etwas vorsichtig sein, denn sie werden zu Dekorationszwecken gezüchtet und nicht zum Essen. Darum sind sie oft erheblich mit Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden belastet – beides Stoffgruppen, die nicht unbedenklich sind, wenn man sie verzehrt. Und diese Stoffgruppen sind es auch, die es zwingend erfordern, dass man Mimosen, die man gerne im Terrarium gemeinsam mit Tieren pflegen möchte, mindestens einige Wochen, besser ein halbes Jahr außerhalb des Terrariums pflegt. Erst dann kann man sich einigermaßen sicher sein, dass eventuelle Pestizide sich vollständig abgebaut oder zumindest in einen biologisch unwirksamen Bereich reduziert haben.

Erheblich bedeutsamer ist allerdings die Tatsache, dass Mimosen ziemlich unangenehme, nach hinten gekrümmte Stacheln haben. Der Einsatz von Mimosen in Terrarien mit sich schnell bewegenden oder zu Panik neigenden Tieren ist darum nicht ratsam, sie können sich an den Mimosen wie an Stacheldraht verletzen. Außerdem wird jedes Herausfangen eines Tieres aus einem mit Mimosen bepflanzten Terrarium zu einer schmerzhaften und blutigen Angelegenheit für den Pfleger.

Man kann Mimosen durch Aussaat heranziehen, wobei man die Samen vor der eigentlichen Saat 1-2 Tage in 30-40°C warmem Kamillentee vorbehandelt. Man kann sie aber auch oft im Pflanzenhandel als fertige Pflanze kaufen. Es gibt übrigens sehr viele Mimosa-Arten, im Handel ist aber nur M. pudica. In vielen Regionen der Tropen ist sie ein gefürchtetes Unkraut. Die ursprüngliche Heimat der Mimose ist das tropische Südamerika, heutzutage ist sie aber weltweit verbreitet, soweit das Klima es zulässt.

Blühende Wasser-Mimose, Neptunia oleracea

Mimosen gehören zu den Schmetterlingsblütern, sind also Verwandte der Erbsen, Bohnen und Lupinen, auch wenn man das den puscheligen, rosa Blüten nicht wirklich ansieht. Unter den Mimosen gibt es auch echte Wasserpflanzen, deren Kultur sehr spannend, aber auch ziemlich kniffelig ist. Die bekannteste – dem Namen nach – ist die Wassermimose, Neptunia oleracea. Sie ist ein flutendes Gewächs. Sie wurzelt im Boden, doch die typischen Mimosen-Blätter legen sich sich auf die Waseroberfläche. Die Wassermimose blüht gelb; wie ihre rosafarben blühende, an Land lebende Vetterin kann man sie auch bei hoher Luftfeuchte als Klettergewächs ziehen. In Thailand wird die Wassermimose als Gemüse angebaut, obwohl auch sie fiese Stacheln hat. Wie so viele Schwimmblattpflanzen ist die Wassermimose ein schwieriger Pflegling und leider auch nur sehr selten zu bekommen. Manchmal kann man Samen kaufen, den man in sehr heißem Wasser (aber nicht über 50°C, sonst gerinnt das Eiweiß und der Samen stirbt ab) vorbeizen muss, damit er keimt.

Eine Hitzebehandlung benötigen die Samen zahlreicher Pflanzen, damit sie ihre Samenruhe (Dormanz) unterbrechen. Es gibt für viele von ihnen sogar einen speziellen Fachausdruck: Pyrophyten. So nennt man Hitzekeimer immer dann, wenn für ihre Keimung zwingend ein Feuer (also ein Wald- oder Steppenbrand) mit teils sehr hohen Temperaturen nötig ist. So eine Pflanze ist z.B. die Korkeiche. Kein Waldbrand, keine Korkeichenkinder, so könnte man sagen. Wassermimosen sind m. W. keine echten Pyrophyten (obwohl es unter den Sumpfpflanzen auch so etwas gibt, etwa bei der Venus-Fliegenfalle, Dionaea muscipula), aber die notwendige Wärmebehandlung könnte erklären, warum man sie vor allem in flachen, häufiger austrocknenden Gewässern findet. Temperaturen um 50°C werden auch in den Tropen im Wasser auch bei voller Sonneneinstrahlung kaum jemals erreicht. Im Schlamm, der während des Austrocknens eines Gewässers übrigbleibt, kann dagegen an der Oberfläche schon sehr heiß werden. Den Effekt kennt jeder, der schon einmal barfuß im Hochsommer über den Strand gelaufen ist. Da wird das Laufen schnell zum Hüpfen, so heiß ist ist Sandoberfläche!

Die Kultur der Wassermimose gelingt am besten, wenn man ein ansonsten leeres Aquarium mit Gartenteicherde beschickt (etwa 5-8 cm hoch) und das ganze recht sonnig im Sommer im Garten aufstellt; eine Aquarien-Heizung, die die Wassertemperatur auf mindestens 25, besser 28-30°C hält, ist aber auch dann unabdingbar. Auch wenn es kniffelig ist, sollte man die Kultur der Wassermimose ruhig einmal versuchen, wenn man die Gelegenheit dazu bekommt.

Die Fruchtstände der Wasser-Mimose ähneln stark Erbsenschoten.

Seit einiger Zeit ist eine weitere Art als „Wassermimose“ im Handel, bei der es sich um Aeschynomene fluitans handelt, einen aus Afrika stammenden Schmetterlingsblüter. Die Blätter dieser Pflanze reagieren genau wie die der echten Mimosen, sind aber nicht so fein gefiedert. Die Blüte ist eine typische Schmetterlingsblüte und gelb, kein Puschel wie bei Mimosa und Neptunia. Die Aeschynomene kann unter günstigen Bedingungen ordentlich wuchern und eignet sich in der warmen Jahreszeit auch für den Gartenteich. Die Gattung Aeschynomene ist ausgesprochen artenreich und es gibt einige weitere Arten, die in den Tropen kultiviert werden, etwa A. americana, die auf Sri Lanka als „Stachellose Mimose“ bekannt ist und in vielen Regionen gerne angepflanzt wird, da sie nicht nur einen hübsche Zierpflanze ist – es gibt sogar Zuchtformen davon – sondern auch ein gutes Futter-Heu ergibt. A. americana ist eine einjährige Pflanze und wächst in feuchter Umgebung, genau wie A. evenia, die jedoch ein ausdauerndes Gewächs ist. In Indien wächst A. aspera in Nassreisfeldern, A. elaphroxylon, bekannt als Balsa-Baum, stammt aus Afrika und wächst ebenfalls am Wasser. Die Indische Schampflanze, A. indica, wird oft als Gründünger angebaut, ist aber giftig. Vor Kulturversuchen dieser speziellen Art im Aquarium sei gewarnt, das Gift ist ähnlich zu Rotenon, einem extremem Fischgift. Es würde zu weit führen, hier weitere Aeschynomene-Arten aufzuzählen, aber die Gattung enthält sicher noch einige Arten, die für die Kultur in Aquarium und Paludarium interessant sind.

Aeschynomene fluitans wird als Wassermimose oder auch Giant sensitive fern verkauft, obwohl die Pflanze mit Farnen nicht einmal weitläufig verwandt ist.

Es gibt also allerlei Mimosen. Und sie bewegen sich. Pflegen sie doch mal welche, das macht wirklich Spaß! Und dann meditieren Sie vielleicht auch über die alte Frage, wie sich Pflanzen und Tiere eigentlich unterscheiden und ob diese Unterschiede wirklich so gravierend sind, wie viele annehmen. Und jetzt wollen Sie doch noch eine Antwort von mir, wie sich Tiere und Pflanzen denn unterscheiden? Na gut: Pflanzenzellen haben Zellwände, Tierzellen nicht. Das war´s. Mehr für alle Pflanzen und Tiere zutreffenden sichtbare Unterschiede gibt es nicht…

Frank Schäfer


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Von Bitterlingen und Muscheln (Teil 2)

Im ersten Teil (https://www.aqualog.de/blog/bitterlinge-und-muscheln-faszinierende-eierverstecker-und-ihre-wirte-1/) ging es um die Fische. Nun sollen ihre Wirtstiere genauer betrachtet werden.

Teil 2: Muscheln

Dies ist gewöhnlich alles, was man von Muscheln im Aquarium sieht: die gefranste Einströmöffnung und die glattrandige Auströmöffnung. Die Muschel vegräbt sich so weit wie möglich im Boden.

Zur Zucht von Bitterlingen braucht man Muscheln. Die Art der Muschel ist den Bitterlingen grundsätzlich egal, sie nehmen an, was da ist. Gewöhnlich ziehen sie Großmuscheln, die so genannten Najaden, Kleinmuscheln (bei uns kommen davon Wandermuscheln und Körbchenmuscheln in Frage) vor. Aber es wurde schon mehrfach gezeigt, dass etwa Rhodeus amarus auch mit Wandermuscheln (Dreissena) notfalls vorlieb nehmen kann. Ganz ohne Muscheln geht es aber gar nicht. 

Die Wandermuschel begann, nachdem sie bis ins 18. Jahrhundert in Europa fast verschwunden war, sich mit dem zunehmendem Schiffsverkehr vom Schwarzen Meer aus massiv auszubreiten. Heute gibt es Populationen mit bis zu 100.000 Exemplaren pro m2! Sie gräbt sich nicht ein, sondern heftet sich mit so genannten Byssus-Fäden an festen Gegenständen an.

Körbchenmuscheln (Corbicula) werden ab und zu für den Aquarienhandel importiert, so wie diese Tiere aus Thailand. Sie gelten in der EU (und andernorts auf der Welt) als invasiv.

Alle einheimischen Großmuscheln außer der als invasiv eingestuften Sinanodonta woodiana stehen unter Naturschutz und dürfen nicht aus der Natur gesammelt werden, Wandermuscheln und Körbchenmuscheln aber schon. Wandermuscheln produzieren freischwimmende Larven, so genannte Veliger; sie sind keine Parasiten, sondern lassen sich nach einer gewissen Zeit irgendwo nieder und führend von da an ein sesshaftes Leben. Die aus Asien stammenden, bei uns ebenfalls als invasiv eingestuften Körbchenmuscheln (Corbicula) macht es ganz ähnlich; auch ihre Larven sind freischwimmend und keine Parasiten. Körbchenmuscheln sind bei uns übrigens meistens simultane Zwitter. Das bedeutet, ein und das selbe Tier produziert Eier und Spermien und befruchten sich selbst. Eine einzelne Körbchenmuschel ist somit bereits ein Zuchtpaar.

Die einheimischen Teichmuscheln (Anodonta) und die aus Asien in den 1960er Jahren mit Besatzfischen eingeschleppte Sinanodonta woodiana sind nur sehr schwer zu unterscheiden. Selbst Experten können sich ohne DNS-Analysen nie ganz sicher sein. Aber die Schalenform und die Skulptur des Wirbels (das ist die Stelle, an der die beiden Schalenhälften der Muschel zusammentreffen) geben sehr brauchbare Hinweise. Die oberen vier Muscheln auf diesem Bild sind Sinanodonta woodiana, die unteren vier Anodonta anatina.

Oben: Wirbelstruktur bei Anodonta, unten bei Sinanodonta

Die heimischen Großmuscheln sind allesamt Parasiten, wenn sie sich vermehren. Ihre Larven, man nennt sie Glochidien, befallen Fische. Ein solches Glochidium wird von Gewebe überwuchert und sieht dann, wenn sie sich auf dem Körper oder an Flossen befindet, einem Ichthyophthirius-Punkt nicht unähnlich. Der Sinn dieses Parasitismus besteht darin, gegen die Strömung flußaufwärts zu gelangen. Als praktisch unbewegliche Tiere würde alle Najaden sonst im Laufe der Jahrhunderte immer weiter Richtung Meer gelangen und irgendwann im Süßwasser aussterben. Fische wandern hauptsächlich während der Fortpflanzungszeit stromaufwärts. Darum ist jede Muschelart auf bestimmte Fischarten angewiesen, die in dem von der Muschel bewohnten Gewässer vorkommen.

Goldfisch mit starker Glochidiose durch Anaodonta anatina.

Najaden sind getrennt geschlechtlich, es gibt also Männchen und Weibchen, die sich äußerlich nicht unterscheiden lassen. Zur Befruchtung geben die Männchen ihre Spermien einfach ins Wasser ab, die Weibchen strudeln sie ein und das war es.

Jede Najadengattung bedient sich einer anderen Strategie bei der Fortpflanzung. 

Flussperlmuschel, Margaritifera margaritifera, aus Iconographie der Land- und Süßwassermollusken
von Emil Adolf Roßmäßler, Dresden und Leipzig, 1836, 1837

Die bei uns leider durch Lebensraumzerstörung so gut wie ausgestorbene Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) stößt riesige Mengen winziger Glochidien aus. Die müssen durch das Atemwasser in die Kiemen von Bachforellen (Salmo trutta forma fario) gelangen, dem einzigen perfekt geeigneten Wirt. Karpfenfische eignen sich nicht als Wirt für Flussperlmuscheln. Flussperlmuscheln haben ein weiteres Problem; Fische werden nach mehrmaligem Befall mit Glochdien immun und stoßen sie dann ab, bevor sich die Glochidien entwickeln können. Es müssen also nicht nur spezifische Bachforellen sein (es handelt sich bei den Bachforellen um eine Tierart mit unzähligen, genetisch verschiedenen Standortformen),  sondern diese Bachforellen müssen auch noch selbsttätig reproduzieren, damit es immer wieder noch nicht immunisierte Wirtsfische gibt. Hierzulande gibt es kaum noch Gewässer, in denen nicht irgendwelcher Fischbesatz vorgenommen wird; darum sieht es für Flussperlmuscheln bei uns sehr düster aus.

Unio pictorum, die Malermuschel.

Die Lieblingsmuscheln der bei uns heimischen Bitterlinge sind Malermuscheln der Gattung Unio, von der es drei Arten bei uns gibt: Unio crassus, U. pictorum und U. tumidus. Zusätzlich ist in jüngster Zeit Unio mancus aus Südeuropa über den Rhein-Rhone-Kanal bei uns eingewandert und in Ausbreitung begriffen. Die Unio-Arten werden auch als Flussmuscheln bezeichnet. Sie geben ihre Glochidien in Form von wurstartigen Paketen ab. Sie parasitieren an den Kiemen von Karpfenfischen, besonders gut eignen sich aufgrund ihrer Ernährungsweise und ihres Wanderverhaltens der Gründling (Gobio gobio) und die Barbe (Barbus barbus). Die Fische infizieren sich, indem sie beim Gründeln die Glochidienpakete als potentielles Futter aufnehmen. Wie man leicht im Aquarium beobachten kann, stoßen die Fische beim gründeln nicht verwertbare Bestandteile (hauptsächlich Sand) durch die Kiemen aus. So infizieren sie sich mit den Glochidien der Flussmuscheln. Während die Eigentliche Malermuschel (Unio pictorum) häufig ist, sind U. crassus und U. tumidus in Deutschland sehr gefährdet.

Ganz oben eine Totalaufnahme eines Gründlings, Gobio gobio, darunter das Portrait eines Gründlings mit Kiemen-Glochidiose durch Unio pictorum. Die Glochidien stellen sich als helle Punkte in der unteren Hälfte des Kiemenbogens dar.

Die dritte bei uns vorkommende Najadengattung ist Anodonta, die als einzige auch häufig in Teichen vorkommt und darum als Teichmuschel bezeichnet wird. Es gibt zwei Arten, die Gemeine Teichmuschel A. anatina und die Große Teichmuschel A. cygnea. Die Teichmuscheln kann man als einzige heimische Arten im Zoohandel kaufen. Diese Exemplare stammen aus Fischzuchtbetrieben in Osteuropa, meist aus Ungarn. Man darf sie auf gar keinen Fall aussetzen! Man muss es an dieser Stelle wiederholen: es geht beim Artenschutz bei Kleintieren nicht um das Individuum! Darum gefährdet weder das Sammeln zu Haltungszwecken irgendwelche Arten, noch kann das Aussetzen oder “Wiederansiedeln” bedrohter Arten zum Artenschutz beitragen. Beides ist aus wissenschaftlicher Sicht kompletter Unsinn! Besonders das Aussetzen und “Wiederansiedeln” richtet in 99,99% aller Fälle erheblich mehr Schaden als Nutzen an!

Anodonta anatina, die Gewöhnliche Teichmuschel

Teichmuscheln haben eine weitere Fortpflanzungs-Strategie, die von der der Flussperlmuscheln und der Fluss- oder Malermuscheln erheblich abweicht. Die Glochidien der Teichmuscheln sind mit Fäden miteinander verbunden. Nach dem Ausstoßen der Glochidien bildet sich eine Art Spinnennetz aus den Fäden. Die Infektion des Wirtsfisches erfolgt, indem der Fisch durch ein solches Spinnennetz schwimmt. Dabei heften sich die Glochidien am Körper oder – das ist die häufigste Infektionsform – an den Flossen an. Kiemeninfektionen kommen bei Anodonta kaum vor. Als Wirtfische dienen alle möglichen Arten, Teichmuscheln sind wenig wirtsspezifisch, wenngleich diesbezüglich Unterschiede in verschiedenen Populationen bestehen.

Anodonta cygnea, die Große Teichmuschel

Es gibt noch eine weitere heimische Najade, die Schwanenmuschel Pseudanodonta complanata. Über sie ist so wenig bekannt, dass man über ihre Reproduktionsstrategie nichts genaues weiß. Interessant ist, dass die Glochidien – im Gegensatz zu Anodonta – keine Haken an den Schalenenden haben; es ist also fraglich, wie sie eigentlich an den Wirt kommen. Als Wirtarten gelten die heimischen Barsche und Stichlinge; der Infektionsweg ist unbekannt. Die Schwanenmuschel wurde übrigens vom Vater der deutschen Aquarienkunde, Emil Adolf Rossmäßler entdeckt und 1835 wissenschaftlich beschrieben. 

Schwanenmuschel, Pseudanodonta complanata. Aus Iconographie der Land- und Süßwassermollusken von Emil Adolf Roßmäßler, Dresden und Leipzig, 1836, 1837

Wenngleich Muscheln nur für Spezialisten geeignete Pflegeobjekte im Aquarium darstellen, könnte man viele der für den Artenschutz so dringend benötigten Daten durch die Beobachtung im Aquarium erheben und  z.B. das Rätsel um die Fortpflanzung der hochgradig gefährdeten Pseudanodonta complanata klären. Viele der hier dargestellten Beobachtungen zu den Fortpflanzungsstrategien der Großmuscheln machte ich übrigens bei meiner Diplomarbeit 1989, bei der ich die Wirtspezifität von Anodonta-Glochidien untersuchte.

Wenn man Teichmuscheln im Zoofachhandel kauft, so besteht die große Wahrscheinlichkeit, eine aus Asien stammende Art zu erwischen, die inzwischen europaweit verbreitet ist: Sinanodonta woodiana. Diese Art wurde als Glochidium in den 1960er Jahren mit Graskarpfen (Ctenopharyngodon idella) und Silberkarpfen (Hypophthalmichthys molitrix) eingeschleppt. Diese beiden Karpfenfische wurden bis in die späten 1970er Jahre überall in Europa gezielt angesiedelt, denn sie ernähren sich von Algen und Pflanzen, der Graskarpfen von so genannten Makrophyten, also höheren Pflanzen und Fadenalgen, der Silberkarpfen siebt Mikroalgen aus dem Wasser. In den 1970ern war es durch die Überdüngung der Gewässer mit Phosphaten aus den Waschmitteln zu einem explosiven Algen- und Pflanzenwachstum gekommen, das alles Leben im Wasser zu ersticken drohte. 

Graskarpfen, Ctenopharyngodon idella, oben Wildform, darunter Albino-Zuchtform.

Silberkarpfen, Hypophthalmichthys molitrix

Warum die Chinesische Teichmuschel (Sinanodonta woodiana) sich so rasant in Europa ausbreitet und nun zu einem zusätzlichen Gefährdungsfaktor für die ohnehin schon ums Überleben kämpfenden heimischen Muschelarten geworden ist, ist völlig unverstanden. Was man weiß ist, dass die Chinesische Teichmuschel kürzer lebt, schneller wächst und sich früher und wohl auch unspezifischer fortpflanzt. Die heimischen Muschelarten leben gewöhnlich 20-30 Jahre, die Flussperlmuschel sogar weit über 100 Jahre, S. woodiana aber nur 6-8 Jahre. Dabei setzt sie ordentlich an, denn sie gehört zu den größten Muschelarten, die man bei uns antreffen kann. Die Fortpflanzungsstrategie der Chinesischen Teichmuschel ist identisch mit der der heimischen Teichmuschel, sie macht also ein Glochidien-Netz und befällt vornehmlich Flossen und ein wenig den Körper des Wirtsfisches.

Sinanodonta woodiana beim Ausstoßen der Glochidien.

Glochidien der asiatischen Teichmuschel.

Sinanodonta woodiana in verschiedenen Größen.

Unsere Naturschutzbehörden geben in jüngster Zeit  die Dramaqueen wegen der Chinesischen Teichmuscheln und machen einen Mordsstress, wo sie im Zoofachhandel auftaucht. Muscheln sind nicht leicht zu bestimmen. Es ist im Grunde genommen auch vollkommen gleichgültig, welche Art im Handel erscheint, denn sie sind ausschließlich zum Besatz von Aquarien und Teichen bestimmt. Weder wird eine gefährdete heimische Art seltener, wenn Teichwirtschaften in Osteuropa ihre Teichnachzuchten vermarkten, noch steigt das Verbreitungsrisiko für die Chinesische Teichmuschel signifikant an, wenn sie versehentlich als heimische Teichmuschel angeboten wird. Die Chinesische Teichmuschel ist bereits längst ein fester Bestand der heimischen Fauna geworden, sie ist auf alle Zeiten unausrottbar hier; damit muss man sich schlicht und ergreifend abfinden.

Ich wiederhole es nochmal: Generell gilt für alle Tiere und Pflanzen aus dem Zoofachhandel, dass sie niemals und unter keinen Umständen in die Natur ausgesetzt werden dürfen! Sie stammen aus Zuchtbetrieben und wurden speziell für die Pflege im Aquarium und im Gartenteich gezüchtet. In der freien Natur haben sie nichts zu suchen!

Zurück zu Muscheln und Bitterlingen!

Wer diesem ganzen Artenschutz-Unfug in Bezug auf Großmuscheln aus dem Weg gehen möchte, kann zur Zucht von Bitterlingen auch auf tropische Najaden zurückgreifen, von denen der Zoofachhandel drei Arten ziemlich regelmäßig aus Thailand importiert. Die erste und preislich günstigere ist Pilsbryoconcha exilis. Diese Art ist weit in Südostasien verbreitet und wird zudem durch Fischbesatz weiter verschleppt. Sie hat unbehakte Glochidien. Mir ist keine Untersuchung zur Wirtsspezifität dieser Art bekannt, es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Fortpflanzungsmodus sehr ähnlich oder identisch zu unseren heimischen Unio-Arten ist und diverse Karpfenfische als Hauptwirte der Glochidien dienen.

Pilsbryoconcha exilis

Sehr viel ansehnlicher ist die kuriose Haifischflossen-Muschel, Hyriopsis bialata. Die Gattung Hyriopsis hat große wirtschaftliche Bedeutung. Sie gehört zu den Arten, in denen Süßwasserperlen gezüchtet werden. Aber man isst auch ihr Fleisch und verwendet das Perlmutt der Schaleninnenseite für Dekorationsgegenstände. Insgesamt ist H. bialata noch nicht gefährdet, aber ihre Bestände gehen durch Umweltverschmutzung stark zurück. Darum wird diese Muschel auch in Aquakulturen gezüchtet. Man hat dabei bereits erstaunliche Erfolge erzielt. Die Glochidien von Hyriopsis sind nicht behakt, der Fortpflanzungsmodus entspricht also der unserer Unio-Arten. Als natürliche Wirte dienen Karpfenfische, wobei Barbonymus gonionotus und Labeo rohita in wissenschaftlichen Arbeiten genannt werden (die Literaturauswertung erweist sich in diesem Fall als mühselig, weil die meisten Originalarbeiten in Thai geschrieben sind). In Aquakulturversuchen sind aber auch Guppys, Welse, Tilapien und allerlei andere Fische erfolgreich als Wirtsfische verwendet worden. Man verwendet aber bei der Aquakultur inzwischen gar keine Wirtsfische mehr, sondern zieht die Glochidien in künstlichen, flüssigen Nährmedien heran. Auch die Aufzucht zur fertigen Muschel ist inzwischen mit großem Erfolg gelungen, wobei sich zeigte, dass bestimmte Mikroalgen zu bestimmten Lebensabschnitten geboten werden müssen, um ein optimales Wachstum und minimale Ausfälle zu gewährleisten. Werden diese allerdings geboten, so ist das Wachstum erstaunlich schnell. Die als Perlmuschel viel genutzte Art Hyriopsis (Limnoscapha) myersiana wächst unter optimierten Bedingungen binnen eines Jahres vom Glochidium bis zu einer Länge von 5-6 cm heran (S. Kovitvadhi et al., 2006).

Hyriopsis bialata

Man weiß bis heute nicht, wozu der kuriose, segelartige Schalenauswuchs bei Hyriopsis bialata dient. Im Aquarium gräbt sie sich ein, wobei die “Haiflosse” aus dem Boden ragt. Vielleicht ist das eine Schutzvorrichtung gegen Schlagverletzungen durch Steine in Hochwassersituationen, aber, wie gesagt, wissen tut das niemand. 

Scabies crispata

Die dritte Muschelart, die aus Thailand gelegentlich zur Haltung im Aquarium importiert wird, ist Scabies crispata. Die Art hat eine recht weite Verbreitung in Asien und ist aus Thailand, Kambodscha, Vietnam, Indien und China gemeldet. Dennoch weiß man bislang nur sehr wenig über die Art. Die Muschel wird nur 5-6 cm lang, was für die Pflege im Aquarium natürlich ein Vorteil ist, weil sie dadurch relativ wenig Nahrung braucht. Über die Fortpflanzung von Scabies crispata weiß man nur, dass sie unbehakte Glochidien hat, wie sie für kiemenschmarotzende Glochidien typisch sind. Der Gattungsname – Scabies – ist übrigens das medizinische Wort für Krätze, einer furchtbar juckenden Hautkrankheit, die von unter der Haut lebenden Milben verursacht wird. Bleibt sie unbehandelt, wird die Haut schrundig, so wie die Skulptur der Schale der Muschel.

Muscheln sind auf die Dauer nur schwer im Aquarium zu pflegen, sie verhungern hier meist auf lange Sicht, weil das Angebot an mikroskopisch kleinen Lebewesen, die die Muscheln als Nahrung brauchen, zu gering ist. Man muss sie darum gezielt zufüttern, am besten mit Phytoplankton, also “grünem Wasser”. Das kann man verhältnismäßig leicht kultivieren und das schadet auch den Fischen nicht. Trotzdem empfiehlt es sich, wenn man sich ernsthaft mit Muscheln beschäftigen möchte, ein Spezialaquarium für die Weichtiere einzurichten, in dem man die Muscheln optimal versorgen kann. Das ist auch deshalb ratsam, weil ein massiver Glochidienbefall tödlich für Fische enden kann. Zur Fortpflanzungszeit sollten Najaden darum keinesfalls in Gesellschaft von Fischen gepflegt werden. Findet man Glochidien im Muschelbecken, so hat man mehrere Tage Zeit, künstliche Infektionen von Wirtfischen durchzuführen. Die Entwicklungsdauer am Fisch ist temperaturabhängig und dauert meist zwischen 8 und 12 Tagen. Danach fällt die Babymuschel ab und beginnt ein für Fische harmloses Leben.

Es werden immer wieder einmal Muscheln aus aller Welt importiert, einen dauerhaften Platz im Handel haben sie aber nicht. Die beiden oben abgebildeten Arten kommen aus Indonesien, ich habe keinen Versuch unternommen, sie näher zu bestimmen.

Eine Glochidiose am Fisch lässt sich nicht behandeln. Man kann zwar die eingekapselten Glochidien zum Absterben bringen, das nutzt aber dem Fisch wenig. Denn der leidet nicht unter dem kaum wahrnehmbaren Verlust von Körperflüssigkeiten, sondern an sekundären bakteriellen Infektionen oder – bei extremem Befall – unter der großflächigen mechanischen Zerstörung von Haut- und Kiemenepithel. 

Bitterling und Muschel – Symbionten?

Diese Frage kann mit einem klaren “Nein” beantwortet werden. In allen Fällen, in denen Bitterlinge unter kontrollierten Laborbedingungen mit Glochidien infiziert wurden, zeigten sie eine heftige Abstoßungsreaktion. Die Glochidien waren nicht in der Lage, sich am Bitterling zu entwickeln. Die manchmal in Aquarienbüchern zu findende Aussage, die Bitterlinge revanchierten sich für die Kinderstube, die ihnen die Muschel gewährt, dadurch, dass sie ihrerseits als Wirt für Glochidien dienen, ist haltlose Naturromantik. Bitterlinge sind Brutschmarotzer, Najaden temporäre Parasiten. Das ist alles.

Der Vorteil des Brutschmarotzertums für die Bitterlinge liegen auf der Hand, denn frisch aus der Muschel entlassene Bitterlinge (oben Rhodeus amarus) sind schon fertige kleine Fische.

Und die Wandermuschel? Im Grunde genommen ist sie die beste Wahl, wenn es um Muscheln im Aquarium geht, ungeachtet der Bitterlinge. Denn die Larven der Wandermuschel sind nicht parasitisch. Sie schwimmen frei im Wasser umher, bis sie sich an einem geeigneten Gegenstand festsetzen. Dort wachsen sie genau wie Miesmuscheln heran. Weil Wandermuscheln klein bleiben, brauchen sie nicht so viel Futter. Sie vertragen zudem höhere Wassertemperaturen sehr gut. Wer Muscheln für den Teich möchte, um ihn natürlich zu klären, ist darum mit Wandermuscheln (Dreissena polymorpha) ideal bedient. Leider gibt es Wandermuscheln nicht im Handel, man muss sie selbst sammeln (Achtung: Gesetzeslage beachten! Geschützt sind Wandermuscheln nicht), manchmal werden sie im Internet angeboten. Ähnlich gut eignen sich Körbchenmuscheln (Corbicula), die zudem den Vorteil haben, oft im Zoofachhandel angeboten zu werden. 

Frank Schäfer

Bitterlinge und Muscheln – faszinierende Eierverstecker und ihre Wirte (1)

Bei vielen Familien gibt es zu Ostern den Brauch, bunt gefärbte Eier im Garten verstecken und diese von den Kindern der Familiesuchen zu lassen. Aquarianer kennen seit dem Jahr 1869 einen kleinen Fisch, der seine Eier in lebenen Muscheln versteckt: den Bitterling. Erst durch Beobachtung der Tiere im Aquarium wurde die faszinierende Fortpflanzungsbiologie dieser Tiere bekannt.

Teil 1: Bitterlinge

Der einheimische Bitterling (Rhodeus amarus) ist ein kleiner, 6-8 cm lang werdender Karpfenfisch. Er ist berühmt geworden, weil er als Parasit seine Eier in die Kiemenöffnungen lebender Muscheln legt. Das damit verbundene Verhalten ist extrem spannend und macht den Bitterling zu einem idealen Aquarien- und Gartenteichfisch.

Rhodeus amarus, oben Weibchen, unten Männchen

Verschiedene Phasen der Balz beim heimischen Bitterling.

Möglicherweise lebt(e) in Deutschland noch eine zweite Bitterlingsart. Dieses Bild malte der wissenschaftliche Tiermaler Heinrich Harder für das 1913 erschienene Buch „Unsere Süßwasserfische“ von Emil Walter, das die in Deutschland heimischen Fischarten behandelt. Es ist offensichtlich, dass der gemalte Bitterling mit seinen schwarzen Flossensäumen und Punkten in der Schwanzflosse nicht mit Rhodeus amarus identisch ist.

Sämtliche Bitterlingsarten (es gibt etwa 40 verschiedene) pflanzen sich wie die in Deutschland vorkommende Art fort. Sie leben in Asien, nur eine weitere Art, Rhodeus amurensis, findet sich noch im östlichen Europa. Tatsächlich ist auch der heimische Bitterling Rhodeus amarus gar keine natürlich bei uns vorkommende Art, sondern eine vom Menschen versehentlich künstlich angesiedelte, so genannte invasive Art. Bitterlinge kamen erst zwischen 1150 und 1560 in Mitteleuropa an, sie wurden mit Speisekarpfen ungewollt importiert und überlebten in der Umgebung der künstlichen Karpfenteiche. Dann starb der Bitterling in Folge der „kleinen Eiszeit“ (Ende des 16. bis in das 19. Jahrhundert hinein) bei uns wieder aus und kehrte erst gegen Ende des 18ten Jahrhunderts zurück – wieder in Gefolgschaft des Karpfens. Nur so erklärt es sich auch, dass der wirtschaftlich nur als Tierfutter nutzbare Fisch – er schmeckt wirklich bitter und ist für Menschen ungenießbar, obwohl er, verschiedenen Quellen zufolge, in Straßburg regelmäßig auf dem Fischmarkt angeboten wurde – erst vergleichsweise spät von der Wissenschaft entdeckt wurde. Nachdem ihn bereits Conrad Gessner (1516-1565) kannte und beschrieb, geriet er in Vergessenheit. Erst 1782 wurde der in Deutschland vorkommende Bitterling von Marcus Eliser Bloch für das Bildungsbürgertum wiederentdeckt und wissenschaftlich beschrieben. 

Der Hongkong-Bitterling (Rhodeus ocellatus) ist eng mit R. amarus verwandt und bei uns auch winterhart. Er wurde in den 1960er und 1970er Jahren oft irrtümlich in Büchern und Zeitschriften als „heimischer Bitterling“ abgebildet. Es ist zu befürchten, dass er zur „Wiederansiedlung“ der „bedrohten Art“ Bitterling auch gelegentlich gezielt ausgesetzt wurde. Man erkennt R. ocellatus am roten Fleck auf der Schwanzwurzel des Männchens, während das Weibchen einen schwarzen Fleck in der Rückenflosse hat. Beide Merkmale unterscheiden R. ocellatus und R. amarus zuverlässig.

Die einzigartige Fortpflanzungstechnik – der Brutparasitismus in Muscheln – wurde sogar erst 1869 von dem Naturforscher Carl Noll entdeckt. Noll schrieb damals: “Hoffen wir, dass es den nächsten Jahren gelingen werde, den direkten Beweis (Anmerkung: gemeint ist der direkte Beweis, dass es der Bitterling ist, der in Muscheln laicht) zu liefern, vielleicht mit Hilfe des Aquariums, in das zur Laichzeit gefangene Bitterlinge mit Muscheln gesetzt werden, wie es auch vielleicht möglich wäre, die den Muscheln entschlüpfte, allerdings sehr zarte Fischbrut darin zu vollkommenen Bitterlingen heranzuziehen.” Nun, der Beweis wurde erbracht, und zwar genau so, wie Noll es andachte, nämlich durch das Aquarium.

Von Rhodeus amarus gibt es eine xanthoristische Zuchtform, den Goldbitterling.

In den 1960er bis 1980er Jahren erlebte der Bitterling erneut einen schweren Bestandsrückgang in Deutschland, was, wie man glaubte, an der allgemeinen Umweltverschmutzung lag. Heute vermutet man eher, dass es die kalten Frühjahre dieser Periode waren, die dem Bitterling so schwer zusetzten. Somit ist es nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich, den Bitterling in Bezug auf Artenschutzprogramme in Mit­teleuropa zu berücksichtigen. Trotz­­dem wurde der Bitterling in die so genannte FFH-Richtlinie aufgenommen. Das bedeutet, dass er innerhalb der europäischen Union allerhöchsten gesetzlichen Schutz genießt, ein Paradoxon, denn andere invasive Arten werden in der EU bekämpft (wobei man über die Sinnhaftigkeit solcher Bekämpfungsmaßnahmen oft heftig streiten kann!).

Bitterlinge sind wegen ihrer herrlichen Laichfarben perfekte Aquarienfische. Die gegenwärtig 43 beschriebenen und vier weiteren bereits bekannten, aber noch nicht wissenschaftlich beschriebene Arten verteilen sich auf die Gattungen Acheilognathus (Synonyme: Acanthorhodeus, Paracheilognathus, Rhodeops), Paratanakia, Pseudorhodeus, Rhodeus und Tanakia. Erst kürzlich (2014) wurden die verwandtschaftlichen Verhältnisse in einer groß angelegten molekularbiologischen Studie genauer untersucht; im Zuge dieser Untersuchungen wurden die neuen Gattungen Paratanakia und Pseudo­rhodeus beschrieben. Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass fünf gegenwärtig noch zu Acheilognathus gestellte Arten in eine separate Gattung gehören, die jedoch noch nicht festgelegt wurde. Im Jahr 2017 wurde eine weitere Gattung und Art der Bitterlinge neu beschrieben, nämlich Sinorhodeus microlepis aus dem Einzug des Yangtze River, Provinz Szechuan (= Sichuan) in China.

Dieser Kleinbitterling (um 5 cm) mit Barteln wurde als Tanakia himantegus importiert. Die Art wird aktuell der Gattung Paratanakia zugeordnet. Sie soll auf Taiwan und in China vorkommen und 8 cm Länge erreichen können.

Die Bestimmung von Bitterlingen ist nicht einfach, die Spezialliteratur dazu ist unübersichtlich. Hinzu kommt, dass bei der schon erwähnten DNS-Studie noch kryptische, also verborgene Arten festgestellt wurden. Bei Importfischen ist die genaue Herkunft in der Regel nicht zu ermitteln, es kann darum nicht ausgeschlossen werden, dass manche der Namen, die ich hier verwende, in Zukunft noch geändert werden müssen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: ausnahmslos alle Bitterlingsarten sind gut für die Pflege im Aquarium geeignet und da nur eine Art größer als 15 cm wird (und auch diese gewöhnlich nur 8-10 cm Länge erreicht) kann man beim Kauf nicht viel falsch machen. Wegen der Gefahr der ungewollten Hybridisierung sollte man aber immer nur Tiere einer Charge zur Zucht verwenden, denn die Weibchen aller Arten sehen sich extrem ähnlich.

Manchmal werden äußerst farbenprächtige Bitterlinge aus Asien importiert. Oft stammen sie von Taiwan, manchmal kommen sie über Hongkong oder Singapur zu uns. Die exakte Herkunft lässt sich, wie gesagt, leider nur selten ermitteln. Es sind wunderschöne Fische, aber leider werden die vergleichsweise fad gefärbten Weibchen nur selten angeboten. Da heißt es, Jäger- und Sammlereigenschaften zu entwickeln und zuzuschlagen, wenn sich die Gelegenheit bietet!

Acheilognathus tonkinensis ist eine prachtvolle Art, von oben nach unten: Männchen, Weibchen, Männchen in Vollbrunst. Dieser Bitterling wird maximal etwa 12 cm lang, gewöhnlich aber etwa 8 cm. Er stammt aus dem nördlichen Vietnam, südlichen China und dem Nam Mat basin in Laos.

Bitterlinge sind  bezüglich der Wassertemperaturen als subtropische Fische einzuordnen. Die meisten Arten sind bei uns zwar winterhart, es ist aber sicherer, für Überwinterungstemperaturen um 10°C zu sorgen, besonders, wenn nur wenige Exemplare zur Verfügung stehen. Eine Überwinterung bei niedrigen Temperaturen und vor allem unter Kurztagbedingungen (Beleuchtungsdauer deutlich unter 8 Stunden) sind unabdingbar, damit die Fische im Frühjahr bei steigenden Temperaturen und verlängerter Lichtperiode in Laichstimmung kommen. Im Sommer dürfen die Wassertemperaturen durchaus bis 30°C ansteigen, das macht Bitterlingen im Gegensatz zu typischen Kaltwasserfischen wie der Forelle, die schon ab 20°C Probleme bekommen kann, nichts aus.

Acheilognathus macropterus ist eine der größten bekannten Bitterlings-Arten, sie soll fast 30 cm Gesamtlänge erreichen können, wird gewöhnlich aber 8-10 cm lang. Auch hier zeigen wir oben das Männchen, unten das Weibchen. A. macropterus stammt aus China.

Die chemische Zusammensetzung des Wassers bezüglich pH-Wert und Härte ist von untergeordneter Bedeutung für Pflege und Zucht von Bitterlingen. Jedes Trinkwasser ist geeignet. Der pH-Wert sollte jedoch möglichst nicht unter 6 sinken, darum ist mittelhartes oder hartes Wasser günstiger.

Diesen interessant aussehenden Acheilognathus hat Herbert Nigl (Aquarium Dietzenbach) im Jahr 2022 als „sp. Longbody“ importieren können. Die Bestimmung ist mir noch nicht gelungen. Ein großes Problem bei Fischen aus China ist die schlechte Verfügbarkeit der chinesischen wissenschaftlichen Originalliteratur hierzulande.

Die Fütterung von Bitterlingen ist einfach: es sind Allesfresser, ein gutes Flockenfutter kann als Nahrungsgrundlage dienen. Dazu kann man jede Form von Frost- und Lebendfutter reichen. Wie bei allen Barbenverwandten im weitesten Sinne (wissenschaftlich bilden die Bitterlinge eine eigene Unterfamilie, die Acheilogna­th­inae, innerhalb der Familie der Karpfenfische, der Cyprinidae, manchmal werden sie sogar zu einer eigenen Familie erhoben, die dann Acheilognathidae heißt) darf das Aquarium nicht zu sauber sein. Der so genannte Mulm, das sind abgestorbene Pflanzenreste und Kot der tierischen Aquarienbewohner, bildet eine wichtige Zusatznahrung. Dabei ist es wohl weniger dieser Mulm an sich, den die Fische benötigen, als die massenhaft darin lebenden Mikroorganismen, wie Bakterien, Pilze, Einzeller und dergleichen. Es ist jedenfalls immer wieder zu beobachten, dass Kleinbarben und andere, bodenorientiert lebende Cypriniden trotz guter Fütterung abmagern, ohne dass Parasiten oder sonstige erkennbare Ursachen vorhanden sind. Das Phänomen verschwindet, wenn man Mulm im Aquarium duldet.

(Fortsetzung nächste Woche)

Frank Schäfer

Boraras – Juwelen für das Nano-Becken

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Zu den beliebtesten Zwergfischen gehören die Zwergbärblinge der Gattung Boraras. Lange Zeit stellte man sie in die Gattung Rasbora. Der gegenwärtig gültige Gattungsname ist ein Anagramm von Rasbora und wurde erst 1993 von Kottelat & Vidthayanon aufgestellt.

Männchen von Boraras maculata

Männchen von Boraras maculata

Weibchen der gleichen Population von Boraras maculata

Weibchen der gleichen Population von Boraras maculata

Auch dies ist Boraras maculata

Auch dies ist Boraras maculata

Eine weitere Standort/Farbvariante von Boraras maculata

Eine weitere Standort/Farbvariante von Boraras maculata

Die winzigen Fische wurden erst sehr spät entdeckt, man hielt sie wohl zunächst für Jungtiere anderer Arten. Die erste entdeckte Art war B. maculata, die 1904 zusammen mit der Keilfleckbarbe von Georg Duncker, der Leiter der Fischsammlung des Museums Hamburg war, in Johore (Malaysia) gesammelt und beschrieben wurde. Der Zwergbärbling ist weit im tropischen Südostasien (malaiische Halbinsel, Indonesien) verbreitet. Es gibt etliche unterschiedlich aussehende Standortvarianten, die möglichweise sogar verschiedene Arten darstellen. Das zu wissen ist wichtig bei der Zucht, denn unabsichtlich erzeugte Hybriden können unfruchtbar sein. Zum Züchten soll man darum nur Tiere vom gleichen Fundort/Stamm verwenden. Übrigens ist die Zucht nicht ganz einfach. Man braucht weiches, saures Wasser und die Fische sind Dauerlaicher, laichen also zwar nahezu täglich Eier, aber immer nur wenige. Früher diskutierte man darum, ob B. maculata vielleicht eine Kümmerform von der großen Art Rasbora kalochroma sei!

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Boraras urophthalmoides aus Vietnam

Boraras urophthalmoides aus Vietnam

Die zweite entdeckte Art ist Boraras urophthalmoides, die Ernst Ahl 1922 als Rasbora urophthalma beschrieb. Die Hintergründe der Beschreibung dieser Art sind kompliziert; Ahl beschrieb die Tiere anhand eines Aquaristik-Imports aus dem Jahr 1913. Importiert hatten die Tiere die Firma Scholze und Pötzschke, angeblich von stammten sie von Sumatra. Diese Angabe ist aber wohl falsch; natürliche Vorkommen sind aber nur aus Vietnam (Umgebung von Saigon) und Thailand bekannt. Als Maurice Kottelat die angeblichen Typusexemplare von Rasbora urophthalma nachuntersuchte, stellte sich heraus, dass es unidentifizierbare Exemplare irgendeiner Barbe waren. Ob die wirklichen Typen in den Wirren zweier Weltkriege verloren gingen oder ein Etikett vertauscht wurde, wer weiß das schon. Jedenfalls interpretierte Kottelat die Situation so, dass der seit 1922 als Rasbora urophthalma in der Aquaristik bekannte Fisch in Wirklichkeit wissenschaftlich noch unbeschrieben sei und benannte ihn 1991 neu Rasbora urophthalmoides.

Männchen...

Männchen…

... und Weibchen von Boraras brigittae

… und Weibchen von Boraras brigittae

Die dritte Boraras-Art, die der Menschheit bekannt wurde, ist Boraras brigittae. Entdeckt wurde dieser bezaubernde Fisch 1977 von Dieter Vogt und Mit­reisenden im indonesischen Teil der Insel Borneo, der Kalimantan heißt. Vogt, damals Chefredak­teur der DATZ, beschrieb die Art 1978 in derselben Zeitschrift, seinerzeit noch als Unter­art von Rasbora urophthalma. Er be­nannte sie zu Ehren seiner Ehefrau Brigitte. Als deutschen Namen schlug Vogt “Moskito­rasbora” vor, denn während des Fanges wurden er und seine Mitreisenden fürchter­lich von Moskitos zerbissen. Das natürliche Verbreitungsgebiet liegt südlich der Stadt Banjarmasin, der Hauptstadt der Provinz Kalimantan Selatan. Hier kommt die Art sowohl in colafarbenem Schwarzwasser wie auch in glasklar durch­sichtigen Wasser vor. Immer ist das Wasser aber sehr weich.

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Verschiedene Aspekte, Männchen und Weibchen von Boraras merah.

Verschiedene Aspekte, Männchen und Weibchen von Boraras merah.

1991 entdeckte man im Süden Borneos, etwa 400 km weiter westlich von den bisher bekannten Vorkommen von Boraras brigittae, eine weitere Zwerg-Rasbora, die sich von allen anderen Zwerg-Rasboren durch ihren großen, golden umrahmten Schulterfleck unterscheidet. Sie wurde von M. Kottelat als Rasbora merah beschrieben und heißt heute Boraras merah. Interessanterweise gibt es im Verbreitungsgebiet von B. merah teilweise auch B. brigittae, die dort jedoch einen wesentlich schmaleren Seitenstreifen haben. Je nachdem, welche Art im Schwarm dominiert, passt sich die andere farblich an. Ist also B. merah in der Überzahl, sehen die B. brigittae fast wie B. merah aus und sind nur bei ganz genauem Hinsehen zu unterscheiden. Das gleiche gilt umgekehrt. Im Aquarium erwiesen sich darüber hinaus beide Arten als kreuzbar. Ob sie sich in der Natur auch kreuzen, ist unbekannt. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit einem Beispiel dafür zu tun, dass die Artenbildung noch nicht abgeschlossen ist. Auf jeden Fall ist die Art B. merah sehr eng mit B. brigittae verwandt und zumindest in manchen Populationen sehen die Weibchen wie B. brigittae aus und nur die Männchen wie B. merah; es gibt aber auch Populationen, in denen beide Geschlechter in merah-Färbung vorhanden sind.

Leider habe ich kein besseres Bild; es zeigt die Farbform von Boraras brigittae, die sich farblich an B. merah anpasst

Leider habe ich kein besseres Bild; es zeigt die Farbform von Boraras brigittae, die sich farblich an B. merah anpasst.

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Boraras micros ist die farblich unauffälligste Art der Zwerg-Bärblinge

Boraras micros ist die farblich unauffälligste Art der Zwerg-Bärblinge

Heute stehen alle diese Zwerg-Rasboren zusammen in der Gattung Boraras, die anlässlich der Beschreibung der fünften Art, B. micros aus Nord-Thailand, aufgestellt wurde. B. micros ist die kleinste und farblich unauffälligste Art der Gattung.

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Boraras naevus, jüngeres Pärchen. Das obere Tier mit dem großen Schulterfleck ist das Männchen.

Boraras naevus, jüngeres Pärchen. Das obere Tier mit dem großen Schulterfleck ist das Männchen.

Älteres, voll ausgefärbtes Männchen von B. naevus.

Älteres, voll ausgefärbtes Männchen von B. naevus.

Als sechste und bislang letzte Art wurde Boraras naevus im Jahr 2011 von Kevin W. Conway und M. Kottelat beschieben. Sie stammt aus Süd-Thailand. Dieser Zwergbärbling war schon vor seiner wissenschaftlichen Beschreibung seit längerer Zeit unter der Bezeichnung „Boraras micros RED“ im Handel. Von allen anderen gepunkteten Zwergbärblingen unterscheidet sich die Art u.a. dadurch, dass Männchen und Weibchen unterschiedlich gezeichnet sind. Der große, runde Schulterfleck ist bei männlichen B. naevus erheblich größer als bei weiblichen.

Keine der Boraras-Arten wird gewöhnlich größer als 1.5 – 2 cm, wobei zu bedenken ist, dass Aquarien­fische dieser Arten erstaunlich alt werden können. Diese Miniatur­fische machen offenbar die relativ geringen Eimengen, die sie wegen ihrer Körpergröße produzieren, durch Langlebigkeit wett. 10 Jahre und älter werden diese Fischchen im Aquarium locker. Und da Fische zeitlebens wachsen mag mancher Aquarien­methusalem auch mal die 2 cm-Marke überschreiten. In der Natur findet man so große Tiere aber nicht.

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So kann ein kleines Aquarium für Boraras aussehen, mit bewachsenem Hamburger Mattenfilter. Der Wasserfarn wächst teilweise Meers und entzieht dem Wasser so Stickstoff bereits in der Form von Ammonium.

So kann ein kleines Aquarium (40x20x20 cm) für Boraras aussehen, mit bewachsenem Hamburger Mattenfilter. Der Wasserfarn wächst teilweise emers und entzieht dem Wasser so den Stickstoff bereits in der Form von Ammonium.

Die Zwerg-Rasboren sind gesellig, aber kein eigentliche Schwarm­fische. Daher ist eine Gruppe von 10-20 Exemplaren ausreichend. Bezüglich des Wassers sind sie nicht übermässig anspruchsvoll, weich (unter 10° GH) sollte es aber schon sein. Da in solchem Wasser der pH-Wert instabil sein kann, empfiehlt es sich, wenn man Nano-Aquarien damit beschickt, über Luft zu filtern. Die Luftblasen treiben überschüssiges CO2  aus, das in aller Regel für pH-Wert-Schwankungen (die übrigens tödlich sein können!) verantwortlich ist.

Bezüglich der Ernährung sind Zwerg-Rasboren leicht zufrie­denzustellen. Als Picker fressen sie alles, was von der Größe her ins Maul passt und tierischen Ursprungs ist. Ob es sich dabei um Trocken-, Frost-, oder Lebendfutter handelt, ist den Fischchen weitgehend egal. Allerdings muss man speziell in Nano-Aquarien sparsam füttern. Gammelnde Futterreste können zu einem tödlichen Desaster für die Fische werden. Es ist sehr sinn­voll, kleine Blasenschnecken (Physella sp.) in Nano-Aquarien als Stamm­besatz mitzupflegen. Zum einen sind es äußerst effektive Algen­fresser, zum anderen stellen sie sicher, dass im Becken nichts vergammelt. Kommt es bei diesen Schnecken zu einer Massenvermehrung, ist das ein sicheres Indiz, dass zuviel gefüttert wird!

Blasenschnecken (Physella sp.) sind gute Abfallverwerter in Nano-Aquarien

Blasenschnecken (Physella sp.) sind gute Abfallverwerter in Nano-Aquarien

Im Zuchtaquarium kann man Blasenschnecken allerdings nicht brauchen, denn sie fressen auch Fischlaich. Die Zwerg-Rasboren gehören zu den Arten, die, pflegt man sie richtig und füttert man auch feinstes Lebendfutter, wie es die Larven benötigen, ihren Bestand im Aquarium von alleine erhalten. Ist eine dichte Krautecke vorhanden, in die sich die Jungfische, die von ihren Eltern selbstverständlich als Leckerbissen angesehen werden, zurückziehen können, kommen immer genug Jungtiere durch, dass man keine Tiere nachkaufen muss.

Wirklich effektiv zu züchten, ist schwierig, denn die Tierchen sind nicht sonderlich produktiv. Es gibt aber einen Trick, der hilft, wenn man einmal mehr Jungtiere braucht. Die Jungen reagieren nämlich positiv phototaktisch – mit anderen Worten, sie streben dem Lichte zu. Man teilt das Zucht­becken in der Mitte mit auf einem Rahmen aufgespanntem Fliegengitter (kein Metall!) und setzt einen Trupp Zuchtfische in die eine Hälfte. Das Wasser soll weich und sauer (pH um 5.5) sein. Den Boden im Abteil der Eltern belegt man einige cm dick mit Kokosfasern. Diese bieten den Eiern guten Schutz vor Fressgelüsten der Eltern. Die Hälfte mit den Zuchtfischen hält man im Dämmer­licht, die andere wird gut beleuchtet. Die Jungen wandern dann nach dem Schlupf in die beleuchtete Hälfte ein. So kann man in einem einige Wochen währenden Zuchtansatz dann doch eine erkleckliche Anzahl von Jungfischen erzielen.

Mehr und ausführlichere Informationen zu den Zwerg-Rasboren sind für das nächste, im Februar erscheinende NEWS Bookazine Nr. 2 von Aqualog vorgesehen. Bis dahin lesen Sie doch mal ein gutes Buch? In unserem animalbook.de Shop finden Sie viele Buchtitel zum Thema Nano-Aquaristik!

Frank Schäfer


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Süßwasserhaie?!

Am Karfreitag haben wir über Kreuzwelse berichtet, die auch als „Minihaie“ bezeichnet werden. Allerdings haben die Welse rein verwandtschaftlich nichts mit Haien zu tun, sie haben lediglich eine Schwimmweise, die an die der Haifische erinnert. Diese Schwimmweise haben auch die Haiwelse, Pangasiidae, eine Gruppe von rund 50 großen Welsarten, die u.a. einen der größten Süßwasserfische überhaupt stellen, den Mekong-Riesenwels (Pangasianodon gigas), der gut 3 Meter lang und 300 kg schwer werden kann. Seinen etwas kleineren Vetter, den Gewöhnlichen Haiwels (P. hypophthalmus, Synonym P. sutchi), kann man in jeder Zoohandlung kaufen. Es sind sozusagen Abfallprodukte der Aquakulturzucht dieser großen Welse, die etwa halb so groß wie der Mekong-Riesenwels (um 150 cm) und über 40 kg schwer werden. Die Vettern dieser Babies, die nicht das Glück hatten, als Zierfisch verkauft zu werden, findet man tiefgekühlt in jedem Supermarkt als „Pangasius“-Filet. Es soll hier nicht Thema sein, ob es sinnvoll ist, solchen Großfischen eine gewisse Zeit in privaten Aquarien ein Leben im Paradies zu ermöglichen, bis sie dann doch den Weg alles Irdischen gehen müssen und (in der Regel) als Futterfische in Zoos enden. Denn auch die Haiwelse sind Knochenfische und mit den Haien nicht verwandt. Vielmehr geht es an dieser Stelle darum, ob es auch echte Haie im Süßwasser gibt.

Der Haiwels, Pangasianodon hypophthalmus, ist mit Haien weder verwandt noch verschwägert. Er hat lediglich einen ähnlichen Schwimmstil.

Die Haie und Rochen sind Angehörige der Knorpel­fische oder Elasmobranchier. Etwa 250 Hai-Arten gibt es weltweit, fast alle leben im Meer. Aber es existieren auch Ausnahmen.

Die bekannteste Süßwasserart bei den Haien ist der an den tropisch-gemäßigten Küsten der ganzen Welt ver­breitete Bullenhai, Carcharhinus leucas. Die über 3 m lang werdende Art gehört zu den sogenannten euryhalinen Fischen und kann, ganz nach Belieben, zwischen Süß- und Seewasser hin- und her­pendeln. Allerdings ist der Bullenhai keine reine Süßwasserart, denn es gibt Hinweise darauf, dass er zur Paarung ins Meer zurückkehren muss. Dieser „Hans Dampf in allen Gassen“ ist äußerst anpassungsfähig und frisst alles, was ihm vor das Maul gerät. Da sind auch Menschen keine Ausnahme. Ent­sprechend wird die Art gefürchtet, Angriffe auf Menschen sind jedoch so selten, dass sie immer noch eine Schlagzeile auf Seite 1 hergeben. Vom Bullenhai im Süßwasser gefressen zu werden, ist also eine sehr unge­wöhn­liche Art, zu Tode zu kommen. Da Bullenhaie – so viel man weiß – nur in trübem Wasser jagen, besteht in klarem Wasser kaum eine Gefahr, von ihnen angegriffen zu werden. Vielleicht liegt in ihrer Fähigkeit, rein nach Geruchsinn zu jagen und nicht (wie viele andere Haie) mit Sichtkontakt zur Beute, ihre besondere Gefährlichkeit für Menschen. Denn hat sich ein Bullenhai zum Angriff entschlossen, so tut er dies in einer direkten Attacke.

Andere Großhaie kommen oft erst einmal näher an potentielle Beute heran und inspizieren sie genau. Ist die beobachtete Kreatur ein Wesen, das der Hai nicht kennt, greift er nur relativ selten an. Nicht ohne Grund sind gefährliche Angriffe auf Menschen vor allem von solchen Haien zu erwarten, bei denen Robben zum normalen Nahrungsspektrum gehören!

Bullenhai, Carcharhinus leucas, Sumatra, Jambi, Batang Hari (Süßwasser). photo: H. H. Tan

Einige Populationen des weltweit verbreiteten Bullenhais sind so häufig in Süßwasser anzutreffen, dass sie z.B. als „Sambesi-Hai“ (nach dem Fluss Sambesi in Afrika) oder als „Nikaragua-Hai“ (nach dem Nikaragua-See in Mittelamerika) bezeichnet werden. Sie werden aber auch regelmäßig im Amazonas, manchmal im Ganges (dort offenbar extrem selten), im Tigris und in mehreren nordamerikanischen und australischen Flüssen angetroffen. Gute und seriöse Informationen zum Bullenhai liefert übrigens http://www.sharks-world.com/bull_shark/

Für einen Echten Hai der Gattung Carcharhinus ist der Wechsel vom Meer ins Süßwasser noch viel komplizierter als es dieser Vorgang für „normale“ Fische ohnehin schon ist. Alle Fische haben bei diesem Wechsel grundsätzlich die gleichen Probleme. Im Süßwasserwasser ist das Körperinnere eines Fisches immer erheblich salziger als das Umgebungswasser. Der Fisch droht also zu platzen, wenn er keine Gegenmaßnahmen ergreift, denn durch osmotische Vorgänge dringt ständig passiv Wasser in das Tier. Ein Süßwasserfisch braucht also sehr leistungsfähige Nieren, um überschüssiges Wasser ausscheiden zu können. Im Meer ist es genau umgekehrt, das Innere des Fisches ist weniger salzig als die Umgebung, das Tier droht durch die osmotischen Vorgänge auszutrocknen. Ein Meeresfisch muss darum ständig trinken, damit er dem Wasserverlust entgegenwirken kann. Aber geht denn das, Salzwasser trinken? Wir können das nicht und sterben, wenn wir es trotzdem tun, aber Meeresfische und andere Tiere, die im und am Meer leben, besitzen spezielle Drüsen und Organe, die es ihnen ermöglicht, überschüssiges Salz auszuscheiden. Gut sichtbar ist das bei vielen Seevögeln oder den auf Galapagos lebenden Meeresechsen, sie niesen konzentrierte Salzbrühe aus. Fische machen das subtiler, für ihre Ionenregulation sind die Kiemen zuständig, unglaublich vielseitige Organe, die bei Süßwasserfischen es auch schaffen, die wenigen gelösten Salze (Ionen) aus dem Wasser herauszufiltern. Kurz und gut: es ist alles andere als einfach für Fische, zwischen Süß- und Meerwasser zu pendeln und doch schaffen das ziemlich viele Arten, was zeigt, dass die Methoden, die das ermöglichen, mehrfach unabhängig voneinander erfunden wurden. Der Bullenhai reguliert seinen Harnstoffgehalt im Blut über die Niere und kann sich mit diesem Mechanismus offenbar gut an veränderte Umgebungssalzgehalte anpassen.

Haie der Gattung Carcharhinus, zu denen der Bullenhai zählt, haben noch ein weiteres Problem. Sie müssen nämlich dauern schwimmen, damit ihre Kiemen ausreichend mit Wasser durchströmt werden. Das „normale“ Atmen mit Öffnen und Schließen des Maules reicht dafür bei Carcharhinus nicht aus. Dieses Dauerschwimmen ist im Meer schon Kräfte zehrend genug; im Süßwasser vervielfacht sich der Kraftaufwand, weil Haie – genau wie alle Elasmobranchier (auch Knorpelfische genannt, weil ihr Körperskelett nicht verknöchert ist) – keine Schwimmblase haben. Dieses ungeheuer praktische, gasgefüllte Organ ermöglicht es den modernen Fischen (soweit die Schwimmblase nicht sekundär wieder reduziert ist, wie es bei bodenlebenden Fischen oft der Fall ist) ein Schweben in der Wassersäule ohne jeden Kraftaufwand. Bei Haien übernimmt die sehr fettreiche Leber diesen Job, jedenfalls ansatzweise (schweben kann kein Hai), aber im Süßwasser ist der Auftrieb ja erheblich geringer als im Salzwasser!

So ist es wirklich erstaunlich, dass der Bullenhai diese Leistung vollbingt! Freilich ist der Bullenhai nicht die einzige Meeresart, die ab und zu ins Süßwasser vordringt. Bullenhaie sind lebendgebärend, wie übrigens alle ins Süßwasser vordringende oder ganz und gar dort lebende Elsmobranchier, während etliche im Meer lebende Arten Eier legen. Die vorliegenden Daten sprechen dafür, dass zumindest viele Weibchen des Bullenhais zum Gebären in das Süßwasser wandern und zwar dorthin, wo sie selbst geboren wurden. Die Jungtiere – ihre Zahl schwankte in den beobachteten Fällen zwischen 1 und 10 – sind bei der Geburt bereits gut 80 cm lang. Die Geschlechtsreife erreichen Bullenhaie in Abhängigkeit von Geschlecht und Vorkommen im Alter zwischen 8 und 11 Jahren. In Manchen Gebieten droht eine Überfischung für Fleisch, Flossen und Öl, allerdings gibt es keine gezielte Methode, um Bullenhaie zu jagen. In entsprechend großen Schauaquarien haben sich Bullenhaie als gut haltbar und anpassungsfähig erwiesen.

Weniger bekannt sind weitere Süß­wasser­haie, was auch damit zusammen­hängt, dass nur wenige Systematiker die ver­schiedenen, einander äußerlich sehr ähnlichen, Hai-Arten auseinanderhalten können. Außerdem ist es ziemlich schwierig, derart große Fische zu kon­servieren, weshalb auch in den Museen nur ein geringes Material über Süß­wasser­haie vorhanden ist. Es heißt immer wieder, dass der sehr anpassungsfähige und in Sachen Nahrungsaufnahme nicht wählerische Tigerhai (Galeocerdo cuvier) – man nennt ihn auch schwimmende Mülltonne – auch weit in die Unterläufe von Flüssen einwandert. Aber von dauerhaft im Süßwasser lebenden Populationen dieser weltweit verbreiteten, bis zu 6 m langen Haiart ist nichts bekannt geworden.

Ein Vertreter der Gattung Glyphis, der auf Borneo (Sabah: Sungai Kinabatangan) gefangen wurde. Diese Art wurde erst 2010 als Glyphis fowlerae wissenschaftlich beschrieben. Aufgrund von DNS-Untersuchungen gilt G. fowlerae aber derzeit als Synonym zu G. gangeticus. photo: M. Manjaji

Einen gewissen Berühmtheitsgrad hat jedoch der Ganges-Hai, Glyphis gangeticus, erlangt. Obwohl es sich hier­bei um eine aus wissenschaftlicher Sicht wenig erforschte Art handelt, ist sie von Legenden und Schauermärchen um­rankt. Dieser Hai (er erreicht eine Größe von ca. 2-2,5 m) war schon immer im Be­reich des Ganges vertreten, galt aber lange als verschollen oder gar ausgestorben. Man sagte, die Tiere hätten sich auf den Verzehr von menschlichen Leichen spezialisiert, die in den heiligen Fluss geworfen wurden. Als man von dieser Praxis abkam und die Leichen zuvor vollständig verbrannte, fingen die angeblich zuvor friedlichen Haie an, badende Pilger anzugreifen. In einer ausführlichen Arbeit schildert Tyson Roberts 2006, dass der Gangeshai überhaupt keine Süßwasserart ist, sondern höchstens im Brackwasser führenden Hooghly bis Kalkutta vordringt. Nach Roberts ist der Gangeshai eine häufige Art, die weit entlang der indischen Küste verbreitet ist und dort wahrscheinlich sogar die häufigste Haiart überhaupt darstellt. Er verweist die Mehrzahl der Gerüchte um Glyphis gangeticus in das Reich der Märchen und Legenden.

Wenig ist bekannt über die Haie des Süßwassers. Leider auch nur wenig besser erforscht sind ihre platten Ver­wandten, nämlich die Sägefische, Geigen­rochen und Rochen, von denen viele Arten zeitweise im Süßwasser leben. Viele Stechrochen leben dort ihr Leben lang und pflanzen sich dort sogar fort. Selbst eine Art der Zitter­rochen wurde aus dem Süßwasser ge­meldet. Und erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde mitten in Thai­land ein riesiger Süßwasserrochen (Himatura chaophraya) von über 600 kg Gewicht entdeckt (für Bilder siehe z.B. hier: http://biologypop.com/giant-freshwater-stingray/).  Auch in Afrika (Cross River, dem Grenzfluss zwischen Kamerun und Nigeria) gibt es vielleicht noch eine Riesen ­Art der Süßwasserrochen, die bislang, ähnlich dem Yeti, bisher noch ins Reich der Legenden verwiesen wird.

Zusammenfassend kann man also sagen: ja, es gibt Hai-Arten im Süßwasser, aber sie sind sehr schlecht erforscht. Aktuell werden drei Glyphis-Arten anerkannt, neben G. glyphis (Müller & Henle 1839) und G. gangeticus (Müller & Henle 1839) gibt es noch den erst 2008 aus dem nördlichen Australien und Papua-Neuguinea beschriebenen Glyphis garricki Compagno, White & Last, 2008. Alle drei Arten sollen auch in Süßwasser leben können. Über die eventuelle Pflege von Glyphis-Arten im Aquarium ist mir nichts bekannt, was schade ist. Denn viele Details zur Biologie dieser Fische sind durch Feldarbeit und Untersuchung toter Exemplare nur unbefriedigend oder gar nicht zu lösen.

Frank Schäfer

zitierte Literatur:

Roberts, T. R. (2006): Rediscovery of Glyphis gangeticus: debunking the mythology of the supposed “Gangetic freshwater shark”. Natural History Bulletin of the Siam Society 54(2): 261-278.


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Der Para-Kärpfling – viele Farbformen, viele Rätsel

Auf den ersten Blick halten viele Menschen den Para-Kärpfling (Micropoecilia parae) für einen Guppy. Mit Guppys ist der Para-Kärpfling allerdings nur sehr weitläufig verwandt. Die beiden Arten lassen sich nicht kreuzen und stellen unterschiedlichen Entwicklungslinien dar.

Die Weibchen des Para-Kärpflings sehen immer gleich aus.

Micropoecilia parae oder Poecilia parae?

In der aquaristischen und auch der wissenschaftlichen Literatur findet man den Para-Kärpfling in den beiden Gattungszuordnungen. Poecilia im weiteren Sinne ist eine artenreiche Gattung. Ihre gegenwärtige Klassifizierung beruht auf rein anatomischen Untersuchungen aus dem Jahr 1963 (Rosen & Bailey). Seither wurden die über 100 nominellen Arten, die gelegentlich schon zu Poecilia gestellt wurden, nicht wieder in einer umfassenden Revision vergleichend untersucht. Weil Poecilia so artenreich ist, wurden schon 1963 Untergattungen aufgestellt, um die Vielfalt etwas zu unterteilen. Im Grunde genommen ist eine Untergattung Blödsinn. Denn entweder gehören alle in einer Gattung zusammengefassten Arten zu EINER Entwicklungslinie – dann gibt es auch keine sinnvollen Untergattungen. Oder aber innerhalb eines engeren Verwandtschaftskreises sind unterschiedliche Entwicklungslinien klar erkennbar. Dann kann man sie auch als Gattung definieren. Aber 1963 wurde Wissenschaft noch anders betrieben als heutzutage. So gab es also die Untergattungen Poecilia s. str. (= sensu strictu, also im engeren Sinne), dazu Lebistes, Pamphorichthys und Limia. Guppys stellte man zu Lebistes, die Arten, die wir heute als Micropoecilia kennen – es sind dies aktuell die mehrheitlich anerkannten M. bifurca, M. branneri, M. minima, M. parae, M. picta, M. sarrafae und M. waiapi plus die derzeit als Synonyme eingestuften M. amazonica und M. heterista – zu Poecilia. Untergattungen werden in der zoologischen Nomenklatur in Klammern dem Gattungsnamen nachgesetzt. Der Para-Kärpfling hieß demnach bei Rosen & Bailey Poecilia (Micropoecilia) parae Eigenmann, 1894. Heutzutage besteht aus den oben genannten Gründen eine Tendenz, Untergattungen grundsätzlich als eigenständige, vollwertige Gattungen zu betrachten oder sie komplett zu verwerfen. Aufgrund der vielen eigentümlichen Gemeinsamkeiten, die Micropoecilia auch gerade aus aquaristischer Sicht aufweisen (Verhalten allgemein, Balzverhalten im Speziellen, Züchtbarkeit und anderes), besteht unter den Menschen, die sich näher mit ihnen befassen und befasst haben, eine mehrheitliche Tendenz, Micropoecilia als volle Gattung zu sehen.

Der Para-Kärpfling

Der Para-Kärpfling kommt in der Natur in mehreren, extrem unterschiedlich aussehenden Varianten vor. Sie sehen so unterschiedlich aus, dass sie sogar wissenschaftlich als verschiedene Arten beschrieben wurden. Die in Guyana häufigste Form ist der Para-Kärpfling mit einem Muster aus senkrechten Streifen auf den Seiten. Die zweite Form hat zwei dunkle, waagerechte Bänder auf den Flanken. Sie wurde als M. melanzona wissenschaftlich beschrieben. Die dritte Form aus Guyana konnte in freier Wildbahn noch nicht als erwachsener Fisch nachgewiesen werden. Sie ist völlig farblos bis auf einen kleinen Schulterfleck. Man bezeichnet diese Form auch als „immaculata“-Form. Dann gibt es auch noch eine Variante, die einen großen runden Fleck auf der Flanke und auf dem Schwanzstiel hat; sie wurde in Französisch Guyana im Fleuve Approuage nahe bei Régina gefunden. Die Lebendfärbung der eigentlichen Para-Kärpflinge aus Brasilien (Bundesstaat Para) ist bislang nur sehr unzureichend dokumentiert. Sie haben wohl meist einen komma-förmigen Fleck auf dem Vorderrücken. 1910 wurden solche Para-Kärpflinge für die Aquaristik importiert und abgebildet, zunächst unter dem Synonym M. amazonica. Auch aus Guyana sind so aussehende M. parae bekannt, z.B. aus der Nähe von Georgetown (Einzug des Demera River). Allen Varianten – außer „immaculata“ – ist gemeinsam, dass sie in der oberen Schwanzflossenhälfte einen dunkel eingerahmten keilförmigen Fleck haben. Bei der ähnlichen, oft gemeinsam mit M. parae vorkommenen Art M. picta ist dieser Fleck fast immer rund; M. picta hat aber abgesehen davon auch einen anderen Körperbau, ist viel gedrungener als M. parae.

Männchen der roten „Melanzona“-Morphe
Männchen der gelben „Melanzona“-Morphe
Männchen der blauen „Melanzona“-Morphe

Von der „parae“-Form aus Guyana und der „melanzona“-Form gibt es jeweils vier Farbvarianten, nämlich solche mit roter, gelber, blauer und silberner Grundfärbung. Junge, gerade geschlechtsreife Männchen aller Farbformen sehen wie die „immaculata“-Form aus. Erst mit zunehmendem Alter entwickelt sich die Färbung. Während, wie gesagt, in der Natur noch nie ausgewachsene „immaculata“-Männchen gefunden wurden, kommen ausgewachsene „parae“-Männchen und ausgewachsene „melanzona“-Männchen aller Farben in der Natur gemeinsam vor. Dass es überhaupt ausgewachsene „immaculata“-Männchen geben kann, weiß man nur, weil sich unter mitgebrachten jungen Wildfängen (die ja alle noch wie „immaculata“ aussehen), einige Tiere niemals ausfärbten. Die Weibchen des Para-Kärpflings sehen übrigens überall gleich aus.

Wenig spektakulär im Aussehen, aber sehr interessant: die „Immaculata“-Morphe

Im Labor zeigten Nachzuchtexperimente eindeutig, dass die Färbung der männlichen Jungtiere vom Männchen vererbt wird. Micropoecilia parae verfügt, genau wie wir Menschen, über Y-Chromosomen im männlichen Geschlecht. Die Codierung für die Färbung wird offensichtlich über das Y-Chromosom vererbt. Verpaart man z.B. ein rotes „melanzona“-Männchen mit einem jungfräulichen Weibchen, so sind die Söhne allesamt vom Typ „rote melanzona“. Verpaart man das gleiche Weibchen anschließend z.B. mit einem gelben „melanzona“, so sind die Söhne allesamt „gelbe melanzona“. Alle Farbvarianten, einschließlich „immaculata“, sind, soweit man das bislang untersuchen konnte, zu 100% reinerbig was die Färbung im männlichen Geschlecht angeht.

Para-Kärpflinge aus Brasilien sind schon seit Jahrzehnten nicht mehr importiert worden. Die Zeichnung stammt aus dem Jahr 1910.

Nun fragt man sich natürlich nach dem Sinn dieser Vielfarbigkeit. Gibt es vielleicht weibliche Preferenzen? Oder bestimmen, wie beim Guppy, die Fressfeinde, welche Farbvariante sich zahlenmäßig durchsetzt? Besteht bezüglich der Lebenstüchtigkeit bei den Farbvarianten ein Unterschied? Bislang kann man auf keine dieser Fragen befriedigende Antworten geben. Man weiß zwar, dass in Auswahltests die Weibchen manchen „melanzona“-Typen den Vorzug geben, aber das steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass in der Natur die „parae“-Typen klar in der Mehrzahl sind.

Gelbe Morphe der typischen „parae“-Form

Schwierige Zucht

Leider ist der Para-Kärpfling aquaristisch ein ausgesprochener Problemfisch, wie übrigens alle Micropoecilia-Arten mit Ausnahme von manchen M. picta-Stämmen. Es ist noch nie gelungen, stabile Aquarienpopulationen dieser Art aufzubauen. Die Ursache dafür ist unbekannt. Wildfänge machen keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten, sie sind vital, balzen, bekommen Junge und werden ziemlich alt, über zwei Jahre, was recht ordentlich für einen kleinen Lebendgebärenden Zahnkarpfen ist. Aber von Generation zu Generation werden die Tiere schwächlicher, wachsen die Jungtiere schlechter heran und spätestens nach der dritten oder vierten Generation ist Schluss. In Südostasien, wo die Tiere gezüchtet werden, die gegenwärtig im Zoofachhandel zu erwerben sind, hält man die Tiere in Freilandteichen. Dort hat man die Probleme nicht. Allerdings sind M. parae wenig produktiv, meist werden deutlich unter 10 Jungtiere pro Wurf abgesetzt. Das macht die Fische natürlich vergleichsweise teuer und so sind sie aquaristisch stets vom Aussterben bedroht, denn für „Otto Normalaquarianer“ gibt es kaum Gründe, einen teuren Para-Kärpfling einem deutlich billigeren und ebenso bunten Guppy vorzuziehen. Ohne stetige Nachfrage gibt keine kommerzielle Zucht, das ist ein ökonomisches Grundgesetz!

Es deutet manches darauf hin, dass UV-Licht ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Zucht von Micropoecilia  über Generationen darstellt. Jedenfalls sind Versuche, das Micropoecilia-Aquarium (dann natürlich ohne Deckscheibe!) mit Lampen mit UV-Anteil zu beleuchten, wie sie für die Reptilienhaltung produziert werden, recht vielversprechend verlaufen. Andere Thesen gehen davon aus, dass es bestimmte hochgradig ungesättigte Fettsäuren sind, deren Fehlen im Futter der Micropoecilia zu den geschilderten Problemen führt. In Gesprächen mit Züchtern und Futtermittelherstellern deuteten diese jedenfalls an, dass sie mit diesen Fettsäuren als Futterzusatz keine Probleme bei der zucht mehr hätten. Aber die Fettsäuren sind ausgesprochen teuer und bislang wurden m. W. keine wissenschaftlich einwandfreien Publikationen veröffentlicht, aus denen hervorginge, dass die Fettsäuren das Zuchtproblem wirklich lösen.

Ähnliche Schwierigkeiten gibt es übrigens auch bei den herrlichen Hochflosser-Mollies (Poecilia latipinna, P. kykesis und P. velifera), deren Zucht über Generationen in geschlossenen Aquariensystemen (also ohne zeitweiligen Aufenthalt im Freiland mit direkter, ungefilterter Sonneneinstrahlung) allergrößte Schwierigkeiten macht, wogegen diese Fische (zumindest P. latipinna und P. velifera, der dem Segelkärpfling äußerst ähnliche P. kykesis wurde m.W.noch nie in der Aquakultur eingesetzt) in den Teichen in Südostasien zu abertausenden und seit Jahrzehnten erfolgreich gezüchtet werden.

Micropoecilia picta kommt oft gemeinsam mit M. parae vor; die Art ist in der Haltung nicht ganz so kompliziert wie M. parae, vom „Roten Picta“ gibt es schon viele Jahre einen Aquarienstamm.
Micropoecilia picta ist ähnlich variabel wie M. parae, allerdings kommt an einem Fundort gewöhnlich nur eine Morphe vor. Dies ist eine Fundortvariante von M. picta aus der Nähe von Georgetown in Guyana.

Glücklicherweise ist der Para-Kärpfling in der Natur ein Kulturfolger und ausgesprochen häufig. Man findet ihn zuverlässig in wenig appetitlichen Lebensräumen, nämlich schlammigen Pfützen im Bereich von Abwasser-Ausläufen; das Wasser ist in Küstennähe oft brackig. Es werden dort, je nach Tidenstand, Leitwerte zwischen 80 und 2550 µS/cm und pH-Werte zwischen 6,8 und 7,4 gemessen. Aber Para-Kärpflinge sind anpassungsfähig und man konnte sie auch schon in sehr weichem, tief dunkelbraunen Wasser mit saurem pH-Wert um 5 nachweisen. Leider gibt es weder in Brasilien noch in den Guyana-Ländern, der Heimat des Para-Kärpflings, kommerzielle Exporteure dieses Fisches. So bleibt vorerst nur zu hoffen, dass möglichst viele Aquarianer auch ohne Zuchtabsichten die in Asien gezüchteten Tiere dieser ebenso hübschen wie interessanten Art kaufen, damit die asiatischen Züchter ihre Bemühungen nicht aufgrund mangelnder Nachfrage einstellen. Und wer weiß? Vielleicht gelingt es ja Ihnen, lieber Leser, einige der offenen Fragen zu dem hübschen Fischchen zu beantworten?

Frank Schäfer


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Batrachochytrium salamandrivorans 

Ist der Salamanderfresserpilz mit der Molchpest identisch?

Keine Krankheit der Gegenwart hat ein solches Massenaussterben und somit Biodiversitätsverlust gebracht wie der Hautpilz Batrachochytridium. Geschätzt 300 Amphibienarten – Frösche und Kröten – sind ihm zum Opfer gefallen. Aufmerksam wurde man Anfang der 1980er Jahre auf dieses Phänomen, als plötzlich aus Nord- und Mittelamerika und aus Australien rätselhafte Froschsterben gemeldet wurden, sowohl in freilebenden wie auch in Terrarien-Populationen. Über 40% der Amphibien-Arten Mittelamerikas starben aus und es gab riesige Verluste in Europa, Australien und Nordamerika. Es dauerte fast 20 Jahre, bis man einen Pilz als den Auslöser des Froschsterbens identifizieren konnte und als Batrachochytridium dendrobatidis beschrieb (Longcore, Pessier & Nichols, 1999). Schwanzlurche – also Molche und Salamander – blieben von dem Erreger scheinbar weitgehend verschont. Doch im Jahr 2010 begann plötzlich ein Sterben unter Feuersalamandern in den Niederlanden, das so augenfällig war, dass sogar tote und sterbende Tiere in freien Natur gefunden wurden. Bis 2013 waren nur noch 4% der ursprünglichen Feuersalamanderpopulation der Niederlande am Leben. Mit 39 Tieren der Restpopulation versuchte man 2012 ein Rettungs-Zuchtprogramm aufzubauen; fast die Hälfte der Tiere verstarb an der rätselhaften Krankheit, die sich durch wie Verbrennungen aussehende Hautveränderungen äußert. Alle Tests auf die bekannten Amphibienerkrankungen, inklusive Batrachochytridium dendrobatidis, verliefen negativ. Doch schließlich konnte man Anfang 2013 nachweisen, dass hier ein eng verwandter, jedoch neuartiger Chytridpilz zu Gange war, der im September 2013 als Batrachochytridium salamandrivorans (kurz: Bsal) beschrieben wurde. In der Folge kam es zu weiteren Ausbrüchen in Belgien, wo ähnlich dramatische Bestandseinbrüche wie in den Niederlanden beobachtet wurden und in Gefangenschaftspopulationen in Deutschland und Großbritannien, ebenfalls mit hohen Sterberaten. Heute ist der “Salamanderfresser“ in vielen Teilen Mitteleuropas vorhanden und killt Feuersalamander. Verbreitet wird er offenbar über Sporen. Ausgerechnet Naturfreunde sind wichtige Verbreiter, wenn sie mit Sporen infizierte Erde am Schuhwerk haben. Aber auch Frösche und Kröten sind bedeutende Vektoren, da sie an Bsal nicht erkranken, aber Träger sein können und während ihrer Laichwanderungen auch mit Feuersalamander-Laichgewässern in Berührung kommen.

Die Goldkröte (Incilius periglenes) aus Costa Rica, ein prominentes Opfer des Chytrid-Pilzes. Durch weniger starrsinnige Artenschutzgesetze hätte die Art vielleicht gerettet werden können.

Eine wissenschaftliche Studie der EU (Balàž et al, 2017) zeigte, dass der Pilz bei unterschiedlichen Schwanzlurchen unterschiedlich virulent ist. Feuersalamander sind offenbar besonders anfällig. Künstliche Infektionsexperimente zeigten, dass die ostasiatischen Molcharten Paramesotriton deloustali, Cynops pyrrhogaster und Cynops cyanurus sehr empfänglich für Bsal sind. Die meisten Vertreter der Schwanzlurch-Familien Salamandridae, Plethodontidae, Hynobiidae und Sirenidae zeigten sich tolerant: sie können Träger des Pathogens sein, ohne jedoch selbst zu erkranken oder irgendwelche Symptome zu zeigen. Die einzige Schwanzlurch-Familie, bei der kein einziges der getesteten Individuen irgendwelche Symptome entwickelten, war die der Querzahnmolche Ambystomatidae, die 36 Arten umfasst, darunter der Axolotl (Ambystoma mexicanum) und der Tigersalamander (A. tigrinum).  Die beiden zuletzt genannten Arten haben große vivaristische Bedeutung, während die allermeisten der rund 600 bekannten  Schwanzlurcharten entweder gar nicht (die Mehrzahl) oder nur von einigen wenigen (weniger als 100 weltweit) Spezialisten gepflegt und gezüchtet wird. Die Konsequenz der Studie: es wurde ein Gesetz erlassen, das das Verbringen von Schwanzlurchen in den Raum der EU unter strenge Auflagen stellt. So etwas kennen wir ja aus der Corona-Krise. Im Wesentlichen sind die Auflagen ganz ähnlich, also Salamander dürfen nur noch in die Armbeuge niesen und müssen Mundschutz im öffentlichen  Raum tragen – Scherz gemacht, wollte nur wissen, ob Sie noch aufmerksam lesen. Nein, es geht um Kontaktbeschränkungen, um den Kontakt mit potentiell infizierten Tieren so gering wie möglch zu halten. Das ist einseh- und nachvollziehbar.

Ambystoma tigrinum, Tigersalamander, sind vollständig restistent gegen Bsal.

Kam Bsal, wie von den Behörden vermutet, mit Molchimporten (hier: Cynops cyanurus) in die EU? Wohl eher nicht…

Leider fordern Menschen, die die Tierhaltung generell als unethisch ablehnen und die man in ihren vollständig empathielos-radikalen Forderungen gegen die gleichberechtigten (!) Ansprüche der Tierhalter nur als faschistoid bezeichnen kann, jetzt ein generelles Haltungsverbot für Schwanzlurche, da – so die  Bewegungen – durch den Tierhandel erst diese Seuche nach Europa gekommen sei. Ist das wirklich so? Die Antwort auf solche Fragen ist komplex, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Seuchenerreger, das zeigt die Corona-Krise überdeutlich, finden einen Weg, das war schon immer so. Man denke an die Pest, die Tuberkulose, die Syphilis, die Lepra, die Grippe und andere Seuchen, die bereits Milliarden von Menschen das Leben gekostet haben. Isolation kann einen Seuchenverlauf abbremsen, verhindern kann sie ihn nicht.

Taricha granulosa, eine Molchart aus den USA, gilt als sehr empfänglich für die Molchpest.

Es ist, wertet man die existierende terraristische und herpetologische Literatur über Schwanzlurche aus, sehr wahrscheinlich, dass Bsal schon seit Beginn der ernsthafteren Aufzeichnungen über Schwanzlurche im ausgehenden 19ten Jahrhundert in Europa vorhanden war und in den Terrarien zu einer seuchenhaft verlaufenden Krankheit mit hoher Mortalitätsrate führte, der so genannten Molchpest. Ein Erreger für die Molchpest wurde nie gefunden. Die Symptome – Hautveränderungen, die wie Verbrennungen aussehen, mit Aufbrüchen, starkes Abmagern, ein merkwürdiger, petersilienartiger Geruch der in betroffenen Anlagen  auftritt – sind wenig spezifisch und könnten alles Mögliche sein. Bis in die 1980er Jahre wurde die Molchpest in der Liebhaber-Literatur  und auch in der sehr spärlichen veterinärmedizinischen Fachliteratur über Amphibien immer wieder einmal diskutiert (z.B. Reichenbach-Klinke, 1960). Dann hörte man plötzlich nichs mehr davon, in der aktuelleren Literatur wurde nur noch von der Molchpest als einer Erkrankung gelabert, die durch schlechte Haltungsbedingungen ausgelöst wird. Das ist jedoch unreflektiertes Gewäsch, für das jeglicher naturwissenschaftlicher Beleg fehlt. Selbstverständlich fördern unzureichende Haltungsbedingungen die Entstehung von Erkrankungen, aber das ist eine im Falle des Auftretens einer Erkrankung nicht weiterführende Binsenweisheit. Denn auch das wird bei der Auswertung der Molchpestberichte deutlich: sie konnte immer und überall zuschlagen, keineswegs nur in Anlagen mit bedenklichem Hygienestandard oder gar unzureichender Grundversorgung (Einrichtung, Klima, Fütterung). Der Grund für das plötzliche Abbrechen von Berichten über Molchpest in der Liebhaber-Literatur ist darin zu suchen, dass überhaupt nicht mehr über Erkrankungen von Pfleglingen berichtet wird, weil sich in der öffentlichen Meinungsbildung die Ansicht durchgesetzt hat, dass Erkrankungen von Heimtieren – gleich welcher Art – schuldhaft dem Pfleger anzulasten sind. Kein Tierhalter möchte zusätzlich zu der schweren emotionalen Belastung, die der Ausbruch einer Seuche im Bestand bedeutet, dass er auch noch den Anwürfen von Besserwissern ausgesetzt wird. Die Folge ist, dass es zwar nach wie vor Tierseuchen gibt, aber niemand darüber spricht.

Aenny Fahr war eine ganz außergewöhnliche Frau und eine berühmte Tier-Fotografin. Das von ihr gezüchtete Tier zeigt eindeutig die Symptome eines mit Bsal infizierten Tieres! aus Fahr, 1910

Die ersten Hinweise auf Mochpest gibt Bedriaga (1897: 183). Er schreibt: „Unzweckmässige Behandlung in der Gefangenschaft dürfte gewöhnlich Grund und Ursache an der Erkrankung dieser Thiere sein, ich glaube sogar, dass im Freien Gebrechen bei den Molchen überhaupt nicht vorkommen oder höchst selten sind. Die im Käfig gehaltenen Schwanzlurche haben immer wieder dieselben Hautkrankheiten: Knoten, Beulen und Blasen, die, wenn sie eingestochen werden, eine Flüssigkeit von sich geben; mitunter wird die ganze Oberfläche des Körpers wie blasig und das erkrankte Thier wird gegen die Oberfläche des Wassers gehoben.“ Den Begriff der „Molchpest“ prägte der wohl beste Kenner der Schwanzlurche insgesamt, den es je gab, Willy Wolterstorff (1864-1943). Tatsächlich gibt es in der gesamten mir bekannten herpetologischen Literatur nur einen einzigen Bericht über ein Auftreten der Molchpest in freier Natur in größerem Umfang, und zwar von Aenny Fahr, die das bei Fadenmolchen (Lissotriton helveticus) in der Umgebung von Darmstadt feststellte. Die Diagnose wurde von Wolterstorff anhand zu ihm gesandter Exemplare bestätigt (Fahr, 1914). Von Fahr stammt auch der erste mir bekannte Bericht über eine tödlich verlaufende Hauterkrankung bei gezüchteteten, 6 Jahre alten Feuersalamandern, die bis ins Detail der Symptomatik bei von Bsal befallenen Feuersalamandern entspricht (Fahr, 1910). Über ein Einschleppen der Molchpest mit selbstgefangenen Tiere berichtet Schmidt 1980, der Erreger war also zu diesem Zeitpunkt definitiv in Europa vorhanden.

Cynops wolterstorffi, der ausgestorbene Molch aus dem Dian-See, wahrscheinlich das erste (bekannt gewordene) Opfer von Bsal. Abbildung aus Boulenger, 1905

Mit dem Namen Wolterstorff ist darüber hinaus das rätselhafte Aussterben einer Molchart verbunden, das ebenfalls kaum einen anderen Schluss zulässt, als dass dort eine besonders virulente Form des Bsal im Spiel war: Cynops wolterstorffi (früher Hypselotriton wolterstorffi). Der 1905 beschriebene Molch kam nur in einem einzigen See in der südchinesischen Provinz Yunnan vor, dem Dian-See. Dort war er bis in die 1950er Jahre ausgesprochen häufig, doch 1984 wurde das letzte Exemplar gesichtet. In menschlicher Obhut gehalten wurde die Art nie. Sicher können auch Umweltverschmutzung und künstlich eingesetzte Fressfeinde (Fische) die Art ausgelöscht haben, sehr wahrscheinlich ist das aber nicht, da vergleichbare Beeinträchtigungen andernorts noch zu keiner dokumentierten vollständigen Auslöschung von Molchen führten.

Fasst man die dank der Terrarienkunde vorliegenden Indizien zusammen, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Molchpest und Bsal durch den gleichen Erreger ausgelöst werden und dass dieser Erreger spätestens seit Anfang des 20ten Jahrhunderts auch in Europa vorhanden ist. Die Berichte über die Molchpest in der Liebhaber-Literatur und das Aussterben von Cynops wolterstorffi deuten darauf hin, dass Bsal periodisch unterschiedlich virulent ist, von radikal letal (Cynops wolterstorffi) bis symptomlos, verbunden über Zwischenstufen (Lissotriton helveticus bei Darmstadt; es gibt die Art hier bis heute, die Lokalpopulation ist also nicht ausgestorben). Ein interessantes Detail: von allen heimischen Schwanzlurchen hat sich in aktuellen Studien nur der Fadenmolch, also die einzige Art, bei der die Molchpest je in freier Natur dokumentiert wurde, als vollständig restistent gegen Bsal gezeigt. Reiner Zufall?

Darmstädter Fadenmolch, Lissotriton helveticus. Es gibt bei Darmstadt auch viele Berg- und Teichmolche (Ichthyosaura alpestris, Lissotriton vulgaris). In über 40 Jahren Feldforschung habe ich jedoch nur einen einzigen Kamm-Molch (Triturus cristatus) bei Darmstadt gefangen.

Tierhaltungsgegener nehmen die Corona-Pandemie zum Anlass, ein generelles Verbot für die Pflege und Zucht „exotischer“ Tiere zu fordern. Ein Schreiben der Organisation Peta ging beim Bürgermeister der Stadt Hamm ein, in der er aufgefordert wurde, die Terraristika, die größte Börse für Terrarientiere, wegen der unabwägbaren Infektionsgefahren, die von diesen Tieren ausgingen, zu verbieten. Man sieht, den Tierhaltungsgegnern ist kein Argument zu platt, kein Unglück groß genug, um daraus nicht populistischen Ertrag für ihre Kampagnen zu schlagen. Ein Pflege- und Zuchtverbot von „exotischen“ Tieren (darunter fallen also auch Haushühner, denn sie stammen ursprünglich aus Asien, Meerschweinchen (Südamerika), Goldhamster (Syrien), Ziegen (Mittelmeerraum), Schafe (Mittelmeerraum), Esel (Afrika), Perlhühner (Afrika), Pfauen (Asien) uswuswusw.) aus gesundheitlichen Gründen ist selbstverständlich völlig überzogen, eine echte Gesundsheitsgefahr für Menschen geht von der Terraristik nicht aus. Lediglich dadurch, dass Kleinkinder unbeaufsichtigt mit Baby-Wasserschildkröten spielen durften und sie dabei in Mund nahmen, kam es zu Salmonellen-Infektionen der Kinder. Verglichen mit Salmonellen-Infektionen, die andere Ursachen hatten (vor allem Lebensmittel), waren auch das nicht stattfindende Ereignisse. Ein Verbot der Pflege und Zucht von Molchen und Salamandern wegen der Gefahr, Bsal in die Natur zu verschleppen, ist ebenso unsinnig. Der Salamanderfresser ist längst da und er wird nie wieder verschwinden. Statt Verboten sollten Verwaltungen, die mit Artenschutz befasst sind, die Pflege und Zucht von Salamandern und Molchen fördern, damit es genug Menschen mit entsprechendem Know-How gibt, die im Falle eines dramatischen Ausbruchs von Bsal mit lokalen Populationen ein Erhaltungszuchtprogramm starten können. Denn es gibt bei Bsal eine wirklich gute Nachricht: einfache Temperaturerhöhung auf 25°C über 10 Tage tötet den Salamanderfresser sicher ab. So hohe Temperaturen sind zwar für die Molche und Salamander purer Stress, aber sie überleben es, jedenfalls die für Bsal so besonders anfälligen Feuersalamander (es gibt unter den Schwanzlurchen auch viele kälteadaptierte Arten, die bei so hohen Temperaturen eingehen, darum ist die Temperaturtoleranz des Feuersalamanders ein echter Glücksfall).

Pärchen (hinten das Weibchen) von Feuersalamandern aus dem Darmstädter Stadtwald.

Im Darmstädter Stadwald gibt es noch viele Feuersalamander. Sie setzten ihre Jungen dort viel häufiger in Pfützen als in Bächen ab, weil in den Pfützen das Nahrungsangebot in Form von Grasfroschkaulquappen so gut ist. In den letzten drei Jahren überlebten allerdings weder Feuersalamander noch Grasfrösche: die Pfützen trockneten wegen der extemen Trockenheit viel zu früh aus. Unten: Feuersalamanderlarve im Biotop.

Frank Schäfer

Nachtrag: dieser Artikel erschien praktisch unverändert (es wurden seither nur minimale sprachliche Korrektruren vorgenommen) im Bookazine 8 (22.6.2020, Bestellmöglichkeit hier: https://tierverliebt.shop/NEWS-Bookazine-Nr-8-Fruehjahr-2020). Seither habe ich meine Forschungsergebnisse mit zahlreichen Interessierten diskutiert und habe dabei manchmal teilweise recht heftigen Widerspruch erfahren. Keine meiner Behauptungen seien beweisbar, so der Konsens meiner Kritiker. Das ist so nicht ganz richtig. Das Ergebnis meiner Recherchen sind Indizien-Beweise und ich habe ausführlich darsgestellt, wie ich dazu kam. So weit es in Erfahrung zu bringen war, existieren aus Mitteleuropa keine in Alkohol konservierten Exemplare von an Molchpest verstorbenen Tieren, bei denen die Diagnose durch einen in Amphibienpathologie erfahrenen Spezialisten erfolgte, aus der Zeit vor dem Auftreten von Bsal. Nur mit solchem Material könnte über gentechnische Verfahren eine Untersuchung auf Bsal erfolgen. Die Sammlung Wolterstorff in Magdeburg könnte die Belegexemplare, die Fahr an Wolterstorff schickte, enthalten haben. Sie wurde leider bei einem Bombenangriff 1945 völlig vernichtet. Somit wird weder der handfeste, unumstößliche Beweis, dass Molchpest und Bsal ihre Ursache im gleichen Erreger haben, zu führen sein, noch wird je der umgekehrte Beweis, nämlich das die Molchpest etwas anderes war und Bsal erst lange nach Ende des 2. Weltkrieges nach Europa mit Tierimporten eingeschleppt wurde, zu führen sein.

Festgestellt werden muss darüber hinaus, dass es außer Indizien auch keinerlei Beweis dafür gibt, dass Bsal durch infizierte Schwanzlurche über den Tierhandel aus Asien nach Europa gekommen ist. Objektiv stehen für beide Thesen Indizien gegen Indizien. 

Bedeutsam scheint mir noch folgende Abschlussbemerkung: bis heute konnte Bsal in keinem einzigen daraufhin untersuchten kommerziellen Import von handelsrelevanten Schwanzlurchen aus Asien (Cynops spp., Pachytriton spp., Tylototriton spp.) nachgewiesen werden. Wenn also auch nicht vollkommen auszuschließen ist, dass Bsal mit solchen Importen nach Europa kam, so erscheint das wegen der im Infektionsversuch so hohen Empfänglichkeit ausgerechnet mancher im Handel so besonders bedeutsamen Arten (Cynops) doch ein eher unwahrscheinlicher Weg zu sein. Heutzutage gibt es ziemlich sichere und einfache Nachweismethoden für Bsal (PCR-Tests), die noch nicht einmal sonderlich teuer sind. Wenn ernsthafte Bedenken bestehen, dass Bsal-Einschleppungen mit Tiertransporten erfolgen könnten, so sind sie durch geeignete Quarantänemaßnahmen und Gesundheitszeugnisse der exportierenden Staaten leicht auszuräumen. 

Weiterführende und zitierte Literatur:

Bedriaga, J. v. (1897): Die Lurchfauna Europas. II Urodela. Schwanzlurche. Moskau

DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2018/320 DER KOMMISSION vom 28. Februar 2018 über bestimmte Maßnahmen zum Schutz der Tiergesundheit beim Handel mit Salamandern innerhalb der Union und bei der Verbringung solcher Tiere in die Union im Hinblick auf den Pilz Batrachochytrium salamandrivorans

European Food Safety Authority (EFSA), Balàž, V., Gortázar Schmidt, C., Murray, K., Carnesecchi, E., Garcia, A., … & Zancanaro, G. (2017): Scientific and technical assistance concerning the survival, establishment and spread of Batrachochytrium salamandrivorans (Bsal) in the EU. EFSA Journal, 15(2), e04739.

Fahr, Ae. (1910): Krankheitserscheinungen bei gezüchteten Feuersalamandern (Salamandra maculosa Laur.). Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde 21: 564-565

Fahr, Ae. (1914): Einiges über Tritonen aus der Umgebung von Darmstadt. Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde 25 (19): 332-335

Longcore, J. E., Pessier, A. P. & D. K. Nichols (1999): Batrachochytrium dendrobatidis gen. et sp. nov., a chytrid pathogenic to amphibians. Mycologia 91 (2): 219-227

Habich, L. (2019): Probenahmen bei privaten Haltern von Feuersalamandern. Die Aquarienzeitschrift Datz 72 (8): 22-25

Jarofke, D. & H.-J. Herrmann (1997): Amphibien. Biologie, Haltung, Krankheiten, Bioindikation. Enke, Stuttgart.

Jung, L. (2019): Kartierung von Larven-Abundanzen in hessischen Bächen. Die Aquarienzeitschrift Datz 72 (8): 26-29

Klewen, R. (1988): Die Landsalamander Europas, Teil 1. Die Neue Brehm Bücherei. A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt.

Martel, A., Spitzen-van der Sluijs, A., Blooi, M., Bert, W., Ducatelle, R., Fisher, M. C., … & F. Pasmans (2013): Batrachochytrium salamandrivorans sp. nov. causes lethal chytridiomycosis in amphibians. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(38), 15325-15329.

Reichenbach-Klinke, H. H. (1961): Krankheiten der Amphibien. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart.

Rimpp, K. (1985): Salamander und Molche. 2. Auflage. Ulmer, Stuttgart.

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Sporkert, C. (2020): Nie wieder „Terraristika“ in Hamm? PETA fordert Verbot, um Verbreitung von Viren durch Wildtiere zu verhindern. https://www.wa.de

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Ziemek, H.-P. (2019): Der „Salamanderfresser“ breitet sich aus! Die Aquarienzeitschrift Datz 72 (3): 18-21

Ziemek, H.-P. (2019): Der Feuersalamander, eine Verantwortungsart – für uns alle? Die Aquarienzeitschrift Datz 72 (8): 16-17

Von wegen: friedliche Pflanzenfresser! Tropheus sp. „Kasanga“

Als Naturwissenschaftler kann man nur froh sein, dass die Dinosaurier ausgestorben sind. Denn in Zeiten, in denen die Menschen eine größere Bereitschaft zeigen, den Fantasien von Hollywood Glauben zu schenken als den realistischen, aber eben nicht einfachen Einsichten der Wissenschaft, gäbe es sicher unzählige Todesopfer aufgrund der Tatsache, dass in dem Film „Jurassic Park“ die pflanzenfressenden Saurier als friedliche Riesen dargestellt werden.
Dem liegt eine sehr häufig zu beobachtende sprachliche Unrichtigkeit zu Grunde. Fleischfresser im Tierreich werden ganz allgemein mit dem Attribut „aggressiv“, Pflanzenfresser mit dem Attribut „friedlich“ assoziiert. Dabei hat die Art der Ernährung rein gar nichts mit dem Aggressionspotenzial einer Tierart zu tun. Die afrikanische Großtierart, die die meisten Menschen durch aggressives Verhalten tötet, ist nicht etwa der Löwe, sondern das Flusspferd – ein exklusiver Vegetarier.

Das Flusspferd ist reiner Vegetarier, aber alles andere als friedlich.

Fressverhalten ist nicht alles

Vermutlich kommt es zu dieser Fehleinschätzung tierischen Verhaltens, weil in der menschlichen Gesellschaft manche Menschen das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken als aggressives und moralisch zweifelhaftes Verhalten empfinden, während sie das Töten von Pflanzen zu Nahrungszwecken als friedliche und zu bevorzugende Alternative sehen. Aber diese Definition von aggressivem Verhalten beschreibt ausschließlich das Räuber-Beute-Verhalten, oder, um es etwas allgemeiner zu formulieren, das Fressverhalten. Andere Aspekte des Zusammenlebens, seien es nun das Zusammenleben mit Artgenossen oder mit artfremden Lebewesen, werden dabei nicht berücksichtigt. Viele Raubfische etwa sind sowohl gegen ihresgleichen wie auch gegen andere Fische völlig friedlich, wenn sie nicht als Nahrung in Frage kommen. Und etliche reine Pflanzenfresser sind wahre Tyrannen im Aquarium, die weder Artgenossen, noch andere Fische ähnlicher Lebensweise in ihrem Umfeld dulden. Beispiele für letztere sind etwa zahlreiche Doktorfische (Acanthurus) im Meerwasseraquarium oder im Süßwasseraquarium die schönen Maulbrüter der Gattung Tropheus aus dem Tanganjikasee in Afrika.

Acanthurus lineatus ernährt sich von Algen. Friedlich ist er aber deswegen nicht.

Tropheus

Obwohl einige Arten dieser Gattung zu den beliebtesten Buntbarschen aus dem großen afrikanischen Grabenbruchsee gehören und die eine oder andere Form fast immer im Zoofachhandel erhältlich ist, hat sich kein allgemein gebräuchlicher Populärname für diese Fische durchgesetzt. Ähnlich wie beim Platy (Xiphophorus maculatus), dessen Populärname sich von der Verballhornung eines älteren, ungültig gewordenen Gattungsnamens Platypoecilius ableitet, sprechen die Aquarianer, wenn sie sich über Tropheus-Buntbarsche unterhalten, von „Mooris“ (für Tropheus moorii) oder „Duboisis“ (für Tropheus duboisi). Es gibt wohl etwa 13 Arten von Tropheus im Tanganjikasee, die sich auf ca. 120 bekannte Unterarten oder Standortformen verteilen (Schupke, 2003). Es sind jedoch erst 6 Arten wissenschaftlich beschrieben worden (Tropheus annectens, T. brichardi, T. duboisi, T. kasabae, T. moorii und T.polli). Eine der schönsten ist zweifellos der Tropheus von Kasanga (ganz im Süden von Tansania), der keiner der bislang beschriebenen Arten angehört.

Tropheus von Kasanga, balzaktives Männchen.

Garstige Zeitgenossen?

Alle Tropheus ernähren sich von Aufwuchs. Das Wort „Aufwuchs“ beschreibt die vielfältige Mikroflora und -fauna, die sich auf der Oberfläche von Gegenständen – in der Natur gewöhnlich Steine, Holz oder Wasserpflanzen – befinden. Den größten Teil von Aufwuchs stellen im Lebensraum der Tropheus kleine Algen. Tropheus findet man an lichtdurchfluteten Felsküsten, wo sie gewöhnlich in größeren Gruppen beobachtet werden. Allerdings geht es in diesen Gruppen alles andere als friedlich zu. Ständig sind die Tiere in Rangeleien verwickelt oder sie zeigen Balzverhalten, wobei es auch nicht gerade zimperlich zugeht. Eine rationale Erklärung dieser hohen Aggressionsbereitschaft ist nicht leicht zu geben. Denn die Nahrung ist nicht nur knapp, sie ist auch ziemlich nährstoffarm. Eigentlich ist es nicht sehr sinnvoll, die mühsam aufgenommene Energie gleich wieder in ermüdende Kämpfe zu stecken. Aber die Natur funktioniert nicht so simpel. Da Tropheus häufige und überall im See anzutreffende Buntbarsche des Felslitorals sind, ist ihr Verhalten ganz offensichtlich eine erfolgreiche Überlebensstrategie – und allein darum geht es.

Schlimmer geht immer: Petrochromis

Eine mit Tropheus relativ nahe verwandte Gattung ist Petrochromis. Der Gattungsnane bedeutet “Felsenbarsch“. Wissenschaftlich werden acht Arten unterschieden, es gibt aber noch etliche unbeschriebene Spezies. Die Petrochromis-Arten werden deutlich größer als Tropheus, 15-20 cm. Typisch ist ihr viel größeres Maul, verglichen mit Tropheus. Auch Petrochromis sind reine Aufwuchsfresser. Unter einem Volumen von 1.000 Liter lassen sich Petrochromis nicht befriedigend pflegen. Sie sind wirklich hochgradig aggressiv! Ich erinnere mich, dass in den frühen 1980er Jahren ein Vereinsmitglied der Hottonia, des Darmstädter Aquarienvereins, ein 500-Liter-Aquarium mit Petrochromis trewavasae betrieb. Das Aquarium war voll mit jugoslawischen Lochgestein, das damals für die Einrichtung von Aquarien von Buntbarschen aus den großen Grabenseen en vogue war. Aber man sprach trotzdem spöttisch vom „Trümmer-Becken“. Das Aquarium war so voll, dass nur wenig Schwimmraum blieb, andernfalls hätte das Männchen den drei Weibchen wohl noch übler mitgespielt, als es das Tier ohnehin tat. Ich glaube, ich habe nie eines der Weibchen völlig unverletzt gesehen. Und doch hat die Gruppe über Jahre erfolgreich gezüchtet! Petrochromis sind nicht sehr fruchtbar, 5-10 Junge pro Weibchen waren ein gutes Ergebnis. Alle halbe Jahre, im Frühjahr und im Herbst, räumte der Pfleger das Aquarium aus, um die Jungtiere abzusammeln. Dabei wurden dann jedesmal hunderte von Kilo Gestein bewegt. Das geschah immer zur Börse, denn er war wohl der einzige Aquarianer damals weit und breit, der diese Fische wirklich erfolgreich züchtete. Kaufinteressenten kamen von Hamburg nach Darmstadt, um für unverschämtes Geld (so sah ich als Schüler das jedenfalls) ein paar Jungtiere dieser wüsten Raufbolde zu erwerben. Die spinnen, die Aquarianer! 

Ein weiteres Männchen des Tropheus von Kasanga.

Ständig in Bewegung

In einem Aquarium mit Tropheus ist immer etwas los. Diese Fische sind hektische Schwimmer. Und dominante Männchen sind äußerst farbenprächtig. Jungtiere und Weibchen sind bei Tropheus sp. „Kasanga“ deutlich anders gefärbt als die Männchen. Während Jungtiere noch eine Art Welpenschutz genießen, machen die Weibchen untereinander eine Rangordnung aus. Dieses Bild der lebhaften, sehr bunten Gesellschaft, in der ständig etwas los ist, macht für viele Aquarianer den Reiz aus, sich mit der Pflege und Zucht von Tropheus im Aquarium zu beschäftigen. Es erklärt aber möglicherweise auch, warum sich das hohe Aggressionspotential bei Tropheus im Laufe der Entwicklungsgeschichte als günstig erwiesen hat. Denn Tropheus sind so genannte agame maternale Maulbrüter. Das bedeutet, dass Männchen und Weibchen keine dauerhafte Paarbindung eingehen und es dem Weibchen alleine obliegt, die Eier im Maul auszubrüten.

Ein Gewsimmel von Kasanga-Tropheus unterschiedlichen Alters und Geschlechts.

Erklärungsversuche

Ein buntes Männchen zeigt Dominanzverhalten. Es zeigt an „ich bin stark und unbsiegbar“. Jedes andere Männchen ist ein potentieller Rivale, den es zu vertreiben gilt. Unterlegene Männchen haben deutlich mattere Farben oder nehmen sogar Weibchen-Färbung an. Ein Weibchen ist also gut beraten, sich das bunteste Männchen zur Paarung zu suchen, denn das gibt gute Gene weiter. Nähert sich ein Weibchen einem solchen Alpha-Männchen, so interpretiert das Männchen das als Paarungsannäherung. Ist das Weibchen jedoch nicht paarungsbereit, sieht das Männchen im Weibchen nur einen Nahrungskonkurrenten, den es zu vertreiben gilt. Die Weibchen wiederum kämpfen untereinander um die besten Fressplätze, denn sie sind in der Zeit, in der sie Eier im Maul ausbrüten, beim Fressen behindert. Nur wer es vor der Paarung geschafft hat, sich einen guten Energievorrat anzufressen, wird die anstrengende Zeit der Maulbrutpflege überstehen.

So sehen die Weibchen des Kasanga-Tropheus aus.

Kasanga im Aquarium

Die hohe Aggressionsbereitschaft und der Bewegungsdrang von Tropheus fordert große Becken. Die sind zudem nötig, weil man Tropheus am besten in Gruppen von 10 Exemplaren aufwärts pflegt, damit sich die Dresche, die jedes Tier abbekommt, einigermaßen verteilt. Ganz wichtig ist eine ballaststoffreiche, nährstoffarme Ernährung, denn sonst stellen sich über kurz oder lang Erkrankungen des Darmes ein oder die Fische verfetten. Tropheus– und da macht T. sp. Kasanga keine Ausnahme – fordern ein möglichst wenig mit Stoffwechselprodukten belastetes, keimarmes Wasser, sonst zeigen sie keine schönen Farben. Dem muss die Filteranlage angepasst sein. Und der Tanganjikasee ist ziemlich warm. Man darf nicht an der Heizung sparen, 26-28°C sind am günstigsten. Wer diese Bedingungen erfüllen kann und will, der wird mit einem Aquarium, das mit Tropheus sp. Kasanga besetzt ist, sehr viel Freude haben und vielfältige, spannende Beobachtungen machen können. Übrigens: artfremde Fische interessieren Tropheus meist nicht sonderlich. Es ist trotzdem nicht sehr ratsam, andere Arten im Tropheus-Becken mitzupflegen, denn die ständige Hektik geht ruhigen Arten auf die Dauer ziemlich auf den Wecker. Kleintierfresser, wie etwa die Lamprologus-Verwandten, können zudem nur schwer gefüttert werden, denn die schnellen Tropheus sind sehr hinter dem für die Tropheus auch noch ungesunden Lamprologus-Futter her. Am besten eignen sich Tanganjika-Clowns (Gattungen Eretmodus, Spathodus und Tanganicodus) für eine mögliche Vergesellschaftung.

Frank Schäfer


Buchtipp

Art.Nr.: 10072
Preis: 29,80 EUR

inkl. 7 % UST

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ISBN 10: 3936027374
ISBN 13: 9783936027372

Autor P. Schupke

192 Seiten, ca. 300 Farbfotos, ca. 150 farbige Zeichnungen, gebunden, hardcover + Falt-Poster DIN A1.


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Wird der Axolotl gerade endgültig ausgerottet?

Bereits seit den 1970er Jahren gilt der Axolotl (Ambystoma mexicanum) als bedrohte Art. Allerdings nur im Freileben, denn zu Millionen und Abermillionen gibt es diesen merkwürdigen, ausschließlich im Wasser lebenden Molch, der zeitlebens larvale Merkmale behält, in den Laboratorien und Aquarien auf der ganzen Welt. Die Art hat als Labortier eine so große Bedeutung, dass es sogar von 1976 bis 2003 eine eigene Fachzeitschrift gab, die ausschließlich dieser Art gewidmet war.

Wildfarbener, vermutlich reinblütiger Axolotl vom Frankfurter Stamm.

Der Axolotl war nie durch den Fang für den Tierhandel bedroht

Hobbyisten und Wissenschaftler waren stets von Wild­fängen unabhängig, da sich dieser Molch problemlos in jeder gewünschten Stückzahl züchten lässt. Bereits nach dem Erstimport nach Frankreich im Jahre 1863 (es handelte sich um 33 schwarze Tiere und ein weißes Exem­plar) konnten so viele Tiere nachgezüchtet werden, dass der gesamte europäische Bedarf – und der war gewaltig, denn man interessierte sich brennend für die Frage, unter welchen Umständen und warum die eigentlich zeitlebens wasser­leben­de Larve zum Landtier (Salamander) verwandelt wer­den konnte – durch Nach­zuchten gedeckt wurde.

Obwohl Axolotl in Mexiko gegessen werden, war auch diese Art der Nutzung durch den Menschen nicht das Problem, denn dafür wurden und werden andere, häufige Arten verwendet, etwa die Larven von A. tigrinum.

Untergang mit den Azteken

Die Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan, lag auf mehreren Inseln inmitten eines großen Sees, des Texcoco. Die Inseln, auf denen Tenochtitlan lag, waren über fünf künstliche Dämme, die unterbrochen werden konnten, mit dem Festland verbunden. So war Te­noch­titlan praktisch uneinnehmbar und die Azteken verteidigten es zunächst auch sehr erfolg­reich gegen die Konquistadoren.

Die Dämme dienten aber nicht nur der Verteidigung, vielleicht noch nicht einmal in erster Linie, sondern sie sicherten die Trinkwasserversorgung von Tenochtitlan und auch die Ernährung der Bevölkerung. Die Azteken grenzten mit den Dämmen das brackige, untrinkbare Wasser des Sees gegen Teile des Sees ab, die zur Regenzeit von am Boden des Gewässers befindlichen Süßwasserquellen gespeist wurden. So süsste das Wasser innerhalb des eingedämmten Bereiches aus und konnte als Trinkwasser genutzt werden. Bis heute erhalten sind die schwimmenden Dämme der Azteken, auf denen Nahrungspflanzen angebaut wurden. Auf Flößen wurde fruchtbarer Schlamm vom Seeboden – der See ist sehr flach, nur selten tiefer als 1 m – aufgeschichtet und die so gewonnene Anbaufläche sehr erfolgreich genutzt.

Nach dem Sieg der Konquistadoren wurden jedoch die Dämme eingerissen und das ausgeklügelte Kanal­system der Az­teken, das das zum Trinken zu salzige Was­ser des Texcoco von süßem Trinkwasser aus den unterseeischem, Regenwasser führen­den Zuflüssen des Sees trennte, aus kriegstak­tischen Gründen teilweise zerstört.

Die Süßwasser-Areale des Texcoco waren aber die Lebensräume des Axolotl, es kam seit jeher nur in diesem Gebiet vor. Der Unter­gang der Axolotl wurde also bereits mit der spanischen Eroberung Mexikos eingeläutet. Heute gibt es nur noch einen kleinen Rest des einst riesigen Texcoco. Mit dem See ver­schwanden viele der nur dort vorkom­men­den, also endemischen Tier- und Pflan­zen­arten. Im Xochimilco, einem der beiden Restgewässersysteme des Texoco überlebten noch Reste der ursprünglichen Axolotl-Population. In dem anderen Restwasser, dem Chalco, sind sie hingegen wohl ausgestorben, als der Chalco in den 1990er Jahren viele Jahre nahezu trocken lag.

Wo einst Tenochtitlan war, ist heute Mexiko City, eine der größten Städte der Welt. Der Xochimilco ist ein Stadtbezirk von Mexiko City, der etwa 25 km südöstlich vom Zentrum gelegen ist. Er umfasst rund 119 km2, die von ca. 415.000 Menschen bewohnt werden. Die Bebauung und landschaftliche Veränderung hat bewirkt, dass die Frischwasserzufuhr des Xochimilco nicht mehr durch unter Wasser liegende, von Regenwasser gespeiste Quellen erfolgt, sondern ist im Wesentlichen eine Mischung aus gereinigten und ungereinigten Abwasser, was eine starke Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge hat.

Man darf sich den Xochimilco nicht als See vorstellen, es handelt sich vielmehr um einen Gewässerverbund aus Kanälen und see-artigen Erweiterungen. Über 10 exotische Fischarten, darunter so destruktive Arten wie Karpfen und Tilapien, wurden in den Xochimilco verbracht. Die Gewässerverschmutzung und der Fressdruck durch die Fremdfische sind wohl die Hauptursachen für den in jüngster Zeit beobachteten dramatischen Rückgang der letzten wildlebenden Axolotl-Poplation, die aktuell auf der Internationalen Roten Liste der Vereinten Nationen (IUCN) als „Kritisch gefährdet“ eingestuft wird (https://www.iucnredlist.org/species/1095/53947343).

Wissenschaftlich gesicherte ktuelle Zahlen gibt es nicht, man schätzt die Gesamtpopulation auf irgend etwas zwischen 50 – 1.000 Individuen. Auf einem Workshop der IUCN 2019 teilte der an der Erforschung der Restbestände des Axolotls beteiligte Wissenschaftler A. Calzada den Teilnehmern mit, dass 2019 nur an einem einzigen Ort Axolotl nachgewiesen werden konnten, nämlich dem künstlichen, zementierten See Chapultepec in einem Park in der Stadt, wo Tiere ausgesetzt wurden und sich zu vermehren scheinen. Leider wird nicht angegeben, ob es sich bei den ausgesetzten Tieren um Wildfänge oder Aquarienstämme handelte.

Der kritische Punkt für das Überleben des Axolotl im Xochimilco scheint die Überlebensrate von Laich und Larven zu sein. Wenn es nicht gelingt, den Fressdruck auf Laich und Larven durch Fremdfische und das Absterben des Laichs wegen der Wasserverschmutzung zu reduzieren, sieht es für das Axolotl in Freiheit düster aus.


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Weiße Axolotl mit schwarzen Augen (leuzistische Tiere) waren bereits im Erstimport 1863 enthalten.

Dramatischer Rückgang

In der Wochenzeitung DIE WELT erschien Anfang des Jahres 2014 ein Artikel, in dem zu lesen war, dass durch die immer stärkere Umweltverschmutzung die Population des Axolotl im Xochimilco völlig zusammenge­brochen sei. Der Bestand pro Quadrat­kilo­meter Seefläche soll 1998 noch 6.000 Tiere, 2003 1.000 Tiere und 2008 nur noch 100 Tiere betragen haben. Eine vier Monate dauern­de, intensive Suche führte 2013 zu keinem Ergebnis: es konnte kein einziges Exemplar mehr gefunden werden! Das heißt nun noch nicht zwingend, dass der Axolotl in freier Natur wirklich ausgestorben ist, aber die Situation ist auf jeden Fall dramatisch.

Es droht auch der genetische Untergang!

Als Art wird der Axolotl aufgrund der vielen Millionen Tiere, die in Obhut des Menschen leben, wohl überleben. Aber es ist sehr zwei­felhaft, ob diese Tiere noch viel mit dem wild­lebenden Axolotl gemein haben. Denn der Axolotl wurde auch mit einer nahe ver­wand­ten Art, dem Tigersalamander (Ambystoma tigrinum), verpaart.

Hybrid-Axolotl zwischen dem ”echten” Axo­lotl (A. mexicanum) und dem Tiger­sala­man­der bezeichnet man auch als Humphrey-Axolotl. 1969 publizierte der Genetiker Rufus R. Humphrey (1892-1977), dass es ihm ge­lungen war, ein zufällig in freier Natur in Minnesota gefundenes weibliches Albino-Exemplar des Tiger­salamanders mit einem weißen, männlichen leuzistischen Axolotl zu kreuzen. Man erinnere sich: bereits beim Erstimport 1863 war ein weißes Tier, eine Mutante, die allerdings – wenn auch selten – bereits in freier Natur auftritt, enthalten. Leuzistische Tiere haben – im Gegensatz zu Albinos – schwarze Augen.

Für die Kreuzung musste Humphrey einen großen Aufwand betreiben: Eier des Albino-Tiger­salamanders wurden künstlich mit Axolotl-Sperma befruchtet, Zellen der wenigen sich entwickelnden Eier in normale Axolotl-Eier transplantiert und schließlich sich daraus entwickelnde Tiere gekreuzt.

Aus dieser Kreuzung gelang es über Rück­kreuzung in der F3 schließlich Albino-Axolotl – also rein weiße Axolotl mit roten Augen – zu erzüchten. Diese Albinos gehören heute zu den beliebtesten Axolotls im Tierhandel überhaupt.

Seither wurden die Tiere züchterisch stets weiter bearbeitet, es entstanden alle mög­lichen weiteren Farb­formen.

Es ist zu befürchten, dass es so gut wie gar keine reinblütigen, dem Wild-Axolotl auch genetisch entsprechenden Tiere mehr in menschlicher Obhut gibt. Ein Stamm, den ein Züchter in Frankfurt am Main über 40 Jahre lang ohne Einkreuzung fremder Tiere er­halten hat, wurde 2008 von enga­gierten Züchtern übernommen, gegenwärtig (2024) hat sich jedoch seine Spur leider verloren.

Solche goldgelben Albino-Axolotl entstanden erst nach der Erschaffung des Humphrey-Axolotl

Rettung durch Tierhalter möglich?

Dieser ”Frankfurter Stamm” stellte möglicher­weise die letzte (bekannte) Population des wilden Axolotl-Typs in Liebhaber-Hand dar; diese Annahme beruht auf der Tatsache, dass bei den Nachzuchten ausschließlich schwarze Tiere auftreten, keine weißen, also auch keine leuzistischen mit schwarzen Augen. Leider ist der Frankfurter Stamm ist be­züglich des Aussehens doch deutlich we­niger attraktiv als die diversen Zuchtformen, so dass mit einer weiten Verbreitung im Handel leider nicht zu rechnen war. Ohnehin war und ist der Handel mit Axolotln seit den frühen 1980er Jahren durch eine dumme Gesetzgebung behindert, was den Fortbestand der Art zusätzlich bedroht. Da der Axolotl in freier Natur gefährdet ist, wurde er in das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES aufgenommen. Leider sind Gesetzgeber aber keine Biologen, verstehen also wenig von der Materie und die mit der Umsetzung der oftmals unsinnigen Gesetze Beamten sind oft ebenfalls nicht vom Fach. Handels- und Haltungsbeschränkungen für gefährdete, besonders geschützte Arten bringen rein gar nichts für den Artenschutz, wenn der Handel nicht eine primäre Ursache für Bestandseinbrüche ist, sondern gefährden diese Arten im Gegenteil zusätzlich, da sich viele erfolgreiche Züchter nicht mit dem erheblichen bürokratischen Aufwand herumschlagen mögen, den der Gesetzgeber fordert. Immerhin: die sonst übliche amtliche Meldepflicht für Arten, die in dem Abkommen CITES, Anhang II (in diesem Schutzstatus befindet sich der Axolotl) aufgenommen wurden, wurde für Privatpersonen ausgesetzt. Wenigstens etwas …

Seit der ersten Version dieses Blogs sind nun einige Jahre vergangen; aktuell (2024) treten häufiger Axolotl im Handel und in Liebhaberbeständen auf, bei denen es sich um reinblütige Tiere zu handeln scheint, jedenfalls sind sie optisch nicht von solchen zu unterscheiden. Wirkliche Sicherheit kann in solchen Fällen zwar nur ein DNS-Test geben, aber es sieht zumindest nicht ganz so düster aus, wie es sich 2018 darstellte.


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Dieser naturfarbige Axolotl hat Humphrey-Blut.

Zusätzliche Gefährdung: die Molchpest

Seit einigen Jahren ist die Pflege und Zucht von Molchen und Salamandern ganz allgemein erheblich erschwert, weil eine neuartiger Stamm einer vor allem für europäische Feuersalamander fast immer tödlichen Pilzerkrankung aufgetreten ist. In Belgien ist der Feuersalamander bereits fast völlig ausgestorben, in den Niederlanden ist die Situation dramatisch und in Deutschland breitet sich die Salamander-Seuche (es handelt sich um den Pilz Batrachochytrium salamandrivorans, abgekürzt Bsal) sehr schnell aus. Während erkrankte Tiere unter natürlichen Bedingungen immer sterben, ist eine Heilung mit relativ einfachen Mitteln (Temperaturerhöhung) unter Terrarienbedingungen möglich. Es spricht vieles dafür, dass dieser Pilz bereits vor 100 Jahren in Deutschland aufgetreten ist und das es sich dabei um die Erkrankung handelt, die unter dem Begriff „Molchpest“ Angst und Schrecken unter Molchpflegern verbreitete. Jedenfalls will man seitens der Behörden die Ausbreitung des Pilzes verhindern und hat deshalb strenge Vorschriften für den Handel mit Schwanzlurchen erlassen. Davon sind auch die Axolotl betroffen, weshalb viele Händler die Art aus dem Sortiment genommen haben.

Es sieht leider gar nicht gut aus für diese faszinierenden Tiere…

Frank Schäfer

Literatur:

Contreras, V., Martínez-Meyer, E., Valiente, E., & Zambrano, L. (2009). Recent decline and potential distribution in the last remnant area of the microendemic Mexican axolotl (Ambystoma mexicanum). Biological conservation142(12), 2881-2885.
Herrmann, H.-J. (1994): Amphibien im Aquarium. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 168 pp.
Humphrey, R.R. (1967): Albino axolotls from an albino tiger salamander through hybridization. Journal of Heredity 58:95-101.
Zambrano, L., Vega, E., Herrera M, L. G., Prado, E., & Reynoso, V. H. (2007). A population matrix model and population viability analysis to predict the fate of endangered species in highly managed water systems. Animal Conservation10(3), 297-303.

Der Artikel in der WELT ist online abrufbar:
http://www.welt.de/124337369

Zuckersüß: der Honiggurami, Colisa chuna

Der Honiggurami (Colisa chuna) ist der kleinste der Fadenfische. Er wird nur etwa 4 cm lang. Wegen seiner Farbenpracht und seines friedfertigen Wesens gehört die Art zum Standardangebot des Zoofachhandels.

Prächtiges Männchen des Honigguramis, Colisa chuna

Die Heimat des Honigguramis liegt im Norden Indiens, in den Bundesstaaten Assam und Bengalen, sowie im benachbarten Bangladesch, in den Fluss-Systemen des Ganges und des Brahmaputra. Die Tiere sind keineswegs selten und werden, genau wie alle anderen kleinen Fische der Region, wie Zebrabäblinge (Danio rerio), Prachbarben (Pethia conchonius) etc. auch als Speisefische genutzt. Man gibt sie frisch in die Suppe oder trocknet sie und verarbeitet sie dann weiter, z.B. zu Fischmehl.

In Bengalen werden auch die kleinen Fische tagtäglich verzehrt. Das Foto entstand auf einem dörflichen Fischmarkt in Assam.

Als Wildfang be­kommt man die Art nur selten zu sehen, meist handelt es sich bei den Fischen im Handel um Nachzuchtexemplare, die vom professionellen Fischzüchtern in Südost­asien vermehrt werden. Die aquaristische Ersteinfuhr des Honigguramis erfolgte ver­gleichsweise spät, 1963, obwohl die Art bereits 1822 zusammen mit den beiden anderen Fadenfischenarten der gangetischen Provinzen, nämlich Colisa lalia und C. bejeus von Francis Hamilton beschrieben wurde. Hamilton hielt Männchen und Weibchen für unterschiedliche Arten, weil sie so verschieden aussehen. Das Männchen nannte er Trichopodus sota, das Weibchen T. chuna. Weil die Beschreibung des Männchens innerhalb des Buches „An Account on the Fishes of the River Ganges“ zuerst erfolgte, gab es zeitweise eine Diskussion, ob der Name Colisa sota der gültige, weil ältere Name sei. Das ist aber Unsinn, denn so etwas wie „Seitenpriorität“ gibt es nicht im System der zoologischen Namensgebung, alle Namen innerhalb einer Publikation gelten als zeitgleich publiziert und sind darum untereinander gleichwertig. Das Regelwerk der zoologischen Namensgebung, der „Code“, sieht für solche Fälle das Prinzip des „First Revisers“ vor. Der erste Wissenschaftler, dem eine Doppelbenennung auffällt, hat das Recht, zu entscheiden, welcher Name Gültigkeit haben soll, sofern er diese Beobachtung, den wissenschaftlichen Regeln folgend, auch veröffentlicht.

Hamiltons Zeichnung von Trichopodus sota
Hamiltons Zeichnung von Trichopodus chuna

Es ist, angesichts der großen Zahl von Publikationen und des gelegentlich fraglichen Publikationsdatums (das eingedruckte Druckdatum ist nicht zwangsläufig auch das Erscheinungsdatum) nicht immer einfach, einen solchen „First Reviser“ zu ermitteln. Und verschiedene Wissenschaftler sind oft genug auch verschiedener Meinung, wie explizit eine solche Namensfestlegung zu sein hat. Dem einen genügt, wenn einer der beiden (oder auch mehreren) Namen in einer Synonymliste aufgeführt wird, der nächste Wissenschaftler fordert aber eine ausdrückliche Festlegung. Manche der aus solchen Fällen resultierenden Diskussionen (es gibt davon leider mehr, als man denken sollte), haben nichts mehr mit Naturwissenschaft und gesundem Menschenverstand zu tun, sondern sind spitzfindige, juristische Debatten, deren Ergebnis leider oft dazu führt, dass sich Parallelsystematik entwickelt. Das geschah z.B. bei einer Gruppe von Malawibuntbarschen, den „Zebras“, die in der europäischen Literatur als zur Gattung Maylandia gehörend gesehen werden, während im amerkanischen Raum die Meinung vertreten wird, die Beschreibung von Maylandia sei ungültig und dass statt dessen der Gattungsname Metriaclima zu verwenden sei.


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In Europa heißt dieser Fisch Maylandia zebra, in Amerika Metriaclima zebra. Ist das sinnvoll?

Auch bei den Fadenfischen kam es zu einer Parallel-Nomenklatur in Bezug auf den gültigen Gattungsnamen. Im Jahr 1801 wurden zeitgleich und ohne dass die Autoren voneinander wussten in zwei verschiedenen Büchern für die Fadenfische neue Gattungsnamen geprägt: Trichogaster von Bloch & Schneider und Trichopodus von Lacepede. In beiden Gattungen waren mehrere Arten vereinigt, in beiden Gattungen war der Punktierte Fadenfisch (Trichogaster trichopterus) enthalten; diese Art war ursprünglich 1770 von Pallas in der Gattung Labrus beschrieben worden, zu der man heutzutage nur noch im Meer lebende Lippfische zählt. Das Prinzip des „Gattungstypus“, in dem der Autor einer neuen Gattung festlegt, welche Art am besten der neuen Gattung entspricht, gab es Anfang des 19ten Jahrhunderts noch nicht. Weder für Trichogaster noch für Trichopodus wurden Gattungstypen festgelegt. In Trichogaster war neben T. trichopterus noch die neu beschriebene Art T. fasciatus (heute: Colisa fasciata) enthalten, in Trichopodus noch ein Riesengurami (T. mentum, heute ein Synonym zu Osphromenus goramy). Später, 1831, stellten die französischen Wissenschaftler Cuvier & Valenciennes die Gattung Colisa auf, da sie der Meinung waren, dass die Fadenfische westlich von Birma (das eine zoogeografische Grenze für Süßwasserfische zwischen der indischen und der südostasiatischen Fischfauna bildet) und die Fadenfische, die östlich dieses Landes leben, nicht zur gleichen Gattung gehörten; Colisa haben eine lange, Trichogaster eine kurze Rückenflosse. Gattungstypen legten Cuvier & Valenciennes nicht fest. In der Folge gab es zwei Lager unter den Fischkundlern; die einen, die meinten, alle Fadenfische gehörten in die gleiche Gattung, diese benutzten den Gattungsnamen Trichogaster für alle Fadenfische und solche, die die Trennung in westliche Fadenfische (Colisa) und östliche Fadenfische (Trichogaster) für richtig hielten. So blieb es bis zur Jahrhundertwende. 1927 arbeitete der Ichthyologe George Myers über die Systematik der Labyrinthfische und kam zu dem Schluss, dass die Fadenfische in zwei Gattungen gehörten und zwar so, wie etwas weiter oben beschrieben, also mit Colisa und Trichogaster.

Wildfangpärchen von Trichogaster trichopterus

Wäre die Nomenklatur eine eigenständige Wissenschaft, der Code ein Gesetzes- und kein Regelwerk und Zoologen keine Biologen, sondern Juristen, so wäre diese Aufteilung zwar richtig, aber die Namen falsch. Denn nach allem, was man in Erfahrung bringen konnte, sind die Regeln, nach den Colisa und Trichogaster in dieser Form gültig wären, nicht richtig angewendet worden. Wahrscheinlich (aber durchaus nicht zwangsläufig) müsste man die westlichen Fadenfische korrekt als Trichogaster bezeichnen und die östlichen als Trichopodus. Fachwissenschaftler tun dies auch in Fachpublikationen, aber dabei wurde etwas ganz wesentliches übersehen: die Nomenklatur ist keine Wissenschaft zum Selbstzweck, sondern eine Hilfswissenschaft, die die universelle Verständigung von wissenschaftlich interessierten Menschen – Laien (!) und Profis – sicherstellen soll. Aus diesem Grund ist Stabilität der Namensgebung die oberste und alle anderen Regeln unwirksam machende Regel des Code. Der Code ist kein Gesetzeswerk, sondern den Regeln folgt man freiwillig und aus Überzeugung, eben weil sie die Stabilität der Namensgebung garantieren sollen (und das gewöhnlich auch tun). Wird der Code verwendet, um eine formell richtige, aber unnötige Namenskorrektur zu erzwingen, so führt das bei sehr populären Tierarten zu Chaos bei der Verwendung der wissenschaftlichen Namen. Und so kam es denn auch. Gibt man heute in Google Scholar (das ist die Abteilung von Google, in der wissenschaftliche Arbeiten erfasst werden) das Schlagwort „Colisa“ ein, so erhält man z.B. für das Jahr 2019 (abgerufen am 9. August) 101 Treffer von neuen, also 2019 erschienenen wissenschaftlichen Arbeiten, in denen der Gattungsname Colisa für die westlichen Fadenfische benutzt wird. Und 2023 wurde in über 200 in Google Scholar erfassten wissenschaftlichen Publikationen der Gattungsname Colisa für die westlichen Fadenfische verwendet. Selbst unter Wissenschaftlern ist also die spitzfindige, rein an juristische Auslegung des Code orientierte Umbenennung von Colisa nach Trichogaster und Trichogaster nach Trichopodus noch nicht angekommen! Biologen sind keine Juristen, sie sind üblicherweise Freidenker und lassen sich nicht gerne Vorschriften machen. Folgen wir also weiter dem obersten Grundsatz des Code und verwenden die Gattungsnamen Colisa für die westlichen Fadenfische mit langer Rückenflosse und Trichogaster für die östlichen mit kurzer Rückenflosse, wie es eine ganze Generation von Menschen zwischen 1927 und 2008 getan hat; eine Änderung ist unnötig.

Wildfangmännchen von Colisa chuna.

Zurück zum Honiggurami: im Handel haben es diese niedlichen Fische leider nicht leicht, denn sie sind von Natur aus etwas scheu und die Männchen zeigen dann nicht ihre Prachtfärbung, sondern sehen genau wie die Weibchen aus: beige mit einem dunklen Längband.

Männchen des Honigguramis in Schlicht-Tracht

Die Goldform
Leider ist – wie so oft – die Entstehungs­ge­schichte der goldfarbenen Zuchtform von Colisa chuna nicht dokumentiert. Zuchtformen polarisieren die Aquarianer. Viele Aquarianer lehnen sie als “un­natürlich” ab und zwar – so scheint es – vor allem die Aquarianer, die in Fachzeitschriften publizieren. Anders lässt es sich kaum erklären, dass es so wenig zuverlässige Quellen darüber gibt, wie und wann solche Zuchtformen entstanden. Es spricht jedoch einiges dafür, dass der goldene Honiggurami erst relativ spät, nämlich in den späten 1980er oder frühen 1990er Jahren entstand.

Goldener Honiggurami, Männchen

Beim goldenen Honiggurami ist die beige Körper­grundfarbe durch ein leuchtendes Gelb ersetzt. Dem liegt augenscheinlich eine Mutation zugrunde, bei der die schwarzen Pigmentzellen des Körpers, die Melano­phoren deutlich reduziert sind. In Folge dessen erscheint das Körperlängsband nicht mehr so deutlich. Das ist sicherlich verkaufs­fördernd, denn “Goldfische” erfeuen sich beim breiten Publikum immer einer großen Beliebtheit, ganz egal ob es sich dabei um Barben, Lebendgebärende Zahnkarpfen, Buntbarsche oder – wie in diesem Falle – um Labyrinthfische handelt. Leider bezieht sich dieser Pigmentmangel aber auch darauf, dass die Männchen während der Balz keine schwarze Brust bekommen.

Goldener Honiggurami, Weibchen

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Der Honiggurami “Fire Red”
Rein farblich gleicht der “Fire Red” im Wesent­lichen der Goldform des Honigguramis. Lediglich erscheint das Rot in den weich­strahligen Teilen der Rücken- und Afterflosse, sowie der Schwanzflosse brillanter, doch das mag auch eine Frage der Fütterung sein. Der entscheidende Unter­schied liegt darin, dass die Männchen bereits mit etwa 2 cm Länge ihre Prachtfärbung aus­bilden und sie auch dauerhaft zeigen. Diese winzigen Tiere sind wahre Farbwunder.

Zuchtform „Fire Red“

Bezüglich der Pflege aller Honigguramis sollte man beachten, dass diese Tiere nicht dauerhaft zu warm ge­hal­ten werden sollten. Raumtemperatur (18 – 22°C) ist als Normaltemperatur günstig, nur zur Zucht sollte man auf 28-30°C heizen. Man sollte Honigguramis außerdem in Gruppen pflegen, dann sind sie nicht so scheu und die Männchen präsentieren schönere Farben. So gehalten bleiben die Fische lange Zeit fit und gesund und begeistern ihren Pfleger.

Bei der Fortpflanzung zeigt Colisa chuna Besonderheiten, die andere Fadenfische nicht haben. Am auffälligsten ist der Balztanz, bei dem das Männchen sich senkrecht (Schwanzflosse nach unten) vor das Weibchen stellt, eine Art Flattertanz aufführt, dann zum Schaumnest schwimmt und sich auch hier wieder senkrecht hinstellt. Das Schaumnest ist beim Honiggurami meist nur einlagig und zerfällt rasch. Die Eier sind bei allen Fadenfischen leichter als Wasser, auch beim Honiggurami. Das Männchen – das ist jetzt wieder eine Besonderheit des Honigguramis – spuckt nach dem Ablaichen sehr oft vom Nestrand aus Wasser in die Luft, das in Tropfenform in das Nest platscht. Dadurch werden die Laichkörner etwas nach unten verwirbelt, woraufhin das Männchen sie einsammelt, bis zum Schluss das gesamte Gelege aus rund 200-300 Eiern in einem kirschkerngroßen Klumpen zusammengetragen ist. Das Männchen lässt danach das Schaumnest meist völlig zerfallen.

Die Aufzucht der winzigen Jungen ist nicht schwer, aber langwierig und mühselig. Es dauert bis zu zwei Wochen, bis die Kleinen frisch geschlüpfte Artemia-Nauplien aufnehmen können, rund 6 Wochen, bis sie etwa 1 cm lang sind. Danach geht die Aufzucht flotter voran.

Frank Schäfer

Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania” – nicht nur schön, sondern auch friedlich

Die Gattungseinteilung bei den Haplochromis-artigen Bunt­barschen des Malawisees war jahrzehntelang ein riesiges Problem. Eine Gattung soll eine natürliche phylogenetische Einheit darstellen, also vom Standpunkt des Evolutionsgeschehens ( = der Entwicklung von Arten) einerseits einen gemeinsamen Vorfahren haben, andererseits soll die Abspaltung vom gemeinsamen Vorfahren noch nicht so lange zurückliegen, dass die gegenwärtig lebenden Arten einander zu stark unähnlich sind. Jeder systematisch arbeitende Zoologe weiß, dass jede besonders gut definierte Art genug Merkmale aufweist, um darauf eine eigene Gattung zu begründen. Jedoch ist eine solche Vorgehensweise nicht zielführend; denn das zoologische System soll möglichst übersichtlich Verwandtschaftsverhältnisse darstellen. Dafür sind Massen monotypischer ( = nur eine einzige Art enthaltende) Gattungen ebenso wenig hilfreich wie riesige, hunderte von Arten enthaltende Sammelgattungen. Es bedarf also viel Erfahrung und einigen Fingerspitzengefühls, um hier einen gesunden, praktikablen und vor allem von möglichst vielen Zoologen akzeptierten Weg zu finden. Denn auch das darf man nicht vergessen: jeder einzelne Wissenschaftler (m/w/d), egal ob studierter Profi oder interessierte Laie, ist frei in der Entscheidung, ob eine vorgeschlagene Gattungseinteilung übernommen wird oder nicht. Es handelt sich dabei um einen echten basisdemokratischen Prozess.

Placidochromis phenochilus Mdoka

Das Melanophorenmuster als Gattungskriterium

Die Anzahl der Arten, die man bis in die 1980er Jahre unter „Haplochromis“ zusammenfasste, war in die Hunderte gestiegen. Dabei war bereits damals durchaus klar, dass sie unterschiedliche Entwicklungslinien darstellten, man fand nur keine anatomischen Merkmale, die eine Aufteilung in verschiedene Gattungen nachvollziehbar gerechtfertigt hätten. Dann überprüften David Henry Eccles und Ethelwynn Trewavas eine These, die Jacques Voss 1977 für tilapiine Buntbarsche aufgestellt hatte, nämlich ob das Farbmuster der männlichen Buntbarsche nicht der treibende Motor der Artbildung sei und zur Gattungsunterscheidung tauge. Eccles und Trewavas fanden, dass die schwarzen Grundmuster (Melanophorenmuster), die gewöhnlich auch bei konservierten Exemplaren erhalten bleiben, neben einigen anatomischen Merkmalen gut bei den haplochrominen Buntbarschen des Malawisees als gattungstypische Kriterien herangezogen werden können, die nicht zu den Mbuna (Felscichliden, also die Pseudotropheus und Co.) gehören.

Das gattungstypische Melanophorenmuster – also die dunklen, senkrechten Streifen – sind bei diesem Placidochromis sp. „Jalo Reef“ gut zu erkennen.

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Die Gattung Placidochromis

Dieser Gattung, die sich nach Eccles und Trewavas von anderen, ähnlichen Haplochrominen des Malawisees hauptsächlich durch das Fehlen waagerechter Melanophorenmuster unterscheidet, umfasste ursprünglich neben der Typusart (Haplochromis longimanus Trewavas, 1935) noch die Arten P. milomo, P. subocularis. P. johnstoni, P. stonemani, P. hennydaviesae und P. electra. Davon sind heute noch Placidochromis electra (Burgess, 1979), Placidochromis hennydaviesae (Burgess & Axelrod, 1973), Placidochromis johnstoni (Günther, 1894), Placidochromis milomo Oliver in Eccles & Trewavas, 1989 und Placidochromis subocularis (Günther, 1894) Mitglieder von Placidochromis, ausgegliedert wurde Aulonocara stonemani (Burgess & Axelrod, 1973), neu hinzugekommen sind Placidochromis polli (Burgess & Axelrod, 1973), den Eccles und Trewavas zu Lethrinops gestellt hatten, Placidochromis phenochilus (Trewavas, 1935), dessen Gattungszugehörigkeit Eccles & Trewavas für unsicher hielten, und 35 (!) neue Arten, die M. Hanssen 2004 beschrieb. diese Arten kommen alle in tieferen Bereichen des Sees (50 Meter und tiefer) vor und spielen aquaristisch keine Rolle. Aber wer denkt, damit sei das Ende der Fahnenstange erreicht, der irrt. Konings führt in der 5. Auflage seines „Malawi Cichlids in their natural habitat“ weitere Tiefenarten auf, die allesamt nur provisorische Namen habe und beziffert die Anzahl der Arten dieser Gruppe mit 47. Aber damit nicht genug. Trotzdem eine zweifelsfreie Zuordnung zu Placidochromis bei manchen felsenbewohnenden Arten nicht möglich ist, gehören nach Konings „blue otter“, „jalo“, „mbamba“ und „chinyankwazi“ zumindest in deren unmittelbare Nähe. Und dann gibt es noch weitere Arten, die P. electra nahestehen und solche, die man zu einer Artengruppe P. phenochilus zusammenfassen könnte.

Die weißen Lippen sind arttypisch für P. phenochilus.

Haplochromis phenochilus

So richtig „offiziell“, also in einer speziell dafür angelegten Publikation, wurde H. phenochilus nie in die Gattung Placidochromis überführt. Eccles & Trewavas stuften ihn als „incertae sedis“ ein, also als ungewiss zuzuordnen. Leider lässt sich das Melanophorenmuster ausgerechnet bei dem 1935 beschriebenen Typus­exem­plar von Haplochromis pheno­chilus Trewavas nicht erkennen, so dass seine korrekte Gattungszuge­hörigkeit bis heute ungeklärt ist. Ad Konings plaziert die Art in Placidochromis mit dem Hinweis, dass die Übereinstimmungen mit P. electra nicht zu übersehen sind. Aktuell werden von Konings (2016, 5. Auflage von „Malawi Cichlids in their natural habitat“) folgende Arten zur engeren Verwandtschaftsgruppe des Placidochromis phenochilus gestellt: Der eigentliche P. phenochilus ist nach Konings auf den nördlichen Teil des Sees beschränkt; Mdoka, Chesese und Chirwa Island sind bekannte Fundorte. Die weißen Lippen sind arttypisch, Männchen ab 6 cm Länge sind bei Mdoka schon voll ausgefärbt. Der Anlass für diesen Blog, also P. cf. phenochilus „Tanzania“ kommt an der Ostküste des Malawisees zwischen Makonde und Lupingu vor, außerdem am gegenüberliegenden Ufer bei Kasinda. Dann gibt es noch den „phenochilus Gissel“, den Carsten Gissel an der Ostküste zwischen Gome und Ntekete entdeckte, wo er gemeinsam mit P. electra lebt. Und schließlich erwähnt Konings einen dunklen, phenochilus-artigen Cichliden, den George Turner bei einem Trawl bei Metangula (Mosambik) erbeutete, über den aber ansonsten nichts bekannt wurde.

Jüngeres Exemplar von P. phenochilus.

Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“

Zu den Besonderheiten des „Phenochilus Tanzania“ gehört es, dass die Männchen ab einem Alter von 1-2 Jahren damit beginnen, weiße Schuppen im Farbkleid auszubilden. Im Alter von ca. 4 Jahren sind die Tiere voll ausgewachsen und ihre Färbung abge­schlossen. Ähnlich wie Cyrtocara moorii, der Malawi-Beulenkopf, entwickeln die voll aus­ge­wachsenen Männchen von Placido­chromis cf. phenochilus “Tanzania“ einen Stirnbuckel, der allerdings bei weitem nicht so imposant ist.

Erwachsenes Männchen von P. cf. phenochilus „Tanzania“. Photo: Erwin Schraml

Die wunderschönen Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“, die meist als deutsche Nachzuchten angeboten werden, gehören unzweifelhaft zu der Gattung Placidochromis und höchst­wahr­scheinlich zur Art phenochilus, doch sollte man bis zu der wissenschaftlichen Klärung dieser Frage lieber die in der Überschrift verwendete Schreibweise als Artbezeichnung benutzen. Dabei bedeutet das „cf.“ „confer“. Das ist Latein und bedeutet „vergleichen“. Damit sagt man, dass die mit cf. bezeichnete Art zwar zu der genannten Spezies sehr ähnlich ist, dass man aber nicht sicher ist, ob es sich wirklich darum handelt.

Junges Männchen von Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“. Die Ähnlichkeit zu P. electra ist auffallend.

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Interessantes Verhalten

Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ gehört zu den friedlichsten Malawi-Bunt­barschen. Er wird etwa 17 cm lang (Männ­chen, Weibchen bleiben kleiner). In der Natur betätigt er sich als „Verfolgerfisch“, das bedeutet, er schwimmt im Gefolge großer, den Boden durchwühlender Buntbarsche wie Fossorochromis oder Taeniolethrinops und schnappt sich aufgescheuchte Kleintiere und sonstige Nahrungspartikel, die für die großen Burschen nicht interessant sind. Da dieses Verhalten kein Revierverhalten er­fordert, können Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ es sich leisten, mit Art­genossen und fremden Fischen friedlich umzugehen.

Junges Weibchen von Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“.

Vergesellschaftung

Bereits Jungtiere dieser Art sind ausgesprochen schön gefärbt, wie den Bildern zu entnehmen ist. Gemäß ihres friedlichen Temperamentes darf man diese Fische nicht mit aggressiven Mbunas ver­gesellschaften. Andere Utakas (so nennt man die Buntbarsche des Malawisees, die nicht an den Felsenküsten vorkommen) oder Aulono­cara-Arten sind die richtige Gesellschaft. Besonders interessant ist die gemeinsame Pflege mit den großen Buddlern, also Fossorochromis oder Taeniolethrinops. Dazu braucht man wirklich große Aquarien, die mit Sandflächen eingerichtet werden. Aber die herrlichen Fische sind diesen Aufwand zweifellos wert und die Beobachtung einer solchen Gesellschaft erst recht!

Frank Schäfer

Ansorges Flösselhecht (Polypterus ansorgii) – Versuche, einen Mythos zu entschleiern

Es gibt mythische, legendäre Tierarten. Manchmal weiß man gar nicht, ob sie existieren oder nur der Fantasie entsprungen sind, wie der Yeti oder das Monster von  Loch Ness. Mit der  Erforschung solcher Phänomene beschäftigen sich Kryptozoologen. Manchmal finden sie dann  neue Tierarten, deren Existenz niemand erwartet hätte, wie das Zwergflusspferd, das Okapi oder den Kongopfau.

Die Entdeckung des Kongopfaus (Afropavo congensis) im Jahr 1936 war eine Weltsensation.

Im Falle von Ansorges Flösselhecht, Polypterus ansorgii, liegen die Dinge etwas anders. Von ihm gab es immerhin drei konservierte Exemplare, die BOULENGER 1910 als Grundlage zur  Beschreibung der Art dienten. Alle drei Exemplare waren zusammen im Fluss Corbal bei  Tchitoli in Portugiesisch-Guinea (heute: Guinea Bissau) gefangen worden. Als ich 2004 mein Buch über Flösselhechte veröffentlichte, waren das die drei einzigen mir bekannten Exemplare. Sie liegen heute in den Museen von Wien (zwei Tiere) und London (ein Exemplar). Ich untersuchte sie im Zuge meiner Buchrecherche und hatte damals den leisen Verdacht, es könnte sich bei den drei Tieren um  Hybriden, also Kreuzungstiere anderer Arten, oder eine selten auftretende Farbmutante der Art Polypterus bichir handeln, weil seither keine weiteren Tiere gefunden werden konnten. Ein Mythos baute sich vor allem auch deshalb um Polypterus ansorgii auf, weil man glaubte, es handele sich um eine Zwergart, die nicht wesentlich länger als 20 cm würde.

Zwei der Typenexemplare von Polypterus ansorgii.

Während der Vorbereitung der Erstbeschreibung von Polypterus mokelembembe im Afrika-Museum in Tervueren (Belgien) fand ich zwei weitere Tiere, die C. B. POWELL 1991 in Nigeria gesammelt hatte (eines im Orashi River bei Odieke, eines im Isemu Lake) und die Guy TEUGELS als P. ansorgii bestimmt hatte; dieser Ansicht war ich auch! Aber in ihrer wissenschaftlichen Revision der Gattung Polypterus ordnen Moritz & Britz 2019 diese Tiere P. bichir zu. Die beiden nigerianischen Tiere waren – genau wie die der Typusserie – relativ klein, nur etwa 20 cm lang. Leider habe ich die Bilder, die ich von diesen Tieren machte, verlegt. Ich ordne gerade das Dia-Archiv neu und irgendwie sind sie dabei in einer falschen Ablage gelandet. Sollte sie wieder auftauchen, reiche ich sie nach. Soweit ich mich erinnere hatten diese nigerianischen Exemplare noch gut ausgebildete äußere Kiemen.

Importbemühungen
Ich bemühte mich nun wieder verstärkt darum, doch einmal lebende Exemplare dieser Art zu erhalten, um sie näher studieren zu können. Leider waren meine Bemühungen lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Meist handelte es sich bei den als P. ansorgii angebotenen Fischen um P. bichir, einen engen Verwandten dieser Art.

Bis heute sind Polypterus ansorgii und P. bichir nur schwer auseinanderzuhalten. Ein ganz wesentlicher Unterscheidungspunkt war in der ichthyologischen Fachliteratur stets die Kieferanatomie. Es galt: bei P. ansorgii seien Ober- und Unterkiefer etwa gleich lang, bei P. bichir sei der Unterkiefer signifikant länger als der Oberkiefer. Moritz & Britz zeigten in ihrer Studie aus dem Jahr 2019, dass dieses Merkmal sich bei den Polypterus-Arten mit 13-15 Rückenflösseln (das sind außer P. ansorgii und P. bichir noch P. congicus und P. endlicherii, in P. laparadei sehen Moritz & Britz ein Synoym zu P. bichir) mit dem Alter ändert. Die beiden Autoren diagnostizieren P. ansorgii wie folgt: „Polypterus ansorgii differs from P. bichir by fewer scales in lateral series (54-56 vs. 55-70), fewer scales around body (43-45 vs. 43-54) and smaller adult size (maximum recorded size 313 mm SL vs. 750); in specimens between 150 and 200 mm SL, external gills usually completely reduced in P. ansorgii (vs. present in most specimens of P. bichir).“ Hier meine Übersetzung dieser Passage: „Polypterus ansorgii unterscheidet sich von P. bichir durch weniger Schuppen in den seitlichen Reihen (54-56 vs. 55-70), weniger Schuppen um den Körper (43-45 vs. 43-54) und eine geringere Größe der erwachsenen Tiere (maximale Größe 313 mm SL vs. 750); bei Exemplaren zwischen 150 und 200 mm SL sind die äußeren Kiemen bei P. ansorgii in der Regel vollständig reduziert (vs. vorhanden bei den meisten Exemplaren von P. bichir).“

Grundsätzlich hat P. bichir also mehr Schuppen und wird größer, aber die zählbaren Werte überlappen und – was Moritz und Britz nicht wissen konnten – P. ansorgii kann tatsächlich größer als 35 cm werden, dazu weiter unten mehr. Ein anderes Autorenteam, Suzuki et al, untersuchte 2010 die Phylogenie der Polypteridae anhand mophologischer und mitochondrialer DNS-Untersuchungen. Ihre Tiere stammte alle aus dem Handel, da liegt ein großes Problem, denn die richtige Artbestimmung ist bei kommerziellen Importen keineswegs gesichert. Wie dem auch sei, für Polypterus ansorgii geben Suzuki et al. 57 Rückenwirbel, für P. bichir 60-67 Rückenwirbel an. Sowohl anatomische wie auch molekulare Befunde dieser Arbeitsgruppe legen nahe, dass es sich bei P. ansorgii um eine gute Art handelt, die sich von P. bichir unterscheiden lässt.

Bleibt die Färbung als Unterscheidungsfaktor. Das Dumme daran ist, dass P. bichir nach Moritz & Britz sehr farbvariabel ist …

Diese Flösselhechte aus Nigeria wurden lange Zeit als Unterart zu Polypterus bichir, nämlich P. b. lapradei gesehen. Heute gilt P. lapradei als Synonym zu P. bichir.

Doch eines Tages erhielt ich tatsächlich von dem Zulieferanten von Aquarium Glaser aus Guinea, Fouad Chaloub, vier Polypterus, bei denen es sich meines Erachtens unbedingt um P. ansorgii handelte. Die Tiere waren etwa 25 cm lang und ihr gesamtes Aussehen und auch die Färbung passten hervorragend zu dieser Art. Das war im Winter 2010. Die Tiere waren bis Februar 2014 auf etwa 40 cm Länge herangewachsen, dann musste ich sie leider wegen eines Umzugs abgeben.

Manche frisch importierte Individuen sind kaum bestimmbar. Farblich ähnelt dieser Fisch zwar P. ansorgii, körperliche Merkmale (sehr schlanker Körper, relativ lange Schnauze) sprechen m. E. eher für P. bichir. Solche Tiere muss man gewöhnlich lange Zeit pflegen, bevor man eine Artzuordnung vornehmen kann – wenn es überhaupt je gelingt.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang – oder doch eher ein P. bichir? Dieses und das darüber abgebildete Exemplar wurden zusammen gefangen.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang, Portrait

Polypterus ansorgii werden groß!
Die Ähnlichkeit von Ansorges Flösselhecht mit P. bichir ist enorm. Im Wesentlichen unterscheiden sich die Fische nur im Farbmuster. Während typisch gefärbte P. bichir ein Längsstreifenmuster zeigen, haben typisch gefärbte P. ansorgii eine Zeichnung aus rechteckigen Flecken (“Schachbrettmuster”) auf den Flanken. Bereits aus dieser offensichtlichen, engen Verwandtschaft heraus war zu erwarten, dass  P. ansorgii keine Zwergart ist, wie man wegen der geringen Größe der Typusexemplare jahrzehntelang annahm, sondern ähnlich groß wird wie P. bichir. Und der wird immerhin über 60 cm lang. Ein weiteres Indiz sprach dafür, dass P. ansorgii groß wird: meine Fische  waren trotz ihrer zuletzt gut 40 cm Länge noch nicht eindeutig  geschlechtlich differenziert; bei allen Polypterus-Arten kann man die geschlechtsreifen  Männchen an der stark vergrößerten Afterflosse erkennen. Dann konnte Fouad eine echte  Sensation vermelden. Er schickte uns ein Foto eines  86 cm langen P. ansorgii, den er und sein Team im Koliba-Fluss, einem Zufluss des Corbal-Flusses nahe einer Stadt namens Gaoual gefangen haben – also topotypisch zu den Typusexemplaren von Ansorges Flösselhecht. Leider kam das Tier bei einem Unfall ums Leben. Dennoch ist mit dem Exemplar der eindeutige Beweis erbracht worden, dass Polypterus ansorgii zu den großwüchsigsten Flösselhechten überhaupt gehört. Oder? Moritz und Britz halten die Koliba-Fische nämlich für P. bichir … Leider geben die Zählwerte des 86-cm-Brummers diesbezüglich nichts her, mit 56 Schuppen in der Längsreihe liegt er genau im Überlappungsfeld.

Dieses 86 cm lange Exemplar von Polypterus ansorgii beweist, dass die Art zu den größten Polypterus-Arten gehört.

Ansorges Flösselhecht im Aquarium
Die Pflege von Polypterus ansorgii im Aquarium ist leicht. Es handelt sich um sehr ruhige, etwas scheue und sehr friedliche Raubfische. Wie alle Flösselhechte sind es eher dämmerungsaktive Fische, die jedoch nach der Eingewöhnung auch tagsüber zum Fressen erscheinen. Die Ernährung erfolgt am besten mit ganzen, tiefgefrorenen Fischen von etwa 6-8 cm Länge (Stinten).

Gegen Artgenossen und artfremde Fische sind Ansorges Flösselhechte meist indifferent. Lediglich zur Fütterungszeit knuffen sie sich auch einmal gegenseitig, aber das scheint bei den  geruchsorientierten Tieren, bei denen der Gesichtssinnn nur eine untergeordnete Rolle spielt, eher aus Versehen zu passieren. Ich pflegte die Tiere zusammen mit Hechtsalmlern (Hepsetus odoe), einem Westafrikanischen Lungenfisch (Protopterus annectens) und einigen Welsen. Ein ursprünglich als Futterfisch eingesetzter Roter Cichlide (Hemichromis sp.) tyrannisierte die  Flösselhechte derartig, dass sie über einige Wochen nicht mehr fraßen, bis der kleine  Stänkerer von kaum 8 cm Länge endlich gefangen und entfernt werden konnte. Man muss bei der Vergesellschaftung dieser sanften Großfische also etwas vorsichtig sein.

Die Systematik der großen Flösselhechte (Polypterus bichir, P. congicus, P. ansorgii, P. lapradei, P. endlicheri) ist nach wie vor nur unbefriedigend erforscht. Moritz und Britz sind sehr sorgfältige Arbeiter und haben sich durch Berge von konservierten Polypterus gekämpft, bis sie zu dem Schluss kamen, dass P. ansorgii eine gute Art und P. lapradei ein Synonym zu P. bichir sei. Aber die Vielzahl der unterschiedlich gefärbten Tiere erklärt sich dadurch nur ungenügend.

Alle Flösselhechte können stimmungsabhängig stark verblassen, dann wird eine Bestimmung noch schwieriger, als sie es ohnehin schon ist. Auch dieses Bild zeigt P. ansorgii.
Flösselhechte mögen es dämmerig, mit weichem Boden und versteckreich. Da macht P. ansorgii keine Ausnahme.

Nachzuchten
Viele Flösselhechte werden heutzutage in Indonesien kommerziell gezüchtet. Von den großen Arten sind es P. endlicherii und P. ansorgii. Diese Nachzuchttiere sind erheblich billiger als die Importfische, denn bei den Importen macht bekanntlich die teure Fracht bei größeren Fischen den Haupt-Kostenfaktor aus. Dank der Nachzuchten sind jetzt sehr viele Aquarianer in die Lage gesetzt, eigene Beobachtungen an diesen faszinierenden Urzeitfischen zu machen. Hoffen wir, das viele von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und ihre Beobachtungen auch publizieren. So könnten künftige Aquarianergenerationen vielleicht das alte Rätsel um Polypterus ansorgii lösen.

Frank Schäfer

zitierte Literatur:

Moritz, T. & R. Britz (2019): Revision of the extant Polypteridae (Actinopterygii: Cladistia). Ichthyological Exploration of Freshwaters (art. IEF-1094): 1-96.

Suzuki, D., M. C. Brandley & M. Tokita (2010): The mitochrondrial phylogeny of an ancient lineage of ray-finned fishes (Polypteridae) with implications fo rthe evolution of body elongation, pelvic fin loss, and craniofacial morphology in Osteichthyes. BMC Evolutionary Biology v. 10 (no. 21): 1-12.


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Mini-Papyrus

Papyrus (Cyperus papyrus) ist eine legendäre Pflanze. Bereits vor 5.000 Jahren erfand man im alten Ägypten eine Methode, aus dem Mark der Stängel einen Stoff herzustellen, auf dem man schreiben konnte. Bis heute nennt man ihn Papier, nach der Papyrus-Pflanze!

Papyrus (Cyperus papyrus) im Bigodi Wetland Sanctuary, Uganda. Photo: Bernard Dupont

Da Papyrus bei Frost abstirbt, sieht man ihn in Mitteleuropa gewöhnlich nur in botanischen Gärten und Gewächshäusern. Sein Hauptverbreitungsgebiet ist Afrika und Südwestasien, wo er riesige Bestände und schwimmende Wiesen bildet. In Südeuropa gibt es ebenfalls einige Vorkommen, be­rühmt ist der Bestand auf Sizilien.

Papyrus ist eine attraktive Pflanze, die sicher­lich auch mehr Menschen als Kübel­pflanze ziehen würden, gäbe es da nicht einige Probleme: erstens braucht Papyrus eine hohe Luftfeuchtigkeit, sonst können die Blatt­schöpfe vertrocknen und es stellen sich sehr schnell Spinnmilben (Tetra­nychidae) ein, die die Pflanze sogar zum Absterben bringen können; und zweitens wird Papyrus wirklich riesig! Die Blattstiele können bis zu 5 Meter lang werden (meist um 3 m), weshalb nor­maler Papyrus auch für ”Aquarien oben ohne” kaum in Frage kommt. Schade, schade. Aber es gibt zwei Alternativen!

Die kleinbleibende Sorte
Seit etwa sieben Jahren werden in Garten­centern neben dem allgegenwärtigen Gewöhnlichen Zypern­gras (Cyperus alternifolius), das be­kannt­lich eine altbewährte und auch in großen Aquarien oder Paludarien ver­wend­bare Pflanze ist, auch kleine Papyrus-Stauden angeboten. Übrigens: aufgepasst bei dem Namen: viele Anbieter bieten ”nor­males” Zyperngras als Papyrus an, sogar mit dem wissenschaftlichen Namen Cyperus papyrus. Das ist wohl weniger ein Betrugs­versuch als schlicht mangelhafte Botanik-Kenntnis. Umgangssprachlich wird nämlich das gewöhnliche Zyperngras oft als ”Papyrus” bezeichnet, obwohl beide Pflanzen ein sehr verschiedenes Aussehen haben. Das Zypern­gras hat einen Blattschopf aus 10-25, relativ breiten (5 – 20 mm), normal aus­sehenden Blättern.

Gewöhnliches Zypern­gras (Cyperus alternifolius) wird oft irrtümlich als Papyrus bezeichnet

Der Echte Papyrus (Cyperus papyrus) hat hingegen als Blattschopf einen dichten Busch fadenförmiger Blätter, was ihm das Aussehen eines Wuschelkopfes verleiht. Auch die Zwergform des Papyrus hat diesen Wuschelkopf!

Echter Papyrus (Cyperus papyrus) mit seinen typischen „Wuschelköpfen“.

Blattaustrieb bei der Zwergform des Echten Papyrus, Cyperus papyrus.

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Pflege-Erfahrungen
Vor elf Jahren erwarb ich einen solchen Zwergpapyrus. Es war Sommer und ich pflanzte den kleinen Busch, desser Blattstiele 35-40 cm hoch waren, in einen wasser­dichten, emaillierten Blech-Blumenkasten. Die Kulturerde ließ ich am Papyrus und füllte nur rundum mit ungewaschenem Rheinsand auf. Zu dem Papyrus pflanzte ich noch einen Topf Grasartiges Pfeilkraut (Sagittaria grami­nea, emerse Form). Der Wasserstand über dem Boden betrug zwischen ein und drei Zentimeter. Der Standort im Freiland war schattig mit 2 Stunden Morgensonne. Die Pflanzen wurde nicht gesprüht oder ge­düngt, lediglich das Wasser immer wieder aufgefüllt, sobald der Boden nicht mehr mit einer Wassersäule bedeckt war. Unter diesen Bedingungen wuchs der Papyrus und neu geschobene Triebe wiesen den gleichen Habitus wie die Triebe auf, die die Pflanze beim Erwerb bereits hatte. Meine anfäng­liche Befürchtung, die Pflanze könnte mit einem Hormon behandelt sein, das eine Zeitlang nor­males Wachstum verhindert und nach dieser Zeit die Pflanze normale Riesenwedel entwickelt, bestätigte sich nicht. Ganz offen­bar ist der ”Zwerg-Papyrus”, der in Garten­märkten angeboten wird, wirklich eine klein­wüchsige Sorte!

Überwinterung

Leider steht mir kein Gewächshaus zur Verfügung, aber ein Badezimmer mit großen Dachfenstern. Hier gelang mir die Über­winterung der Pflanze problemlos, ohne dass ich zusätzlich beleuchtete. Das Pfeilkraut bildete sich dabei übrigens zur submersen Form (=Unterwasser-Form) um, die es bis heute beibehielt. Der Papyrus verträgt keinen Frost. Eine zweite, später gekaufte Pflanze, die eine Nacht leichten Frost ertragen musste, ging ein.

Blattquirl von Cyperus haspan

Das Haspan-Zyperngras
Vor sieben Jahren entdeckte ich zwischen den Angeboten von Gewöhnlichem Zyperngras einen Topf, dessen Inhalt ich nicht kannte. Es handelte sich um eine Pflanze, die mit ihrem dreieckigen Stängel und dem Strubbelkopf an Papyrus erinnerte, aber sehr viel zierlicher in allen Teilen war. Die Pflanze hatte eine Höhe von ca. 30 cm. Ich kaufte sie. Ich beließ die Pflanze in dem Topf, in der ich sie gekauft hatte, stellte sie in einen passenden Übertopf und hielt sie nass. Als ich sie zum Überwintern ins Haus holte, drohten alle Köpfe zu vertrocknen. Ich schnitt radikal zurück, die abgeschnittenen Stängel stellte ich kopfüber in ein Wasserglas. Tatsächlich wuchsen aus diesen Stängeln Jungpflanzen, genau wie man das vom Gewöhnlichen Zyperngras kennt. Bei meinem Papyrus habe ich das übrigens noch nicht versucht, die Pflanze ist recht schwachwüchsig (nur 5-6 neue Triebe pro Jahr), weshalb ich mich noch nicht ent­schließen konnte, einen der Triebe für den Versuch zu opfern. In der üblichen Garten­literatur wird zur Vermehrung von echtem Papyrus immer nur die Teilung des Wurzel­ballens empfohlen.

Die zurückgeschnittene Pflanze stellte ich in ein Aquarium, so dass der Topf gerade mit Wasser bedeckt war. Hier trieb sie, wenn auch zunächst zaghaft, wieder aus und erholte sich im darauf folgenden Sommer 2015 voll­ständig.

Die Bestimmung der Art bereitete mir einige Schwierigkeiten. Der Neuaustrieb ist ganz anders als beim Papyrus. Bei diesem wächst der neue Trieb wie ein Pinsel, die feinen Blattanlagen sind schon gut zu erkennen. Der Neuaustrieb meines ”Mini-Papyrus” hin­ge­gen trug nur ein fahnenartiges Blatt. Erst wenn der Stängel die endgültige Länge er­reicht hatte, begann der Strubbelkopf zu wachsen. Die kleinen, unscheinbaren Blüten sahen aus wie die des Papyrus.

Im Sommer 2015 (es war sehr, sehr heiß) kam ich nicht dazu, die beiden Pflanzen ins Freie zu bringen. Sie wuchsen beide, neben­­einander stehend, in dem Badezimmer mit Oberlicht sehr gut. Nur der Neue vergeilte etwas, weil er dunkler und tiefer stand als der Papyrus. Dennoch war die Entwicklung des Neuen insgesamt zufriedenstellend. Wenn die Stängel eine Länge von ca. 60 cm erreicht hatten, beugten sie sich zu Boden, als sei der Stängel nicht in der Lage, den Strubbelkopf zu tragen. Doch scheint dies tatsächlich die Form der vegetativen Vermehrung des Neu­en zu sein. Denn es bildeten sich Jung­pflan­zen an den Köpfen der nieder­liegenden Stängel.

Endlich gelang mir die Bestimmung. Es han­delte sich bei meinem neuen, lebend­gebä­renden Mini-Papyrus um die bereits 1753 von Linné unter dem noch heute gültigen Namen beschriebene Art Cyperus haspan.

Vier verschiedene Stadien des Blattaustriebs bei Cyperus haspan.

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Weit verbreitet
Cyperus haspan kommt in den südöstlichen und südlich-zentralen Teilen der USA, in Mexiko und Mittelamerika, fast ganz Süd­amerika, in ganz Afrika, Indien, Süd­ostasien, den warmen Gebieten Ostasiens, in Aus­tralien und auf den Pazifischen Inseln vor.

Die Pflanze bildet offenbar mehrere Wuchs­formen aus, es wurden auch Unter­arten be­schrieben. Offenbar ist die papyrus-artige Wuchsform, die ich zufällig in einem Garten­markt ergatterte, eher selten. Denn in den üb­lichen Pflanzenbestim­mungs­büchern wird ge­wöhnlich eine Form abgebildet, die nur das primäre Hochblatt zeigt und nicht den attraktiven Strubbelkopf. Ich kann natürlich auch nicht ausschließen, dass meine Pflanze ein Hybrid zwischen Cyperus haspan und C. papyrus ist. Als Größe wird für C. haspan eine übliche Höhe von 30-40 cm angegeben.

Junge Ablegerpflanzen von Cyperus haspan.

Verwendung im Aquarium
Weder der echte Papyrus noch Cyperus has­pan sind Wasserpflanzen. Aber beide sind Sumpfpflanzen und vertragen einen Wasser­stand bis ca. 15 cm über dem Boden sehr gut. Besonders Jungpflanzen von C. haspan sind eine tolle Bereicherung für Aquarien ”oben ohne”, also ohne Abdeckung. Man muss die beiden Arten natürlich erst ein­mal bekom­men. Eine kurze Recherche im Internet ergab jedoch, dass zahlreiche Versandgärtnereien Cyperus haspan im Sorti­ment haben. Cyperus papyrus wird zudem häufig in Gartencentern angeboten.

Wenn eine Verwendung im Aquarium oder Paludarium geplant ist, so darf man niemals frisch erworbene Pflanzen dafür verwenden. Anders als bei Aquarienpflanzen wird im Garten- und Zierpflanzensektor oft mit In­sek­tiziden und Herbiziden gearbeitet. Bei Blühpflanzen wurde sogar schon berichtet, dass Bienen nach dem Besuch starben! Kein Gärtner will unseren Viechern etwas Böses, aber Vorsicht ist hier unbedingt die Mutter der Porzellankiste. Darum sollten neu erwor­bene Pflanzen zunächst ein halbes Jahr ohne Tierkontakt gepflegt werden, am besten im Freiland, wo Wind, Licht und Wasser für einen guten Abbau eventueller Pflanzenschutz­mittelreste sorgen.

Frank Schäfer

Der Jack Dempsey (Rocio octofasciata) – ein alter Bekannter im neuen Outfit

Vieles, das uns selbstverständlich erscheint, ist es überhaupt nicht. So zum Beispiel die große Artenvielfalt an Fischen, die uns für die Pflege im Aquarium zur Verfügung steht. Dahinter steckt eine riesige Menge Arbeit und eine noch größere Menge erlerntes „gewusst wie“. Es ist uns Menschen nämlich nicht angeboren, einen Fisch zu verstehen. Man muss es erlernen, das Verhalten eines solchen Tieres richtig zu interpretieren. Sonst vermenschlicht man die Tiere und das führt immer und ausnahmslos völlig in die Irre.

Um 1909 kamen die ersten Buntbarsche aus Mittelamerika in die Aquarien Europas und der Vereinigten Staaten. Es waren wunderschöne Tiere mit einer faszinierenden Brutpflege, doch haftete ihnen bald der Ruf an, extrem unverträglich und starke Wühler zu sein. Man gab diesen „unverbesserlichen Raufbolden“ den Populärnamen „Jack Dempsey“. Jack Dempsey, eigentlich als William Harrison Dempsey in Colorado geboren, war von 1919 bis 1926 Schwergewichtsweltmeister im Boxen. Mit seinem Kampfstil verglich man den Buntbarsch und so kam der Fisch zu seinem Populärnamen, den er heute noch trägt, obwohl nur die wenigsten noch wissen, wer oder was sich dahinter verbirgt.

Männchen des Jack Dempsey, alter Aquarienstamm

Viele Namen, ein Fisch
Zunächst wurde der Jack Dempsey als Cichlasoma biocellatum bezeichnet. Diese Art wurde 1909 von C. T. REGAN nach einem Exemplar beschrieben, das er von J. P. ARNOLD erhalten hatte, einem Pionier der Aquaristik, dessen rühriger Import-Tätigkeit viele Fischarten ihre Entdeckung verdanken. Doch in diesem Falle lieferte ARNOLD einen offensichtlich falschen Fundort, nämlich „Mañaos, Rio Negro“. In Brasilien gibt es aber ganz sicher keine Jack Dempseys und hat es auch nie welche gegeben. Entweder hatte bereits ARNOLD einen falschen Fundort von dem Seemann bekommen, der ihm den Fisch übergab, oder es kam auf eine andere Art zu dem Versehen. Wie auch immer, unter dieser Bezeichnung – Cichlasoma biocellatum – findet man ihn in der Literatur bis in die späten 1980er Jahre. Dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich bei C. biocellatum um ein Synonym, also eine spätere Doppelbeschreibung der Art handelte, die ebenfalls von REGAN, jedoch bereits 1903 als Heros octofasciatus beschrieben worden war. Ohne die verhängnisvolle falsche Fundortangabe wäre REGAN dieser Lapsus sicher nicht unterlaufen, denn hätte er gewusst, dass sein C. biocellatum in Wirklichkeit aus Mittelamerika kam, hätte er ihn sicher auch mit den ihm bekannten mittelamerikanischen Buntbarschen verglichen und nicht nur, wie es geschah, mit dem einzigen seinerzeit aus der Umgebung von Manaus bekannten cichlasominen Art, Cichlasoma coryphaenoides (dem heutigen Hypselecara coryphaenoides).

In den letzten ca. 20 Jahren wusste man nicht, in welche Gattung der Jack Dempsey, dessen Artname mit „octofasciatus“ nun feststand, einzuordnen war. Klar war eigentlich nur, dass er nicht in die Gattung Cichlasoma gehörte. So bezeichneten ihn manche als „Cichlasoma“ (mit Anführungszeichen), andere wider besseres Wissen als Cichlasoma (ohne Anführungszeichen), wieder andere als Nandopsis. Das Ganze löste sich erst im Jahre 2007 auf, als SCHMITTER-SOTO die neue Gattung Rocio schuf und den Jack Dempsey als Typusart festlegte. Da der Gattungname Rocio weiblich ist, muss der Artname, ein Adjektiv, in der lateinischen Endung vom männlichen –us auf das weibliche -a geändert werden. Nun hat der Jack Dempsey nach über 100 Jahren endlich einen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Namen, nämlich Rocio octofasciata.

Weibchen vom alten Aquarienstamm von Rocio octodaciata

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Sippenhaft
Man kannte Anfang des 20ten Jahrhunderts durchaus schon Buntbarsche. Der Chanchito (Australoheros facetum), eine heutzutage aquaristisch praktisch vergessene Art aus dem Süden Südamerikas (Argentinien, Brasilien, Uruguay), war um die Jahrhundertwende ein sehr beliebter Fisch, da die Heizung der Aquarien eine kniffelige Sache war. Der Chanchito verträgt aufgrund seiner südlichen Herkunft auch noch Temperaturen bis knapp unter 10°C, so dass seine Pflege auch solchen Aquarianern möglich war, die ihre Becken nicht heizen konnten. Es soll übrigens in Spanien, im Fluss Guadiana, ausgewilderte Bestände des Chanchitos geben. Wer sie ausgewildert hat, wann und wozu, ist allerdings ungeklärt. Beim Chanchito ist der Populärname – Chanchito bedeutet „Schweinchen“ – Programm. Er wühlt sehr, sehr gerne. Zudem kann auch diese Art in zu kleinen Behältern äußerst ruppig gegen andere Fische werden. Doch all  dies störte die Aquarianer wenig, zu aufregend war es, die Brutpflege des Buntbarsches – der Chanchito ist ein typischer Offenbrüter mit Elternfamilie, d.h. er laicht offen auf Steinen oder Wurzeln ab und beide Eltern kümmern sich um Laich, Larven und Jungfische – zu beobachten. Aber als der Jack Dempsey kam, kannte man das schon. Und so führten die prachtvollen Mittelamerikaner, nachdem sie in den 1930er Jahren für kurze Zeit in Mode waren, viele Jahrzehnte ein Schattendasein. Sie galten einfach als viel zu unverträglich.

Der Chanchito war der erste Buntbarsch in der Aquaristik. Das Bild zeigt ein junges Männchen.

Die Wiederkehr
Heute wissen wir, dass die extreme Unverträglichkeit, die an den Fischen beobachtet wurde, auf zu beengte räumliche Verhältnisse zurückzuführen war. In großen Aquarien, etwa ab 500 Litern aufwärts, kann man Rocio octofasciata durchaus mit anderen Arten vergesellschaften. Zwar verteidigen die Fische auch hier energisch ihren Nachwuchs, aber das war es auch schon. Ganz ausgestorben ist der Jack Dempsey in der Aquaristik übrigens nie. Durch zwei Weltkriege hindurch wurde er gerettet und die Aquarienstämme, deren exakte Herkunft nicht mehr nachvollziehbar ist, wurden durch entsprechende Zuchtwahl ohnehin schon erheblich ruhiger. Doch einen richtigen Boom erlebte der Jack Dempsey erst wieder ab Mitte der 1990er Jahre. Da tauchten plötzlich in Argentinien Tiere mit einen brillanten Blauglanz auf, die als „Blue Dempsey“ bezeichnet wurden. Anfangs wurden für die Tiere horrende Preise gefordert – und manchmal sogar bezahlt! Es kam zu der üblichen Legendenbildung und wilde Gerüchte kursierten, dieser Fisch sei tatsächlich eine Wildform und stamme aus Argentinien. Nun, es gibt in Argentinien ebenso wenig Jack Dempseys wie in Manaus. Die Art kommt nun einmal nur auf der atlantischen Seite in Mittelamerika (Belize, Guatemala, Honduras und Mexiko) vor. Der Blue Dempsey ist einfach eine Mutante, eine genetische Laune der Natur, die im Aquarium überleben konnte. In der freien Natur hätten Blue Dempseys kaum eine Chance. Die Jungtiere wachen nämlich langsamer als ihre wildfarbenen Geschwister. Und die gibt es immer, denn es hat sich herausgestellt, dass die Verpaarung von Blue Dempseys untereinander keine lebensfähigen Jungfische ergibt. Also kreuzt man in der Praxis Blue Dempsey mit Jack Dempsey. Dabei erhält man immer einen Anteil Blue Dempseys, die allerdings rechtzeitig von ihren normalfarbigen Geschwistern getrennt werden sollten, um optimal heranzuwachsen.

Jüngeres Exemplar des „Blue Dempsey“ aus Argentinien. Für diese Tiere wurde sehr viel Geld gefordert.

Jetzt auch mit Fundort
Von vielen mittelamerikanischen Buntbarschen wissen wir heute dank reisender Aquarianer, dass sich die Populationen verschiedener Flüsse farblich oft unterscheiden. Die Herkunft der Aquarienstämme des Jack Dempsey sind, wie schon gesagt, nicht mehr nachvollziehbar, vielleicht wurden sogar verschiedene Populationen unwissentlich gekreuzt. So ist es sehr zu begrüßen, dass jetzt zumindest eine Population des Jack Dempsey auch mit Fundort gehandelt wird, nämlich die von Ciapas in Mexiko. Wer das Glück hat, solche Fische zu erhalten, sollte sie keinesfalls mit anderen Stämmen kreuzen, sondern rein züchten und die Fische auch mit der Fundortbezeichnung weitergeben.

Nachzuchtmännchen von Rocio octofasciata aus Chiapas.

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Fakten, Fakten, Fakten
Zum Schluss noch ein paar harte Daten zum Jack Dempsey: die Art wird maximal 20 cm lang, geschlechtsreif sind die Männchen, die stets etwas größer als die Weibchen sind, aber schon mit etwa 6 cm Länge oder (die Geschlechtsreife eines Fisches hängt vom Lebensalter, nicht von der Größe ab), im Alter von frühestens einem halben Jahr. Die Gelege können bei großen Weibchen leicht über 1.000 Eier umfassen. Bei der Verpaarung hat es sich bewährt, ein möglichst großes Männchen – man erkennt es an den spitz und länger ausgezogenen Rücken-, After- und Bauchflossen – mit einem deutlich kleineren Weibchen zu verpaaren. Je deutlicher der Größenunterschied, desto weniger raufen die Fische, da das Kräfteverhältnis von vornherein klar ist. Außer einem großen Stein zum Ablaichen sollte das Zuchtaquarium einen Sandboden haben, da die Jungtiere nach dem Schlüpfen in Gruben untergebracht werden. Die Jungfische fressen ab dem Freischwimmen Artemia-Nauplien und sind sehr leicht aufzuziehen. Die Wasserwerte spielen eine absolut untergeordnete Rolle, die Härte kann zwischen 5 und 30°GH liegen, der pH zwischen 6 und 8, die Wassertemperatur zur Pflege sollte zwischen 22 und 26°C liegen, zur Zucht erhöht man die Temperatur um 2-3°C. Bei dem starken Stoffwechsel der Fische, die jegliches Aquarienfischfutter fressen, egal ob lebend, gefrostet oder getrocknet, ist auf gute Wasserhygiene und einen regelmäßigen Teilwasserwechsel zu achten. Angesichts der riesigen Jungfischzahlen sollten Zuchtinteressierte sich rechtzeitig einen Raubfisch anschaffen, der sich um den überzähligen Nachwuchs kümmert. Denn dass der Jack Dempsey so lange in unseren Aquarien überlebt hat, ist nur einer sorgfältigen Zuchtwahl zu verdanken.

Hoffen wir, dass er auch noch nach weiteren 100 Jahren in unseren Becken die dann lebenden Aquarianer erfreut!

Jüngeres Männchen des Blue Dempsey aus der Zucht von Lothar Hermann
Erwachsenes Weibchen und…
… erwachsenes Männchen des Blue Dempsey.

Lexikon zu Jack Dempsey

Cichlasoma: bedeutet „mit dem Körper eines Cichla“; Cichla ist eine andere Buntbarschgattung
octofasciatum: bedeutet „mit acht Bändern“
biocellatum: bedeutet „mit zwei Augenflecken“
coryphaenoides: bedeutet „ähnlich einer Coryphaena“; Coryphaena (Goldmakrele) hat eine ähnliche Kopfform
Nandopsis: bedeutet „ähnlich einem Nandus“. Nandus ist eine andere Barschgattung
Heros: bedeutet „Held“
Rocio: ist der Vorname der Ehefrau des Erstbeschreibers der Gattung; der Name bedeutet „Morgentau“ und bezieht sich auf die Glanzflecken auf den Flanken der Tiere.

Frank Schäfer

Cyprinus carpio, der Karpfen – eine Weihnachtsgeschichte

Jetzt ist es wieder so weit. Das älteste Haustier unter den Fischen, der Karpfen, kommt in vielen Haushalten traditionell entweder an Weihnachten oder an Silvester auf den Tisch. Erst in jüngster Vergangenheit gelang es, einige der Rätsel über die Herkunft des Karpfens zu lösen.

Schuppenkarpfen gelten vielen als Wildkarpfen. Es sind aber Haustiere, keine Naturform.

Bei fast allen Haustieren ist die Frage nach der wildlebenden Urform nur schlecht geklärt. Auch wann genau der Domestikationsprozess (also die Haustierwerdung) einsetzte ist oft nur ungefähr anzugeben. Das hängt damit zusammen, dass fossile Überreste oft viel Interpretationsspielraum lassen. So weiß man z.B. erst heute mit ziemlicher Sicherheit, dass alle Haushunde vom Wolf (Canis lupus) abstammen. Aber Wolf ist nicht gleich Wolf. Er kommt in vielen Unterarten fast weltweit vor. Nur in Australien fehlt er, weshalb der Dingo, ein Abkömmling der Hunde, die die ersten Menschen bei der Besiedlung Australiens mitbrachten, dort so gut Fuß fassen konnte und sich wieder zu einer wildlebenden Art weiterentwickelte. Das kann man dank DNS-Analysen heute mit einiger Sicherheit behaupten. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es diese Technik aber noch nicht und die Forscher waren ganz und gar darauf angewiesen, anatomisch-vergleichende Untersuchungen anzustellen. Die sind nicht immer eindeutig. Lange diskutierte man, ob nicht der Goldschakal (Canis aureus) als Stammvater einiger Hunderassen in Frage käme. Heute nimmt man an, dass zwar verschiedene Wolfs-Unterarten Erbgut in den Hunden hinterlassen haben, nicht jedoch der Goldschakal.

Lederkarpfen haben keine Schuppen auf den Flanken. Sie wurden vor etwa 100 Jahren nach Japan exportiert und ihre Kreuzung mit Koi ergab Doitsu Koi.

Wir können viel anhand der Domestikationsprozesse über die Evolution lernen. Darum haben Haustiere auch den „Vater der modernen Evolutionstherorie“, Charles Darwin, besonders fasziniert. Er schrieb darüber ein zweibändiges Buch, das auch in einer von Darwin autorisierten deutschen Fassung herauskam:  „Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ (1868). Tatsächlich folgt die Haustierwerdung im Wesentlichen den gleichen Prinzipien wie die Evolution wildlebender Arten. Deshalb ist die Haustierforschung so spannend, denn sie führt uns in vergleichsweise kurzen Zeitspannen vor Augen, was so alles genetisch in einer Art steckt.

Spiegelkarpfen (das größere der beiden Tiere) haben noch einige wenige, große Schuppen. Im Vergleich dazu ein jüngerer Schuppenkarpfen.

Die großen und größeren Säuger – also Wolf, Auerochse, Wasserbüffel, Gaur, Yak, Dromedar, Trampeltier, Pferd, Esel, Schwein, Lama, Ziege, Schaf und Katze – wurden mit Sicherheit ursprünglich aus religiösen Gründen domestiziert. In unendlich vielen Kulten und Mythen spielen sie bis heute eine wichtige Rolle. Man denke an den „Bösen Wolf“, die „Heilige Kuh“, den bocksgehörnten „Teufel“ usw. Der kultische Hintergrund der Katzendomestikation in Ägypten (der Bastet-Kult) ist den meisten Menschen bekannt. Und beim Karpfen? Tatsächlich sind zumindest Koi und die in Asien schon erheblich länger als die Karpfen domestizierten Goldfische sicher zu kultischen Zwecken verwendet worden. Denn in vielen der in Asien üblichen religiösen Vorstellungen gilt es als gute, glückbringende Tat, Tiere freizulassen. Das können kleine Vögel sein (vermutlich wurde darum das Japanische Mövchen, ein kleiner Prachtfink, aus dem Chinesischen Spitzschwanz-Bronzemännchen (Lonchura striata swinhoei) bereits im 16. jahrhundert domestiziert), aber eben auch Fische oder Schildkröten. Je kostbarer das ausgesetzte Tier, desto mehr Glück bringt das und so wurden vermutlich die seltenen und teuren Farbabweichungen darum gezielt vermehrt – jedenfalls soweit das ohne Kenntnis der Erbregeln geht. Der Koi ist eine relative junge Haustierform des Karpfens, er entstand wohl erst vor rund 200 Jahren (auch wenn manche Quellen anderes behaupten). Der Koi ist ein Abkömmling einer asiatischen Wildkarpfenform. Deren wissenschaftlicher Status ist viel diskutiert. Auch hier gilt wieder generell: es ist über wenige Wildtierarten so wenig bekannt, wie über die Ahnen unserer Haustiere. Im Falle des Rindes und des Dromedars ist die Stammform ausgestorben, bei Ziege und Schaf ist es oft fraglich, welche Wildform noch reinrassig existiert, ähnliches gilt für Wildyak und wilden Wasserbüffel, dass überlebende wilde Trampeltiere entdeckt werden konnten, war eine der größten Sensationen des 20. Jahrhunderts, vom Wildpferd sind etliche Unterarten schon lange ausgerottet, Wildesel sind hochgradig bedroht. Sogar beim Wolf besteht bezüglich der Systematik noch sehr viel Forschungsbedarf.

Der wilde Karpfen ist ein schlanker Fisch. Die wilden Vorfahren der Speisekarpfen aus der Donau sind vermutlich in den letzten 30 Jahren ausgestorben. Das Foto stammt aus den 1970er Jahren und könnte noch einen echten Wildkarpfen zeigen.

Die Einbuchtung hinter dem Kopf ist sehr charakteristisch für alle Abkömmlinge von Speisekarpfen.

Die zoologische Gattung Cyprinus enthält sehr viele beschriebene Arten, wieviele davon allerdings wirklich gültig sind, ist kaum zu sagen. Fishbase führt 24 Arten als valide auf. Als Urahn des Koi wurde lange Zeit die asiatische Unterart unseres Karpfens genannt. Fasst man den Karpfen als „Superart“ mit Unterarten auf, so muss man ihn Cyprinus carpio carpio Linné, 1758 nennen. Eine Unterart ist eine geografische Form einer Art, die sich von anderen Unterarten anatomisch unterscheiden lässt; innerhalb des Unterartenareals kommt immer nur die „reine“ Unterart vor, aber dort, wo die Unterart-Areale aneinandergrenzen gibt es undefinierbare Zwischenformen, so genannte Intergrades; das ist der wesentliche Unterschied zwischen Arten und Unterarten, bei Arten gibt es niemals Intergrades. Die asiatische Unterart wurde lange Zeit als Cyprinus carpio haematopterus Temminck & Schlegel, 1846 bezeichnet. Der Name Cyprinus haematopterus darf aber nicht für Karpfen verwendet werden, da er bereits früher (1820) für eine aus heutiger Sicht nicht näher mit dem Karpfen verwandte Art aus Nordamerika von Rafinesque „verbraucht“ wurde. Der korrekte Name für den wildlebenden Urahnen des Koi lautet darum Cyprinus carpio rubrofuscus Lacepède, 1803 – auf deutsch auch Amur-Karpfen. Viele Wissenschaftler lehnen gegenwärtig das Unterartkonzept ab und akzeptieren nur „volle“ Arten. Dann hieße der Koi-Urahn Cyprinus rubrofuscus. Erst um die Wende des 19. zum 20. Jahrhhundert wurden europäische Lederkarpfen – Abkömmlinge des Donau-Karpfens – in die japanischen Koi-Bestände eingekreuzt. Es entstanden die schuppelosen „Doitsu“-Formen des Koi. Doitsu ist nichts anderes als die Verballhornung des Wortes „Deutsche“…

In Deutschland gezüchtete Koi, so genannte Euro-Koi. Sie haben nicht die hohe Qualität der Japan-Koi, die durch extreme Selektion erreicht wird. Oben ein Doitsu, unten ein beschuppter Koi.

Der Weihnachtskarpfen stammt aber nicht aus Asien. Sein Urahn stammt aus der Donau. Wie der große Erforscher der Geschichte des Karpfens – Eugene K. Balon – 1995 so wundervoll anschaulich beschrieb, reicht der Anfang seines Domestikationsprozesses 2.000 Jahre in die Vergangenheit, in die Zeit, als die Donau die Grenze des Römischen Reiches darstellte. Damals lernten die Römer den großen, prächtigen Fisch schätzen und brachten ihn mit in ihre mediterrane Heimat. Sie pflegten ihn (und andere Arten) in eigens errichteten Teichen und liebten die Tiere so sehr, dass der reiche Staatsmann und berühmte Redner Hortensius von Cicero gescholten wurde, er solle sich mehr um seine politischen Aufgaben als um seine Fische kümmern.

Ein japanischer Taisho Sanke Koi. Nur eines von zehntausenden Tieren entwickelt eine so schöne Zeichnung.

Ob die Römer den Donau-Karpfen regelrecht züchteten, weiß man nicht. Der Anfang fast jeder Domestikation liegt im Dunkel der Geschichte. Es ist ganz grundsätzlich nicht klar, warum manche Arten domesiziert wurden, andere, sogar besser geeignete aber nicht. Das hängt wahrscheinlich mit den bereits erwähnten religiösen Gefühlen zusammen. Es ist jedenfalls nicht so, dass jemand planvoll hinging und sagte: jetzt domestiziere ich diese oder jene Art. Die Quellen geben darum meist erst dann Auskunft über die Nutzung eines Haustiers, wenn die Art längst als Haustier etabliert ist. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die planvolle Zucht des Karpfens, wie sie ab dem frühen Mittelalter in Klöstern betrieben wurde, ebensowenig „aus dem Nichts“ kam, wie die Zucht des Kaninchens; auf die interessanten Parallelen im Domestikationsprozess von Karpfen und Kaninchen weist Balon ausführlich hin. Der Haustierkarpfen oder Teichkarpfen ist ein hochrückiger Fisch. Verwildert er, so wird er wieder schlank – „Nudelholzkarpfen“. Aber man kann ihn immer noch leicht als Abkömmling von Haustieren erkennen, denn er hat, im Gegensatz zum „echten“ Wildkarpfen aus der Donau, einen deutlich erkennbaren Knick im Übergang zwischen Kopf und Rücken. Der wilde Urahn unseres Karpfen ist, so fürchtet Balon, in jüngster Vergangenheit ausgestorben, ein Schicksal, dass so viele wilde Urahne unserer Haustiere teilen.

Verwilderte Karpfen entwickeln sich sehr schnell zu wildtyp-artigen Tieren zurück. Es sind deshalb aber keine Wildkarpfen. Genauso gut könnte man Pudel in den Wald jagen und sagen, man hätte den Wolf wieder angesiedelt.

Seit mindestens 2.000 Jahren ist nun also der Karpfen im Prozess der Haustierwerdung. Die „Teichkarpfen“ gibt es seit über 1.000 Jahren, sie entstanden in etwa zeitgleich in Mitteleuropa mit dem Goldfisch, der in China aus einer Karauschen-Art (Carassius auratus) erzüchtet wurde. Irgendwann im Mittelalter entstanden auch erbfeste Stämme der Goldschleie (Tinca tinca) in Osteuropa und der Goldorfe (Leuciscus idus) in der Umgebung von Augsburg und Würzburg. Seit mindestens 200 Jahren gibt es Koi. In Bezug auf kultische Verehrung geniessen sicher die Koi heutzutage das allerhöchste Ansehen. Ihre Pfleger hängen oft geradezu leidenschaftlich an ihren Tieren. Aber auch der Brauch, an Weihnachten und/oder Silvester Karpfen zu verzehren ist ja nichts anderes als eine kultische Handlung. Und schon so mancher in der Badewanne aufbewahrte Karpfen wurde ausgesetzt statt aufgegessen, weil man sich an das Tier gewöhnt hatte und insgeheim glaubte, dass das eine gute Tat sei und Gutes Gutes hervorbringt.

Wie bei sehr vielen Fischen treten auch bei Karpfen immer wieder einmal goldfarbige Exemplare auf. Sie wurden aber in Europa nicht gezielt weitergezüchtet.

Ob mit oder ohne Karpfen: ich wünsche Ihnen schöne und besinnliche Festtage und einen guten Start in das Neue Jahr!

Ihr

Frank Schäfer

Literaturzitat:

Balon, E. K. (1995): Origin and domestication of the wild carp, Cyprinus carpio: from Roman gourmets to the swimming flowers. Aquaculture, 129 (1): 3-48.

Und weiteren Lesestoff über Karpfen und Koi gibt es hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=karpfen und hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=koi


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