Cyprinus carpio, der Karpfen – eine Weihnachtsgeschichte

Jetzt ist es wieder so weit. Das älteste Haustier unter den Fischen, der Karpfen, kommt in vielen Haushalten traditionell entweder an Weihnachten oder an Silvester auf den Tisch. Erst in jüngster Vergangenheit gelang es, einige der Rätsel über die Herkunft des Karpfens zu lösen.

Schuppenkarpfen gelten vielen als Wildkarpfen. Es sind aber Haustiere, keine Naturform.

Bei fast allen Haustieren ist die Frage nach der wildlebenden Urform nur schlecht geklärt. Auch wann genau der Domestikationsprozess (also die Haustierwerdung) einsetzte ist oft nur ungefähr anzugeben. Das hängt damit zusammen, dass fossile Überreste oft viel Interpretationsspielraum lassen. So weiß man z.B. erst heute mit ziemlicher Sicherheit, dass alle Haushunde vom Wolf (Canis lupus) abstammen. Aber Wolf ist nicht gleich Wolf. Er kommt in vielen Unterarten fast weltweit vor. Nur in Australien fehlt er, weshalb der Dingo, ein Abkömmling der Hunde, die die ersten Menschen bei der Besiedlung Australiens mitbrachten, dort so gut Fuß fassen konnte und sich wieder zu einer wildlebenden Art weiterentwickelte. Das kann man dank DNS-Analysen heute mit einiger Sicherheit behaupten. Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es diese Technik aber noch nicht und die Forscher waren ganz und gar darauf angewiesen, anatomisch-vergleichende Untersuchungen anzustellen. Die sind nicht immer eindeutig. Lange diskutierte man, ob nicht der Goldschakal (Canis aureus) als Stammvater einiger Hunderassen in Frage käme. Heute nimmt man an, dass zwar verschiedene Wolfs-Unterarten Erbgut in den Hunden hinterlassen haben, nicht jedoch der Goldschakal.

Lederkarpfen haben keine Schuppen auf den Flanken. Sie wurden vor etwa 100 Jahren nach Japan exportiert und ihre Kreuzung mit Koi ergab Doitsu Koi.

Wir können viel anhand der Domestikationsprozesse über die Evolution lernen. Darum haben Haustiere auch den „Vater der modernen Evolutionstherorie“, Charles Darwin, besonders fasziniert. Er schrieb darüber ein zweibändiges Buch, das auch in einer von Darwin autorisierten deutschen Fassung herauskam:  „Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ (1868). Tatsächlich folgt die Haustierwerdung im Wesentlichen den gleichen Prinzipien wie die Evolution wildlebender Arten. Deshalb ist die Haustierforschung so spannend, denn sie führt uns in vergleichsweise kurzen Zeitspannen vor Augen, was so alles genetisch in einer Art steckt.

Spiegelkarpfen (das größere der beiden Tiere) haben noch einige wenige, große Schuppen. Im Vergleich dazu ein jüngerer Schuppenkarpfen.

Die großen und größeren Säuger – also Wolf, Auerochse, Wasserbüffel, Gaur, Yak, Dromedar, Trampeltier, Pferd, Esel, Schwein, Lama, Ziege, Schaf und Katze – wurden mit Sicherheit ursprünglich aus religiösen Gründen domestiziert. In unendlich vielen Kulten und Mythen spielen sie bis heute eine wichtige Rolle. Man denke an den „Bösen Wolf“, die „Heilige Kuh“, den bocksgehörnten „Teufel“ usw. Der kultische Hintergrund der Katzendomestikation in Ägypten (der Bastet-Kult) ist den meisten Menschen bekannt. Und beim Karpfen? Tatsächlich sind zumindest Koi und die in Asien schon erheblich länger als die Karpfen domestizierten Goldfische sicher zu kultischen Zwecken verwendet worden. Denn in vielen der in Asien üblichen religiösen Vorstellungen gilt es als gute, glückbringende Tat, Tiere freizulassen. Das können kleine Vögel sein (vermutlich wurde darum das Japanische Mövchen, ein kleiner Prachtfink, aus dem Chinesischen Spitzschwanz-Bronzemännchen (Lonchura striata swinhoei) bereits im 16. jahrhundert domestiziert), aber eben auch Fische oder Schildkröten. Je kostbarer das ausgesetzte Tier, desto mehr Glück bringt das und so wurden vermutlich die seltenen und teuren Farbabweichungen darum gezielt vermehrt – jedenfalls soweit das ohne Kenntnis der Erbregeln geht. Der Koi ist eine relative junge Haustierform des Karpfens, er entstand wohl erst vor rund 200 Jahren (auch wenn manche Quellen anderes behaupten). Der Koi ist ein Abkömmling einer asiatischen Wildkarpfenform. Deren wissenschaftlicher Status ist viel diskutiert. Auch hier gilt wieder generell: es ist über wenige Wildtierarten so wenig bekannt, wie über die Ahnen unserer Haustiere. Im Falle des Rindes und des Dromedars ist die Stammform ausgestorben, bei Ziege und Schaf ist es oft fraglich, welche Wildform noch reinrassig existiert, ähnliches gilt für Wildyak und wilden Wasserbüffel, dass überlebende wilde Trampeltiere entdeckt werden konnten, war eine der größten Sensationen des 20. Jahrhunderts, vom Wildpferd sind etliche Unterarten schon lange ausgerottet, Wildesel sind hochgradig bedroht. Sogar beim Wolf besteht bezüglich der Systematik noch sehr viel Forschungsbedarf.

Der wilde Karpfen ist ein schlanker Fisch. Die wilden Vorfahren der Speisekarpfen aus der Donau sind vermutlich in den letzten 30 Jahren ausgestorben. Das Foto stammt aus den 1970er Jahren und könnte noch einen echten Wildkarpfen zeigen.

Die Einbuchtung hinter dem Kopf ist sehr charakteristisch für alle Abkömmlinge von Speisekarpfen.

Die zoologische Gattung Cyprinus enthält sehr viele beschriebene Arten, wieviele davon allerdings wirklich gültig sind, ist kaum zu sagen. Fishbase führt 24 Arten als valide auf. Als Urahn des Koi wurde lange Zeit die asiatische Unterart unseres Karpfens genannt. Fasst man den Karpfen als „Superart“ mit Unterarten auf, so muss man ihn Cyprinus carpio carpio Linné, 1758 nennen. Eine Unterart ist eine geografische Form einer Art, die sich von anderen Unterarten anatomisch unterscheiden lässt; innerhalb des Unterartenareals kommt immer nur die „reine“ Unterart vor, aber dort, wo die Unterart-Areale aneinandergrenzen gibt es undefinierbare Zwischenformen, so genannte Intergrades; das ist der wesentliche Unterschied zwischen Arten und Unterarten, bei Arten gibt es niemals Intergrades. Die asiatische Unterart wurde lange Zeit als Cyprinus carpio haematopterus Temminck & Schlegel, 1846 bezeichnet. Der Name Cyprinus haematopterus darf aber nicht für Karpfen verwendet werden, da er bereits früher (1820) für eine aus heutiger Sicht nicht näher mit dem Karpfen verwandte Art aus Nordamerika von Rafinesque „verbraucht“ wurde. Der korrekte Name für den wildlebenden Urahnen des Koi lautet darum Cyprinus carpio rubrofuscus Lacepède, 1803 – auf deutsch auch Amur-Karpfen. Viele Wissenschaftler lehnen gegenwärtig das Unterartkonzept ab und akzeptieren nur „volle“ Arten. Dann hieße der Koi-Urahn Cyprinus rubrofuscus. Erst um die Wende des 19. zum 20. Jahrhhundert wurden europäische Lederkarpfen – Abkömmlinge des Donau-Karpfens – in die japanischen Koi-Bestände eingekreuzt. Es entstanden die schuppelosen „Doitsu“-Formen des Koi. Doitsu ist nichts anderes als die Verballhornung des Wortes „Deutsche“…

In Deutschland gezüchtete Koi, so genannte Euro-Koi. Sie haben nicht die hohe Qualität der Japan-Koi, die durch extreme Selektion erreicht wird. Oben ein Doitsu, unten ein beschuppter Koi.

Der Weihnachtskarpfen stammt aber nicht aus Asien. Sein Urahn stammt aus der Donau. Wie der große Erforscher der Geschichte des Karpfens – Eugene K. Balon – 1995 so wundervoll anschaulich beschrieb, reicht der Anfang seines Domestikationsprozesses 2.000 Jahre in die Vergangenheit, in die Zeit, als die Donau die Grenze des Römischen Reiches darstellte. Damals lernten die Römer den großen, prächtigen Fisch schätzen und brachten ihn mit in ihre mediterrane Heimat. Sie pflegten ihn (und andere Arten) in eigens errichteten Teichen und liebten die Tiere so sehr, dass der reiche Staatsmann und berühmte Redner Hortensius von Cicero gescholten wurde, er solle sich mehr um seine politischen Aufgaben als um seine Fische kümmern.

Ein japanischer Taisho Sanke Koi. Nur eines von zehntausenden Tieren entwickelt eine so schöne Zeichnung.

Ob die Römer den Donau-Karpfen regelrecht züchteten, weiß man nicht. Der Anfang fast jeder Domestikation liegt im Dunkel der Geschichte. Es ist ganz grundsätzlich nicht klar, warum manche Arten domesiziert wurden, andere, sogar besser geeignete aber nicht. Das hängt wahrscheinlich mit den bereits erwähnten religiösen Gefühlen zusammen. Es ist jedenfalls nicht so, dass jemand planvoll hinging und sagte: jetzt domestiziere ich diese oder jene Art. Die Quellen geben darum meist erst dann Auskunft über die Nutzung eines Haustiers, wenn die Art längst als Haustier etabliert ist. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die planvolle Zucht des Karpfens, wie sie ab dem frühen Mittelalter in Klöstern betrieben wurde, ebensowenig „aus dem Nichts“ kam, wie die Zucht des Kaninchens; auf die interessanten Parallelen im Domestikationsprozess von Karpfen und Kaninchen weist Balon ausführlich hin. Der Haustierkarpfen oder Teichkarpfen ist ein hochrückiger Fisch. Verwildert er, so wird er wieder schlank – „Nudelholzkarpfen“. Aber man kann ihn immer noch leicht als Abkömmling von Haustieren erkennen, denn er hat, im Gegensatz zum „echten“ Wildkarpfen aus der Donau, einen deutlich erkennbaren Knick im Übergang zwischen Kopf und Rücken. Der wilde Urahn unseres Karpfen ist, so fürchtet Balon, in jüngster Vergangenheit ausgestorben, ein Schicksal, dass so viele wilde Urahne unserer Haustiere teilen.

Verwilderte Karpfen entwickeln sich sehr schnell zu wildtyp-artigen Tieren zurück. Es sind deshalb aber keine Wildkarpfen. Genauso gut könnte man Pudel in den Wald jagen und sagen, man hätte den Wolf wieder angesiedelt.

Seit mindestens 2.000 Jahren ist nun also der Karpfen im Prozess der Haustierwerdung. Die „Teichkarpfen“ gibt es seit über 1.000 Jahren, sie entstanden in etwa zeitgleich in Mitteleuropa mit dem Goldfisch, der in China aus einer Karauschen-Art (Carassius auratus) erzüchtet wurde. Irgendwann im Mittelalter entstanden auch erbfeste Stämme der Goldschleie (Tinca tinca) in Osteuropa und der Goldorfe (Leuciscus idus) in der Umgebung von Augsburg und Würzburg. Seit mindestens 200 Jahren gibt es Koi. In Bezug auf kultische Verehrung geniessen sicher die Koi heutzutage das allerhöchste Ansehen. Ihre Pfleger hängen oft geradezu leidenschaftlich an ihren Tieren. Aber auch der Brauch, an Weihnachten und/oder Silvester Karpfen zu verzehren ist ja nichts anderes als eine kultische Handlung. Und schon so mancher in der Badewanne aufbewahrte Karpfen wurde ausgesetzt statt aufgegessen, weil man sich an das Tier gewöhnt hatte und insgeheim glaubte, dass das eine gute Tat sei und Gutes Gutes hervorbringt.

Wie bei sehr vielen Fischen treten auch bei Karpfen immer wieder einmal goldfarbige Exemplare auf. Sie wurden aber in Europa nicht gezielt weitergezüchtet.

Ob mit oder ohne Karpfen: ich wünsche Ihnen schöne und besinnliche Festtage und einen guten Start in das Neue Jahr!

Ihr

Frank Schäfer

Literaturzitat:

Balon, E. K. (1995): Origin and domestication of the wild carp, Cyprinus carpio: from Roman gourmets to the swimming flowers. Aquaculture, 129 (1): 3-48.

Und weiteren Lesestoff über Karpfen und Koi gibt es hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=karpfen und hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=koi


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Weißt du, wieviel Fische schwimmen?

Die Wissenschaft kennt derzeit rund 32.000 Fischarten, in Wirklichkeit existieren vermutlich mindestens zwei bis drei mal so viele Arten. Woher man das wissen will? Nun, das sind natürlich nur Schätzungen. Aber diese Schätzungen beruhen auf Erfahrungen. Bei den Prachtguramis (Parosphromenus) kannte man aus dem Forschungszeitraum 1750- 1950 – also rund 200 Jahre lang – nur eine Art (P. deissneri), dann kam 1952 (P. paludicola) und 1955 (P. sumatranus) jeweils eine weitere hinzu. Dabei blieb es bis 1979 (P. parvulus) und 1981 (P. filamentosus). Dadurch angeregt zog es Aquarianer und Wissenschaftler nach Malaysia und die indomalaiische Inselwelt auf der Suche nach weiteren Arten und heute (2023) sind wir bei 23 Arten, also 4-5x so viele Arten, als man noch vor 50 Jahren dachte. Und das bei einer sehr kleinräumig verbreiteten Fischgruppe aus einer ichthyologisch sehr gut untersuchten Region! Ähnlich sieht es überall aus, wo man genauer hinschaut. Und große Teile der Erde, nämlich die Tiefsee, sind noch immer praktisch unerforscht. Auch dort leben Fische. Somit ist die Schätzung, dass erst etwa ein Drittel der tatsächlich existierenden Arten erfasst ist, sogar sehr niedrig gegriffen!

Parosphromenus gunawani (oben) wurde 2012 beschrieben, P. linkei (unten) im Jahr 1991

Jede dieser Arten unterscheidet sich nicht nur äußerlich von allen anderen Arten, sondern auch im Verhalten. Das Verhalten einer Kleinfischart lässt sich nur im Aquarium ausführlich beobachten, nur hier lässt sich zudem die Anzahl der Faktoren, die die Beobachtung verfälschen können, so einschränken, dass verlässlicher Erkenntnisgewinn möglich ist.

Der Bitterling (Rhodeus amarus) laicht in lebenden Muscheln. Bevor man lernte, wie man Fische im Aquarium pflegt, was um das Jahr 1850 herum geschah, wusste das niemand.

In freier Natur entziehen sich Kleinfische gewöhnlich der Beobachtung durch den Menschen. Ganz abgesehen davon, dass trübes Wasser, die Kleinheit der Objekte, deren Fluchtdistanz und der zu treibende Aufwand ein solches Unterfangen in der Praxis unmöglich machen, bleiben Naturbeobachtungen immer nur kurze Momentaufnahmen.

In den natürlichen Lebensräumen unserer Aquarienfische ist das Wasser oft trüb, die Sichtweite unter Wasser beträgt nur wenige Zentimeter. Hier, bei Kalkutta in Indien, leben z.B. Zwergfadenfische, Danios, Barben, Schmerlen, Hechtlinge, Staachelaale und viele weitere Arten.

Verglichen mit der riesigen Artenzahl der Fische werden nur wenige Arten ständig im Aquarium gepflegt – etwa 300 – 400 Arten. Nur weitere 1.000 bis 1.500 Arten sind als Raritäten im Hobby bekannt. Übrigens sind etwa die Hälfte der existierenden Fischarten Süßwasserfische, obwohl weltweit nur etwa 3% der Wasservorkommen auf das Süßwasser entfallen. Die als artenreich bekannten Korallenriffe der Erde beherbergen „nur“ rund 1.000 Fischarten. Da haben schon viele Nebenflüsse des Amazonas mehr zu bieten…


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Die meisten Korallenfische – hier der Falterfisch Chaetodon collare – haben ein riesiges Verbreitungsgebiet, da sich ihre Larven wochen- und monatelang im Plankton der Meeresströmungen entwickeln; dadurch vermischen sich ständig großräumig die Populationen. Im Gegensatz hierzu pflanzen sich Süßwasserfische meist lokal fort, wodurch die Artenbildung sehr schnell erfolgen kann.

Wozu diese Zahlenspielerei? Sie soll verdeutlichen, was beobachtende und züchtende Aquarianer noch alles zum Menschheitswissen beitragen können. Von weit mehr als 90% der bekannten Fischarten weiß man kaum mehr, als dass sie existieren. So sollte man jede Gelegenheit nutzen, die sich bietet, um so genannte Raritäten oder Beifänge zu erwerben und zu studieren.

Rhabdalestes septentrionalis, Paar, Männchen unten

Eine solche Rarität ist Rhabdalestes septentrionalis. Die abgebildeten Tiere wurden im Juni 2012 von Aquarium Glaser, Rodgau, als Beifang zu Bryconalestes longipinnis aus dem Niger importiert. Rhabdalestes septentrionalis – es gibt keinen eingeführten deutschen Namen für die Art, ich schlage „Afrikanischer Kupferbandsalmler“ vor – ist ein Verwandter des Kongosalmlers (Phenacogrammus interruptus). In der Natur ist er keineswegs selten und zudem sehr weit im westlichen, tropischen  Afrika verbreitet. Und doch wurde noch nie über eine Aquarienhaltung, geschweige denn Zucht dieser kaum 6-7 cm lang werdenden Art berichtet. Dabei gestaltet sich zumindest die Haltung sehr einfach. Es handelt sich um friedliche Schwarmfische ohne besondere Ansprüche an pH-Wert oder Wasserhärte, die zudem jedes übliche Fischfutter fressen – auch Trockenfutter – und sich als robust und kaum krankheitsanfällig zeigen.

Die sehr besonders geformte Afterflosse des Männchens ist auf diesem Bild gut zu erkennen.

Die Männchen dieser Art entwickeln ab einer Länge von etwa 4 cm – diese Größe markiert demnach wahrscheinlich den Eintritt der Geschlechtsreife, die bei Fischen allerdings immer an das Alter und nicht an die Körpergröße gebunden ist – eine ganz seltsam geformte Afterflosse. Höchstwahrscheinlich steht diese anatomische Veränderung im Dienste der Fortpflanzung. Handelt es sich womöglich um eine Vorrichtung für eine innere Befruchtung? Niemand weiß das und bevor nicht ein beobachtender Aquarianer (sei die Person nur Laie oder Ichthyologe) sich vornimmt, das im Aquarium zu erforschen, wird es auch nie jemand erfahren…


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Rasbora patrickyapi, Männchen

Überall auf der Welt schwimmen kleine Fischarten umher, die auf ihre ganz spezielle Art und Weise einzigartig sind. Die Erfassung ihrer Existenz ist ein erster Schritt zu ihrer Erforschung. Der in Südostasien lebende Rasbora patrickyapi ist ein weiteres Beispiel für eine praktisch unbekannte Art, die Dank der Aquarienkunde entdeckt wurde und an der es noch viel zu erforschen gilt.

Die Schwarzwassergebiete des zentralen Teils von Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, bergen noch immer zahlreiche ungehobene Schätze aus dem Reich der Fische. Häufig treten neue, unbekannte Fischarten über den Weg des Zierfischhandels in das Bewusstsein der Ichthyologen. So auch im Falle des schönen Bärblings Rasbora patrickyapi, einer etwa 5 bis 6 cm langen Schwarzwasserart.

Ende 2007 besuchte der Wissenschaftler Tan Heok Hui die Anlage des in Singapur ansässigen, sehr rührigen Zierfischexporteurs Patrick Yap und fand zwischen Rasbora kalochroma eine neue, ihm unbekannte Bärblingsart. Auf den ersten Blick erinnerte das Tier farblich am ehesten an die weit in Südostasien verbreitete Art Rasbora einthovenii, eingehendere Untersuchungen zeigten aber, dass die neue Art offenbar auch eng mit der syntop lebenden Rasbora kalochroma verwandt ist. Tan beschrieb das Tier schließlich 2009 zu Ehren von Patrick Yap als neue Art.

Weibchen von Rasbora patrickyapi

Die sorgfältige Untersuchung von Museumsmaterial zeigte, dass Belegexemplare der Art bereits 1984 im Museum Zoologicum Bogoriense in Indonesien deponiert worden waren; man erkannte sie anhand konservierter Exemplare nur nicht als neue Art. Wie so oft ist es darum der Aquarienkunde zu verdanken, dass unser Wissen um die Biodiversität weiter angewachsen ist. Bislang ist Rasbora patrickyapi nur aus Tieflandtorfsümpfen und Heidewäldern im zentralen Kalimantan im Einzugsgebiet der Flüsse Katingan und Kahayan bekannt.

Die Fische haben sich als vergleichsweise leicht zu pflegende Tiere erwiesen. Man muss bei Schwarzwasserfischen allerdings grundsätzlich beachten, dass diese Tiere in ihren Heimatbiotopen in extrem weichem und sauren Wasser leben. Diese Wasserbedingungen brauchen die Fische zwar nicht zum Wohlbefinden, jedoch ist das Wasser im natürlichen Lebensraum vor allem aufgrund des sauren pH-Wertes sehr keimarm. Einem hohen Keimdruck im Aquarienwasser haben die Fische wenig entgegenzusetzen, wenn ihre natürlichen Abwehrkräfte aufgrund der suboptimalen Bedingungen während des Fanges und Transportes vermindert sind. Bakteriosen und ektoparasitäre Erkrankungen können die Folge sein. Man sollte also während der Eingewöhnung solcher Fische auf möglichst sauberes, keimarmes Wasser achten, ein kräftiger UV-Filter leistet hier sehr gute Dienste und ein gutes Medikament gegen Ektoparasiten sollte auch stets zur Hand sein. Ist die etwas heikle Eingewöhnung überstanden sind die Fische durchaus als unempfindlich zu bezeichnen, die sogar im Fotografieraquarium schöne Farben zeigen und balzen.

Rasbora patrickyapi (oben) ist R. einthovenii (unten) ähnlich.

Über eine erfolgreiche Nachzucht im Aquarium ist m.W. noch nicht ausführlich berichtet worden, jedoch ist nicht zu erwarten, dass die Fische in dieser Hinsicht von ihren Gattungsgenossen abweichen. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um produktive Freilaicher, die in Javamoos und dergleichen ablaichen. Männchen sind schlanker als die Weibchen, erstere haben zudem einen höheren Rotanteil in der Färbung der Flossen. Für eine erfolgreiche Zucht ist es allerdings wahrscheinlich notwendig, ein Wasser von weniger als 2°GH bei einem pH von etwa 4,5 zu verwenden, was den in der Natur üblichen Wasserwerten entspricht. Für die Pflege spielen Härte und pH-Wert allerdings eine untergeordnete Rolle. Rasbora kalochroma, die aus dem gleichen Lebensraum wie R. patrickyapi stammt, lebt schon seit Jahren bei bester Gesundheit in einem Schauaquarium in der Hottonia, dem darmstädter Verein für Aquarien- und Terrarienkunde, im harten darmstädter Leitungswasser (17-20°GH, 12-13° KH, pH 7,3 – 7,7).

Rasbora kalochroma

Rasbora patrickyapi ist eine farblich sehr attraktive, friedliche und kleinbleibende Art. Pflanzen bleiben unbehelligt, die Tiere sind mit käuflichen Fischfutter gut und leicht zu ernähren. Bleibt zu hoffen, dass der neuen Schönheit eine lange aquaristische Karriere bevorsteht.

Raritäten wie Rhabdalestes septentrionalis und Rasbora patrickyapi sind nur deshalb Raritäten, weil eine geringe Nachfrage nach ihnen besteht. Bei Bedarf könnte man sie leicht zu hunderttausenden züchten. Doch dieser Bedarf existiert nicht. Es gibt eine kleine, leider schrumpfende Schar enthusiastischer Aquarianer. Sie werden von dummen Menschen angefeindet und es wird mit unsäglichen Behauptungen, die keiner Prüfung auch nur ansatzweise standhalten, versucht, ihnen die Erforschung der Kleinfischwelt unmöglich zu machen. Wenn Sie, lieber Leser, zu dieser Schar von Fische erforschenden Idealisten zu zählen sind: geben Sie bitte nicht auf! Suchen Sie weiter im immer kleiner werdenden Angebot von Wildfängen nach Beifängen und Raritäten, pflegen Sie sie im Aquarium und ggf. züchten Sie sie auch nach, um ihnen die Geheimnisse ihrer Lebensgeschichte zu entlocken. Kommende Generationen werden es ihnen danken, wenn auch sie noch eine große Artenvielfalt bei den Kleinfischen kennenlernen können.

Frank Schäfer

Ungewöhnliche Anemonenfische

Seit dem Zeichentrickfilm “Findet Nemo” kennt jedes Kind Anemonen­fische. Doch selbst erfahrenen Seewasseraquarianern ist oft nicht bewusst, wie formenreich diese kleinen Riffbarsche sind!

Gut bei diesem Amphiprion percula zu erkennen: die gattungscharakteristischen Kiemendeckelzacken.

Es ist noch gar nicht lange her: 1960 schätzte J. L. B. Smith, einer der bekann­tes­ten Fischkundler der Welt, die Anemo­nenfische als eine der vom Standpunkt der Systematik schwierigsten Grup­pen unter den Korallenfischen ein. Und bis heute ist es im Einzelfall gar nicht einfach, einen Anemonenfisch unbekannter Her­kunft einer der derzeit 30 anerkannten Amphiprion-Arten zuzuordnen.

Auch das ist Amphiprion percula.

Variante, Ökotype, Unterart?
Die meisten Menschen denken nicht viel darüber nach, aber in der Zoologie ist die Frage, was denn eigentlich eine Art ist, heiß umstritten. Bei den Anemonenfischen gibt es eigentlich alles, was dem Fischkundler das Leben schwer machen kann: altersbedingte Umfärbungen, geschlechtsbedingte Umfär­bungen, Geschlechtswechsel, geografisch fixierte Färbungen, Polychromatismus (das ist eine Vielfalt an individuellen Zeichnungs­mustern innerhalb einer Fortpflanzungsge­meinschaft), Ökotypen (leben die Tiere mit bestimmten Anemonenarten zusammen, neigen sie zur Schwarzfärbung, während ihre Artgenossen, die mit anderen Ane­monen zusammenleben, ganz normal aus­sehen) – kurz und knapp, komplizierter als bei den Anemonenfischen geht es kaum. Seit fast 50 Jahren beschäftigt sich der austra­lische Fischkundler Gerald R. Allen mit den Ane­monenfischen. Man kann wohl sagen, dass es niemanden gibt, der sich mit den Tieren so gut auskennt wie er. Erst im Jahr 2010 beschrieb er zusammen mit Kollegen eine neue Amphiprion-Art (A. pacificus). Seinen Einschätzungen, was bei Ane­monen­fischen eine Art ist, wird darum hier gefolgt.


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Diese wunderschöne Variante von Amphiprion (früher: Premnas) biaculeatus von Sumatra wurde von Fowler 1904 als P. epigrammata beschrieben.

Obligatorischer Geschlechtswechsel
Die meisten Leser werden es wissen, doch es sei noch einmal kurz daran erinnert, dass alle Anemonenfische nach der freischwebend im Plankton verbrachten Larvenzeit ihr Sexualleben als funktionstüchtiges Männ­chen beginnen. Nur das ranghöchste Exem­plar einer Gruppe verwandelt sich in ein funktionstüchtiges Weibchen – der Fachaus­druck für Tiere, die beide Geschlechter in einem Tier ausbilden können und als Männ­chen beginnen, lautet “protandrische Zwitter”. Wer also zwei Jungtiere eines Anemonenfisches erwirbt, kauft immer zwei Männchen. Überleben beide Tiere, wird sich eines davon zum Weibchen umwandeln und man hat ein Pärchen.

Männchen einer Variante von Amphiprion clarkii von Sri Lanka

Bei Arten wie dem sehr weit ver­breiteten Amphiprion clarkii, bei dem Männ­chen und Weibchen unterschiedlich ge­färbt sind, kommt es schon allein deshalb zwangs­läufig im Laufe des Lebens zu individuellen Um­färbungen.

Schwarze Variante von Amphiprion ocellaris

Individuelle Varianten
Anemonenfische kann man nach­züch­ten und so kann man bei ihnen ganz gut experimentell überprüfen, welche Zeich­nungs­elemente erblich bedingt sind und welche spontan auftreten. Besonders die beliebteste Clownfisch-Art, Am­phi­prion ocellaris („Nemo“), neigt demnach sehr zur Ausbildung spontaner Farbabweichungen, z.B. was die Ausprägung der weißen Binden betrifft. Hier ist es also sicherlich sinnvoll, von Varianten zu sprechen, die keine taxonomische Be­deu­tung haben. Andererseits lässt sich die schwarze Form von A. ocellaris, die nach Allen in der Natur nur in der Region von Darwin in Nordaustralien vorkommt, reinerbig nach­züchten. Hier stellt sich also die Frage, ob es sich nicht doch um eine taxonomisch eigen­ständige Form handelt.

Männchen der geografischen Form von Amphiprion clarkii von den Malediven.

Geografische Varianten oder Unterarten?
Viele Anemonenfische kommen nur in geografisch eng begrenzten Gebieten vor, andere, wie Amphiprion clarkii, sind sehr weit verbreitet. Man kann bei weit verbreiteten Arten durchaus feststellen, dass bestimmte Farbmerkmale an das Vorkommen gebun­den sind. Je nach Artkonzept werden solche Formen als geografische Varianten, Unter­arten oder eigenständige Arten ge­seh­en. Charakteristisch für Unterarten ist es, dass es dort, wo Unterartengebiete aneinander­grenzen, nicht eindeutig zuordenbare Misch­formen gibt. Im Fall von A. clarkii lassen sich viele Tiere zwar einerseits gut nach Farbmerkmalen geografisch zuordnen, an­dererseits können aber auch in Importen aus dem gleichen Gebiet sehr unterschied­lich gefärbte Tiere enthalten sein. Es ist im Übrigen völlig ungeklärt, wie es Korallenfische, die ein planktisches Larvenstatdium haben und in dieser Zeit ja passiv mit den Meeres-Strömungen verdriftet werden, überhaupt lokal begrenzte Populationen aufbauen könne, so wie der schwarze A. ocellaris bei Darwin.


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Weibchen von Amphiprion clarkii von Sri Lanka.
Jungfisch von Amphipion clarkii, Sri Lanka

Es gibt also noch viel bei diesen fantas­tischen Fischen zu erforschen und die Aqua­rianer können durch Nachzuchten dazu bei­tra­gen, noch ungeklärte Rätsel lösen zu helfen. Ich wünsche mir, dass man sich bei der Nachzucht mehr auf solche Fragestellungen konzentriert als auf die Erschaffung mehr oder weniger attraktiver Zuchtformen, die in der Natur gar nicht vorkommen. Aber das bleibt wohl leider Wunschdenken…

Frank Schäfer

Lexikon zu den erwähnten Anemonenfischen Amphiprion & Co.

Amphiprion: aus dem altgriechischen, bedeutet etwa “auf beiden Seiten gesägt”, was sich auf die Kiemendeckelränder bezieht.
Premnas: ein im antiken Griechenland benutzter Fischname.
percula: Verkleinerungsform des lateinischen Namens für den Flussbarsch (Perca fluviatilis), also “kleiner Barsch”.
biaculeatus: aus dem lateinischen, bedeutet “mit zwei Stacheln”, wegen der Unteraugendornen.
ocellaris: latein, bedeutet “mit Augenflecken”.
clarkii: Widmungsname zu Ehren von John Clark, der die wunderbaren Fischtafeln stach, die Bennetts Werk “Fishes found on the coast of Ceylon” illustrieren, in der die Art 1830 beschrieben wurde.


Der Phönixsalmler, Hemigrammus filamentosus

In den fast 30 Jahren, die ich nun schon sozusagen hauptberuflicher wissenschaftlicher Aquarianer bin, war ich an der Entdeckung zahlreicher bis dato der Wissenschaft noch unbekannter Fischarten direkt oder indirekt beteiligt. Viele davon hatten nur eine kurze aquaristische Karriere, waren sozusagen „one hit wonder“, aber der Phönix-Salmler kam, um zu bleiben.

Balzendes Männchen des Phönixsalmlers

Der Phönix ist ein mythologischer Vogel, der der Legende nach von Zeit zu Zeit spontan verbrennt und anschließend aus seiner Asche wieder aufersteht. Er wird oft als goldener Vogel mit rotem Schwanz dargestellt.

Der Salmler, um den es hier geht, hat ein wenig mit diesem mythologischen Vogel, der als Glücksbringer gilt, gemeinsam. Da wäre zum einen der hübsch gefärbte, rote Schwanz und der zarte Gold­glanz auf dem Körper. Aber auch im über­tragenen Sinne hat der Phönixsalmler etwas mit dem Vogel zu tun: er tauchte schon einmal in der Aquaristik auf und ging wieder vergessen; dann ist er wieder auferstanden!


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Eines der Tiere, mit denen Dieter Bork züchtete

2011: Eine unbeschriebene Art
Importiert wurde das schöne, etwa 3,5 – 4 cm lang werdende Tierchen als Hyphessobrycon stegemanni aus Brasilien. H. stegemanni ist ein ziemlich un­bekanntes Fischchen und da die Recher­che zwischen einem Import und der vor­läufigen Bestimmung leicht einige Wochen dauern kann, wurde der Phönixsalmler zunächst als Hyphessobrycon cf. stegemanni bezeichnet. Im Zuge der Recherchen stellte sich dann heraus, dass der Phönixsalmler schon einmal importiert wurde und zwar 1989. Damals stellten ihn Lothar Seegers und Jaques Géry zusammen mit einigen anderen neuimpor­tierten Salmlern als “S7” in der Zeitschrift DATZ vor. Man versuchte, analog zu dem sehr erfolgreichen L-Nummern-System, das für unbestimmbare Harnisch­welse Anwen­dung findet, ein S-Nummern-System für Salmler zu etablieren; allerdings scheiterte dieser Versuch. Ohne die Tiere näher unter­sucht haben zu können, stellen Seegers und Géry S7 in die Nähe von Hemigrammus bre­vis, hielten ihn jedoch für eine wissen­schaft­lich vermutlich noch unbeschriebene Art. Es gibt aufgrund des beigefügten Fotos keinen Zweifel, dass S7 und der Phönix­salmler identisch sind. Lediglich die Maximal­größe, die für S7 mit 5 cm angegeben wird, wird von den derzeit im Hobby vorhan­denen Phönix­salmlern nicht erreicht, weder von Wild­fängen, noch von Nachzuchttieren.

Unter Wildfängen findet man gelegentlich Exemplare mit der „Goldkrankheit“.

Der Fundort des Phönixsalmlers
In der Regel ist es sehr schwer, oft sogar un­möglich, den genauen Fundort eines kom­mer­ziell importierten Fisches herauszufin­den. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Exporteur die Fische gewöhnlich nicht selbst fängt, sondern von Zulieferanten aufkauft. Auch der Zulieferant ist normalerweise nicht der Fänger, sondern kauft seinerseits die Fische bei den Fängern auf. Kein Glied dieser Kette hat ein besonderes Interesse daran, einen Fundort preiszugeben und damit der Konkurrenz leichtes Spiel zu bereiten. So erfährt man hier in Europa gewöhnlich nur, aus welchem Flusssystem ein Tier stammt, was aber auch oft schon sehr hilfreich ist.

Nachzuchtmännchen (F1) des Phönixsalmlers

Im Falle des Phönixsalmlers liegen die Dinge nun etwas anders, denn die Tiere, die als S7 in der DATZ vorgestellt wurden, waren von Arthur Werner 1988 selbst auf einer For­schungs­tour gesammelt worden. So wissen wir, dass der Phönixsalmler bei Filadélfia im Einzug des Rio Tocantins (7° 20’ 9’’ S, 47° 29’ 24’’ W) zum ersten Mal gesammelt wurde.

Der neuerliche Import
Im Jahr 2010 importierte Aquarium Glaser in Rodgau erneut Phönix­salmler unter der Bezeichnung H. stege­manni, die unter diesem Namen von einem Zierfischgroßhändler der Region aufgekauft wurden. Einige dieser Fische gerieten dem bekannten, bei Hanau lebenden Aquarianer Dieter Bork (1945 – 2023), in Hände, der die unscheinbaren Fischchen großzog und sich für sie be­geisterte. Er züchtete sie nach und gab die Nachzucht an Aquarium Glaser ab – der Kreis schloss sich. Bork machte die Mitarbeiter von Aquarium Glaser auch auf die ursprüngliche Quelle für diesen attraktiven Fisch aufmerk­sam. Nun ist es nicht so, dass man als Fisch­importeur lediglich eine Order in das Ur­sprungs­land einer gewünschten Art schickt und hat dann ein paar Tage später was man braucht; das Importgeschäft ist ausge­sprochen kompliziert. Dennoch gelang es Aquarium Glaser nach einigen Wochen noch einmal “Hyphessobrycon stegemanni” von dem in Frage kommenden Exporteur zu beziehen. Leider waren aber nur ganz wenige Phönixsalmler in der Sendung enthalten, der Großteil bestand aus einer damals wissenschaftlich ebenfalls noch unbe­schriebenen Art, die Seegers und Géry als S9 (Cheirodon? sp.) bezeichnen. Dieser Fisch wurde im Hobby zwischenzeitlich als 7 Rays Mint Tetra bezeichnet, 2012 beschrieb Zarske ihn als Serrapinnus sterbai. Weitere Beifange waren Astyanax goyacensis und Ctenobrycon hauxwellianus.

Männchen von Serrapinnus sterbai
Astyanax goyacensis
Ctenobrycon hauxwellianus

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Unterschiede zwischen Wildfängen und Nachzuchten beim Phönixsalmler
Es ist ganz normal, dass zwischen Wild­fängen und Nachzuchten gewisse Unter­schiede bestehen. Zum einen sind die Le­bens­bedingungen im Aquarium, verglichen mit der freien Natur, als geradezu para­diesisch anzusehen. Nachzuchten werden, gerade bei Salmlern, gewöhnlich deutlich größer und bauen erheblich mehr Körper­masse auf, als freilebende Exemplare. Zudem gibt es in der Natur in Südamerika zumindest zu bestimmten Zeiten kaum Fische mit un­be­schädigten Flossen, da sich eine Vielzahl von Fischarten auf das Flossenfressen spezialisiert hat. Beim Phönixsalmler zeigen die Nachzuchttiere jedenfalls ganz wunder­bar ausgezogene Rücken- und Afterflossen, was bei den Wildfängen (jedenfalls in den ersten Wochen nach dem Import) kaum zu beobachten ist.

Frischfänge des Phönixsalmlers sind oft ziemlich zerrupft; die Natur ist kein Ponyhof
Frisch importiertes Wildfangweibchen des Phönixsalmlers

Die wissenschaftliche Beschreibung
Dr. Axel Zarske (Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, Museum für Tierkunde) erhielt von Dieter Bork konservierte Exemplare des Phönixsalmlers und untersuchte sie genau. Er kam dabei zu dem Schluss, dass diese Art mit Hyphessobrycon stegemanni überhaupt nichts zu tun hat, in die Gattung Hemigrammus gehört und benannte sie als Hemigrammus filamentosus. Der wissenschaftlichen Erstbeschreibung lagen die Importtiere zugrunde.

Die Flossenfilamente sind bei Nachtzuchtmännchen lang ausgezogen
Nachzuchtweibchen (F1)

Pflege und Zucht
Phönixsalmler sind nicht nur wunderschön, sie sind auch ausgesprochen pflegeleicht. Man sollte sie im Trupp von mindestens 10 Exemplaren pflegen, dann zeigen sie ihr volles Verhaltensspektrum und vor allem sind die Männchen dann ständig am zanken und balzen. Gefressen wird jedes übliche Fischfutter und auch bezüglich der Wasser­zu­sammensetzung ist der völlig friedliche Phönix­salmler anspruchslos. Die Zucht verläuft nach typischer Klein­salmler-Art. In weichem, leicht sauren Wasser und bei rund 28°C sind die Männchen sehr balzfreudig.

Bei Wildfangmännchen kann es eine Weile dauern, bis alle Flossen perfekt sind

Inzwischen gehört der Phönixsalmler zum festen Sortiment der im Handel regelmäßig anzutreffenden Kleinsalmler. Gehandelt wird die Art ganz überwiegend als Nachzucht, doch kommen ab und zu auch Wildfänge herein. Hoffen wir, dass es bei dieser erfreulichen Situation bleibt!

Frank Schäfer


Literatur:
Seegers, L. & J. Géry (1989): Neue oder seltene Salmler aus Maranhão, Brasilien. Die Aquarien- und Terrarienzeitschrift 42 (6): 363-365

Zarske, A. (2011): Hemigrammus filamentosus spec. nov. — der Südamerikanische Fadensalmler, ein neuer Salmler (Teleostei: Characiformes: Characidae) aus dem Araguaya-Becken in Brasilien. Vertebrate Zoology v. 61 (no. 1): 3-12.

Zarske, A. (2012): Serrapinnus sterbai spec. nov. — Beschreibung eines neuen Salmlers (Teleostei: Characiformes: Characidae: Cheirodontinae) aus Brasilien mit Bemerkungen zu S. gracilis (Géry, 1960) comb. nov. und S. littoris (Géry, 1960) comb. nov. Vertebrate Zoology v. 62 (no. 1): 3-17

Die Schleie – Märchen und Wahrheiten

Direkt vor unserer Haustür lebt eine Fischart, die ganz und gar einzigartig ist: die Schleie, Tinca tinca. Normalerweise kennt man diesen etwa 40 cm lang werdenden Fisch aus Feinkostgeschäften. Angler haben wohl auch schon Bekanntschaft mit dem Tier gemacht. Doch dass die Schleie ein wunderschöner und hochinteressanter Aquarien- und Gartenteichfisch ist, wissen nur wenige Menschen.

Adulte Schleien, Tinca tinca

Unter den einheimischen Fischen gibt es nur wenige Arten, die es an Genüg­samkeit mit der Schleie aufnehmen können. Sie kann sowohl in Winter- wie auch in Sommerschlaf fallen und ist daher auch in der Lage, kleine Gewässer zu besiedeln. Oft ist sie die einzige Fischart in solchen Tüm­peln, denn sie toleriert auch sehr niedri­ge Sauerstoffkonzentrationen.
Die Heimat der Schleie ist ganz Europa mit Ausnahme ganz weniger Gebiete (Griechen­land, Dal­matien, die Mittelmeer-Inseln und Schott­land), sowie große Teile von Westasien (sie fehlt auf der Krim). Es gibt nur die eine Art Schleie (Tinca tinca), derzeit werden auch keine Unterarten akzeptiert. Tatsächlich ist die Schleie so einzigartig in ihren Merk­malen, dass man sie als einziges Mitglied einer eigenen Unterfamilie inner­halb der Karpfenfische (Cyprinidae) sieht, der Tincinae.


Grundbedürfnisse der Schleie
Die Schleie ist ökologisch sehr anpassungs­fähig und toleriert auch Brackwasser, wes­halb sie sogar in den stärker ausgesüßten Teilen der Ostsee, sowie in Flussmündungen zu finden ist.
Wichtig sind der Schleie vor allem ein weicher Bodengrund, das Vorhandensein von Unterwasserpflanzen und die Existenz von kleinen Schnecken und Muscheln, die ihre Vorzugsnahrung darstellen. Der relativ kurze Darm des Tieres zeigt, dass es pflanz­liche Nahrung nur ungenügend ver­werten kann. Sie bildet zwar einen Teil des natür­lichen Nahrungsspektrums, ein vegeta­risches Leben ist der Schleie jedoch un­möglich. Wasserinsekten und deren Larven, Kleinkrebse etc. bilden die Hauptnahrung der Schleie.


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Jugendliche wildfarbene Schleien, so genannte Grünschleien


Das Temperaturoptimum der Schleie liegt zwischen 12 und 26°C. Bei Temperaturen über 28°C stellt sie die Nahrungsaufnahme ein, sie vermag solch hohe und sogar noch höhere Temperaturen in einer Art Hitzeschlaf zu überstehen. Die niedrigste Laichtemperatur liegt bei 18°C, optimal dürften 22°C sein. Im Winter stellt sie die Nah­rungsaufnahme ebenfalls ein und über­dauert die kalte Jahreszeit in Winterruhe.


Aus all dem kann man leicht erkennen, dass die Schleie bevorzugt in stehenden und lang­­­­sam fließenden Gewässern vorkommt. Darum kommen ihr Gartenteich und Aqua­rium als Alternativlebensräume sehr entge­gen.


Die Schleie im europäischen Kulturraum
Das Fleisch der Schleie wurde zu den ver­schiedenen Zeiten sehr unterschiedlich beurteilt. Die Römer etwa verachteten es und Ausonius schrieb, dass die Schleie nur Speise des gemeinen Mannes sei. Auch die Populärnamen, die der Fisch in manchen Gebieten seines Vorkommens hat, zeugen von Geringschätzung: in bestimmten Ge­genden Ost- und Nordeuropas wird das Tier “Schuhmacher” genannt. Im gesamten deutschsprachigen Raum heißt der Fisch einheitlich Schleie (mit geringen sprach­lichen Abweichungen, wie Schleih oder Schleich), was auf das protogermanische Wort für “schlüpfrig” (slipan) zurückzuführen ist und sich auf die starke Schleimschicht der Haut mit den für die Schleie so typischen kleinen Schuppen bezieht. In Frankreich (“Tanche”), in England (“Tench”), in Italien (“Tenca”) und Spanien („Tinca”) wurde dagegen die lateinische Bezeichnung “Tinca” in Abwandlung übernom­men.

Dreifarbige Schleien


Die außerordentliche dicke Schleimschicht des Fisches gab auch Anlass für allerlei volks­tüm­lichen Aberglauben. Am verbreitetsten ist die Vorstellung, dass die Schleie der “Fisch­doktor” sei, an dessen heilender Schleim­schicht sich alle verletzten Fische reiben. Demnach würden die Raubfische Hecht und Barsch die Schleie nicht fressen, da sie sich für die geleisteten Heilerdienste bedankten. Das ist aber natürlich ebenso Unsinn wie die Mär, dass Schleien auf den Bauch gebunden, die Gelbsucht, lebend auf die Stirn gebun­den Kopfschmerzen, ins Genick gebunden, Au­gen­entzündungen und unter die Fuß­sohlen gebunden, die Pest und das Fieber vertreiben.

Fortpflanzung
Die Schleie wird im 3. Lebensjahr ge­schlechtsreif. Normalerweise ist sie dann etwa 20-30 cm lang. Sind sehr viele Schleien im Gewässer und fehlt es an Raubfischen, dann tritt der Effekt der Verbuttung ein. Dann wachsen die Fische nicht über eine Ge­samtlänge von 10-15 cm hinaus und werden auch in dieser geringen Größe geschlechts­reif. Grundsätzlich ist die Geschlechtsreife bei Fischen nicht an die Größe, sondern an das Alter gebunden, Schleien machen da keine Ausnahme.

Wenige Zentimeter große, junge Goldschleien


Schleien werden gewöhnlich ca. 40 cm lang, seltene Rekordmaße werden mit 70 cm (bei dann 7,5 kg Gewicht) angegeben.

Männchen und Weibchen sind bei Schleien leicht auseinander zu halten. Die Männchen haben wesentlich größere Bauchflossen als die Weibchen. Im Sommer, wenn der Weizen blüht (Mai – Juli), laichen die Schleien an Unter­was­serpflanzen ab. Die Eier sind sehr klein und zahlreich (300.000 – 600.000 pro Weibchen). Gewöhnlich treiben mehrere Männchen ein Weibchen. Brutpflege üben Schleien nicht aus.


Die geheimnisvolle Goldschleie
1782 beschrieb Bloch die Goldschleie erst­mals in der wissenschaftlichen Literatur. Er hielt sie für eine eigenständige, von der gewöhnlichen Schleie unterschiedene Art und benannte sie Cyprinus tinca auratus. Die Heimat des Fisches vermutete Bloch in Schlesien und Böhmen (heute zu Polen bzw. zu Tschechien gehörende Landstriche). Bis heute ist der Ursprung dieser wunder­schönen Fische, in denen man derzeit ledig­lich eine in Menschenobhut ent­standene Haustierform der Schleie sieht und die darum keinen eigenen wissen­schaft­lichen Namen bekommt, unbekannt geblieben. Man weiß weder, wann sie entstand, noch wann der Mensch begonnen hat, sie plan­mäßig zu züchten.

Goldschleie aus Blochs Originalbeschreibung (1782)


Im Jahr 2004 tauchten erstmals auch drei­farbige Schleien und rein weiße Tiere im Handel auf. Wir berichteten darüber in AqualogNews 58.

Männchen der Goldschleie


Biologische Schneckenvertilger
Sowohl im Kaltwasserquarium wie auch im Gartenteich eignen sich Schleien sehr gut zur biologischen Schneckenbekämpfung, wenn die Weichtierpopulation einmal über­hand nehmen sollten.


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Schleien im Aquarium
Schleien sind wundervolle Aquarienfische, deren Pflege auch Anfängern gelingt. Da die Fische auch im Aquarium 15-20 cm groß werden, ist das Becken entsprechend dimensioniert zu wählen. Bezüglich der Wasserzusammensetzung sind Schleien völlig anspruchslos. Man sollte ihnen aber einen weichen Sandboden zu graben und reichlich Versteckmöglichkeiten bieten. Schleien sind dämmerungsaktive Fische, daher sollte das Becken nicht zu hell beleuchtet sein. Füttern kann man sie mit allen üblichen Lebend-, Frost- und Trocken­futter­mitteln, wobei Muschelfleisch in der Diät nicht fehlen sollte. Heizen muss man das Aquarium selbstverständlich nicht. Gegen­über anderen Fischen, seien es nun Artge­nossen oder artfremde Fische, sind Schleien vollkommen friedlich.

Männchen
Weibchen
Dreifarbiges Tier mit hohem Weißanteil. Es gibt auch rein weiße Schleien.

Bei der Einrichtung des Aquarium sollte man beachten, dass die Schleie von Natur aus ein dämmerungsaktives Tier ist. Das Aquarium sollte darum nur mäßig stark beleuchtet sein. Krönke (Kaltwasser-Fische, 2014, Eigenverlag) geht sogar so weit, zu empfehlen, das Schleien-Aquarium völlig unbeleuchtet zu lassen. Das halte ich allerdings für übertrieben. Manchmal können Schleien während der Eingewöhnungsphase scheu sein. Dem ist unbedingt Rechnung zu tragen, indem man dämmerige Unterstände einbaut (Höhlen, größere Wurzeln etc.). Schwimmpflanzen – biotopgerecht wäre der Froschbiss, Hydrocharis morsus-ranae, der aber im Winter unter Kurztagbedingungen einzieht – helfen sehr, den Fischen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Man bedenke, dass sehr viele der schlimmsten Fressfeinde solcher Fische von oben kommen. Das sind vor allem Vögel. Statt des heimischen Froschbisses darf man etwas schummeln und wählt eine tropische Art, die ähnlich aussieht, wie den Südamerikanischen Froschbiss (Limnobium laevigatum). Der wird zwar unter Kurztagbedingungen – also ca. 8 Stunden Beleuchtungsdauer – nicht so üppig wuchern, wie unter Langtagbedingungen – also mehr als 12 Stunden Beleuchtungsdauer, aber immerhin wachsen. Da Schleien es sehr schätzen, sich in dichtem „Kraut“ zu verstecken, liegt der zu findende Kompromiss zwischen ihrer Lichtscheu und einem befriedigendem Pflanzenwuchs in dem unteren Beleuchtungswert, in dem z.B. die Idealpflanze für solche Zwecke, das Nixkraut (Najas guadalupensis) gerade noch ein gutes Wachstum zeigt.

Wichtig ist die Wahl des Bodengrundes: dieser sollte zumindest teilweise aus weichem Fluss-Sand bestehen. Ungeeignet ist scharfkantiger Bausand. Schleien gründeln gerne. Optimal wäre natürlicher Teich-Schlamm, aber der würde das Aquarium in eine trübe Brühe verwandeln und zahlreiche weitere Probleme verursachen. Feiner, weicher Fluss-Sand ist eine gute Alternative dazu.

Auch die Zucht von Schleien gelingt im Aquarium, das wird aber nur extrem selten praktiziert. Eine Überwinterung unter Kurtagbedingungen ist aller­dings die Grundvoraussetzung für sol­che Zucht­ver­­suche, wie bei allen Fischen der ge­mäßig­ten Breiten. Der Laich wird bei 18-20°C nach heftigem Treiben der Weibchen durch meist mehrere Männchen frei ins Wasser in der Nähe von Unterwasserpflanzen oder freigespültem Wurzelwerk von Landpflanzen ausgestoßen und bleibt in diesen Strukturen hängen. Die Entwicklung des Laichs bis zum Schlupf der Larven benötigt 60-70 Tagesgrade. Tagesgrade bezeichnen die Summe der durchschnittlichen Tagestemperaturgrade binnen 24 Stunden. Benötigt also Laich z.B. 40 Tagesgrade, so entspricht das bei 10°C 4 Tage, bei 5°C 8 Tage, bei 15°C 2,7 Tage, bei 20°C 2 Tage usw. Die frisch geschlüpften Larven hängen sich mittels Klebdrüsen an den Wasserpflanzen an. Weitere 2-7 Tage (auch das ist temperaturabhängig) werden bis zum Freischwimmen benötigt. Die Larven haben eine Länge von ca. 3-5 mm. Als Erstfutter kann man bereits frisch geschlüpfte Artemia-Nauplien anbieten, aber weil die Larven eine sehr kleine Mundöffnung haben, müssen es anfangs die sehr kleinen San-Francisco-Artemia sein. Das Wachstum der jungen Schleien ist rasch, im Aquarium noch deutlich schneller als in der Natur. Unter natürlichen Bedingungen werden Schleien meist ab dem dritten Lebensjahr geschlechtsreif (s.o.). Allerdings ist die Schleie extrem anpassungsfähig und kann lokal sehr unterschiedlich früh oder spät geschlechtsreif werden. Es gehört zu den lohnenswerten Aufgaben der Aquaristik, die vor Ort vorkommenden Schleien in dieser Hinsicht zu studieren!

Frank Schäfer

Hammerschlag-Wasserkelche

Wasserkelche (Cryptocoryne) sind eine Gattung wichtiger Aquarien­pflanzen. Viele Arten sind anspruchsvoll in der Kultur, andere aber auch sehr einfach. Viele Wasserpflanzenfreunde sind über das Sammeln verschiedener Arten und Sorten von Cryptocorynen zu richtigen Botanikern geworden.

Hammerschlag-Wasserkelche wachsen auch gut in bewegtem Wasser, hier unterhalb eines kleinen Wasserfalls in einem Gewächshaus eines Zoos.

Hammerschlag-Wasserkelche sind in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Cryptocorynen. Es sind reine Wasser­pflanzen. Sehr viele andere Cryptocoryne-Arten sind eigentlich Sumpfpflanzen, die in der Natur nur zeitweilig – einige Wochen oder Monate im Jahr – überflutet werden und nur dann unter Wasser wachsen. Ihren Entwicklungshöhepunkt haben diese Arten aber in der Zeit, in der sie aufgetaucht wachs­en; dann blühen sie auch.

Bei den Hammerschlag-Wasserkelchen ist es genau umgekehrt. Sie wachsen und blühen am besten, wenn sie untergetaucht leben und nur ausnahmsweise bilden sie eine kümmerliche Landform aus – nämlich dann, wenn es gar nicht anders geht.


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Cryptocoryne crispatula var. balansae
Zeichnung: Tropica, Dänemark

Eine weitere Eigenschaft zahlreicher Wasser­kelch-Arten besteht darin, dass sie sehr weiches, saures Wasser bevorzugen, manch­mal sogar unbedingt brauchen und in totem organischen Material (Torf, verrottetem Tot­laub) als Bodengrund am besten gedei­hen. Die richtige Mischung herauszufinden ist oft ziemlich kompliziert und gehört zu den besonderen Herausforderungen derer, die eine Kultur versuchen wollen.

Auch in diesen Aspekten fallen die Hammer­schlag-Wasserkelche völlig aus dem Rahmen der Gattung. Sie bevorzugten hartes, alka­lisches Wasser und einen lehmigen Boden­grund, ganz ohne organische Bei­mischungen. Hammerschlag-Wasserkelche gehören damit zu den ganz wenigen Pflan­zenarten, die sich auch gut für Aquarien mit Buntbarschen aus dem Malawi- und Tanga­njika-See eignen, in denen das Wasser ja bekanntlich auch alkalisch sein muss und aus praktischen Gründen meist hart ist (in weichem Wasser lässt sich ein pH-Wert von 8 – 8,5 nur schwer stabil aufrecht erhalten).

Hammerschlag-Wasserkelche sind große und auffällige Pflanzen. Die Blätter sind zwi­schen 2 und 4 cm breit und kräftig dunkel­grün. Sie werden zwischen 40 und 80 cm lang. Lange Blätter wachsen entlang der Wasser­oberfläche. Die Blätter sehen aus, als habe man mit einem kleinen Hammer viele Dellen hineingeschlagen, darum der Populär­name Hammerschlag-Wasserkelch. Das Wur­zel­werk ist kräftig ausgebildet. Da die Pflanze einen Großteil ihrer Nährstoffe über die Wurzeln aufnimmt, ist für einen ausreichend hohen Bodengrund zu sorgen, in dem die Wurzeln gut Fuß fassen können. Der Bodengrund sollte 8-10 cm hoch sein, wo der Hammerschlag-Wasserkelch wachsen soll. Man verwendet am besten ungewaschenen, lehmigen Kies von einer Körnung zwischen 1 und 3 mm und drückt, sobald die Pflanzen eingewurzelt sind, einige Lehmkugeln oder vergleichbare Produkte um die Pflanze herum in den Boden. Nur die oberste Deck-Kiesschicht (ca. 1-2 cm dick) darf gewaschen werden. Beim Einpflanzen ist darauf zu achten, dass das Herz der Pflanze, in der Mitte des Austriebs gelegen, nicht eingegraben wird, sondern stets frei liegt.

Leider blühen Hammerschlag-Wasserkelche im Aquarium nur selten. Die Ver­mehr­ung er­folgt dennoch reichlich, nämlich über Ausläufer. Aber um einen Hammerschlag-Wasserkelch auf seine Artzugehörigkeit bestimmen zu können, braucht man die Blüte. Es gibt nämlich tatsächlich drei Arten großer Hammerschlag-Wasserkelche! Sie sehen einander zum Verwechseln ähnlich. Nur die Blüte gibt zweifelsfrei die Artzu­gehörigkeit preis. Bereits als Kinder lernen wir, dass ähnliches Aussehen bei einer Pflanze nicht unbedingt bedeutet, dass sie ähnliche Eigenschaften hat. Eine Brennessel (Urtica) und eine Taubnessel (Lamium) sehen sich in der Tat sehr ähnlich. Doch nur die Brennessel verfügt über die Brennhaare, die ihre Be­rührung so unangenehm macht. Wer je die Blüten von Brennesseln und Taubnesseln sah, wird die beiden Pflanzen nie wieder ver­wechseln.

Blüte von Cryptocoryne crispatula var. balansae

Die gute Nachricht ist: alle drei Arten der großen Hammerschlag-Wasserkelche haben in etwa die gleichen Kulturansprüche. Wer also lediglich eine schöne, große Aquarien­pflanze sucht, die auch in alkalischem Wasser wächst, ist mit jeder der drei Arten gleich gut bedient. Aber für viele Aquarianer ist ihr Hobby ja auch Gelegenheit, etwas zu lernen. Der wohl am häufigsten im Hobby vertretene Hammerschlag-Wasserkelch ist Cryptocoryne crispatula var. balansae (früher: C. balansae). Die Art C. crispatula ist sehr variabel, aber die Varianten behalten auch im Aquarium ihr Aus­sehen bei. Sogar die Variante C. c. var. balansae bildet verschiedene Formen aus, darunter auch eher rötlich gefärbte. Manche bleiben relativ klein und werden nur ca. 20-30 cm hoch, andere sind typische Hammer­schlag-Wasserkelche mit bis zu 60 cm langen Blättern. Wenn man sie neu kauft, sieht die noch junge Pflanze anders aus als die er­wachsene. C. c. var. balansae stammt ur­sprüng­lich aus Thailand, aber alle Ham­merschlag-Wasserkelche werden ausschließ­lich als in Gärtnereien gezüchtete Exem­plare gehandelt.

Blüte von Cryptocoryne aponogetifolia

Die zweite, häufig gepflegte Art ist Cryptocoryne aponogetifolia. Sie stammt ursprünglich von den Philippinen. Es scheint allerdings, als hätten viele Gärtnereien in jüngster Zeit diese Pflanze aufgegeben. Erstmals kam sie in den 1950er Jahren nach Europa, zunächst nach Dänemark, später auch nach Deutschland, wo sie sehr beliebt wurde. Man kann sie oft noch bei Vereins­börsen von privaten Liebhabern erstehen. Vielleicht ist das aktuelle Verschwinden dieser Art aus den Angebotslisten der Gärt­nereien auch nur ein vorübergehendes Phänomen.


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Die dritte Art stammt ebenfalls von den Philippinen. Es ist Cryptocoryne usteriana. Sie war – im Gegensatz zu den beiden zuvor ge­nannten Arten – bis in die jüngste Vergangen­heit nicht im Handel erhältlich. Das hat sich grundlegend verändert, gegenwärtig wird die schöne Pflanze von fast allen großen Wasserpflanzengärtnereien angeboten.

Wie gesagt, im allgemeinen Habitus kann man die großen Hammerschlag-Wasser­kelche nicht sicher unterscheiden (es gibt auch noch zwei kleinbleibende Arten, Cryptocoryne hudoroi und C. keei, die jedoch gegenwärtig nur bei Wasserpflanzen-Spezia­listen unter den Aquarianern verbreitet sein dürften; diese kleinen Arten stellen völlig andere Ansprüche an die Kultur und werden hier nur der Vollständigkeit wegen er­wähnt), sieht man einmal von eini­gen kaum ge­häm­­merten For­men von C. c. var. balansae ab. Die Blüten der drei Arten unterscheiden sich jedoch deutlich. Leider blühen die Hammerschlag-Wasserkelche aber so gut wie nie. Und so war es für mich eine große Überraschung, dass in einem der Aquarien der Schau-Anlage von Aquarium Glaser plötz­lich einer der Wasserkelche eine Unterwasser-Blüte entwickelte. Die lange, spiralige Spathaspreite zeigte eindeutig, dass es sich bei diesem Wasserkelch um Crypto­coryne crispatula var. balansae han­delte! Ich hätte bis dahin geschworen, dass das Becken mit C. aponogetifolia bepflanzt sei. Deren Blüte hat jedoch nur eine relativ kurze, nur wenige Male gedrehte Spathaspreite, der Schlund der Blüte ist violett. Die Blüte von C. usteriana ähnelt der von C. aponogetifolia, ist jedoch im Schlund leuchtend gelb. Mir war es noch nicht vergönnt, die Blüte von C. usteriana mit eigenen Augen zu sehen.

Wer sich Hammerschlag-Wasserkelche im Zoofachhandel kauft, wird gewöhnlich den richtigen Namen gesagt bekommen. Doch die sichere Bestimmung einer Pflanze aus alten Aquarienbeständen wird ohne Blüte kaum gelingen. Schön sind sie aber alle drei, die großen Hammerschlag-Wasserkelche. Und es sind Energiespar-Pflanzen, denn ihr Lichtbedarf ist nur mäßig. Probieren Sie die Pflanzen aus, Sie werden es nicht bereuen!

Frank Schäfer

Kinder der Sonne

Als um 1877 die ersten Barsche der in Nordamerika heimischen Familie Centrarchidae Europa erreichten, kannte die Begei­sterung der Liebhaber kaum Grenzen.

Der Gemeine Sonnenbarsch, Lepomis gibbosus, ist eine der schönsten Arten und war lange Zeit die einzige, die fast immer im Angebot des Zoofachhandels zu finden war. Heutzutage besteht ein Handelsverbot innerhalb der EU für diese Art. Sie ist jedoch unausrottbar in vielen Teilen Europas seit 200 Jahren naturalisiert.

Bei Lepomis gibbosus unterscheiden sich die Geschlechter äußerlich nur geringfügig. Die Männchen sind größer und bunter. Die Freialndaufnahme zeigt ein Paar in einem Teich an der hessischen Bergstraße, wo die Art außerordentlich häufig ist.

Sonnenbarsche nannte man sie, denn in der Sonne strahlten und funkelten sie, dass es eine Pracht war. Bis heute gibt es kaum eine Fischgruppe, die es an Farbenpracht mit den Sonnen­bar­schen aufnehmen kann. Als Kaltwas­ser­fische verkümmern Sonnen­barsche je­doch, wenn sie jahr­ein, jahraus in zentral­ge­heizten Wohn­zim­mer­aqua­rien unter­ge­bracht sind. Vor der Entwick­lung der hoch­­wertigen Frost­futter muss­te man sie außerdem mit Lebendfutter versor­gen, dessen Beschaffung für Stadt­be­woh­­ner nicht eben einfach ist – denn Troc­kenfutter nehmen Sonnenbarsche nicht an. Dies ließ die Fische lange in Ver­ges­senheit geraten. Erst mit der Garten­teichwelle in den 1980er Jahren kamen auch die Son­nen­­barsche zurück in den Zoofachhandel. Heutzutage sind die Tiere ebenfalls hauptsächlich als „Teichfische“ im Angebot und darum am leichtesten saisonal – etwa von April bis Juli – erhältlich.

Der Scheibenbarsch, Enneacanthus chaetodon, war in den 1950er Jahren auch als „Arbeiterdiskus“ bekannt.

Sonnenbarsche bilden eine exklusiv nordamerikanische Familie, die aktuell 8 Gattungen mit insgesamt 38 Arten umfasst. Das sind im einzelnen (in Klammern jeweils die Artenzahl): Acantharchus (1), Ambloplites (5), Centrarchus (1), Enneacanthus (3), Lepomis (13), Micropterus (13) und Pomoxis (2). Hinzu kommen die Zwergsonnenbarsche, Elassoma, mit 7 Arten. Sie wurden früher zu den Sonnenbarschen gerechnet, heutzutage biligt man ihnen den Rang einer eigen Familie, der Elassomatidae, zu, die nur diese eine Gattung enthält.

Die kleineren Arten sind sehr em­pfeh­lenswerte Aquarienfische. Im Gegensatz zu vielen europäischen Arten unter den so genannten Kaltwasserfischen, die nur mit Mühe mit den hohen Temperaturen im Zimmeraquarium während des Som­mers zurechtkommen, sind Sonnenbar­sche diesbezüglich völlig unempfindlich. Bis 26°C vertragen sie ohne dabei ab­zumagern, was ein typischer Warm­wasserschaden anderer Kaltwasser­fische ist. Diese verbrauchen nämlich bei zu hohen Temperaturen mehr Energie, als sie mit der Nahrung aufnehmen können. Auszehrung und auf lange Sicht der Tod sind die Folge.

Der Diamantbarsch, Enneacanthus gloriosus, ist empfindlich gegen Verpilzung.

Enneacanthus obesus wird auf deutsch ebenfalls Diamantbarsch genannt. Er und E. gloriosus wurden in der Literatur schon oft verwechselt. E. obesus hat Streifen, E. gloriosus nicht. Weibliche E. obesus sind oft ziemlich farblos.

Um über Jahre hinweg gesund zu blei­ben, müssen Sonnenbarsche kühl überwintert werden. Die Zwergsonnen­barsche (Elassoma) sind diesbezüglich am an­spruchs­losesten, ihnen genügen einige Wochen bei 15-16°C, um fit zu bleiben. Andere Arten, vor allem die etwas größeren Lepomis und Centrarchus, sollten hingegen Temperaturen um 10°C zur Überwinterung geboten bekom­men. Da die Fische in dieser Zeit nicht fressen, kann ein alter Kühlschrank dafür gute Dienste leisten. Man stellt ein flaches Aquarium hinein (Durchlüfter nicht vergessen!) und setzt die Barsche hier für 6-8 Wochen ein. Die Phase des Herunterkühlens sollte dabei vorsichtig über mehrere Stunden erfolgen; die Folge eines zu raschen Temperaturabsenkens sind vor allem Pilzerkrankungen, die einen sehr raschen und drastischen Verlauf nehmen können. Berüchtigt sind in Bezug auf die Empfindlichkeit gegen diese Saprolegnia die Scheiben- und Diamantbarsche (Enneacanthus). Diese Arten bevorzugen im Freileben einen ziemlich niedrigen pH-Wert und huminstoffreiche Gewässer. Beim Herausfangen lasen sich winzige Hautverletzungen kaum vermeiden. Das ist normalerweise völlig harmlos, bei unter Distress stehenden Fischen ist jedoch das Immunsystem angegriffen. Dadurch ist die Abwehrkraft gegenüber im Prinzip harmlosen Pilzen, die sich eigentlich nur von abgestorbenem Gewebe ernähren, deutlich herabgesetzt. Huminstoffe bewirken eine deutliche Verstärkung der Schleimhautschicht bei Fischen. Die Schleimhaut ist sehr wichtig, um das Eindringen von potentiellen Krankheitserregern zu verhindern. Und so erklärt es sich zwanglos, warum die Diamant- und Scheibenbarsche im Ruf stehen, gegen ein Umsetzen besonders empfindlich zu sein. Vor 150 Jahren war die Kenntnis um die Bedeutung der chemischen Wasserzusammensetzung kaum vorhanden…

Nur selten im Angebot: Lepomis megalotis

Zurück zur Überwinterung: Am Besten betreibt man das Aquarium im Kühlschrank erst ein paar Tage bei gezogenem Kühlschrankstecker. Ist das Wasser dann ausreichend abgestanden, setzt man die Fische ein und stellt den Kühlschrank auf die wärmste Temperatur ein, die der Regler zulässt; gewöhnlich sollte sich das Wasser im Überwinterungsbecken nun auf 12-16°C abkühlen, je nach Modell des Kühlschranks. Dann dreht man täglich den Regler etwas zurück, bis die Temperatur im Becken 10°C erreicht hat. Hierbei sollte man es belassen. Unter 6°C sollte die Temperatur niemals sinken. Es schadet den Tieren nicht, wenn es im Kühl­schrank dunkel ist, denn während der Überwinterung ist ihre gesamte Aktivität stark eingeschränkt. Übrigens muss man sich auch um die Filterbakterien keine großen Gedanken machen, eine Einlaufphase, wie im regulären Aquarium, ist gewöhnlich nicht nötig, da auch der Stoffwechsel der Stickstoff abbauenden Bakterien bei Temperaturen um 10°C sehr stark reduziert ist.

Manche Arten, hier Lepomis punctatus (oben), L. macrochirus und L. microlophis, wurden wohl noch nie nach Europa importiert. Die Aufnahmen entstanden im Shedd-Aquarium in Chicago.

Lepomis macrochirus

Lepomis microlophis

Viele Arten der Sonnenbarsche sind im mitteleuropäischen Klima winterhart, man kann sie darum auch im Garten­teich halten, doch ist dies nicht zu empfehlen, es sei denn, der Teich wurde speziell für die Sonnenbarsche konzi­piert. Molchlarven, Kaulquappen und sämtliche Wasserinsekten werden näm­lich mit Vorliebe von den Sonnen­barschen verzehrt. Und so würden in einem normalen Gartenteich, der ja als Refugium für viele bedrohte einheimische Kleintiere dient, Sonnenbarsche eher stören als Freude bereiten.

Jungtier des Pfauenaugenbarsches.
Pfauenaugenbarsche, Centrarchus macropterus, sind heutzutage Raritäten im Aquarium.

Die Männchen der Sonnenbarsche – die Geschlechter sind nach äußerlichen Merkmalen übrigens kaum zu unterscheiden, nur sehr geübte Betrachter erkennen an Nuancen des Körperbaus und den etwas matteren Farben die Weibchen – besetzen nach der Win­terruhe kleine Reviere, meist in der Nähe eines Pflanzenbuschs. Hier schaffen sie eine Mulde im Sand, in dem der Laich und die frischgeschlüpften Jungfische untergebracht sind. Die Brutfürsorge beschränkt sich eher auf die Revier­ver­teidigung als auf die aktive Jungen­pflege. Im Gegensatz zu den Bunt­barschen lassen Sonnenbarsche die Be­pflanzung völlig in Ruhe.

Zwergsonnenbarsche betreiben keine Brutpflege, die Männchen bewachen lediglich ein kleines Ablaichrevier. Diese Tierchen setzen ihre Eier in feinfiedrigen Pflanzen ab. Die Jungtiere sind sehr winzig und schwer zu entdecken. Zwergsonnenbarsche züchtet man am besten im Daueransatz, zumal sie während der Laichsaison über etliche Wochen hinweg ständig ablaichen.

Forellenbarsche, Micropterus salmoides, werden bei uns als Speisefische gezüchtet. Sie eignen sich nur als Jungtiere für das Aquarium und sind ziemlich aggressiv.

Die ideale Unterbringung von Sonnenbarschen ist ein im Freiland (Garten oder Balkon) aufgestelltes möglichst großes Aquarium, das morgens 2-3 Stunden Sonne erhält, ansonsten aber vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt ist. Ein solches Aquarium muss, um allzu drastische Temperaturschwankungen zu vermeiden, an den Seiten, durch nicht geschaut wird, mit einer dicken Isolierung versehen sein, Das ist auch für den Winter nötig; wenn Frost herrscht, muss geheizt werden, um ein durchfrieren und platzen des Aquariums zu verhindern.  Weitere Technik ist bei kluger Einrichtung nicht nötig.

Zwergsonnenbarsche, hier Elassoma evergladei, stehen in einer eigenen Familie, Elassomatidae. Sie werden nur 2-3 cm lang. Die Weibchen haben keine Glanzpunkte. Leider überwiegen in den Zuchten oft ganz erheblich die Männchen.

Die Ernährung von Sonnenbarschen mit Frostfutter ist heutzutage problem­los und kein Grund mehr, sich die Pflege dieser herrlichen Fische zu verkneifen.

Elassoma zonatum. Die Männchen aller Elassoma-Arten können sich tiefschwarz einfärben, aber es ist schwer, sie im Photoaquarium so abzubilden, denn die Tierchen sind etwas scheu und brauchen oft Tage, um sich sicher zu fühlen. Diese Zeit habe ich leider meist nicht.

Elassoma okatie ist eine absolute Rarität.

Die Männchen von E. okefenokee haben hübsch blaue Flossensäume, die Weibchen nicht.

Elassoma gilberti ist ebenfalls eine aquaristische Rarität.

Frank Schäfer


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Congopanchax brichardi: Ein Juwel aus dem Kongo

Die Leuchtaugenfische sind Killifische aus Afrika. Schon lange gehören einige ihrer Arten zum Standardsortiment des gut sortierten Zoofachhandels. Doch die Art, die wir hier vorstellen, ist nicht nur wunderschön sondern auch eine aquaristische Seltenheit ersten Ranges.

Balzendes Männchen von Poropanchax brichardi.

Großer Namenswirrwarr
Der wissenschaftliche Gattungsname dieser Leuchtaugenfische war und ist Gegenstand unterschiedlicher Auffassungen. Zunächst wurden die kleinen Fische in die Gattung Aplocheilichthys gestellt, dann wurde für sie die neue Gattung Congopanchax aufgestellt. Congopanchax wurde anschließend von einigen Wissenschaftlern als eigenständige Gattung gesehen, andere sahen hingegen in Congopanchax nur eine Untergattung zu Aplocheilichthys. Heute wird Congopanchax allerdings meist als Untergattung der Gattung Poropanchax gesehen. Das alles klingt vielleicht verwirrend, reflektiert aber lediglich die Tatsache, dass an den Verwandtschaftsverhältnissen der Leuchtaugenfische intensiv geforscht wird. Unterschiedliche Forschungsansätze liefern dabei unterschiedliche Ergebnisse und diese wiederum werden von den Forschern unterschiedlich interpretiert. Ein “richtig” oder “falsch” gibt es dabei nicht, denn die Diskussion ist keineswegs beendet und jede Person, die sich mit den Argumenten auseinandersetzt, darf gemäß der wissenschaftlichen Freiheit für sich ganz persönlich entscheiden, welche der vorgetragenen Beweise für entscheidend gehalten werden. Und so findet man unseren kleinen Fisch in der Literatur unter den Namen Congopanchax brichardi, Aplocheilichtys brichardi, Poropanchax brichardi oder – das ist die zur Zeit am häufigsten gewählte Schreibweise – Poropanchax (Congopanchax) brichardi. Dabei bedeutet der in Klammern gesetzte Name “Congopanchax”, dass er als Untergattungsname benutzt wird. Als Aquarianer sollte man alle diese Namen kennen, um in der Lage zu sein, die gesamte existierende Literatur zu den kleinen Kostbarkeiten recherchieren zu können.



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Entdeckungsgeschichte
1952 beschrieb Max POLL einen kleinen, im männlichen Geschlecht maximal 2,5 cm, im weiblichen maximal 2 cm langen Leuchtaugenfisch als Aplocheilichthys myersi. Typusfundort ist “Ile Atena, Stanley Pool, Leopoldville”; Heute heißen die Örtlichkeiten Mbamu Island, Pool Malebe und Kinshasa. Man sieht, nicht nur wissenschaftliche Namen können sich ändern …
Fast 20 Jahre später, 1971, beschrieb POLL eine weitere, sehr ähnliche Art, diesmal aus dem zentralen Kongobecken (“Liyeke, bras mort de la riv. Tshuapa, route Boende-Watsi, 2km de Boende”) als Congopanchax brichardi und stellte A. myersi ebenfalls in die neu geschaffene Gattung Congopanchax. Seltsamerweise wurde in der Erstbeschreibung von C. brichardi der am stärksten ins Auge fallende Unterschied zwischen den beiden Arten kaum erwähnt: die Afterflosse von C. myersi setzt nämlich sehr weit vorn, fast unmittelbar hinter den Bauchflossen an, während die Afterflosse von C. brichardi etwa auf gleicher Höhe mit der Rückenflosse beginnt. Lediglich aufgrund der in der Erstbeschreibung genannten, sehr geringfügigen Unterschiede zwischen C. myersi und C. brichardi kamen Aquarianer irrtümlich schon auf den Gedanken, beide Arten seien identisch miteinander. Congopanchax brichardi wird in beiden Geschlechtern lediglich 2 cm lang.

Typusexemplare von C. myersi (oben) und C. brichardi (unten). Zeichnungen: R. Wildekamp

Der natürliche Lebensraum
Das detaillierte Verbreitungsgebiet von Congopanchax brichardi, für den ich den deutschen Gebrauchsnamen “Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch” vorschlage, ist nicht bekannt. Der winzige Fisch wird mit normalen Fanggeräten nicht erfasst. Man weiß, dass die Art im Einzug des zentralen Kongo vorkommt, inklusive der flachen Bereiches des Tumba-Sees. Der Tumba-See ist überfischt, so stark, dass eine Brotfischerei dort manchmal nicht mehr möglich ist und einige ehemaligen Fischer dazu übergehen mussten, Landwirtschaft zu betreiben. Die bekannten Lebensräume von C. brichardi stellen laut Literatur kleine Zuflüsse, Bäche, Sümpfe und Uferbereiche dar, die einen starken Bewuchs an Unterwasserpflanzen aufweisen. Das Wasser dort ist sehr weich (20-50µS, also kaum 1°dGH), und sauer, der pH-Wert liegt zwischen 4,5 und 5,5. Leuchtaugenfische sind generell Schwarmfische, die Schwärme halten sich gerne nahe der Oberfläche auf.
U. SCHLIEWEN (mündl. Mitt.) fing die Art im Flachwasser des Mai Ndombe  Sees. Das Wasser ist dort extremes Schwarzwasser und die Wassertemperatur sehr hoch, um 30°C. Er glaubt nicht, dass die Art dort in kleinen, kühlen Bächen vorkommt, wie die Schmetterlingsbarbe (Enteromius hulstaerti), sondern vielmehr in Totarmen und schwimmenden Wiesen der großen Schwarzwasserflüsse und eben in Schwarzwasserseen.
Trotz  der  Überfischungs-Situation im Tumba-See und der nur ungenau bekannten Verbreitung wird Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch auf der Internationalen Roten Liste des IUCN mit “Least Concern” (= “Nicht gefährdet”) geführt.


Die Weibchen sind bei Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch recht unscheinbar gefärbt.

Im Aquarium
Die größte Schwierigkeit bei Congopanchax brichardi für den Aquarianer besteht sicherlich darin, die Art überhaupt zu bekommen. Aus dem zentralen Kongogebiet erreichen uns nur relativ wenige Importe und Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch ist so gut wie nie dabei. Das hängt selbstverständlich damit zusammen, dass es vor Ort sehr schwierig ist, so kleine und zarte Fische überhaupt sachgerecht zu hältern. Angeschlagene Tiere sind zudem sehr transportempfindlich.


Dennoch kam es ab den 1990er Jahren zu gelegentlichen Importen des entzückenden Tieres nach Europa. Bei der Eingewöhnung muss man sehr sorgsam vorgehen, sonst sind Verluste unumgänglich. Sie sind sehr empfänglich für bakterielle (Schwäche)-Erkrankungen und den gefürchteten “Weichwasserparasiten” Piscinoodinum.


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Männchen von Congopanchax brichardi

Die fotografierten Exemplare führte Aquarium Glaser in der zweiten Januarwoche 2012 ein. Die Fische wurden von mir zunächst für eine Woche in einem 15-Liter Fotografieraquarium mit relativ weichem Wasser (8°dGH) und pH7 bei 22-24°C gepflegt, wo sie sich gut eingewöhnten. Das Fotografieraquarium wird ziemlich stark gefiltert, damit sich keine Schwebstoffe im Wasser halten. Eine Tauchpumpe mit einer Förderleistung  von 40 Liter/Stunde betreibt den Filter. Die kleinen Fische tolerierten diese starke Strömung anstandslos, waren jedoch in dem klaren Wasser sehr schreckhaft. Auf die Dauer sollte man sie besser keiner starken Strömung aussetzen.

Nach Abschluss der Fotoarbeiten zogen die Tiere in ein kleines (30 x 20 x 20 cm) Aquarium um, das mit frei aufgefangenem, in einem kleinen Gartenteich gereiften Regenwasser befüllt wurde. Einige Erlenzäpfchen färben das Wasser in diesem Aquarium tiefbraun. Das Aquarium wird nicht befiltert, die Wassertemperatur liegt dort um 28°C. Gefüttert wurden die Fische ausschließlich mit lebenden Artemia-Nauplien. Die kleinen Fische hielten sich unter diesen Bedingungen sehr gut, ich gab sie nach rund 6 Monaten an einen befreundeten Aquarianer ab, der mit ihnen züchten wollte.

Magenuntersuchungen, die MATTHES in der Natur durchführte, ergaben, dass  die  Congopanchax sich  von Cladoceren, Copepoden  und  kleinsten Insektenlarven ernähren.


Das von Erlenzäpfchen tiefbraune Wasser hat den Vorteil, dass die Fische sich sicher fühlen; die Huminstoffe aus den Erlenzäpfchen wirken leicht bakterizid und fungizid und die Entwicklung des lichthungrigen Piscinoodium wird zumindest gehemmt.


Dieter BORK gelang in den 1990er Jahren die Zucht der Tiere. Er setzte sie in einem 30-Liter Aquarium in der Gruppe (16 Tiere) bei 27°C, weichem Wasser (200µS/cm) und pH 6,8 an, als Laichsubstrat diente eine mit Javamoos bewachsene Wurzel. Die kleinen Tiere erwiesen sich als sehr produktiv (über 100 Jungtiere nach 14 Tagen), allerdings wachsen die Jungfische sehr langsam und brauchen 7-12 Monate bis sie erwachsen sind.

Lexikon zum obigen Artikel:

Aplocheilichthys: bedeutet “Fisch mit einfacher Lippe”

Poropanchax: bedeutet “Panchax mit Poren”, was sich auf Poren im Kopfbereich bezieht; Panchax ist eine andere Killifischgattung.

Congopanchax: bedeutet: “Panchax aus dem Congo”

myersi: Widmungsname für den Ichthyologen George Sprague Myers (1905–1985)

brichardi: Widmungsname für den Sammler und Exporteur Pierre Brichard (1921-1990)

Frank Schäfer


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Lebensräume von Süßwasserkrabben in Zentral-Thailand

Im Herbst 2004 führte mich eine fischkundliche Exkursion nach Zentral-Thailand, genauer gesagt in das Gebiet des Khao Yai Nationalparks. Von der herrlichen Khao Yai Garden Lodge führte ich Tagestouren sowohl in den gebirgigen Teil des Nationalparks als auch in die wesentlich heißeren und tiefer gelegenen Gebiete in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt Pak Chong. Dirk Brandis, ein befreundeter Wissenschaftler, der auf Krabben spezialisiert ist, hatte mich – noch in Deutschland – gebeten, auf dieser Exkursion auch ein wenig nach Süßwasserkrabben  Ausschau zu halten, was ich selbstverständlich gerne tat.

Der Khao Yai Nationalpark ist der älteste Nationalpark Thailands. Fischkundlich erhoffte ich mir daher einiges von diesem Park und war sehr glücklich, als ich nach allerlei Anstrengungen dank der Vermittlung von Klaus Derwanz, der die Khao Yai Garden Lodge leitete, von der Nationalparkverwaltung die Genehmigung er­hielten, die Gewässer des Parks zu untersuchen. Ein Aufseher der Parkverwaltung begleitete uns und passte auf, dass wir uns nicht an der Natur versündigten. Als geschätzte Reisebegleiter waren noch der Biologe Izaak den Daas und der hervorragende Aquarianer Georg Rossmann mit von der Partie. Eine Woche später stieß noch eine 10-köpfige Gruppe des darmstädter Aquarien- und Terrarienvereins Hottonia zu uns.

Auf die Fische des Parks möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, aber wir fanden in dem Park und seiner Umgebung immerhin drei verschiedene Arten von Süßwasserkrabben und konnten auch von jeder Art Exemplare mit nach Deutschland bringen, wo sie Dirk Brandis übergeben wurden. Die Lebensräume dieser Krabben möchte ich an dieser Stelle etwas ausführlicher darstellen.

Stachelige Variante von Larnaudia beusekomae, Frontalansicht.

Die häufigste Art, sowohl bezüglich der Individuenzahl wie auch bezüglich der Fundpunkte, war Larnaudia beusekomae (Potamidae). Diese Art ist sogar anhand von Exemplaren, die im Khao Yai gesammelt wurden, erstbeschrieben worden. Ich dachte zuerst, mindestens drei verschiedene Arten gesammelt zu haben, denn je nach Lebensraum wandelt die Art äußerlich etwas ab.

Zunächst sammelten wir diese Krabbe in einem schlammigen Abfluss eines kleinen Teiches. Dieses Bächlein floß am Grunde einer etwa 20 m tiefen Schlucht. Für Fotos war es hier zu dunkel. Neben zahlreichen Jungkrabben fingen wir hier auch ein erwachsenes Pärchen von etwa 7 cm Panzerbreite. Diese Krabbe lebte hier stets an der Unterseite von Steinen und man erschreckte sich manchmal nicht schlecht, wenn man beim Steineumdrehen plötzlich solch ein etwas größeres, einer fetten Spinne im ersten Moment nicht unähnliches Geschöpf vor sich hatte. Die Krabben dieser Population waren tief Schokoladenbraun und hatten hübsche goldgelbe Scherenspitzen. Der Bach war an der breitesten Stelle etwa 80 cm breit und der freie Wasserstand lag um 25 oder 30 cm. Allerdings war der Boden sehr schlammig, so dass man mindestens noch einmal so tief in den Morast versank. Der pH-Wert des Wassers war hier ziemlich hoch (7,5), die Härte lag bei etwa 21°dGH, die Wassertemperatur betrug rund 23°C. Im Bächlein selbst gab es kaum Fische und keinerlei Unterwasserpflanzen. Allerdings wuchs in dem Teich, aus dem das Bächlein abfloss, Ottelia sp. in großen Exemplaren.

Der nächste Fundpunkt dieser Art war ein Flüßchen, das vom Khao Yai kommend, durch Pak Chong fliesst. Dieses Flüßchen hatte eine stellenweise sehr kräftige Strömung und kiesig-steinigen Bodengrund. Wir besammelten es an mehreren Stellen. Auch hier fand sich Larnaudia beusekomae vor allem unter Steinen. Die Art scheint nicht ungesellig zu sein, denn es war keine Seltenheit, mehrere Exemplare unter einem Stein zu finden. In diesem Flüßchen gab es nun aber reichlich Fischarten, wobei die Krabben vor allem in Raumkonkurrenz mit Bachschmerlen (Schistura sp.) und Gabelschwanzwelsen (Amblyceps sp.) standen, die sich ebenfalls unter Steinen vergleichbarer  Größe (10-15 cm Durchmesser) aufhalten. Zusätzlich teil­ten sich den unmittelbaren Lebensraum mit Groß­armgarnelen (Macrobrachium sp.). Die hier gemessenen Wasserwerte waren: pH 7,5, Härte >1°dGH, Temperatur 24°C.

In diesem Flüsschen, das vom Khao Yai kommend durch Pak Chong fliesst, fanden wir Krabben der Art Larnaudia beusekomae.

Der dritte Fundort von Larnaudia beusekomae fand sich im Khao Yai selbst. Hier war ein Bachabschnitt als Zisterne ausgebaut, um in Trockenzeiten (wie sie zum Zeitpunkt unseres Besuches herrschte) dem Großwild als Tränke zu dienen. In dieser Zisterne, die tief im Halbdunkel des Dschungels lokalisiert war, lebten Unmengen von Kaulquappen, vermutlich der Gattungen Polypedobates und/oder Rhacophorus. Auch hier fingen wir braune Krabben, deren Carapax­rand  jedoch wesentlich glatter war. Diese Krabben fingen wir im tiefbraunen Wasser an den rauhen Betonwänden der Zisterne, in diesem Milieu lebten sie also nicht unter Steinen. Ich dachte zunächst, es handele sich um eine weitere Art, doch Dirk Brandis bestimmte auch diese Krabbe, der ich den Arbeitsnamen „Glatte Waldkrabbe“ gab, als Larnaudia beusekomae.

Zisterne im Khao Yai, Fundort der glatten Variante von Larnaudia beusekomae.
Glatte Variante von Larnaudia beusekomae

Schließlich fanden wir noch eine Form dieser Art in einem kleinen, rasch fließenden Bach unterhalb einer wilden Müllkippe am Rande des Parks. Hier war der Carapaxrand der Krabben besonders stark gezackt, was mich eine weitere Art vermuten ließ, der ich diesmal den Arbeitstitel „Stachlige Bachkrabbe“ gab. Es handelte sich aber auch diesmal um Larnaudia beusekomae, die hier im überhängenden Gras der Uferböschung lebte.

Zwischen dem hohen Gras kaum zu erkennen: Kleiner Bach am Rande des Khao Yai, Fundort der stacheligen Variante von Larnaudia beusekomae.
Stachelige Variante von Larnaudia beusekomae. Diese Krabben wirken auf den ersten Blick wie fette Spinnen.

Die zweite Art, die wir in der Umgebung des Parks fanden, war wesentlich spektakulärer. Der Fang des ersten Männchens entlockte Georg ein lautes Triumpf­gebrüll, denn es handelte sich wahrhaft um ein prächtiges Tier. Hinzu kam, dass wir am Fangtag ziemlich niedergedrückter Stimmung waren, denn bezüglich Fischfunden war an diesem Tag nun wirklich nichts erwähnenswertes in unsere Netze gegangen. Der Biotop, in dem wir fischten, war ein lotosbestandener Tümpel, in dem massenhaft Apfelschnecken (Pila sp.) lebten. Überall an den Stengeln der Lotos klebten die auffälligen, rosafarbenen Gelege dieser Schnecken, die entfernt immer etwas an überdimensionale Himbeeren erinnern (die Gelege, nicht die Schnecken). An Fische gab es lediglich aus Nordamerika eingeführte Gambusen (Gambusia holbrooki).

Lotostümpel, unser erster Fundort von Sayamia bangkokensis.
Männchen von Sayamia bangkokensis. Man beachte die gewaltige linke Schere.
Beim Weibchen von Sayamia bangkokensis sind beide Scheren in etwa gleich groß.

Da war die prachtvolle, rotviolette Krabbe mit ihren gut 10 cm Carapaxbreite wirklich ein Highlight. Es handelte sich, wie gesagt, um ein Männchen, was man nicht nur am Pleon, sondern auch an der stark vergrößerten linken Schere erkennen konnte. In großer Populationsdichte kam diese Krabbe, die in Ufernähe im flachen Wasser saß und sich nur lose mit Schlick bedeckte, nicht vor. Der Grund wurde uns schnell klar, denn der unser Fahrer rieb sich beim Anblick der Krabbe den Magen und fuhr mit der Zunge über die Lippen. Offenbar gelten diese Krabben hier als Leckenbissen. Dirk Brandis bestimmte sie als Angehörige der Art Sayamia bangkokensis (Parathelphusidae), die ihre Typuslokalität im Khao Yai hat.

Ein weiterer Fundort von Sayamia bangkokensis im Khao Yai Nationalpark.

Später fanden wir diese Art in einem anderen Biotop, nämlich einem flachen Papyrussumpf vis a vis zu einem buddhistischen Tempel. Das Wasser war hier so warm, dass man es als unangenehm empfand, hineinzufassen. Auch hier saßen die Krabben relativ offen im flachen Wasser und waren nur ganz lose mit etwas Schlamm bedeckt. Obwohl sich auch in diesem Gewässer reichlich Apfelschnecken fanden, scheint Sayamia bangkokensis kein spezialisierter Schneckenfresser zu sein. Wir brachten einige Exemplare für weitere Beobachtungen mit nach Hause, wo sie sich vor allem als gewaltige Pflanzenzerstörer erwiesen. Dararat Somphongs, Inhaberin des traditionsreichen Somphongs Aquarium in Bangkok, schüttelte sich vor Lachen, als ich ihr stolz unsere Fänge zeigte. Sie kannte Sayamia bangkokensis auch,  jedoch vom Speisemarkt. Daher dürfte es kein großes Problem sein, diese attraktiven Krabben bei Bedarf zu importieren.

Die dritte Art dieser Expedition fanden wir schließlich im Khao Yai selbst. Es handelte sich um einen wunderschönen Biotop mit Tufffelsen, auf denen eine seltsame, rotalgenartige Pflanze in großen Mengen wuchs. Hier fing – Ehre wem Ehre gebührt – Dieter Prinz von der Hottonia unter der gestrengen Aufsicht unseres Aufpassers von der Parkverwaltung ein Pärchen einer niedlichen, auffällig gepunkteten Krabbenart, die wir ausnahmsweise für wissenschaftliche Zwecke mitnehmen durften. Bisher konnte Dirk Brandis sie nur als Angehörige der Gattung Siamthelphusa (Parathelphusidae) bestimmen, die Artdiagnose steht noch aus.

Fundort der noch nicht näher bestimmten Siamthelphusa-Art im Khao Yai Nationalpark.
Die noch nicht näher bestimmte Siamthelphusa-Art aus dem Khao Yai Nationalpark, Frontalansicht

Die gebrachten Beispiele zeigten schon sehr deutlich auf, warum die Pflege und erst recht die Zucht vieler Süßwasserkrabben im Aquarium bislang noch völliges Neuland sind, über das sich kaum allgemein verbindliche Aussagen machen lassen. Da wären zum einen die doch sehr unterschiedlichen Biotope. Und doch liegen sämtliche beschriebenen Biotope kaum 10 km Luftlinie voneinander entfernt! Nur mit dem Hinweis, eine neu importierte Krabbe käme aus diesem oder jenem Land, lassen sich noch keinerlei Rückschlüsse auf ihre Lebensansprüche oder ihren bevorzugten Lebensraum ziehen. Das Beispiel von Larnaudia beusekomae zeigte zudem, dass es durchaus euryöke Arten unter den Süßwasserkrabben gibt, die nahezu überall ihr Auskommen finden und ihre Lebensweise den jeweils herrschenden Umweltbedingungen anpassen können. Dabei verändern sich die Tiere sogar bezüglich ihrer optischen Erscheinung derart, dass man ohne entsprechende Unterstützung von Spezialisten schnell auf den Gedanken kommen kann, es handele sich um unterschiedliche Arten.

Frank Schäfer


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Der Betta splendens-Formenkreis allgemein und Betta mahachaiensis im Besonderen

Den Siamesischen Kampffisch, Betta splendens, kennt jedes Aquarianerkind. Vermeintlich zumindest, denn aus rein wissenschaftlicher Sicht weiß man nicht wirklich, wer oder was Betta splendens genau ist. Das kommt daher, dass die ursprünglich der wissenschaftlichen Erstbeschreibung durch Regan 1910 zugrunde liegenden Tiere einer Haustierform angehörten. Es ist nicht so ohne weiteres möglich, eine Haustierform einer Wildform zuzuordnen, auch im Zeitalter der DNS-Analysen, denn Haustiere entstehen gewöhnlich nicht nur durch strenge Inzucht, sondern auch durch das Kreuzen verschiedener Arten. Man denke nur an Schaf, Ziege und Hund, deren Rassenvielfalt nur dadurch zu erklären ist, dass verschiedene (Unter-)Arten der Wildformen bei ihrer Entstehung im Spiel waren. Und wenn dann, wie etwa im Falle des Rindes, die als Stammform in Frage kommende Wildart (also in diesem Fall der Ur, Bos primigenus) seit Jahrhunderten ausgestorben ist, wird es richtig kniffelig.

Betta splendens, Wildform, Fundortpopulation Rayong (Thailand), Männchen

Bei den schaumnestbauenden Kampffischen aus dem Formenkreis um Betta splendens haben wir es genau mit so einer Situation zu tun. Diese Verwandtschaftgruppe ist an sich morphologisch und ethologisch gut definiert, doch die Artgrenzen sind sehr verschwommen. Gegenwärtig sind sechs Arten wissenschaftlich anerkannt: Betta splendens, B. imbellis, B. siamorientalis, B. smaragdina, B. stiktos und B. mahachaiensis, wobei sich die drei ersteren (splendens, imbellis, siamorientalis) und die drei letzteren (smaragdina, stiktos, mahachaiensis) sehr nahe stehen und bezüglich der zähl- und messbaren Werte kaum oder gar nicht auseinanderzuhalten sind. Im Typusmaterial von Betta splendens befand sich – neben den Haustieren, von denen eines von Schaller und Kottelat 1989 zum Lectotypen erklärt wurde – auch Material von Betta imbellis. Das erklärt, warum es Ladiges, der seinerzeit nicht die Möglichkeit hatte, die Typusexemplare zu untersuchen, sondern sich nur an Regans verbale Beschreibung halten konnte, nicht gelang, seinen neuen Betta imbellis sauber von B. splendens zu trennen.

Betta splendens, Wildform, Population Nonthanburi (Thailand)

Alle Arten dieser Gruppe lassen sich kreuzen und zumindest die erste Nachzuchtgeneration (F1) ist auch nahezu uneingeschränkt fruchtbar. Das gibt es bei vielen Tierarten (etwa Löwe und Tiger, die ebenfalls bis in die F3 untereinander fruchtbar kreuzbar sind), zu der Frage, ob es sich um unterschiedliche Arten handelt, sagt das wenig aus. Diese Kreuzungen wurden in Thailand, wo fünf der Arten vorkommen (splendens, imbellis, smaragdina, mahachaiensis, siamorientalis) auch immer wieder einmal durchgeführt, da die Kampffischzucht in diesem Land eine große und lange Tradition hat. Da die Haustierzüchtungen des Kampffisches in der Natur gut überlebensfähig sind und es seit Jahrhunderten immer wieder zu Freisetzungen – seien sie bewusst oder ungewollt durchgeführt worden – kam, ist es oft sehr schwierig oder sogar unmöglich, einen Wildkampffisch sauber zu bestimmen. Erst im Aquarium, bei der Zucht über mehrere Generationen, zeigt sich, ob etwas „herausmendelt“ und erlaubt so die Entscheidung, ob die betreffenden Tiere einer echten Wildform oder einer verwilderten Haustierform angehören.

Betta splendens, Wildform, Population Kanchanaburi (Thailand)

Vor diesem Hintergrund hat ein Team thailändischer Wissenschaftler, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kampffischbestände des Landes zu erfassten, Betta mahachaiensis beschrieben. In der Labyrintherszene ist diese Form seit etwa 2002 als Betta sp. „Mahachai“ bekannt. Mahachai liegt südwestlich von Bangkok. Als ich den Fisch zum ersten Mal sah, hielt ich ihn für B. smaragdina. Aber schon damals sagten mir die Züchter der Art, nein, der Fisch sei anders. Man konnte das nicht so richtig festmachen, aber wie sagte schon Charles Tate Regan, der Erstbeschreiber von Betta splendens (wenn auch in anderem Zusammenhang und sehr viel dezidierter): Eine Art ist, was ein kompetenter Spezialist dafür hält.

Betta splendens, Wildform, Population Pak Chong (Thailand)

Das wichtigste äußerliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Arten der Betta splendens-Gruppe ist die Färbung der Kiemendeckel und -häute. Betta splendens, wie die Art derzeit pragmatisch verstanden wird, weist im männlichen Geschlecht zwei leuchtend rote senkrechte Streifen auf dunklem Grund auf, bei B. imbellis sind diese Streifen blau, bei B. siamorientalis silbrig bis rot (dreifarbig) und bei B. smaragdina und B. stiktos sind die Kiemendeckel vollständig mit grünen Glanzschuppen besetzt. Die fünf genannten Arten haben rote Streifen auf den Kiemenhäuten, die Kiemenhäute von B. mahachaiensis sind völlig schwarz. Bei Betta mahachaiensis ist die Kiemendeckelfärbung ähnlich zu B. imbellis, doch ist der hintere Steifen als Ellipse geformt und bei B. imbellis als Sichel. Die Untersuchung von DNS ergab weitere Hinweise, dass sich der Artstatus von Betta mahachaiensis vertreten lässt.

Betta imbellis unbekannter Herkunft
Betta imbellis, Männchen von Phuket (Thailand)
In neutraler Färbung – hier Betta imbellis – sind Kampffische des Betta-splendens-Komplexes nahezu unbestimmbar.
Nur die Kiemendeckelfärbung gibt Sicherheit, dass dies ein Männchen von Betta imbellis ist.

Viel entscheidender als morphologische und farbliche Unterschiede erscheint mir freilich die völlig andere Ökologie von B. mahachaiensis. Es handelt sich nämlich um eine Brackwasserart, die in der Natur auf brackige Gewässer mit Nipa-Palmen-Beständen, in deren Stelzwurzeln die Tiere brüten, beschränkt ist. Man kennt die Art im Wesentlichen aus der westlich von Bangkok gelegenen Provinz Samut Sakhon. Die anderen Arten der Betta-splendens-Gruppe leben in reinem Süßwasser, oft ist dieses sogar Schwarzwasser, also sehr weich und sauer. Leider sind die natürlichen Lebensräume von Betta mahachaiensis durch industrielle Verschmutzung und Bautätigkeit stark bedroht. Die Autoren betonen, dass ein wichtiger Antrieb, B. mahachaiensis als eigenständige Art zu beschreiben, war, dass nur eine formell beschriebene Art auch in den Genuss von Artenschutzmaßnahmen kommen kann.

Betta mahachaiensis, F1-Männchen
Betta mahachaiensis, Wildfang-Männchen, aus der Population des darüber gezeigten F1-Tieres
Auch bei Betta mahachaiensis gibt es erhebliche innerartliche Varianz, hier ein Wildfang-Männchen einer besonders schlanken und großflossigen Population

Im Aquarium hat sich Betta mahachaiensis als recht anspruchlos gezeigt. Hier fordert sie keineswegs Brackwasser, sondern züchtet sogar in weichem und leicht sauren Milieu. In den Labyrinthfischgemeinschaften ist sie seit vielen Jahren gut vertreten. Auch der Zierfischhandel importiert sie dann und wann, so auch Aquarium Glaser. Auf die natürlichen Bestände hat dieser Handel selbstverständlich keinen negativen Einfluss, bedenklicher erscheint da schon, dass die Autoren auf Fischmärkten Hybriden zwischen Betta splendens und B. mahachaiensis antrafen. Wir Aquarianer sollten also darauf achten, die Art in unseren Aquarien rein zu erhalten.

Betta smaragdina, hier ein Wildfang-Männchen, ist B. mahachaiensis und B. stiktos sehr ähnlich
Betta stiktos, Wildfang-Männchen in neutraler Färbung

Literatur:

Kowasupat, C., Panijpan, B., Ruenwongsa, P. & N. Sriwattanarothai (2012): Betta mahachaiensis, a new species of bubble-nesting fighting fish (Teleostei: Osphromenidae) from Samut Sakhon Province, Thailand. Zootaxa 3522: 49-60

Kowasupat, C., Panijpan, B., Ruenwongsa, P. & T. Jeenthong (2012): Betta siamorientalis, a new species of bubble-nest building fighting fish (Teleostei: Osphronemidae) from eastern Thailand. Vertebrate Zoology 62 (3): 387-397

Betta siamorientalis, Wildfangmännchen aus Vietnam

Frank Schäfer


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Dieter Bork (1945 – 2023)

Dieter im November 2004

Als uns am vergangen Mittwoch, am 27.9.2023, die Nachricht erreichte, dass Dieter Bork gestorben sei, war das ein Schock. Wir hatten uns doch gerade erst in der Fischhalle von Aquarium Glaser gesprochen, er war lebhaft wie immer, voller Pläne und Ideen, alles andere als gebrechlich. Es erscheint mir immer noch unfassbar, dass er nie wieder in seiner unnachahmbaren Art von seinen Beobachtungen an seinen Fischen erzählen wird. Man sagte uns, er habe nicht leiden müssen.

Epiplatys annulatus

Terranatos dolichopterus

Lucania goodei, von Dieter Bork gezüchtet und fotografiert.

Mit Dieter Bork hat uns einer der profiliertesten und besten Aquarianer verlassen, die ich je kennenlernen durfte. Ich kenne ihn, seit ich 1996 bei Aqualog und Aquarium Glaser anfing zu arbeiten, aber die Familie Glaser kannte ihn bereits viele Jahre länger. Er lieferte immer wieder größere Stückzahlen von ihm gezüchteter Fische, hauptsächlich Killifische, an Aquarium Glaser und vor der Gründung von Aquarium Glaser auch schon zu anderen Großhändlern im Frankfuter Raum. Killis waren seine Lieblinge, er züchtete z.B. den Ringelhechtling (Epiplatys annulatus) und die „Erdgeborenen“, wie er Terranatos dolichopterus und Konsorten nannte, und zwar nicht nur 20 oder 30 Exemplare, sondern 150 oder 200 pro Ansatz. Auch Arten, mit denen andere immer wieder Schwierigkeiten bekamen, etwa Lucania goodei, konnte Dieter. Er war allerdings nicht auf Killis festgelegt, im Gegenteil: alles, was als klein, zart und schwierig galt, ob nun Barbe, Salmler, Labyrinther, Zwergbuntbarsch, Ährenfisch oder Lebendgebärender, pflegte und züchtete Dieter mit einem unglaublichen Gespür und mit einem Einfühlungsvermögen, das seinesgleichen sucht.

Englische Ausgabe des Zwergcichlidenbuches von D. Bork und H. J. Mayland, die von Aqualog verlegt wurde.

Dieter Bork wurde 78 Jahre alt. Auf der Umschlagseite eines der Bücher, die Dieter mit Hans J. Mayland verfasste, hat der Verleger, Werner Schmettkamp, 1998 eine Kurzbiografie von Dieter publiziert, die ich hier – zeitlich angepasst – wiedergeben möchte:

„Der 1945 geborene und in Bruchköbel bei Hanau lebende Diplom-Ingenieur und Naturfreund studierte an der Fachhochschule in Friedberg. Während der Jahre 1964 und 1965 absolvierte er einen 18-montigen Dienst bei der Bundeswehr. Als Aquarianer war er seit mehr als 60 Jahren tätig und seit über 45 Jahren DKG-Mitglied. Mit der Zucht von Killifischen hat er sich seit mehr als 30 Jahren befaßt; später sind Zwergcichliden, Rasborinen und seltene Lebendgebärende hinzugekommen. Dieter Bork hat sein Wissen auch in Form von Vorträgen und später auch als Autor in Aquarien-Magazinen weitergegeben. Sein Freund Hans J. Mayland, mit dem er bereits seit Mitte der 1970er Jahre mit Unterbrechungen zusammengearbeitet hat, überredete ihn zur Kooperation als Buchautor, als dieser nach überstandener schwerer Krankheit einen Partner suchte. Aus dieser ersten schriftstellerischen Gemeinsamkeit entstand 1997 das erste Buch „Zwergbuntbarsche“, das inzwischen auch in englischer Sprache erschienen ist.“

Das Gespann Bork/Mayland hat noch einige Bücher verfasst, im Birgit Schmettkamp Verlag z.B. „Seltene Schönheiten im Süßwasseraquarium“, bei Kosmos Bücher über Lebendgebärende und Salmler, bei Dähne „Aquarienträume“, außerdem verfasste Dieter Portraits in Bänden der Aquarien-Atlas-Reihe bei Mergus. Im Zuge seiner schriftstellerischen Arbeit wurde Dieter auch ein hervorragende Fotograf. Nach dem Tod von Mayland im Jahr 2004 wurden die Veröffentlichungen von Dieter deutlich weniger. Das hing vor allem damit zusammen, dass er sich bis zum Schluss weigerte, sich mit Computern zu befassen. Seine Manuskripte waren wortwörtlich Manuskripte, also handschriftliche Aufzeichnungen. Das wurde von immer weniger Redaktionen akzeptiert, bzw. es war Dieter unangenehm, die Manuskripte so einzureichen obwohl er eine sehr gut leserliche Handschrift hatte. Schwerwiegender war, dass man Dieter die Korrekturfahnen nicht einfach per Email schicken konnte, denn Email hatte Dieter nicht. Das machte die Dinge zeitaufwändig, was im hektischen Redaktionsalltag, in dem immer ein gewaltiger Termindruck herrscht, sehr lästig war. Ich persönlich hatte damit weniger Probleme, weil Dieter in der Nähe wohnte und ohnehin häufig zu Besuch da war. Darum hatten wir bei Aqualog noch recht häufig Arikel von Dieter in den News. Sonst verfasste Dieter in den späteren 2000ern fast nur noch auf spezielle Bestellung der Redaktionen Artikel. Auch den Sprung zur digitalen Fotografie machte Dieter nie, bis zum Schluss verwendete er Diafilme. Das alles mag ein wenig schrullig erscheinen, vor allem für einen Ingenieur, aber vielleicht liegt hier auch ein Schlüssel dafür, warum er als Fischzüchter so überaus erfolgreich war. Er hatte eben dieses eine Hobby, die Aquaristik, und das betrieb er richtig. Wer von uns wüsste nicht, was für Zeitfresser PC, Social Media usw. darstellen. Dieter ging zu Tagungen, Vorträgen und reiste in die Heimatländer der Fische, die er besonders liebte. Computer und Co. konnten ihm gestohlen bleiben.

Oben: Dario dario, wie Dieter ihn sah. Darunter: Feldfotos am Ghottiganga Creek, wo wir im Jahr 2000 Dario dario im Feld nachwiesen. Der gebeugte Herr im Hintergrund ist Dieter.

Reisen führten Dieter vor allem nach Südamerika: Kolumbien, Venezuela und französisch Guyana bereiste er teils mehrfach. Ich hatte das Privileg, eine Fangreise nach Indien mit Dieter machen zu können, um den damals neuen Dario dario im Biotop zu suchen, gerne fuhr er aber auch nach Thailand, z.B. auf die Insel Phuket. Als aquaristisches Urgestein der Region war Dieter natürlich auch Mitglied im Tümpelgarten in Hanau, wo er im Vereinsheim oft mehrere Becken unterhielt. Seine Anlage zuhause war gar nicht so groß, ein typischer Fischkeller, den er aber sehr effektiv betrieb. Sein besonderes Steckenpferd war ein kleiner Gartenteich, in dem er vom Frühjahr bis Herbst vor allem Lebendgebärende hielt. Der Teich wurde in kühlen Perioden zugeheizt. Diese Hälterung führte teils zu fantastisch gefärbten Fischen, besonders bei Wildformen von Xiphophorus variatus. Im Garten hatte Dieter aber nicht nur seinen Teich, sondern auch einige Pflanzenschätze. Eine Naturform einer Narzisse z.B., wobei er Bewunderern der Blume jedesmal unter ausführlicher Vorführung des verantwortlichen Zeigefingers in epischen Breite erzählen konnte, wie er die Mutterpflanze seines Bestandes vor Jahrzehnten an einem steinigen Wegrand mit bloßen Händen ausgrub.

Einer von Dieters Gartenteichplatys.

Mir wird Dieter immer in Erinnerung bleiben als der liebenswerte Mann, der, während er ihn analysierte, den Balztanz einer Micropoecilia auch live performte; als der Grantler, der wenig Gutes an „den Wissenschaftlern“ ließ (zu denen er dann auch mich zählte), wenn die wieder einmal in Krümeln suchten und dabei den offensichtlichen Kuchen gar nicht erkannten; und als der fröhliche, sinnesfrohe Mensch, der allen schönen Dingen des Lebens zugetan war. Dieter war offen und kommunikativ, er stand in Austausch mit zahlreichen Wissenschaftlern und vielen namhaften Aquarianern und war auch ein bei Schülern sehr beliebter Nachhilfelehrer in Mathematik.

Eines der ersten Fotos von Dieter aus dem Jahr 1995; es zeigt den von ihm mit P. Machnik in Kolumbien entdeckten Hyphessobrycon columbianus.

Durch Knodus borki wird Dieter noch vielen Generationen von Fischfreunden im Gedächtnis bleiben.

Die aquaristische Weltgemeinschaft verdankt Dieter u.a. den Blau-Roten Kolumbianer (Hyphessobrycon columbianus), den er und P. Machnik von einer Reise in den Norosten von Kolumbien mitbrachten. Vermutlich alle heutzutage in den Aquarien der Welt schwimmenden Tiere gehen auf diesen einen Import aus dem Jahr 1995 zurück. Unsterblich wurde Dieter ebenfalls durch einen blauen Salmler, denn die bereits seit Jahrzehnten unter dem falschen Namen „Boehlkea fredcochui“ segelnde Art wurde nach der Entdeckung, dass es sich eben nicht um Boehlkea fredcochui handelt, als Knodus borki zu Ehren von Dieter Bork beschrieben und damit seine Verdienste auch für die Wissenschaft gewürdigt.

Es ist eine ausgelutschte Phrase, aber hier trifft sie wirklich zu: die Lücke, die der Tod von Dieter Bork gerissen hat, wird sich kaum schließen lassen. Unsere Gedanken, guten Wünsche und unser aufrichtiges Beileid sind bei seiner Familie, die Ehemann, Vater und Opa verloren hat.

Frank Schäfer für das ganze Team von Aqualog-animalbook und Aquarium Glaser

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis

Kryptozoologie in Hessen

Die Krytozoologie ist ein besonders interessanter, aber auch etwas anrüchiger Bereich der Zoologie. Sie beschäftigt sich mit der Suche nach mythischen, unentdeckten oder verschollenen, ausgestorben geglaubten Tierarten. Kryptos bedeutet „versteckt, verborgen“. Auf diesem Gebiet tummeln sich teils absonderliche Menschen, die den Objekten ihrer Begierde an Merkwürdigkeit oft kaum nachstehen, aber auch ernsthafte Wissenschaftler.

Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Kryptozoologie im vergangenen Jahr­hundert noch große Erfolge feierte. Das Okapi, eine afrikanische Waldgiraffe, wurde als eines der letzten Großtiere erst 1901 ent­deckt; das Zwergflusspferd galt fast zwanzig Jahre als ausgestorben, bis es auf Initiative von Hagenbeck 1912 wieder entdeckt werden konnte. Und – ebenfalls vom schwarzen Kon­tinent – auch die Entdeckung des sagenum­wobenen Kongopfaus ist ein Erfolg der Krypto­zoologie. 1936 anhand von ein paar Federn aus dem Kopfschmuck von Ein­heimischen entdeckt, gelang erst in den 1950er Jahren der Fund lebendiger Individuen.

Abbildung des Waldrapps aus Gessners Buch Icones avium omnium, quae in Historia avium Conradi Gesneri describuntur aus dem Jahr 1555
Der Waldrapp, Geronticus eremita, galt lange Zeit als Fantasiewesen

Auch in Europa konnte die Kryptozoologie schon erstaunliche Erfolge feiern. So hielt man im 19. Jahrhundert den Waldrapp, eine Ibis-Art, die Conrad Gessner 1555 beschrieb, für ein Fabelwesen, vergleichbar dem Ein­horn oder der Sphinx, bis gezeigt werden konnte, dass diese Art sogar bis in die Jetzt­zeit überlebt hat. Aber selbstverständlich gibt es auch viel Unfug im Bereich der Kryptozoologie, wie z.B. das Monster von Loch Ness.


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Erwachsenes Exemplar von Emys orbicularis, der Europäischen Sumpfschildkröte

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, galt bis vor wenigen Jahren für ein Musterbeispiel einer enorm weit ver­breiteten, dabei aber ziemlich einheitlichen Art. Nicht einmal Unterarten wurden an­erkannt. Von Nordafrika über weite Teile Europas bis nach Westasien kommen diese Schildkröten vor. Ich weiß noch zu gut, wie ich vor meinem Zoologie-Schulbuch sitzend davon träumte, dieses sagenhafte, laut meinem Schulbuch in Deutschland so gut wie ausgestorbene Reptil auf einem meiner Streifzüge durch die Natur zu finden. Nun ja. Ich fand zwar alles mögliche Viehzeug, aber die Europäische Sumpfschildkröte war nicht dabei. Das ist nicht weiter verwunderlich. In der südhessischen Mittelgebirgslandschaft, in der ich auf­wuchs, gab es wohl nie Europäische Sumpf­schildkröten. Aber ich war sicher nicht der einzige, der diesen Traum träumte.

Obwohl Robert Mertens, einer der bedeutendsten Reptilienforscher Deutschlands, bereits 1947 feststellte, dass alle gegenwärtigen Funde der Europäischen Sumpfschildkröte im Rhein-Main-Gebiet auf zufällige oder absichtliche Aussetzungen zurückzuführen sind, wollten das viele nicht glauben. So wie alle Jubeljahre wieder Nessie im Loch Ness gesichtet wird, so wollen einige Unentwegte eben gerne glauben, dass zufällig aufgefundene Euro­päische Sumpfschildkröten oder gar frisch­geschlüpfte Exemplare auf eine bisher über­sehene, im verborgenen überlebende ein­heimisch-hessische Population zurückzu­führen seien.

Dieses Jungtier wurde 2004 am hessischen Küh­kopf gefunden; es dürfte im Sommer 2003 dort geschlüpft sein.

Eine wissenschaftlich fundierte Arbeit zu diesem Thema lieferte Kinzelbach (1988). Betrachtet man die Fakten nüchtern, so kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, dass die Europäische Sumpf­schildkröte in Hessen (und allen anderen Teilen Deutschlands mit Ausnahme des Vor­kommens in der mittleren Oder) im 18. Jahr­hundert ausstarb. Das Aussterben im Rhein-Main-Gebiet war vermutlich eine Kombi­nation von Massenfängen zu Speisezwecken – die Art war z.B. im 16. Jahrhundert in Speyer so häufig, dass sie als Fastenspeise des kleinen Mannes gelten konnte – und klima­tischen Veränderungen. Das vermutete end­gültige Aussterben der Art im südlichen Deutsch­land fällt in auffälliger Weise mit der „kleinen Eiszeit“ von 1670 bis 1730 zu­sammen. Die Kombination von Massen­fängen und vielen kalten Sommern nach­einander, in denen sich die Art nicht ver­mehren konnte, gaben ihr den Todesstoß.

Bereits ab dem 17. Jahrhundert erfolgten darum Importe der Europäischen Sumpf­schild­kröte aus anderen Ländern zu Speisezwecken, ab dem späten 19. Jahr­hundert auch zum Zwecke der damals gerade entstehenden Terrarienhaltung. Schon immer entkamen dabei Exemplare oder wurden absichtlich ausgesetzt. Im Enk­heimer Ried nahe bei der Großstadt Frankfurt a. M. gibt es seit den 1940er Jahren eine repro­duzierende Population. Aber diese Tiere sind keine einheimischen Vertreter der Art, ihr Vor­kommen keine erfolgreiche Wiederan­siedlung. Es handelt sich um einen mensch­gemachten Freiluftzoo ohne jeden öko­logischen Sinn und Wert. Zu glauben, man helfe damit einer bedrohten Tierart, ist lächer­lich. Das ist genau so, als würde man 10 Pudel in den Wald jagen und sich dann damit brüsten, man habe den vom Aussterben bedrohten Wolf wieder angesiedelt. Eine einmal ausgestorbene Tierart soll man nicht wieder ansiedeln. Man kann und soll lediglich die zerstörten Lebensräume renaturieren, wo­von immer sehr viele Arten und auch der Mensch profitieren. Über Biotop-Korridore (die gegebenenfalls anzulegen sind) können von alleine auch solche Arten wieder ein­wandern, die verschwunden waren. Und diese Einwanderer sind dann auch ohne Zutun des Menschen überlebensfähig. Gute Beispiele hierfür sind Biber, Luchs, Uhu, Fischotter und Wolf, allesamt Arten, die vor 50 Jahren in Deutschland verschwunden waren und heute teils wieder ausgesprochen häufig sind.

Der Europäische Wolf ist ein gutes Beispiel dafür, dass sobald es geeignete Lebensräume gibt, auch bereits verschwundene Arten von ganz allein zurückkehren.

Doch die Träumerle wollen solche Wahr­heiten nicht hören. Sie glauben in bester Kryptozoologen-Manier immer noch fest an original hessische Europäische Sumpf­schild­kröten. Als neuestes Argument wird dabei die DNS angeführt. Die Möglichkeit, dank der ra­santen Entwicklung, die die Biochemie in diesem Bereich gemacht hat, kostengünstig die DNS auf verwandtschaftliche Bezie­hungen von Tieren untereinander zu unter­suchen (im Prinzip funktioniert das wie ein Vaterschaftstest), hat zu vielen, neuen Ein­blicken auch der Reptiliensystematik geführt. Und was man bis in die 1990er Jahre als eine einzige, weit verbreitete Art sah, nämlich die Europäische Sumpfschildkröte, wurde jetzt in viele Untereinheiten aufgesplitted – dank der DNS-Untersuchungen! Heute unterscheidet man mindestens 8 (zeitweise sogar bis zu 14) Unterarten plus eine zusätzliche Art. Äußer­lich sind sie für Laien nicht unterscheidbar. Alle Formen sind im Terralog Schildkröten der Welt Teil 1 abgebildet.

Exemplar mit hohem Gelbanteil in der Färbung

Man fand anhand der weiblichen Erblinien (mitochondriale DNS) heraus, dass in Hessen ge­fundene Europäische Sumpfschildkröten (aus der Umgebung von Bensheim; das ist lustigerweise kaum 30 km von der Gegend entfernt, in der ich als Junge nach ihr suchte) einer Erblinie entsprechen, die heutzutage natürlicherweise noch an der nördlichen Mittelmeerküste der iberischen Halbinsel, Süd- und Zentral-Frankreich, der Donau-Tiefebene und der südlichen Balkan-Halbinsel gefunden wird. In dieser West-Ost-Verbreitung klafft eine Lücke. Diese Lücke umfasst das südliche Deutschland, die Tschechische Republik und die Schweiz. In allen drei Ländern ist die Europäische Sumpfschildkröte längst ausgestorben. Es ist nahezu unmöglich, dass ausgerechnet in Süd-Hessen, einem der am dichtesten besiedelten Landesteile Deutschlands, eine bodenständige Population der Europäischen Sumpfschildkröte unbemerkt überlebt hat. Es ist hingegen extrem wahrscheinlich, dass in den 1980er Jahren Europäische Sumpf­schildkröten aus Jugoslawien oder Süd­frankreich als Urlaubsmitbringsel an die Bergstraße kamen und entweder ent­wischten oder ausgesetzt wurden. Es gibt aller Wahrscheinlichkeit nach keine boden­ständigen hessischen Europäische Sumpf­schildkröten. Punkt. Auswildern ist Unsinn. Nochmal Punkt!

Hybriden kann man anhand mitochondrialer DNS nicht erkennen. Diese Erbsubstanz wird nur in der mütterlichen Linie vererbt. Ein Maultier (Photo: Adrian Michael) ist anhand mitochondrialer DNS darum nicht vom Pferd zu unterscheiden. Maultiere sind eine Kreuzung aus Pferd (Mutter) und Esel (Vater).

Aber es ist ganz interessant, was mit den Bensheimer Schildkröten passierte. Man brachte sie nämlich in den Frankfurter Zoo, wo sie üppig nachgezüchtet werden. Und diese Nachzuchten wildert man aus (zu gut deutsch: jagt Pudel in den Wald). Denn soviel hat die Terrarienkunde geschafft: die Pflege und erfolgreiche Nachzucht von Europäische Sumpfschildkröten ist heutzutage kein Problem mehr. So kann auch jeder, der möchte, für wenig Geld Nachzuchttiere kaufen. Wer es ganz genau wissen will, kann sogar die mitochondriale DNS untersuchen lassen und erfährt so, wo die Mutter einmal herkam. Aber diese mitochondrialen DNS-Unter­suchungen haben einen entscheidenden Nachteil: Mischlinge kann man damit nicht erkennen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Terrarienbestände allesamt Hybridbestände sind.

Europäische Sumpfschildkröten kann man sehr gut nachzüchten, darum sind sie im Tierhandel häufig und für vergleichsweise wenig Geld zu erwerben.

Wer also Freude an Europäischen Sumpf­schildkröten hat, soll sie im Terrarium oder im Gartenteich pflegen. Das ist nicht schwer. Sie sind vorwiegend Fleischfresser. In aus­reichend großen Gartenteichen kann man darum sogar Sumpf- und Wasserpflanzen kultivieren, obwohl darin Europäische Sumpf­­schildkröten leben. Das ist ein ent­scheidender Vorteil gegenüber den nord­amerikanischen Schmuckschildkröten, die mit zunehmendem Alter immer mehr zu Vege­tariern werden und jedes Pflänzlein gna­denlos niedermachen. Erwachsene Männ­chen der Europäischen Sumpfschild­kröte sind untereinander manchmal sehr unver­träg­lich. Man sollte darum nur ein Männchen mit einigen Weibchen pflegen, auch wenn es schon häufig vorkam, dass mehrere Männchen friedlich zusammenlebten. Leider kann man bei Jungtieren die Geschlechter nicht unterscheiden. Aber da – wie bei den meisten Schildkröten – das Geschlecht über die Bebrütungstemperatur der Eier gesteuert werden kann, ist die Mehrzahl der ange­botenen Tiere weiblich. Die mittlere Brut­temperatur, bei der das Geschlechter­verhältnis ausgeglichen ist, liegt bei 28,5°C, darunter entstehen mehr Männchen, da­rüber mehr Weibchen. Als optimale Brut­temperatur haben sich 29-30°C bewährt.

Die Europäische Sumpfschildkröte ist ein fast reiner Fleischfresser und kann darum in bepflanzten Teichen gepflegt werden.

Weil man die Geschlechter bei Babies noch nicht erkennen kann und weil im Laufe der Jahre – immerhin kann so eine Emys 70 Jahre und älter werden – doch immer wieder ein­mal Verluste einzukalkulieren sind, sollte man von vornherein nicht weniger als fünf Exem­plare kaufen. Besonders, wenn es gelingt, wirklich reinblütige Exemplare zu ergattern (das ist wie ein Sechser im Lotto!). Es ist im Nachhinein schwierig bis unmöglich, gene­tisch passende Exemplare nachzukaufen. Das ist auch der Grund, weshalb leider fast alle Emys in Gefangenschaft Mischlinge sind.

Babies zieht man am besten auch von An­fang an im Freien auf. Wenn Schwächlinge ster­ben, ist das gut so. Da Naturentnahmen von Europäischen Sumpfschildkröten zu Hal­tungs- und Handelszwecken seit 30 Jahren streng verboten sind und in absehbarer Zeit auch nicht möglich sein werden, sind wir da­rauf angewiesen, nur wirklich kerngesunde Tiere erwachsen werden zu lassen. Aber man sollte dieses Argument selbstverständlich nicht dazu missbrauchen, die Pflege der Tiere zu vernachlässigen. Im Terrarium oder Teich muss täglich (wenn das Wetter es zulässt) ge­füttert werden. Tiefgefrorene ganze Fische, meist handelt es sich um Stinte (Osmerus eper­lanus), sind das optimale Futter, dazu gibt man käufliches Trockenfutter für Wasser­schildkröten, Regenwürmer, grobes Frost­futter für Fische (Rote Mückenlarven, Mysis, Gammarus, Muschelfleisch etc.).

Dieses alte Tier – man erkennt das am glatten Panzer – genießt sein Sonnenbad.

Die Aktivitätsperiode der Europäischen Sumpfschildkröte in Deutschland ist so kurz und die natürlichen Futterressourcen im Terrarium oder Teich so eingeschränkt, dass andernfalls keinerlei Überlebenschance besteht. Spätestens im Winter reichen die Fettreserven nicht aus und das Tier stirbt. Wegen der kurzen Sommer ist die Dauer der Eientwicklung mit ca. 70 Tagen (für Schild­krötenverhältnisse) ziemlich kurz und die Jungtiere wirklich winzig, etwa so groß wie ein Daumennnagel (2 cm Panzerlänge). Jede Elster holt sich diese appetitlichen Happen, wenn man sie lässt. Darum ist die Pflege in großen, rundum vergitterten Meerschwein­chenkäfigen in den ersten Lebensjahren optimal, worin die Tiere allerdings nicht überwintern können. Ein Einfrieren über­stehen sie niemals! Sobald Nachtfröste drohen, überführt man die Schildkröten darum in einen Kühlschrank bei 5°C. Die Überwinterung erfolgt in Wasser. Der Wasserstand muss dabei etwa das 1,5-fache der Panzerbreite betragen. Um Verpilzungen vorzubeugen, ist auf weiches Wasser mit einem pH-Wert zwischen 6 und 6,5 zu achten. Man erreicht dies durch die Ver­wendung von vollentsalztem (im Handel als destilliertes Wasser zum Bügeln oder für Autokühler zu kaufen) Wasser, das man mit Leitungswasser mischt, bis eine Gesamthärte von 6-8°dH erreicht ist. Man gibt pro Tier ein Erlenzäpfchen in die Überwinterungsschale, das senkt den pH-Wert, wirkt gegen Pilze und schädliche Bakterien. Am besten überwintert man jedes Exemplar in einem eigenen Be­hälter, da es andernfalls in der Enge der Ge­fäße leicht zu unnötigen Verletzungen der Tiere durch die scharfen Krallen von Mit­insassen kommt.

GANZ WICHTIG: Emys ertrinken sehr leicht. Es muss – ganz besonders vor und nach der Winterruhe, darauf geachtet werden, dass die Tiere leichte Ausstiegsmöglichkeiten haben!


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Während der Aufzucht ist darauf zu achten, dass die Tiere nicht überhitzen können. Der prallen Sonne schutzlos ausgesetzt sterben sie sonst sehr schnell. Am besten vermeidet man das, indem man Schwimmpflanzen in den Aufzuchtbehälter einbringt. Froschbiss (Hydrocharis morsus-ranae), er ist winterhart, zieht aber im Herbst ein und bildet Über­winterungs­knollen, aber auch die tropischen Art Pistia stratiotes eignen sich hervorragend. Sie stirbt aller­dings bei den ersten Frösten ab. Als Unter­wasserpflanzen nimmt man Wasserpest (Elodea densa) oder Hornkraut (Cerato­phyllum demersum). Beide sind winterhart und kommen jährlich wieder.

In geschützten Lagen und bei ausreichend tiefem Wasser (mindestens 1 Meter) kann die Europäische Sumpfschildkröte auch ganz­jährig im Freien gepflegt werden. In harten Wintern sterben auch mal ein paar Tiere, aber das ist in der Natur ja auch nicht anders. Eines aber muss man wissen: ist um den Garten­teich keine absolut ausbruchsichere Um­zäunung angebracht (und die Tiere klettern exzellent!) wandern die Europäischen Sumpf­schildkröten ab, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und das braucht unsere gebeutelte Natur nun wirklich nicht auch noch. Ein Aussetzen oder „Auswildern“ kommt auf keinen Fall in Frage!

Frank Schäfer

Literatur

Fritz, U. (2000): Verbreitung, Formenvielfalt und Schutz der Europäischen Sumpfschild­kröte Emys orbicularis (L.). Stapfia 69 Neue Folge Nr. 149: 13-20
Fritz, U., Ayaz, D., Hundsdörfer, A. K., Kotenko, T., Guicking, D., Wink, M., Tok, C. V., Cicek, K. & J. Buschbom (2009): Mitochondrial diversity of European pond turtles (Emys orbicularis) in Anatolia and the Ponto-Caspian Region: Multiple old refuges, hotspot of extant diversification and critically endangered endemics. Organisms, Diversity & Evolution 9: 100-114
Fritz, U., Guicking, D. Lenk, P., Joger, U. & M. Wink (2004): When turtle distribution tells European history: mtDNA haplotypes of Emys orbicularis reflect in Germany former division by the Iron Curtain. Biologia, Bratislava, 59/Suppl. 14: 19—25
Kinzelbach, R. (1988): Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) im Einzugsgebiet des Rheins. Zeitschrift Angewandte Zoologie Berlin 75(4): 385-419.
Mertens, R. (1947): Die Lurche und Kriechtiere des Rhein-Main-Gebietes.
Sommer, R. S., Linfqvist, C., Persson, A., Bringsoe, H., Rhodin, A. G., Schneeweiss, N., Siroky, P., Bachmann, L. & U. Fritz (2009): Unexpected early extinction of the European pond turtle (Emys orbicularis) in Sweden and climatic impact on its Holocene range. Molecular Ecology 18, 1252–1262
Winkel, S. (2001): Reinheimer Sumpfschildkröten erhalten hessischen Pass. Jahrbuch Naturschutz in Hessen 6: 239-247
Winkel, S. & M. Kuprian (2011): Artensteckbrief für die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis orbicularis). HESSEN-FORST Servicezentrum Forsteinrichtung und Naturschutz (FENA) Europastr. 10 – 12, 35394 Gießen, 12pp

Falter- und Kaiserfische – Majestäten im Meerwasseraquarium

In den 1970er bis 1980er Jahren konzentrierte man sich in der Meeresaquaristik auf die Pflege von Fischen. Die Krönung jeder Fischsammlung waren dabei die Falter- und Kaiserfische. Dann kam Mitte der 1980er ein vollständiges Importverbot für diese Fische nach Deutschland, das mit ”Artenschutz” begründet wurde. Etwa 10 Jahre hatte dieses Importverbot Bestand, dann wurde es, weil illegal, wieder abgeschafft. Inzwischen hatte sich die Meeresaquaristik aber sehr gewandelt, nun stand die Pflege von Riffaquarien im Mittelpunkt des Interesses. Wie sieht es heutzutage mit den Falter- und Kaiserfischen im Hobby aus? Ganz allgemein kann man sagen: das Interesse hat stark nachgelassen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

In den 1970ern der Traumfisch jedes Meerwasserfreundes: Pomacanthus imperator

Korallenfresser
Besonders unter den Falterfischen gibt es eine ganze Reihe von Arten, die sich in der Natur auf das Fressen von Korallenpolypen spezialisiert haben. Einige Arten sind so stark spezialisiert, dass sie sogar nur die Polypen ganz bestimmter Steinkorallen fressen. Diese Arten sind zwar nicht physiologisch auf Korallenpolypen als Nahrung angewiesen. Gelingt es, sie auf andere Nahrung umzustellen, können sie 15 Jahre und länger im Aquarium leben. Aber es gelingt leider nur sehr selten. Neun von zehn Falterfischen dieser Gruppen verhungern eher, als dass sie andere Nahrung akzeptieren. Man lässt sie also besser im Riff, wenn man nicht ganz speziellen Fragestellungen nachgehen will. In einem Korallenriff-Aquarium würden diese Fische zwar passendes Futter finden, doch welcher Aquarianer will schon dabei zusehen, wie seine mühevoll hochgepäppelten Steinkorallen als Fischfutter enden? Kurz und gut, diese Falterfische werden heutzutage so gut wie gar nicht im Aquarium gepflegt, obwohl es legal wäre. Wenn sie doch einmal im Zoofachhandel auftauchen, dann aus Versehen, weil sie irrtümlich geschickt wurden.

Chaetodon trifasciatus gehört zu den spezialisierten Korallenpolypenfressern.
Chaetodon semilarvatus aus dem Roten Meer ist ebenfalls oft heikel in der Annahme von Ersatznahrung.

Dauerfresser
Ein weiterer Grund, weshalb die Falter- und Kaiserfische heutzutage nur noch wenig beliebt sind, liegt in ihrem Fressverhalten. Das natürliche Futter, das diese Tiere im Riff vorfinden, ist ziemlich nährstoffarm und es ist nur unter hohem Zeitaufwand zu finden. Der Magen dieser Tiere ist nicht darauf eingerichtet, einmal täglich große Nahrungsmengen aufzunehmen und dann davon zu zehren, sondern die Tiere fressen den ganzen Tag über, ständig kleine Portionen. Im Riffaquarium möchte man aber nur selten und wenig füttern, um die Wasserbelastung den Korallen zuliebe gering zu halten. Hält man die Falter- und Kaiserfische aber knapp im Futter, so picken sie ständig an den Korallen herum, die sich schließlich nicht mehr öffnen. In reinen Fischaquarien fällt diese Eigenschaft hingegen weniger ins Gewicht. Man kann hier auch über einen Futterautomaten 6-8 mal täglich kleine Portionen reichen, auch wenn man nicht zuhause ist. Aber wer pflegt heutzutage schon noch reine Fischbecken? Auch das Fressverhalten ist also ein Grund, weshalb viele Falter- und Kaiserfische heutzutage nur noch bei wenigen Spezialisten anzutreffen sind.

Zwergkaiser-untypisch ist Centropyge multifasciatus. Er gehört nur in die Hände erfahrener Pfleger.

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Wunderschön und pflegeleicht
Aber trotz und alledem: viele Falter- und Kaiserfische gehören zu den schönsten Fischen überhaupt! Und viele Arten eignen sich durchaus gut für die Pflege im Korallenriffaquarium, manche sind sogar ausgesprochen pflegeleicht! Es handelt sich dabei um die Arten, die sich in der Natur auf Planktonnahrung spezialisiert haben. Das sind unter anderem die herrlichen Wimpelfische (Heniochus spp.), die Pyramidenfalter (Hemitaurichthys spp.), die Zwergkaiserfische, auch Herzogfische genannt (Gattung Centropyge) und die Lyra-Kaiserfische der Gattung Geniacanthus. Diese Tiere sehen nicht nur wunderschön aus, sie lassen auch die Korallen völlig in Ruhe, weil sie nicht in das Nahrungsspektrum der Fische passen. Schließlich sind die Planktonfresser auch in der Natur auf die im Riff eher seltenen Planktonorganismen angewiesen, fressen also, genau wie im Aquarium, dann, wenn es etwas gibt und suchen auch nicht nach Futter, wenn es nichts gibt. Die Zwergkaiserfische bleiben außerdem sehr klein. Sie werden oft nur 8 cm (Männchen) lang, die Weibchen bleiben nochmals 1-2 cm kleiner. Man kann und sollte Zwergkaiserfische in Paaren oder Gruppen von einem Männchen und mehreren Weibchen pflegen, sie laichen im Aquarium auch regelmäßig ab.

Centropyge flavissima
Centropyge loriculus
Geniacanthus melanospilos

Bei den Wimpelfischen ist eine Art (H. diphreustes) ein Schwarmfisch, die anderen leben eher paarweise oder in kleinen Gruppen. Pyramidenfalter schätzen ebenfalls die Gesellschaft von Artgenossen. Und die Lyrakaiserfische leben in der Natur in Schwärmen; da sie, wie so viele andere Korallenfische (auch die Zwergkaiserfische), eine Geschlechtsumwandlung vom Weibchen zum Männchen durchlaufen, gelangen meist nur Weibchen in den Handel. Das stärkste Tier einer Gruppe verwandelt sich irgendwann zum Männchen. Allerdings erreichen Lyrakaiserfische eine Länge von 12-20 cm (je nach Art), brauchen also reichlich Schwimmraum.

Heniochus diphreustes

Nützlinge
Einige Arten Falterfische werden von Aquarianern als Vernichter der lästigen Glasrosen (Aiptasia spp.) gepflegt. Es sind dies die Pinzettfische (Chelmon spp.) und die Art Chaetodon kleinii. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Tiere durchaus auch an großpolypigen Korallen knabbern, wenn sie hungrig sind. Man muss die Fische also reichlich und ab wechslungsreich füttern, wenn die Glasrosen knapp werden.
Der Nachteil dieser biologischen Glasrosenbekämpfung ist der, dass sowohl die Pinzettfische wie auch Chaetodon kleinii kaum noch Glasrosen fressen, wenn sie sich erst einmal an das bequeme Ersatzfutter gewöhnt haben. Ein Nachsetzen weiterer Pinzett- oder Falterfische, die noch nicht ”verwöhnt” sind, ist schwierig bis unmöglich, da die alteingessenen Exemplare sehr aggressiv auf Neuzugänge reagieren. Werden Glasrosen permanent belästigt und auf gefressen, ziehen sich überlebende Exemplare zu winzigen, kaum sichtbaren Klümpchen zusammen. Aquarianer glauben dann oft schon, die Plage sei überstanden und füttern die Pinzett- und Falterfische kräftig zu. Dann erscheinen aber die überlebenden Glasrosen wieder in alter Pracht und Herrlichkeit. Wer sich einen oder mehrere (es ist immer zu empfehlen, eine Gruppenhaltung zu versuchen, weil dann mehr Beobachtungsmöglichkeiten bestehen) Pinzett- oder Falterfische zur Glasrosenbekämpfung anschaffen möchte, sollte sie also auch noch einige Zeit nach dem vermeintlichen Verschwinden knapp im Futter halten, auch wenn es dann möglicherweise zu Übergriffen auf Korallen und andere sessile Wirbellose kommt.

Chaetodon kleinii
Chelmon rostratus

Hirnausschalter
Wenn auch Falter- und Kaiserfische heutzutage also insgesamt nur noch eine kleine Nebenrolle im meeresaquaristischen Gesamtgeschehen spielen, so gibt es doch einige unter ihnen, die so schön sind, dass sie immer wieder dazu verführen, das Hirn auszuschalten, den Geldbeutel zu zücken und die Schönheit zu erstehen. Dazu gehören etliche Großkaiser (Pomacanthus spp. und Holacanthus spp.). Man kann diese Arten zwar ziemlich leicht pflegen, sie werden aber recht groß (zwischen 15 und 40 cm) und man muss stets mit Übergriffen auf die wirbellosen Mitbewohner rechnen. Eine weitere Art aus der Kategorie ”Hirnausschalter” ist der Pfauenkaiserfisch (Pygoplites diacanthus). Diese Art ist für viele Aquarianer der schönste Fisch überhaupt. Man sollte ihn aber wirklich nur bei erfahrenen Zoofachhändlern kaufen und sich auch vorführen lassen, dass er frisst. Gerade der Pfauenkaiser ist berüchtigt dafür, dass er sich lieber zu Tode hungert, als an Ersatzfutter zu gehen. In der Natur ernährt sich das Tier von Schwämmen. Die Eingewöhnung mit lebenden Schwämmen als Futter gelingt gewöhnlich gut, irgendwann fressen die meisten Tiere dann auch andere Nahrung, was sie sich von den übrigen Fischen im Aquarium abschauen. Aber es gibt auch viele Individuen, die nicht von ihrer Schwammkost ablassen wollen. Das geht auf die Dauer (dieser Fisch lebt leicht 10-15 Jahre im Aquarium) arg ins Geld. Man muss sich wirklich im Vorfeld über diese speziellen Ansprüche des Pfauenkaisers im Klaren sein und das Gehirn eingeschaltet lassen!

Pygoplites diacanthus, ein typischer Hirnausschalter und für viele Aquarianer der schönste Fisch überhaupt.

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Grundsätzliches zum Schluss
Angesichts der großen Artenfülle der Falter- und Kaiserfische ist es unerlässlich, sich zunächst über die spezifischen Ansprüche einer Art zu informieren, wenn man sie im Zoofachhandel sieht und der Wunsch entsteht, sie pflegen zu wollen. Ideal sind Jungtiere zur Eingewöhnung geeignet. Nach der pelagischen Phase im Plankton, die alle Arten während der Larvalentwicklung durch laufen, gehen sie mit (je nach Art) 2-4 cm Länge zum Leben in Bodennähe über. Das machen viele Arten nicht im Riff, sondern in Mangrovegebieten. In dieser Entwicklungsphase sind die jungen Fische sehr anpassungsfähig und gewöhnen sich meist gut im Aquarium ein. Auch als ”unhaltbar” geltende Arten sind in diesem Alter kaum problematisch. Leider kommen aber meist bereits recht große Exemplare in den Handel. 6-8 cm lange Tiere gewöhnen sich auch noch gut ein. Bei größeren Exemplaren ist das eine Frage der Individualität. Ein gewissenhafter Fachhändler wird Ihnen eine Fütterung demonstrieren, wenn Sie ernsthafte Kaufabsichten haben. Eine gute Wasserqualität vor allem eine niedrige Keimbelastung sollte allen Arten geboten werden. Früher hielt man diese Fische meist einzeln. Eine paarweise oder Gruppenhaltung ist aber zu bevorzugen. Dazu müssen aber alle Exemplare gleichzeitig eingesetzt werden. Paare sollten möglichst unterschiedlich groß sein, das vermindert die Aggressivität. Zwei erwachsene Männchen kann man nicht gemeinsam im Aquarium pflegen. Da Falter- und Kaiserfische sehr oft unter Wurmerkrankungen leiden, sollte man sich belesen und ggf. dagegen behandeln.

Pomacanthus navarchus
Pomacanthus xanthometopon

Frank Schäfer

Der Neonsalmler – ein Fisch, der die Welt veränderte

Man findet ihn in jedem Aquariengeschäft der Welt: den Neonsalmler, Paracheirodon innesi. Tausenden von Menschen verhilft er zum Lebensunterhalt, entweder, weil sie ihn züchten, oder, weil sie mit ihm handeln. Er steht für vieles, was die Aquaristik zu einer der schönsten Freizeitbeschäftigungen der Welt macht: Farbenpracht, spielerische Leichtigkeit der Unterwasserwelt, Frieden und Entspannung. Doch so alltäglich wie heutzutage war der Neonsalmler keineswegs immer…

Neonsalmler, wildfarbiger Aquarienstamm, Männchen

Wenn man heutzutage nach Iquitos in Peru will, steigt man einfach in einen Flieger und ist nach wenigen Stunden komfortabler Reise dort. In den 1930er Jahren dauerte eine solche Reise nicht nur viel länger, nämlich einige Wochen, sondern war auch erheblich strapaziöser und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Es gab kaum wirksame Medikamente gegen die mitunter tödlichen Tropenkrankheiten. Iquitos lag, man entschuldige die drastische Ausdrucksweise, am Arsch der Welt. Kein Wunder, dass dort keine Zierfischfänger unterwegs waren. Der Neonsalmler wurde nur durch einen Zufall entdeckt. Auguste Rabaut, Abenteurer und Naturaliensammler aller Art, war eigentlich Schmetterlinge sammeln, als eine Indiofrau ihn auf den Neonsalmler aufmerksam machte. Rabaut hatte genug Instinkt, hier ein Geschäft zu wittern.

Neonsalmler, wildfarbiger Aquarienstamm, Weibchen

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Luxuriöser Fischtransport
Obwohl Rabaut kein Aquarianer war und nur über höchst provisorische Transportmöglichkeiten verfügte, gelang es ihm, 13 Neonfische lebend nach Paris zu der Firma Lepant zu schaffen, wo sie von J. S. Neel in Empfang genommen wurden. Neel erfand den Namen Neonfisch. Die Tiere wurden für unfassbare 6.500 $ an die Deutschen Hugo Schnell und Walter Griem nach Hamburg verkauft. Das war 1935. Fünf dieser Tiere wurden im Juli 1936 mit dem Zeppelin „Hindenburg“ für das Shedd Aquarium in Chicago in die USA geschickt. Nicht ohne Hindernisse, denn der Transport lebender Tiere an Bord eines Luftschiffes war verboten. Walter Chute vom Shedd hatte Fred Cochu mit der Aufgabe betraut. Der löste sie, indem er die Kanne mit den Neonfischen als „Fischkonserve“ deklarierte. Von den fünf Tieren kam nur eines lebend in Lakehurst an, dem Luftschiffhafen, an dem die „Hindenburg“ ein Jahr später, also 1937, explodieren würde. Hier wurde der Neonfisch mit großem Presserummel empfangen und ging mit einer eigens gecharterten DC-3 der TWA weiter nach Chicago. Der Transport kostete 3.000 $ und war wohl der teuerste Fischtransport aller Zeiten.

Albino-Zuchtform des Neonsalmlers

Ein Fisch wird “getauft”
Doch der „letzte Mohikaner“ fand ein begeistertes Publikum und bekam endgültig seinen bis heute verwendeten Populärnamen: Neonsalmler. Wissenschaftlich beschrieben wurde der Neon 1936 von dem Amerikaner George Sprague Myers, einem der führenden Fischkundler seiner Zeit, der konservierte Tiere die er von William Thornton Innes III, dem Herausgeber der seinerzeit bedeutendsten amerikanischen Aquaristik-Zeitschrift, erhalten hatte. Innes wiederum hatte konservierte Tiere von Rabaut aus Paris mit der Bitte um Bestimmung erhalten. Es handelte sich also um Exemplare des Erstimportes. Myers benannte den Neon zu Ehren von Innes als Hyphessobrycon innesi. Der Fundort, den Rabaut selbstverständlich geheim hielt, wurde mit „Umgebung von Iquitos“ angegeben.

Schleierflossige wildfarbene Zuchtform des Neonsalmlers.

Wettlauf um einen Fisch
Es folgte ein Rennen. Jeder wollte diesen Wunderfisch haben. Der Import versprach gewaltige Gewinne. Und man ging davon aus, dass der Neon sich bald nachzüchten lassen und dann im Preis erheblich fallen würde. Nur die ersten, die ihn bekämen, würden ein großes Geschäft machen. Über diesen Wettbewerb wurde sogar zwei kleine Romane geschrieben: Werner Ladiges, Ichthyologe in Hamburg und langjähriger Mitarbeiter des Zierfischimporteurs „Aquarium Hamburg“, schrieb aus seiner Erinnerung die erregende Entdeckungsgeschichte des Neons auf: „Schwimmendes Gold vom Rio Ukayali“. Und Wolf Durian, der eines der schönsten Aquarienbücher aller Zeiten (Der See im Glas, 1951) verfasst hatte, widmete dem kleinen Juwel ebenfalls eine spannende Lektüre: „Die Glühköpfe“ (Hamburg, 1961) .

Die Deutschen gewannen übrigens das Rennen um den Neon…

Der Fisch will nicht schlüpfen
Doch der Neon erwies sich hinsichtlich der Zucht als eine schwer zu knackende Nuss. Die Fische laichten durchaus willig, doch die Eier entwickelten sich nicht. Dann kam der 2. Weltkrieg und die deutsche Aquaristik kam praktisch zum Erliegen und damit auch alle Zuchtversuche mit Neonsalmlern. Erst nach dem Ende des furchtbaren Krieges konnten sich die Aquarianer wieder Zuchtversuchen widmen. Man fand heraus, dass es die Kombination von sehr weichem Wasser (KH unter 0,3° dH), Huminsäuren, einem pH-Wert zwischen 6,2 und 6,8, relativ niedrigen Temperaturen (Laichtemperatur 23-24°C, Hälterungstemperatur 18-22°C) und Dunkelheit (der Laich ist äußerst lichtempfindlich) war, die für die erfolgreiche Zucht entscheidend ist. Stimmt auch nur einer der Parameter nicht, ist ein Zuchtversuch zum Scheitern verurteilt.

Schleierflosige Zuchtform des xanthoristischen Lutino-Neonsalmlers ”Mon Cherie”

Händewaschen nicht vergessen!
Doch nicht nur die Bedeutung der Wasserchemie für die Fischzucht erlernte man am Neonsalmler. Ein Sporentierchen, Plistophora hyphessobryconis, der Erreger der gefürchteten und bis heute unheilbaren „Neonkrankheit“ (sie befällt auch eine ganze Reihe anderer Fischarten, jedoch sind Neons besonders empfänglich) raffte ganze Bestände der kostbaren Fischlein dahin. Dieses Sporentierchen befällt die Skelettmuskulatur, die daraufhin abstirbt. Es zeigte sich, dass peinliche Hygiene bei der Aufzucht der Neons einzuhalten war, wenn man dieser Seuche Herr werden wollte. Und so entwickelten die Aquarianer Pflegeprotokolle für die Aufzucht von Neonsalmlern (regelmäßiges Absaugen des Bodengrundes, häufige Teilwasserwechsel), durch die die Neonkrankheit in den Griff zu bekommen war. Solche Pflegemaßnahmen sind für Sie ganz selbstverständlich? Damals war es das noch nicht! Es gab damals durchaus noch viele Anhänger der Altwasseraquaristik, die jeden Tropfen gereiften Aquarienwassers für kostbar hielten. Dass wir heute so viele empfindliche Arten routinemäßig im Aquarium pflegen und züchten können verdanken wir ganz wesentlich den an dem Neonsalmler gemachten Beobachtungen und Erfahrungen.

Xanthoristische Lutino-Zuchtform des Neonsalmlers ”Mon Cherie”.

Ungeklärte Familienverhältnisse
Wildfänge des Neonsalmlers kommen heutzutage kaum noch auf den Markt, 99,99% der gehandelten Tiere sind Nachzuchten. Dabei hat man in der Zwischenzeit sogar neue Vorkommen des zierlichen Tieres entdeckt. Außer den klassischen Fundorten am Ucayali sind auch Fangplätze am Rio Purus und am Rio Putumayo bekannt geworden. Ob diese bis zu 1500 km voneinander entfernten Populationen genetisch unterschiedlich sind, wurde bislang nicht untersucht. Es ist aber zu vermuten, denn in den letzten Jahren ist eine ganze Reihe von auffälligen Zuchtformen beim Neonsalmler entstanden, wie der „Diamondhead“, der ein leuchtendes Köpfchen und eine Ausdehnung der Rotfärbung des Bauches in den Rücken aufweist. Oder die goldfarben-transparenten Lutinos, die fast wie Geisterfische wirken. Diese Zuchtformen wurden auch bereits auf schleierflossige Tiere gezüchtet, deren Ursprung wohl in den 1980er Jahren liegt, was jedoch leider (wie von so vielen Zuchtformen) nicht in der Literatur dokumentiert ist. Jedenfalls ist ein gehäuftes Auftreten solch ungewöhnlicher Abweichungen oft ein Anzeichen dafür, dass verschiedene Arten, Unterarten oder Populationen gekreuzt wurden.


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Der Diamondhead-Neonsalmler ist eine sehr beliebte Zuchtform, die erst in den letzten Jahren entstand.

Ein “goldiger” Parasit
Keine Zuchtform und nur als Wildfang erhältlich ist der Goldene Neon. Die Goldstaubkrankheit ist eine Hautreaktion auf die Infektion mit den Larvenstadien parasitischer, wirtswechselnder Saugwürmer (Metacercarien). Viele Salmler bekommen das. Die Infektion an sich ist harmlos, vermutlich werden aber die goldfarbigen Fische leichter Opfer von fischfressenden Vögeln, den Endwirten der Würmer. Die Nachkommen von Gold-Neons sind immer Normalfarben, da sie ja nicht mit den Metacercarien infiziert sein können. Dazu müssten sie den Kot infizierter Vögel fressen, der Aquarianern aber nicht zur Verfügung steht. Darum kann man bei Gold-Neons immer davon ausgehen, dass es sich um Wildfänge handelt. Die goldenen Tiere behalten diese Färbung zeitlebens, sie sind durch die eingekapselten Metacercarien in keinster Weise behindert und können genauso alt werden, wie normalfarbige Artgenossen.

Neonsalmler mit der Goldstaubkrankheit. Solche Fische sind immer Wildfänge.

Dieser Fisch ist einfach verführerisch
Die Welt hat sich seit der Entdeckung des Neonfisches verändert. Iquitos besitzt einen internationalen Flughafen. Der Neonsalmler wurde in eine andere Gattung überführt und heißt jetzt Paracheiroden innesi. Die Aquarienkunde hat einen Wissensstand erreicht, dessen Ausmaß man sich in den 1930er Jahren nicht hätte träumen lassen. Doch eines hat sich in den 88 Jahren seit der Entdeckung des Neonfisches nicht geändert: er ist und bleibt einer der schönsten Fische der Welt und zahllose Aquarianer kamen durch den Wunsch, solche Juwelen bei sich zuhause zu pflegen zum Hobby. Hoffen wir, dass es noch lange so bleibt!

Schleierflossige Zuchtform des Diamondhead-Neonsalmlers
Die besondere Farbverteilung des Diamondhead-Neonsalmlers ist in dieser Perspektive besonders gut zu erkennen.

Frank Schäfer

Literatur:

Durian, W. (1951): Der See im Glas. Ein Aquariumbuch für Jung und Alt. Schmidt, Berlin

Durian, W. (1961): Die Glühköpfe. Kinderbuchverlag, Berlin

Ladiges, W. (1973): Schwimmendes Gold vom Rio Ukayali. Wuppertal, 85 pp.

Voigt, W. (2005): Auguste Rabaut. Das Aquarium 428: 4-5

Warecka, W. (o.J.): Bunte Amazonienser erobern die Welt. Kataloge des OÖ. Landesmuseums. Neue Folge Nr. 61: 495-498

Ist Inzucht schädlich?

Nur wenige Begriffe in der Tier- und Pflanzenzucht sind so negativ besetzt wie der der Inzucht. Was ist eigentlich Inzucht? Man bezeichnet damit die sexuelle Fortpflanzung nahe miteinander verwandter Individuen. Gewöhnlich spricht man nur von Inzucht, wenn es sich um Verwandte ersten bis höchstens dritten Grades handelt. Eltern-Kind-Verpaarungen bezeichnet man zusätzlich als Inzestzucht.

Beim Breitmaulnashorn besteht eine starke angeborene Inzuchthemmung. Es war für die Zucht in Zoologischen Gärten wichtig, das zu erkennen, denn jung gemeinsam aufgezogene Tiere züchten nicht, sondern schalten auf „Geschwistermodus“, auch wenn sie überhaupt nicht miteinander verwandt sind.

Inzucht gilt als schädlich und auch als moralisch bedenklich. Warum eigentlich? Schließlich haben alle Angehörige einer Art letztendlich den gleichen Vorfahren, Arten könnten auch in der Natur gar nicht entstehen, würden sich nicht nahe verwandte Individuen miteinander paaren und so die neuen, arttypischen Merkmale, die während der Artbildung alternativ durch Mutationen oder Hybridisierung entstehen, festigen. Es gäbe keine einzige Haustierform ohne Inzucht, Rassenreinheit gar ist ohne enge Inzucht unmöglich zu erreichen.

Der Hund ist die am längsten domestizierte Tierart und stammt vom Wolf ab. Sämtliche Hunderassen entstanden durch strenge Inzucht.

Die Ablehnung der Inzucht beruht, pseudo-objektiv gesehen (wir sind nun einmal Subjekte und unsere Betrachtung der Dinge ist darum zwangsläufig immer subjektiv), auf der durch Inzucht steigenden Wahrscheinlichkeit, dass sich genetisch bedingte Krankheiten oder andere unerwünschte Gendefekte, die z.B. Schwachsinn oder körperliche Missbildungen hervorrufen, einstellen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch das Umgekehrte, nämlich die Verstärkung erwünschter, als positiv empfundener Eigenschaften, wie körperliche Stärke, Schönheit oder besonders hohe Intelligenz, kann durch Inzucht hervorgerufen werden. Auf dieser Grunderkenntnis beruhte der in früheren Jahrtausenden und Jahrhunderten eingeforderte Herrschaftsanspruch des Adels. Innerhalb adeliger Kreise, die durch strenge Heiratspolitik zumindest versuchten, ihr „Blut rein zu erhalten“, also möglichst eng inzuzüchten (in der Praxis funktioniert das nicht ganz so gut, Kuckuckskinder gibt und gab es seit jeher in allen gesellschaftlichen Gruppen), führte man den Herrschaftsanspruch über die Mitmenschen entweder darauf zurück, dass Götter oder zumindest Halbgötter irgendwo in der Ahnenreihe auftauchten, oder dass bestimmten Familien (in Religionen, die eine physische Einmischung der Unsterblichen in die menschliche Sexualität als unwahrscheinlich ansehen) den göttlichen Auftrag zu herrschen erhielten und der wäre gefährdet, wenn man sich unter Stand fortpflanzte.

Nach adeliger Vorstellung haben göttliche Kräfte ihre Finger im Spiel, wenn es um den Herrschaftsanspruch geht.

Darum war es z.B. unter den ägyptischen Pharaonen, die sich selbst als auf Erden weilende, sterbliche Götter sahen, absolut üblich, Geschwister zu heiraten und mit ihnen Kinder zu haben. In dünn besiedelten, schwer zugänglichen Regionen, in die es auch kaum wandernde Volkgruppen verschlug, zeigte sich allerdings oft die negative Seite der Inzucht beim Menschen, was gelegentlich zu zynischen Späßen Anlass gab.

Deformationen, wie hier der Wirbelsäule, werden oft mit Inzucht in Verbindung gebracht. Das abgebildete Tier ist ein Wildfang.

All das ist jedoch gar nicht oder nur sehr bedingt auf Tiere und Pflanzen  übertragbar. Kaum eine Organismengruppe hat eine so lange Kindheit wie der Mensch, pflanzt sich so langsam und in so hohem Alter fort. Biologisch nennt man eine derartige Fortpflanzungsstrategie übrigens eine K-Strategie. Bei Fischen z B., die fast ausnahmlos der Fortpflanzungsstrategie folgen, möglichst viele Nachkommen in die Welt zu setzen, von denen gewöhnlich mehr als 99,9 % vor dem Eintritt der Geschlechtsreife zugrunde gehen (so genannte r-Strategen), fallen erbgeschädigte Individuen kaum auf. Sie werden schlicht nicht groß. Man kann pauschal sagen, dass r-Strategen kaum Inzucht-Probleme haben. Zu den r-Strategen zählen praktisch alle für die Aquarien- und Terrarienpflege und -zucht in Frage kommenden Tier- und Pflanzenarten. Am anschaulichsten wird das bei Zuchtformen, denn wie eingangs schon erwähnt, können die ohnehin nur durch stenge Inzucht, oft sogar nur durch Inzestzucht, erhalten werden. Das funktioniert, wie manche Goldfisch-Varianten zeigen, schon seit mehreren Jahrhunderten sehr gut. Aber auch Goldorfen und Goldschleien gibt es schon 400-500 Jahre, ohne dass jemals wildfarbene Tiere oder gar Wildfänge in die Stämme eingekreuzt würden und gleiches gilt für etliche Karpfenformen.

Die Goldorfe wird seit dem Mittelalter in Inzucht gezüchtet.

Unter den Aquarienfischen sind es z.B. Blaue Fadenfische (sie basieren auf einer Mutation, die 1933 auf Sumatra auftrat), die seit der Entdeckung kontinuierlich weitergezüchtet werden. Weitere Beispiele solcher Langzeitzüchtungen von Zierfischen, die es in freier Natur nicht gibt, sind Albino-Makropoden, Schleierkampffische, Brokatbarben oder Schleierguppys. In anderen Fällen mussten Zierfische über Dekaden ohne „Blutauffrischung“ gezüchtet werden – und wurden es auch erfolgreich – weil ihre Herkunft nicht bekannt war, z.B. Schwarze Makropoden, Odessabarben oder Rote Spitzschwanzmakropoden, oder weil sie in der Natur ausgestorben sind oder zumindest so selten sind, dass ein kommerzieller Fang nicht lohnt. In diese Kategorie fallen zum Beispiel der Rote von Rio und der Blinde Höhlensalmler. Wieder andere Arten sind als Wildfänge deutlich kleiner und nicht so farbenprächtig wie die Aquariennachzuchten. Hier sind vor allem Zwergcichliden aus Südamerika zu nennen. Beim Schmetterlingsbuntbarsch gab es zu DDR-Zeiten auch Stämme, die speziell für Hartwassergebiete mit alkalischem pH-Wert gezüchtet wurden, also physiologische Zuchtformen.

Vom Schmetterlingsbuntbarsch gibt es zahlreiche Zuchtformen, die sich sowohl äußerlich wie auch physiologisch unterscheiden. Alle entstanden durch Inzucht.

Was passiert eigentlich bei der Inzucht? Grundsätzlich werden, gemäß der Mendelschen Regeln, rezessive Gene, also Gene, die verdeckte Eigenschaften vererben, in kurzer Zeit, nach 3-4 Inzuchtgenerationen, sichtbar. Darum tauchen bei Arten, bei denen der Wildfanghandel verboten wird, die jedoch eine gewisse Liebhaberschaft haben, relativ schnell Farbmutanten, wie Albinos, Lutinos, Melanos etc. auf. Da Züchter großwüchsige, farbenprächtige Nachzuchten gegenüber blassen „Mickerlingen“ stets bevorzugen, werden Zierfische unter Inzuchtbedingungen (man kann pauschal sagen, sämtliche Aquarienfischbestände, die regelmäßig als Nachzucht im Angebot des Zoofachhandels zu finden sind (das sind 70-80% aller gehandelten Süßwasserzierfische), sind grundsätzlich Inzuchtstämme, Ausnahmen sind so selten, dass man sie hier außer Acht lassen kann) im Allgemeinen größer, schwerer und bunter als die Wildfänge. Das steht in Wiederspruch zu Aussagen in alten Aquarienbüchern, ist aber trotzdem wahr. Wenn heutzutage einmal Wildfänge von seit Jahrzehnten gezüchteten Fischen auftauchen, etwa Schwarzen Phantomsalmlern, so sind diese Unterschiede meist sehr augenfällig. Die Wildfänge sind in einer Größe voll ausgefärbt und geschlechtsreif, in der bei ihren Aquarienvettern noch nicht einmal die Geschlechter erkennbar sind. Und bei vielen Apistogramma-Arten sind bereits nach wenigen Generationen so prächtige Exemplare entstanden, dass Laien die mausgrauen Wildfänge kaum als die gleiche Art erkennen.

Männchen des Aquarienstammes des Schwarzen Phantomsalmlers
Wildfangmännchen des Schwarzen Phantomsalmlers

Nach einiger Zeit der Linienzucht geschieht bei allen Inzuchtstämmen etwas, das man als die Passage des „genetischen Flaschenhalses“ bezeichnet. Die genetische Vielfalt nimmt dann so stark ab, dass es zum gehäuften Ausbruch von Erbkrankheiten kommt. Man nennt das die „Inzuchtdepression“. Ganz praktisch geht diese Inzuchtdepression in der Zierfischzucht gewöhnlich mit einer erhöhten Embryonensterblichkeit einher. Bei in großer Stückzahl gefragten, beliebten Fischarten ist das nicht sehr problematisch, die Inzuchtdepression relativ rasch überwunden. Hat der Stamm erst einmal den genetischen Flaschenhals passiert – was spätestens nach weiteren 2-3 Generationen der Fall ist – hört die Embryonensterblichkeit wieder auf, der Stamm wird wieder voll vital. Aber bei den so genannten Raritäten, also solchen Arten, für die es nur einen kleinen, speziellen Liebhaberkreis gibt, ist der genetische Flaschenhals oft das Ende der Art im Aquarium. Solche Raritäten werden gewöhnlich exzessiv gezüchtet, d.h. der Züchter zieht von der Art nur einige wenige Exemplare pro Generation auf, die der Bestandssicherung dienen sollen, da für größere Mengen keine Abnehmer zu finden sind. Gerät der Stamm aber in den genetischen Flaschenhals, reicht das nicht, dann muss man alle lebensfähigen Jungtiere aufziehen, sonst erhält man höchstwahrscheinlich nicht mehr ausreichend viele Zuchttiere für die nächste Generation. Leider lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen, in welcher Generation der genetische Flaschenhals zu einer Inzuchtdepression führt. Nach meinen persönlichen Erfahrungen – hauptsächlich mit Labyrinthfischen – ist das meist in der siebten bis achten Folgegeneration einer Linienzucht der Fall.

Wildfangmännchen des Roten Spitzschwanzmakropoden. Nach meiner Erfahrung kommt es bei dieser Art in der siebten oder achten Generation zur Inzuchtdepression.

Der genetische Flaschenhals ist keine Erscheinung, die sich auf in Gefangenschaft gehaltene Tiere oder Pflanzen beschränkt. Er tritt auch in der Natur auf. Prominentes Beispiel ist der Gepard. Diese Großkatze ist in prähistorischer Zeit durch einen so engen genetischen Flaschenhals gegangen, dass heutzutage alle existierenden Exemplare einander uneingeschränkt als Transplantationspartner dienen können. Das geht in diesem Grad beim Menschen nur bei eineiigen Zwillingen, also genetischen Klonen! In der Natur ist der genetische Flaschenhals aber trotzdem der Hauptgrund für das Aussterben wildlebender Arten. Man darf ja nicht vergessen, dass r-Strategen mit Unmengen von Fressfeinden, Krankheitserregern und negativen Umweltfaktoren (z.B. Futtermangel) zu tun haben und dass genau deshalb gewöhnlich weniger als eins von tausend geborenen Jungtieren selbst die Geschlechtsreife erreicht. Sinkt eine Population einer wildlebenden Art bezüglich der fortpflanzungsfähigen Individuenzahl aufgrund fehlender Lebensräume unter einen kritischen Wert stirbt sie darum gewöhnlich unrettbar aus, da die während der Passage des genetischen Flaschenhalses produzierten lebensfähigen Nachkommen nicht ausreichen, um die hohen Verluste auszugleichen. U.a. deswegen ist Individuenschutz ein völlig ungeeignetes Mittel, bedrohte Kleintierarten (die ausnahmslos r-Strategen sind) zu schützen und genau deshalb sterben trotz aller Fang- und Haltungsverbote und Umsiedlungsmaßnahmen so viele Arten aus, wie man an der mitteleuropäischen Fauna und Flora so erschütternd sieht, die ja ausnahmslos (soweit es die Arten betrifft, die auch nur im Entferntesten eine Attraktivität für die private Pflege und Zucht haben) seit der Berner Konvention (1982) einem strengen Fang- und Sammelverbotverbot unterliegen.

Der Gepard ging in prähistorischer Zeit durch einen engen genetischen Flaschenhals.

Trotz teils winziger Gründerpopulationen und des Phänomens des genetischen Flaschenhalses mit der daraus folgenden Inzuchtdepression können auch hochgradige Inzuchtstämme in der Natur sehr vital und expansiv sein, wenn die Lebensräume intakt sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gambuse, ein lebendgebärender Zahnkarpfen aus den USA, der im südlichen Europa zur Moskitobekämpfung ausgesetzt wurde. Die Milliarden heutzutage existierender, sehr expansiver und invasiver Gambusen im südlichen Europa gehen tatsächlich auf nur 12 Exemplare zurück, die 1921 aus Nord-Carolina nach Spanien gebracht wurden. Auch bei größeren Tieren mit einer vergleichsweise geringen Vermehrung konnten schon kleine Gründerpopulationen riesige, Millionen von Nachkommen umfassende Populationen aufbauen, so beim Waschbären, dessen in Deutschland lebende Population auf die überlebenden Tiere einer im Zweiten Weltktrieg zerstörten Pelztierfarm zurückzuführen ist, oder beim Goldhamster, dessen komplette Weltpopulation in Gefangenschaft auf einer initialen Inzestpaarung eines Wildfangweibchens und dessen Sohn beruht.

Gambusen

Bei Arterhaltungs-Zuchtprogrammen ist man sehr besorgt, Inzucht zu vermeiden, um eine möglichst große genetische Vielfalt zu erhalten, die bei einer eventuellen Auswilderung – so glaubt man – entscheidend für die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen, Krankheitserreger etc. sein könnte. Allerdings zeigte sich bislang dort, wo man aus der Not heraus – einfach, weil zu wenige Exemplare einer aussterbenden Tierart übrig waren, um auch nur auf ein einziges Nachzuchttier egal welchen Inzuchtgrades verzichten zu können und die Gründerpopulation winzig war – dass die Inzuchtdepression in Gefangenschaft sogar bei K-Strategen überwindbar ist. Berühmte Beispiele sind der Kalifornische Kondor, der Davidshirsch, der Wisent oder das Prezwalski-Pferd. Ausgewilderte Exemplare dieser Arten sind überlebensfähig und bauen neue Populationen auf. Das Prezwalski-Pferd ging dabei übrigens schon durch seinen zweiten genetischen Flaschenhals. Wie 2018 bekannt wurde, ist es nämlich gar keine Wildpferdart, sondern eine verwilderte Haustierform. Diese Haustierform war die erste bisher bekannte domestizierte Pferderasse einer noch nicht identifiztierten Wildform, die vor etwa 5.500 Jahren in der so genannten Botai-Kultur als Fleisch- und Milchlieferant gezüchtet wurde. Nach dem Untergang der Botai-Kultur verwilderte dieses Pferd wieder, war aber, wie alle Haustiere, bereits durch einen genetischen Flaschenhals gegangen. Die heute lebenden Pferderassen, das nur am Rande, sind das Ergebnis einer zweiten, von der Botai-Kultur unabhängigen Domestikation einer ebenfalls noch nicht identifizierten Wildpferdart.

Das Prezwalski-Pferd galt bis 2018 als letzte überlebende Wildpferdart Eurasiens. Erst jetzt wurde erforscht, dass es sich in Wirklichkeit um eine verwilderte Haustierform handelt.

Die Erhaltungszucht von Zierfischen, von Tieren und Pflanzen allgemein, scheitert grundsätzlich nicht an Inzucht, das kann man mit einiger Sicherheit sagen. Inzucht führt jedoch zu einer genetischen Verarmung, weshalb es uns zumindest unter Hobby-Bedingungen kaum gelingen kann, die volle Bandbreite der äußeren Erscheinungsformen, sprich, der natürlichen Variabilität der Art, die selbst innerhalb einer Population erheblich sein kann, dauerhaft zu erhalten. Bei Männchen sehr vieler Apistogramma-Arten (und auch bei anderen Buntbarschen) gibt es z.B. einen Polychromatismus. Kein Züchter wird die grauen, farblosen Morphen weitervermehren, es findet immer, ob bewusst oder unbewusst, eine Auslese hin zu schönen, bunten Männchen statt. Auch bei vielen Lebendgebärenden Zahnkarpfen gibt es ein genetisch bedingtes Phänomen, das der Früh- und Spätmännchen. Frühmännchen werden schon wenige Wochen nach der Geburt geschlechtsreif, sind klein, weniger bunt und meist bestehen Würfe von Weibchen, die von Frühmännchen befruchtet wurden, vorwiegend aus Weibchen. Bei den prächtigen, großwüchsigen, oft erst im Alter von einem halben Jahr oder noch später geschlechtsreifen Spätmännchen ist es umgekehrt. Selbst wenn der Züchter bei der Zusammenstellung von Zuchttieren nicht aktiv eingreift, so tun es die Weibchen, die Spätmännchen bevorzugen.

Bei Apistogramma gibbiceps kommen, wie bei vielen Apistogramma-Arten, unterschiedliche Farbformen gemeinsam in einer Population vor, wie diese beiden Wildfangmännchen zeigen. Ein derartiger Polychromatismus ist bei Erhaltungszuchten kaum durchzuhalten, es findet in der Praxis immer eine Auslese zu Gunsten der als schöner empfundenen Tieren statt.

Die Bedeutung der Erhaltungszucht von Kleintieren unter Hobbybedingungen liegt weniger im Art-Erhalt von vom Aussterben bedrohten Tierarten. Hier können Hobbyisten zwar Erstaunliches leisten – und haben das auch schon sehr oft bewiesen – aber der Fokus des Artenschutzes muss endlich weggeleitet vom Individuum werden und hin zum Erhalt des Ökosystems, in dem die Art lebt; sonst bleiben alle Artenschutzbemühungen auf lange Sicht erfolglos. Die Bedeutung der Erhaltungszucht von Kleintieren in menschlicher Obhut liegt vielmehr darin, Erkenntnisse über die Arten zu gewinnen, die man von freilebenden Tieren niemals gewinnen kann. Unter diesem Aspekt spielt Inzucht eine untergeordnete Rolle. Per se ist Inzucht nicht schädlich. Man muss allerdings wissen, was sie bewirkt, um bei negativen Auswirkungen gegensteuern zu können.

Frank Schäfer


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