Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania” – nicht nur schön, sondern auch friedlich

Die Gattungseinteilung bei den Haplochromis-artigen Bunt­barschen des Malawisees war jahrzehntelang ein riesiges Problem. Eine Gattung soll eine natürliche phylogenetische Einheit darstellen, also vom Standpunkt des Evolutionsgeschehens ( = der Entwicklung von Arten) einerseits einen gemeinsamen Vorfahren haben, andererseits soll die Abspaltung vom gemeinsamen Vorfahren noch nicht so lange zurückliegen, dass die gegenwärtig lebenden Arten einander zu stark unähnlich sind. Jeder systematisch arbeitende Zoologe weiß, dass jede besonders gut definierte Art genug Merkmale aufweist, um darauf eine eigene Gattung zu begründen. Jedoch ist eine solche Vorgehensweise nicht zielführend; denn das zoologische System soll möglichst übersichtlich Verwandtschaftsverhältnisse darstellen. Dafür sind Massen monotypischer ( = nur eine einzige Art enthaltende) Gattungen ebenso wenig hilfreich wie riesige, hunderte von Arten enthaltende Sammelgattungen. Es bedarf also viel Erfahrung und einigen Fingerspitzengefühls, um hier einen gesunden, praktikablen und vor allem von möglichst vielen Zoologen akzeptierten Weg zu finden. Denn auch das darf man nicht vergessen: jeder einzelne Wissenschaftler (m/w/d), egal ob studierter Profi oder interessierte Laie, ist frei in der Entscheidung, ob eine vorgeschlagene Gattungseinteilung übernommen wird oder nicht. Es handelt sich dabei um einen echten basisdemokratischen Prozess.

Placidochromis phenochilus Mdoka

Das Melanophorenmuster als Gattungskriterium

Die Anzahl der Arten, die man bis in die 1980er Jahre unter „Haplochromis“ zusammenfasste, war in die Hunderte gestiegen. Dabei war bereits damals durchaus klar, dass sie unterschiedliche Entwicklungslinien darstellten, man fand nur keine anatomischen Merkmale, die eine Aufteilung in verschiedene Gattungen nachvollziehbar gerechtfertigt hätten. Dann überprüften David Henry Eccles und Ethelwynn Trewavas eine These, die Jacques Voss 1977 für tilapiine Buntbarsche aufgestellt hatte, nämlich ob das Farbmuster der männlichen Buntbarsche nicht der treibende Motor der Artbildung sei und zur Gattungsunterscheidung tauge. Eccles und Trewavas fanden, dass die schwarzen Grundmuster (Melanophorenmuster), die gewöhnlich auch bei konservierten Exemplaren erhalten bleiben, neben einigen anatomischen Merkmalen gut bei den haplochrominen Buntbarschen des Malawisees als gattungstypische Kriterien herangezogen werden können, die nicht zu den Mbuna (Felscichliden, also die Pseudotropheus und Co.) gehören.

Das gattungstypische Melanophorenmuster – also die dunklen, senkrechten Streifen – sind bei diesem Placidochromis sp. „Jalo Reef“ gut zu erkennen.

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Die Gattung Placidochromis

Dieser Gattung, die sich nach Eccles und Trewavas von anderen, ähnlichen Haplochrominen des Malawisees hauptsächlich durch das Fehlen waagerechter Melanophorenmuster unterscheidet, umfasste ursprünglich neben der Typusart (Haplochromis longimanus Trewavas, 1935) noch die Arten P. milomo, P. subocularis. P. johnstoni, P. stonemani, P. hennydaviesae und P. electra. Davon sind heute noch Placidochromis electra (Burgess, 1979), Placidochromis hennydaviesae (Burgess & Axelrod, 1973), Placidochromis johnstoni (Günther, 1894), Placidochromis milomo Oliver in Eccles & Trewavas, 1989 und Placidochromis subocularis (Günther, 1894) Mitglieder von Placidochromis, ausgegliedert wurde Aulonocara stonemani (Burgess & Axelrod, 1973), neu hinzugekommen sind Placidochromis polli (Burgess & Axelrod, 1973), den Eccles und Trewavas zu Lethrinops gestellt hatten, Placidochromis phenochilus (Trewavas, 1935), dessen Gattungszugehörigkeit Eccles & Trewavas für unsicher hielten, und 35 (!) neue Arten, die M. Hanssen 2004 beschrieb. diese Arten kommen alle in tieferen Bereichen des Sees (50 Meter und tiefer) vor und spielen aquaristisch keine Rolle. Aber wer denkt, damit sei das Ende der Fahnenstange erreicht, der irrt. Konings führt in der 5. Auflage seines „Malawi Cichlids in their natural habitat“ weitere Tiefenarten auf, die allesamt nur provisorische Namen habe und beziffert die Anzahl der Arten dieser Gruppe mit 47. Aber damit nicht genug. Trotzdem eine zweifelsfreie Zuordnung zu Placidochromis bei manchen felsenbewohnenden Arten nicht möglich ist, gehören nach Konings „blue otter“, „jalo“, „mbamba“ und „chinyankwazi“ zumindest in deren unmittelbare Nähe. Und dann gibt es noch weitere Arten, die P. electra nahestehen und solche, die man zu einer Artengruppe P. phenochilus zusammenfassen könnte.

Die weißen Lippen sind arttypisch für P. phenochilus.

Haplochromis phenochilus

So richtig „offiziell“, also in einer speziell dafür angelegten Publikation, wurde H. phenochilus nie in die Gattung Placidochromis überführt. Eccles & Trewavas stuften ihn als „incertae sedis“ ein, also als ungewiss zuzuordnen. Leider lässt sich das Melanophorenmuster ausgerechnet bei dem 1935 beschriebenen Typus­exem­plar von Haplochromis pheno­chilus Trewavas nicht erkennen, so dass seine korrekte Gattungszuge­hörigkeit bis heute ungeklärt ist. Ad Konings plaziert die Art in Placidochromis mit dem Hinweis, dass die Übereinstimmungen mit P. electra nicht zu übersehen sind. Aktuell werden von Konings (2016, 5. Auflage von „Malawi Cichlids in their natural habitat“) folgende Arten zur engeren Verwandtschaftsgruppe des Placidochromis phenochilus gestellt: Der eigentliche P. phenochilus ist nach Konings auf den nördlichen Teil des Sees beschränkt; Mdoka, Chesese und Chirwa Island sind bekannte Fundorte. Die weißen Lippen sind arttypisch, Männchen ab 6 cm Länge sind bei Mdoka schon voll ausgefärbt. Der Anlass für diesen Blog, also P. cf. phenochilus „Tanzania“ kommt an der Ostküste des Malawisees zwischen Makonde und Lupingu vor, außerdem am gegenüberliegenden Ufer bei Kasinda. Dann gibt es noch den „phenochilus Gissel“, den Carsten Gissel an der Ostküste zwischen Gome und Ntekete entdeckte, wo er gemeinsam mit P. electra lebt. Und schließlich erwähnt Konings einen dunklen, phenochilus-artigen Cichliden, den George Turner bei einem Trawl bei Metangula (Mosambik) erbeutete, über den aber ansonsten nichts bekannt wurde.

Jüngeres Exemplar von P. phenochilus.

Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“

Zu den Besonderheiten des „Phenochilus Tanzania“ gehört es, dass die Männchen ab einem Alter von 1-2 Jahren damit beginnen, weiße Schuppen im Farbkleid auszubilden. Im Alter von ca. 4 Jahren sind die Tiere voll ausgewachsen und ihre Färbung abge­schlossen. Ähnlich wie Cyrtocara moorii, der Malawi-Beulenkopf, entwickeln die voll aus­ge­wachsenen Männchen von Placido­chromis cf. phenochilus “Tanzania“ einen Stirnbuckel, der allerdings bei weitem nicht so imposant ist.

Erwachsenes Männchen von P. cf. phenochilus „Tanzania“. Photo: Erwin Schraml

Die wunderschönen Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“, die meist als deutsche Nachzuchten angeboten werden, gehören unzweifelhaft zu der Gattung Placidochromis und höchst­wahr­scheinlich zur Art phenochilus, doch sollte man bis zu der wissenschaftlichen Klärung dieser Frage lieber die in der Überschrift verwendete Schreibweise als Artbezeichnung benutzen. Dabei bedeutet das „cf.“ „confer“. Das ist Latein und bedeutet „vergleichen“. Damit sagt man, dass die mit cf. bezeichnete Art zwar zu der genannten Spezies sehr ähnlich ist, dass man aber nicht sicher ist, ob es sich wirklich darum handelt.

Junges Männchen von Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“. Die Ähnlichkeit zu P. electra ist auffallend.

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Interessantes Verhalten

Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ gehört zu den friedlichsten Malawi-Bunt­barschen. Er wird etwa 17 cm lang (Männ­chen, Weibchen bleiben kleiner). In der Natur betätigt er sich als „Verfolgerfisch“, das bedeutet, er schwimmt im Gefolge großer, den Boden durchwühlender Buntbarsche wie Fossorochromis oder Taeniolethrinops und schnappt sich aufgescheuchte Kleintiere und sonstige Nahrungspartikel, die für die großen Burschen nicht interessant sind. Da dieses Verhalten kein Revierverhalten er­fordert, können Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ es sich leisten, mit Art­genossen und fremden Fischen friedlich umzugehen.

Junges Weibchen von Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“.

Vergesellschaftung

Bereits Jungtiere dieser Art sind ausgesprochen schön gefärbt, wie den Bildern zu entnehmen ist. Gemäß ihres friedlichen Temperamentes darf man diese Fische nicht mit aggressiven Mbunas ver­gesellschaften. Andere Utakas (so nennt man die Buntbarsche des Malawisees, die nicht an den Felsenküsten vorkommen) oder Aulono­cara-Arten sind die richtige Gesellschaft. Besonders interessant ist die gemeinsame Pflege mit den großen Buddlern, also Fossorochromis oder Taeniolethrinops. Dazu braucht man wirklich große Aquarien, die mit Sandflächen eingerichtet werden. Aber die herrlichen Fische sind diesen Aufwand zweifellos wert und die Beobachtung einer solchen Gesellschaft erst recht!

Frank Schäfer

Ansorges Flösselhecht (Polypterus ansorgii) – Versuche, einen Mythos zu entschleiern

Es gibt mythische, legendäre Tierarten. Manchmal weiß man gar nicht, ob sie existieren oder nur der Fantasie entsprungen sind, wie der Yeti oder das Monster von  Loch Ness. Mit der  Erforschung solcher Phänomene beschäftigen sich Kryptozoologen. Manchmal finden sie dann  neue Tierarten, deren Existenz niemand erwartet hätte, wie das Zwergflusspferd, das Okapi oder den Kongopfau.

Die Entdeckung des Kongopfaus (Afropavo congensis) im Jahr 1936 war eine Weltsensation.

Im Falle von Ansorges Flösselhecht, Polypterus ansorgii, liegen die Dinge etwas anders. Von ihm gab es immerhin drei konservierte Exemplare, die BOULENGER 1910 als Grundlage zur  Beschreibung der Art dienten. Alle drei Exemplare waren zusammen im Fluss Corbal bei  Tchitoli in Portugiesisch-Guinea (heute: Guinea Bissau) gefangen worden. Als ich 2004 mein Buch über Flösselhechte veröffentlichte, waren das die drei einzigen mir bekannten Exemplare. Sie liegen heute in den Museen von Wien (zwei Tiere) und London (ein Exemplar). Ich untersuchte sie im Zuge meiner Buchrecherche und hatte damals den leisen Verdacht, es könnte sich bei den drei Tieren um  Hybriden, also Kreuzungstiere anderer Arten, oder eine selten auftretende Farbmutante der Art Polypterus bichir handeln, weil seither keine weiteren Tiere gefunden werden konnten. Ein Mythos baute sich vor allem auch deshalb um Polypterus ansorgii auf, weil man glaubte, es handele sich um eine Zwergart, die nicht wesentlich länger als 20 cm würde.

Zwei der Typenexemplare von Polypterus ansorgii.

Während der Vorbereitung der Erstbeschreibung von Polypterus mokelembembe im Afrika-Museum in Tervueren (Belgien) fand ich zwei weitere Tiere, die C. B. POWELL 1991 in Nigeria gesammelt hatte (eines im Orashi River bei Odieke, eines im Isemu Lake) und die Guy TEUGELS als P. ansorgii bestimmt hatte; dieser Ansicht war ich auch! Aber in ihrer wissenschaftlichen Revision der Gattung Polypterus ordnen Moritz & Britz 2019 diese Tiere P. bichir zu. Die beiden nigerianischen Tiere waren – genau wie die der Typusserie – relativ klein, nur etwa 20 cm lang. Leider habe ich die Bilder, die ich von diesen Tieren machte, verlegt. Ich ordne gerade das Dia-Archiv neu und irgendwie sind sie dabei in einer falschen Ablage gelandet. Sollte sie wieder auftauchen, reiche ich sie nach. Soweit ich mich erinnere hatten diese nigerianischen Exemplare noch gut ausgebildete äußere Kiemen.

Importbemühungen
Ich bemühte mich nun wieder verstärkt darum, doch einmal lebende Exemplare dieser Art zu erhalten, um sie näher studieren zu können. Leider waren meine Bemühungen lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Meist handelte es sich bei den als P. ansorgii angebotenen Fischen um P. bichir, einen engen Verwandten dieser Art.

Bis heute sind Polypterus ansorgii und P. bichir nur schwer auseinanderzuhalten. Ein ganz wesentlicher Unterscheidungspunkt war in der ichthyologischen Fachliteratur stets die Kieferanatomie. Es galt: bei P. ansorgii seien Ober- und Unterkiefer etwa gleich lang, bei P. bichir sei der Unterkiefer signifikant länger als der Oberkiefer. Moritz & Britz zeigten in ihrer Studie aus dem Jahr 2019, dass dieses Merkmal sich bei den Polypterus-Arten mit 13-15 Rückenflösseln (das sind außer P. ansorgii und P. bichir noch P. congicus und P. endlicherii, in P. laparadei sehen Moritz & Britz ein Synoym zu P. bichir) mit dem Alter ändert. Die beiden Autoren diagnostizieren P. ansorgii wie folgt: „Polypterus ansorgii differs from P. bichir by fewer scales in lateral series (54-56 vs. 55-70), fewer scales around body (43-45 vs. 43-54) and smaller adult size (maximum recorded size 313 mm SL vs. 750); in specimens between 150 and 200 mm SL, external gills usually completely reduced in P. ansorgii (vs. present in most specimens of P. bichir).“ Hier meine Übersetzung dieser Passage: „Polypterus ansorgii unterscheidet sich von P. bichir durch weniger Schuppen in den seitlichen Reihen (54-56 vs. 55-70), weniger Schuppen um den Körper (43-45 vs. 43-54) und eine geringere Größe der erwachsenen Tiere (maximale Größe 313 mm SL vs. 750); bei Exemplaren zwischen 150 und 200 mm SL sind die äußeren Kiemen bei P. ansorgii in der Regel vollständig reduziert (vs. vorhanden bei den meisten Exemplaren von P. bichir).“

Grundsätzlich hat P. bichir also mehr Schuppen und wird größer, aber die zählbaren Werte überlappen und – was Moritz und Britz nicht wissen konnten – P. ansorgii kann tatsächlich größer als 35 cm werden, dazu weiter unten mehr. Ein anderes Autorenteam, Suzuki et al, untersuchte 2010 die Phylogenie der Polypteridae anhand mophologischer und mitochondrialer DNS-Untersuchungen. Ihre Tiere stammte alle aus dem Handel, da liegt ein großes Problem, denn die richtige Artbestimmung ist bei kommerziellen Importen keineswegs gesichert. Wie dem auch sei, für Polypterus ansorgii geben Suzuki et al. 57 Rückenwirbel, für P. bichir 60-67 Rückenwirbel an. Sowohl anatomische wie auch molekulare Befunde dieser Arbeitsgruppe legen nahe, dass es sich bei P. ansorgii um eine gute Art handelt, die sich von P. bichir unterscheiden lässt.

Bleibt die Färbung als Unterscheidungsfaktor. Das Dumme daran ist, dass P. bichir nach Moritz & Britz sehr farbvariabel ist …

Diese Flösselhechte aus Nigeria wurden lange Zeit als Unterart zu Polypterus bichir, nämlich P. b. lapradei gesehen. Heute gilt P. lapradei als Synonym zu P. bichir.

Doch eines Tages erhielt ich tatsächlich von dem Zulieferanten von Aquarium Glaser aus Guinea, Fouad Chaloub, vier Polypterus, bei denen es sich meines Erachtens unbedingt um P. ansorgii handelte. Die Tiere waren etwa 25 cm lang und ihr gesamtes Aussehen und auch die Färbung passten hervorragend zu dieser Art. Das war im Winter 2010. Die Tiere waren bis Februar 2014 auf etwa 40 cm Länge herangewachsen, dann musste ich sie leider wegen eines Umzugs abgeben.

Manche frisch importierte Individuen sind kaum bestimmbar. Farblich ähnelt dieser Fisch zwar P. ansorgii, körperliche Merkmale (sehr schlanker Körper, relativ lange Schnauze) sprechen m. E. eher für P. bichir. Solche Tiere muss man gewöhnlich lange Zeit pflegen, bevor man eine Artzuordnung vornehmen kann – wenn es überhaupt je gelingt.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang – oder doch eher ein P. bichir? Dieses und das darüber abgebildete Exemplar wurden zusammen gefangen.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang, Portrait

Polypterus ansorgii werden groß!
Die Ähnlichkeit von Ansorges Flösselhecht mit P. bichir ist enorm. Im Wesentlichen unterscheiden sich die Fische nur im Farbmuster. Während typisch gefärbte P. bichir ein Längsstreifenmuster zeigen, haben typisch gefärbte P. ansorgii eine Zeichnung aus rechteckigen Flecken (“Schachbrettmuster”) auf den Flanken. Bereits aus dieser offensichtlichen, engen Verwandtschaft heraus war zu erwarten, dass  P. ansorgii keine Zwergart ist, wie man wegen der geringen Größe der Typusexemplare jahrzehntelang annahm, sondern ähnlich groß wird wie P. bichir. Und der wird immerhin über 60 cm lang. Ein weiteres Indiz sprach dafür, dass P. ansorgii groß wird: meine Fische  waren trotz ihrer zuletzt gut 40 cm Länge noch nicht eindeutig  geschlechtlich differenziert; bei allen Polypterus-Arten kann man die geschlechtsreifen  Männchen an der stark vergrößerten Afterflosse erkennen. Dann konnte Fouad eine echte  Sensation vermelden. Er schickte uns ein Foto eines  86 cm langen P. ansorgii, den er und sein Team im Koliba-Fluss, einem Zufluss des Corbal-Flusses nahe einer Stadt namens Gaoual gefangen haben – also topotypisch zu den Typusexemplaren von Ansorges Flösselhecht. Leider kam das Tier bei einem Unfall ums Leben. Dennoch ist mit dem Exemplar der eindeutige Beweis erbracht worden, dass Polypterus ansorgii zu den großwüchsigsten Flösselhechten überhaupt gehört. Oder? Moritz und Britz halten die Koliba-Fische nämlich für P. bichir … Leider geben die Zählwerte des 86-cm-Brummers diesbezüglich nichts her, mit 56 Schuppen in der Längsreihe liegt er genau im Überlappungsfeld.

Dieses 86 cm lange Exemplar von Polypterus ansorgii beweist, dass die Art zu den größten Polypterus-Arten gehört.

Ansorges Flösselhecht im Aquarium
Die Pflege von Polypterus ansorgii im Aquarium ist leicht. Es handelt sich um sehr ruhige, etwas scheue und sehr friedliche Raubfische. Wie alle Flösselhechte sind es eher dämmerungsaktive Fische, die jedoch nach der Eingewöhnung auch tagsüber zum Fressen erscheinen. Die Ernährung erfolgt am besten mit ganzen, tiefgefrorenen Fischen von etwa 6-8 cm Länge (Stinten).

Gegen Artgenossen und artfremde Fische sind Ansorges Flösselhechte meist indifferent. Lediglich zur Fütterungszeit knuffen sie sich auch einmal gegenseitig, aber das scheint bei den  geruchsorientierten Tieren, bei denen der Gesichtssinnn nur eine untergeordnete Rolle spielt, eher aus Versehen zu passieren. Ich pflegte die Tiere zusammen mit Hechtsalmlern (Hepsetus odoe), einem Westafrikanischen Lungenfisch (Protopterus annectens) und einigen Welsen. Ein ursprünglich als Futterfisch eingesetzter Roter Cichlide (Hemichromis sp.) tyrannisierte die  Flösselhechte derartig, dass sie über einige Wochen nicht mehr fraßen, bis der kleine  Stänkerer von kaum 8 cm Länge endlich gefangen und entfernt werden konnte. Man muss bei der Vergesellschaftung dieser sanften Großfische also etwas vorsichtig sein.

Die Systematik der großen Flösselhechte (Polypterus bichir, P. congicus, P. ansorgii, P. lapradei, P. endlicheri) ist nach wie vor nur unbefriedigend erforscht. Moritz und Britz sind sehr sorgfältige Arbeiter und haben sich durch Berge von konservierten Polypterus gekämpft, bis sie zu dem Schluss kamen, dass P. ansorgii eine gute Art und P. lapradei ein Synonym zu P. bichir sei. Aber die Vielzahl der unterschiedlich gefärbten Tiere erklärt sich dadurch nur ungenügend.

Alle Flösselhechte können stimmungsabhängig stark verblassen, dann wird eine Bestimmung noch schwieriger, als sie es ohnehin schon ist. Auch dieses Bild zeigt P. ansorgii.
Flösselhechte mögen es dämmerig, mit weichem Boden und versteckreich. Da macht P. ansorgii keine Ausnahme.

Nachzuchten
Viele Flösselhechte werden heutzutage in Indonesien kommerziell gezüchtet. Von den großen Arten sind es P. endlicherii und P. ansorgii. Diese Nachzuchttiere sind erheblich billiger als die Importfische, denn bei den Importen macht bekanntlich die teure Fracht bei größeren Fischen den Haupt-Kostenfaktor aus. Dank der Nachzuchten sind jetzt sehr viele Aquarianer in die Lage gesetzt, eigene Beobachtungen an diesen faszinierenden Urzeitfischen zu machen. Hoffen wir, das viele von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und ihre Beobachtungen auch publizieren. So könnten künftige Aquarianergenerationen vielleicht das alte Rätsel um Polypterus ansorgii lösen.

Frank Schäfer

zitierte Literatur:

Moritz, T. & R. Britz (2019): Revision of the extant Polypteridae (Actinopterygii: Cladistia). Ichthyological Exploration of Freshwaters (art. IEF-1094): 1-96.

Suzuki, D., M. C. Brandley & M. Tokita (2010): The mitochrondrial phylogeny of an ancient lineage of ray-finned fishes (Polypteridae) with implications fo rthe evolution of body elongation, pelvic fin loss, and craniofacial morphology in Osteichthyes. BMC Evolutionary Biology v. 10 (no. 21): 1-12.


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Mini-Papyrus

Papyrus (Cyperus papyrus) ist eine legendäre Pflanze. Bereits vor 5.000 Jahren erfand man im alten Ägypten eine Methode, aus dem Mark der Stängel einen Stoff herzustellen, auf dem man schreiben konnte. Bis heute nennt man ihn Papier, nach der Papyrus-Pflanze!

Papyrus (Cyperus papyrus) im Bigodi Wetland Sanctuary, Uganda. Photo: Bernard Dupont

Da Papyrus bei Frost abstirbt, sieht man ihn in Mitteleuropa gewöhnlich nur in botanischen Gärten und Gewächshäusern. Sein Hauptverbreitungsgebiet ist Afrika und Südwestasien, wo er riesige Bestände und schwimmende Wiesen bildet. In Südeuropa gibt es ebenfalls einige Vorkommen, be­rühmt ist der Bestand auf Sizilien.

Papyrus ist eine attraktive Pflanze, die sicher­lich auch mehr Menschen als Kübel­pflanze ziehen würden, gäbe es da nicht einige Probleme: erstens braucht Papyrus eine hohe Luftfeuchtigkeit, sonst können die Blatt­schöpfe vertrocknen und es stellen sich sehr schnell Spinnmilben (Tetra­nychidae) ein, die die Pflanze sogar zum Absterben bringen können; und zweitens wird Papyrus wirklich riesig! Die Blattstiele können bis zu 5 Meter lang werden (meist um 3 m), weshalb nor­maler Papyrus auch für ”Aquarien oben ohne” kaum in Frage kommt. Schade, schade. Aber es gibt zwei Alternativen!

Die kleinbleibende Sorte
Seit etwa sieben Jahren werden in Garten­centern neben dem allgegenwärtigen Gewöhnlichen Zypern­gras (Cyperus alternifolius), das be­kannt­lich eine altbewährte und auch in großen Aquarien oder Paludarien ver­wend­bare Pflanze ist, auch kleine Papyrus-Stauden angeboten. Übrigens: aufgepasst bei dem Namen: viele Anbieter bieten ”nor­males” Zyperngras als Papyrus an, sogar mit dem wissenschaftlichen Namen Cyperus papyrus. Das ist wohl weniger ein Betrugs­versuch als schlicht mangelhafte Botanik-Kenntnis. Umgangssprachlich wird nämlich das gewöhnliche Zyperngras oft als ”Papyrus” bezeichnet, obwohl beide Pflanzen ein sehr verschiedenes Aussehen haben. Das Zypern­gras hat einen Blattschopf aus 10-25, relativ breiten (5 – 20 mm), normal aus­sehenden Blättern.

Gewöhnliches Zypern­gras (Cyperus alternifolius) wird oft irrtümlich als Papyrus bezeichnet

Der Echte Papyrus (Cyperus papyrus) hat hingegen als Blattschopf einen dichten Busch fadenförmiger Blätter, was ihm das Aussehen eines Wuschelkopfes verleiht. Auch die Zwergform des Papyrus hat diesen Wuschelkopf!

Echter Papyrus (Cyperus papyrus) mit seinen typischen „Wuschelköpfen“.

Blattaustrieb bei der Zwergform des Echten Papyrus, Cyperus papyrus.

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Pflege-Erfahrungen
Vor elf Jahren erwarb ich einen solchen Zwergpapyrus. Es war Sommer und ich pflanzte den kleinen Busch, desser Blattstiele 35-40 cm hoch waren, in einen wasser­dichten, emaillierten Blech-Blumenkasten. Die Kulturerde ließ ich am Papyrus und füllte nur rundum mit ungewaschenem Rheinsand auf. Zu dem Papyrus pflanzte ich noch einen Topf Grasartiges Pfeilkraut (Sagittaria grami­nea, emerse Form). Der Wasserstand über dem Boden betrug zwischen ein und drei Zentimeter. Der Standort im Freiland war schattig mit 2 Stunden Morgensonne. Die Pflanzen wurde nicht gesprüht oder ge­düngt, lediglich das Wasser immer wieder aufgefüllt, sobald der Boden nicht mehr mit einer Wassersäule bedeckt war. Unter diesen Bedingungen wuchs der Papyrus und neu geschobene Triebe wiesen den gleichen Habitus wie die Triebe auf, die die Pflanze beim Erwerb bereits hatte. Meine anfäng­liche Befürchtung, die Pflanze könnte mit einem Hormon behandelt sein, das eine Zeitlang nor­males Wachstum verhindert und nach dieser Zeit die Pflanze normale Riesenwedel entwickelt, bestätigte sich nicht. Ganz offen­bar ist der ”Zwerg-Papyrus”, der in Garten­märkten angeboten wird, wirklich eine klein­wüchsige Sorte!

Überwinterung

Leider steht mir kein Gewächshaus zur Verfügung, aber ein Badezimmer mit großen Dachfenstern. Hier gelang mir die Über­winterung der Pflanze problemlos, ohne dass ich zusätzlich beleuchtete. Das Pfeilkraut bildete sich dabei übrigens zur submersen Form (=Unterwasser-Form) um, die es bis heute beibehielt. Der Papyrus verträgt keinen Frost. Eine zweite, später gekaufte Pflanze, die eine Nacht leichten Frost ertragen musste, ging ein.

Blattquirl von Cyperus haspan

Das Haspan-Zyperngras
Vor sieben Jahren entdeckte ich zwischen den Angeboten von Gewöhnlichem Zyperngras einen Topf, dessen Inhalt ich nicht kannte. Es handelte sich um eine Pflanze, die mit ihrem dreieckigen Stängel und dem Strubbelkopf an Papyrus erinnerte, aber sehr viel zierlicher in allen Teilen war. Die Pflanze hatte eine Höhe von ca. 30 cm. Ich kaufte sie. Ich beließ die Pflanze in dem Topf, in der ich sie gekauft hatte, stellte sie in einen passenden Übertopf und hielt sie nass. Als ich sie zum Überwintern ins Haus holte, drohten alle Köpfe zu vertrocknen. Ich schnitt radikal zurück, die abgeschnittenen Stängel stellte ich kopfüber in ein Wasserglas. Tatsächlich wuchsen aus diesen Stängeln Jungpflanzen, genau wie man das vom Gewöhnlichen Zyperngras kennt. Bei meinem Papyrus habe ich das übrigens noch nicht versucht, die Pflanze ist recht schwachwüchsig (nur 5-6 neue Triebe pro Jahr), weshalb ich mich noch nicht ent­schließen konnte, einen der Triebe für den Versuch zu opfern. In der üblichen Garten­literatur wird zur Vermehrung von echtem Papyrus immer nur die Teilung des Wurzel­ballens empfohlen.

Die zurückgeschnittene Pflanze stellte ich in ein Aquarium, so dass der Topf gerade mit Wasser bedeckt war. Hier trieb sie, wenn auch zunächst zaghaft, wieder aus und erholte sich im darauf folgenden Sommer 2015 voll­ständig.

Die Bestimmung der Art bereitete mir einige Schwierigkeiten. Der Neuaustrieb ist ganz anders als beim Papyrus. Bei diesem wächst der neue Trieb wie ein Pinsel, die feinen Blattanlagen sind schon gut zu erkennen. Der Neuaustrieb meines ”Mini-Papyrus” hin­ge­gen trug nur ein fahnenartiges Blatt. Erst wenn der Stängel die endgültige Länge er­reicht hatte, begann der Strubbelkopf zu wachsen. Die kleinen, unscheinbaren Blüten sahen aus wie die des Papyrus.

Im Sommer 2015 (es war sehr, sehr heiß) kam ich nicht dazu, die beiden Pflanzen ins Freie zu bringen. Sie wuchsen beide, neben­­einander stehend, in dem Badezimmer mit Oberlicht sehr gut. Nur der Neue vergeilte etwas, weil er dunkler und tiefer stand als der Papyrus. Dennoch war die Entwicklung des Neuen insgesamt zufriedenstellend. Wenn die Stängel eine Länge von ca. 60 cm erreicht hatten, beugten sie sich zu Boden, als sei der Stängel nicht in der Lage, den Strubbelkopf zu tragen. Doch scheint dies tatsächlich die Form der vegetativen Vermehrung des Neu­en zu sein. Denn es bildeten sich Jung­pflan­zen an den Köpfen der nieder­liegenden Stängel.

Endlich gelang mir die Bestimmung. Es han­delte sich bei meinem neuen, lebend­gebä­renden Mini-Papyrus um die bereits 1753 von Linné unter dem noch heute gültigen Namen beschriebene Art Cyperus haspan.

Vier verschiedene Stadien des Blattaustriebs bei Cyperus haspan.

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Weit verbreitet
Cyperus haspan kommt in den südöstlichen und südlich-zentralen Teilen der USA, in Mexiko und Mittelamerika, fast ganz Süd­amerika, in ganz Afrika, Indien, Süd­ostasien, den warmen Gebieten Ostasiens, in Aus­tralien und auf den Pazifischen Inseln vor.

Die Pflanze bildet offenbar mehrere Wuchs­formen aus, es wurden auch Unter­arten be­schrieben. Offenbar ist die papyrus-artige Wuchsform, die ich zufällig in einem Garten­markt ergatterte, eher selten. Denn in den üb­lichen Pflanzenbestim­mungs­büchern wird ge­wöhnlich eine Form abgebildet, die nur das primäre Hochblatt zeigt und nicht den attraktiven Strubbelkopf. Ich kann natürlich auch nicht ausschließen, dass meine Pflanze ein Hybrid zwischen Cyperus haspan und C. papyrus ist. Als Größe wird für C. haspan eine übliche Höhe von 30-40 cm angegeben.

Junge Ablegerpflanzen von Cyperus haspan.

Verwendung im Aquarium
Weder der echte Papyrus noch Cyperus has­pan sind Wasserpflanzen. Aber beide sind Sumpfpflanzen und vertragen einen Wasser­stand bis ca. 15 cm über dem Boden sehr gut. Besonders Jungpflanzen von C. haspan sind eine tolle Bereicherung für Aquarien ”oben ohne”, also ohne Abdeckung. Man muss die beiden Arten natürlich erst ein­mal bekom­men. Eine kurze Recherche im Internet ergab jedoch, dass zahlreiche Versandgärtnereien Cyperus haspan im Sorti­ment haben. Cyperus papyrus wird zudem häufig in Gartencentern angeboten.

Wenn eine Verwendung im Aquarium oder Paludarium geplant ist, so darf man niemals frisch erworbene Pflanzen dafür verwenden. Anders als bei Aquarienpflanzen wird im Garten- und Zierpflanzensektor oft mit In­sek­tiziden und Herbiziden gearbeitet. Bei Blühpflanzen wurde sogar schon berichtet, dass Bienen nach dem Besuch starben! Kein Gärtner will unseren Viechern etwas Böses, aber Vorsicht ist hier unbedingt die Mutter der Porzellankiste. Darum sollten neu erwor­bene Pflanzen zunächst ein halbes Jahr ohne Tierkontakt gepflegt werden, am besten im Freiland, wo Wind, Licht und Wasser für einen guten Abbau eventueller Pflanzenschutz­mittelreste sorgen.

Frank Schäfer

Der Jack Dempsey (Rocio octofasciata) – ein alter Bekannter im neuen Outfit

Vieles, das uns selbstverständlich erscheint, ist es überhaupt nicht. So zum Beispiel die große Artenvielfalt an Fischen, die uns für die Pflege im Aquarium zur Verfügung steht. Dahinter steckt eine riesige Menge Arbeit und eine noch größere Menge erlerntes „gewusst wie“. Es ist uns Menschen nämlich nicht angeboren, einen Fisch zu verstehen. Man muss es erlernen, das Verhalten eines solchen Tieres richtig zu interpretieren. Sonst vermenschlicht man die Tiere und das führt immer und ausnahmslos völlig in die Irre.

Um 1909 kamen die ersten Buntbarsche aus Mittelamerika in die Aquarien Europas und der Vereinigten Staaten. Es waren wunderschöne Tiere mit einer faszinierenden Brutpflege, doch haftete ihnen bald der Ruf an, extrem unverträglich und starke Wühler zu sein. Man gab diesen „unverbesserlichen Raufbolden“ den Populärnamen „Jack Dempsey“. Jack Dempsey, eigentlich als William Harrison Dempsey in Colorado geboren, war von 1919 bis 1926 Schwergewichtsweltmeister im Boxen. Mit seinem Kampfstil verglich man den Buntbarsch und so kam der Fisch zu seinem Populärnamen, den er heute noch trägt, obwohl nur die wenigsten noch wissen, wer oder was sich dahinter verbirgt.

Männchen des Jack Dempsey, alter Aquarienstamm

Viele Namen, ein Fisch
Zunächst wurde der Jack Dempsey als Cichlasoma biocellatum bezeichnet. Diese Art wurde 1909 von C. T. REGAN nach einem Exemplar beschrieben, das er von J. P. ARNOLD erhalten hatte, einem Pionier der Aquaristik, dessen rühriger Import-Tätigkeit viele Fischarten ihre Entdeckung verdanken. Doch in diesem Falle lieferte ARNOLD einen offensichtlich falschen Fundort, nämlich „Mañaos, Rio Negro“. In Brasilien gibt es aber ganz sicher keine Jack Dempseys und hat es auch nie welche gegeben. Entweder hatte bereits ARNOLD einen falschen Fundort von dem Seemann bekommen, der ihm den Fisch übergab, oder es kam auf eine andere Art zu dem Versehen. Wie auch immer, unter dieser Bezeichnung – Cichlasoma biocellatum – findet man ihn in der Literatur bis in die späten 1980er Jahre. Dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich bei C. biocellatum um ein Synonym, also eine spätere Doppelbeschreibung der Art handelte, die ebenfalls von REGAN, jedoch bereits 1903 als Heros octofasciatus beschrieben worden war. Ohne die verhängnisvolle falsche Fundortangabe wäre REGAN dieser Lapsus sicher nicht unterlaufen, denn hätte er gewusst, dass sein C. biocellatum in Wirklichkeit aus Mittelamerika kam, hätte er ihn sicher auch mit den ihm bekannten mittelamerikanischen Buntbarschen verglichen und nicht nur, wie es geschah, mit dem einzigen seinerzeit aus der Umgebung von Manaus bekannten cichlasominen Art, Cichlasoma coryphaenoides (dem heutigen Hypselecara coryphaenoides).

In den letzten ca. 20 Jahren wusste man nicht, in welche Gattung der Jack Dempsey, dessen Artname mit „octofasciatus“ nun feststand, einzuordnen war. Klar war eigentlich nur, dass er nicht in die Gattung Cichlasoma gehörte. So bezeichneten ihn manche als „Cichlasoma“ (mit Anführungszeichen), andere wider besseres Wissen als Cichlasoma (ohne Anführungszeichen), wieder andere als Nandopsis. Das Ganze löste sich erst im Jahre 2007 auf, als SCHMITTER-SOTO die neue Gattung Rocio schuf und den Jack Dempsey als Typusart festlegte. Da der Gattungname Rocio weiblich ist, muss der Artname, ein Adjektiv, in der lateinischen Endung vom männlichen –us auf das weibliche -a geändert werden. Nun hat der Jack Dempsey nach über 100 Jahren endlich einen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Namen, nämlich Rocio octofasciata.

Weibchen vom alten Aquarienstamm von Rocio octodaciata

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Sippenhaft
Man kannte Anfang des 20ten Jahrhunderts durchaus schon Buntbarsche. Der Chanchito (Australoheros facetum), eine heutzutage aquaristisch praktisch vergessene Art aus dem Süden Südamerikas (Argentinien, Brasilien, Uruguay), war um die Jahrhundertwende ein sehr beliebter Fisch, da die Heizung der Aquarien eine kniffelige Sache war. Der Chanchito verträgt aufgrund seiner südlichen Herkunft auch noch Temperaturen bis knapp unter 10°C, so dass seine Pflege auch solchen Aquarianern möglich war, die ihre Becken nicht heizen konnten. Es soll übrigens in Spanien, im Fluss Guadiana, ausgewilderte Bestände des Chanchitos geben. Wer sie ausgewildert hat, wann und wozu, ist allerdings ungeklärt. Beim Chanchito ist der Populärname – Chanchito bedeutet „Schweinchen“ – Programm. Er wühlt sehr, sehr gerne. Zudem kann auch diese Art in zu kleinen Behältern äußerst ruppig gegen andere Fische werden. Doch all  dies störte die Aquarianer wenig, zu aufregend war es, die Brutpflege des Buntbarsches – der Chanchito ist ein typischer Offenbrüter mit Elternfamilie, d.h. er laicht offen auf Steinen oder Wurzeln ab und beide Eltern kümmern sich um Laich, Larven und Jungfische – zu beobachten. Aber als der Jack Dempsey kam, kannte man das schon. Und so führten die prachtvollen Mittelamerikaner, nachdem sie in den 1930er Jahren für kurze Zeit in Mode waren, viele Jahrzehnte ein Schattendasein. Sie galten einfach als viel zu unverträglich.

Der Chanchito war der erste Buntbarsch in der Aquaristik. Das Bild zeigt ein junges Männchen.

Die Wiederkehr
Heute wissen wir, dass die extreme Unverträglichkeit, die an den Fischen beobachtet wurde, auf zu beengte räumliche Verhältnisse zurückzuführen war. In großen Aquarien, etwa ab 500 Litern aufwärts, kann man Rocio octofasciata durchaus mit anderen Arten vergesellschaften. Zwar verteidigen die Fische auch hier energisch ihren Nachwuchs, aber das war es auch schon. Ganz ausgestorben ist der Jack Dempsey in der Aquaristik übrigens nie. Durch zwei Weltkriege hindurch wurde er gerettet und die Aquarienstämme, deren exakte Herkunft nicht mehr nachvollziehbar ist, wurden durch entsprechende Zuchtwahl ohnehin schon erheblich ruhiger. Doch einen richtigen Boom erlebte der Jack Dempsey erst wieder ab Mitte der 1990er Jahre. Da tauchten plötzlich in Argentinien Tiere mit einen brillanten Blauglanz auf, die als „Blue Dempsey“ bezeichnet wurden. Anfangs wurden für die Tiere horrende Preise gefordert – und manchmal sogar bezahlt! Es kam zu der üblichen Legendenbildung und wilde Gerüchte kursierten, dieser Fisch sei tatsächlich eine Wildform und stamme aus Argentinien. Nun, es gibt in Argentinien ebenso wenig Jack Dempseys wie in Manaus. Die Art kommt nun einmal nur auf der atlantischen Seite in Mittelamerika (Belize, Guatemala, Honduras und Mexiko) vor. Der Blue Dempsey ist einfach eine Mutante, eine genetische Laune der Natur, die im Aquarium überleben konnte. In der freien Natur hätten Blue Dempseys kaum eine Chance. Die Jungtiere wachen nämlich langsamer als ihre wildfarbenen Geschwister. Und die gibt es immer, denn es hat sich herausgestellt, dass die Verpaarung von Blue Dempseys untereinander keine lebensfähigen Jungfische ergibt. Also kreuzt man in der Praxis Blue Dempsey mit Jack Dempsey. Dabei erhält man immer einen Anteil Blue Dempseys, die allerdings rechtzeitig von ihren normalfarbigen Geschwistern getrennt werden sollten, um optimal heranzuwachsen.

Jüngeres Exemplar des „Blue Dempsey“ aus Argentinien. Für diese Tiere wurde sehr viel Geld gefordert.

Jetzt auch mit Fundort
Von vielen mittelamerikanischen Buntbarschen wissen wir heute dank reisender Aquarianer, dass sich die Populationen verschiedener Flüsse farblich oft unterscheiden. Die Herkunft der Aquarienstämme des Jack Dempsey sind, wie schon gesagt, nicht mehr nachvollziehbar, vielleicht wurden sogar verschiedene Populationen unwissentlich gekreuzt. So ist es sehr zu begrüßen, dass jetzt zumindest eine Population des Jack Dempsey auch mit Fundort gehandelt wird, nämlich die von Ciapas in Mexiko. Wer das Glück hat, solche Fische zu erhalten, sollte sie keinesfalls mit anderen Stämmen kreuzen, sondern rein züchten und die Fische auch mit der Fundortbezeichnung weitergeben.

Nachzuchtmännchen von Rocio octofasciata aus Chiapas.

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Fakten, Fakten, Fakten
Zum Schluss noch ein paar harte Daten zum Jack Dempsey: die Art wird maximal 20 cm lang, geschlechtsreif sind die Männchen, die stets etwas größer als die Weibchen sind, aber schon mit etwa 6 cm Länge oder (die Geschlechtsreife eines Fisches hängt vom Lebensalter, nicht von der Größe ab), im Alter von frühestens einem halben Jahr. Die Gelege können bei großen Weibchen leicht über 1.000 Eier umfassen. Bei der Verpaarung hat es sich bewährt, ein möglichst großes Männchen – man erkennt es an den spitz und länger ausgezogenen Rücken-, After- und Bauchflossen – mit einem deutlich kleineren Weibchen zu verpaaren. Je deutlicher der Größenunterschied, desto weniger raufen die Fische, da das Kräfteverhältnis von vornherein klar ist. Außer einem großen Stein zum Ablaichen sollte das Zuchtaquarium einen Sandboden haben, da die Jungtiere nach dem Schlüpfen in Gruben untergebracht werden. Die Jungfische fressen ab dem Freischwimmen Artemia-Nauplien und sind sehr leicht aufzuziehen. Die Wasserwerte spielen eine absolut untergeordnete Rolle, die Härte kann zwischen 5 und 30°GH liegen, der pH zwischen 6 und 8, die Wassertemperatur zur Pflege sollte zwischen 22 und 26°C liegen, zur Zucht erhöht man die Temperatur um 2-3°C. Bei dem starken Stoffwechsel der Fische, die jegliches Aquarienfischfutter fressen, egal ob lebend, gefrostet oder getrocknet, ist auf gute Wasserhygiene und einen regelmäßigen Teilwasserwechsel zu achten. Angesichts der riesigen Jungfischzahlen sollten Zuchtinteressierte sich rechtzeitig einen Raubfisch anschaffen, der sich um den überzähligen Nachwuchs kümmert. Denn dass der Jack Dempsey so lange in unseren Aquarien überlebt hat, ist nur einer sorgfältigen Zuchtwahl zu verdanken.

Hoffen wir, dass er auch noch nach weiteren 100 Jahren in unseren Becken die dann lebenden Aquarianer erfreut!

Jüngeres Männchen des Blue Dempsey aus der Zucht von Lothar Hermann
Erwachsenes Weibchen und…
… erwachsenes Männchen des Blue Dempsey.

Lexikon zu Jack Dempsey

Cichlasoma: bedeutet „mit dem Körper eines Cichla“; Cichla ist eine andere Buntbarschgattung
octofasciatum: bedeutet „mit acht Bändern“
biocellatum: bedeutet „mit zwei Augenflecken“
coryphaenoides: bedeutet „ähnlich einer Coryphaena“; Coryphaena (Goldmakrele) hat eine ähnliche Kopfform
Nandopsis: bedeutet „ähnlich einem Nandus“. Nandus ist eine andere Barschgattung
Heros: bedeutet „Held“
Rocio: ist der Vorname der Ehefrau des Erstbeschreibers der Gattung; der Name bedeutet „Morgentau“ und bezieht sich auf die Glanzflecken auf den Flanken der Tiere.

Frank Schäfer

Weißt du, wieviel Fische schwimmen?

Die Wissenschaft kennt derzeit rund 32.000 Fischarten, in Wirklichkeit existieren vermutlich mindestens zwei bis drei mal so viele Arten. Woher man das wissen will? Nun, das sind natürlich nur Schätzungen. Aber diese Schätzungen beruhen auf Erfahrungen. Bei den Prachtguramis (Parosphromenus) kannte man aus dem Forschungszeitraum 1750- 1950 – also rund 200 Jahre lang – nur eine Art (P. deissneri), dann kam 1952 (P. paludicola) und 1955 (P. sumatranus) jeweils eine weitere hinzu. Dabei blieb es bis 1979 (P. parvulus) und 1981 (P. filamentosus). Dadurch angeregt zog es Aquarianer und Wissenschaftler nach Malaysia und die indomalaiische Inselwelt auf der Suche nach weiteren Arten und heute (2023) sind wir bei 23 Arten, also 4-5x so viele Arten, als man noch vor 50 Jahren dachte. Und das bei einer sehr kleinräumig verbreiteten Fischgruppe aus einer ichthyologisch sehr gut untersuchten Region! Ähnlich sieht es überall aus, wo man genauer hinschaut. Und große Teile der Erde, nämlich die Tiefsee, sind noch immer praktisch unerforscht. Auch dort leben Fische. Somit ist die Schätzung, dass erst etwa ein Drittel der tatsächlich existierenden Arten erfasst ist, sogar sehr niedrig gegriffen!

Parosphromenus gunawani (oben) wurde 2012 beschrieben, P. linkei (unten) im Jahr 1991

Jede dieser Arten unterscheidet sich nicht nur äußerlich von allen anderen Arten, sondern auch im Verhalten. Das Verhalten einer Kleinfischart lässt sich nur im Aquarium ausführlich beobachten, nur hier lässt sich zudem die Anzahl der Faktoren, die die Beobachtung verfälschen können, so einschränken, dass verlässlicher Erkenntnisgewinn möglich ist.

Der Bitterling (Rhodeus amarus) laicht in lebenden Muscheln. Bevor man lernte, wie man Fische im Aquarium pflegt, was um das Jahr 1850 herum geschah, wusste das niemand.

In freier Natur entziehen sich Kleinfische gewöhnlich der Beobachtung durch den Menschen. Ganz abgesehen davon, dass trübes Wasser, die Kleinheit der Objekte, deren Fluchtdistanz und der zu treibende Aufwand ein solches Unterfangen in der Praxis unmöglich machen, bleiben Naturbeobachtungen immer nur kurze Momentaufnahmen.

In den natürlichen Lebensräumen unserer Aquarienfische ist das Wasser oft trüb, die Sichtweite unter Wasser beträgt nur wenige Zentimeter. Hier, bei Kalkutta in Indien, leben z.B. Zwergfadenfische, Danios, Barben, Schmerlen, Hechtlinge, Staachelaale und viele weitere Arten.

Verglichen mit der riesigen Artenzahl der Fische werden nur wenige Arten ständig im Aquarium gepflegt – etwa 300 – 400 Arten. Nur weitere 1.000 bis 1.500 Arten sind als Raritäten im Hobby bekannt. Übrigens sind etwa die Hälfte der existierenden Fischarten Süßwasserfische, obwohl weltweit nur etwa 3% der Wasservorkommen auf das Süßwasser entfallen. Die als artenreich bekannten Korallenriffe der Erde beherbergen „nur“ rund 1.000 Fischarten. Da haben schon viele Nebenflüsse des Amazonas mehr zu bieten…


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Die meisten Korallenfische – hier der Falterfisch Chaetodon collare – haben ein riesiges Verbreitungsgebiet, da sich ihre Larven wochen- und monatelang im Plankton der Meeresströmungen entwickeln; dadurch vermischen sich ständig großräumig die Populationen. Im Gegensatz hierzu pflanzen sich Süßwasserfische meist lokal fort, wodurch die Artenbildung sehr schnell erfolgen kann.

Wozu diese Zahlenspielerei? Sie soll verdeutlichen, was beobachtende und züchtende Aquarianer noch alles zum Menschheitswissen beitragen können. Von weit mehr als 90% der bekannten Fischarten weiß man kaum mehr, als dass sie existieren. So sollte man jede Gelegenheit nutzen, die sich bietet, um so genannte Raritäten oder Beifänge zu erwerben und zu studieren.

Rhabdalestes septentrionalis, Paar, Männchen unten

Eine solche Rarität ist Rhabdalestes septentrionalis. Die abgebildeten Tiere wurden im Juni 2012 von Aquarium Glaser, Rodgau, als Beifang zu Bryconalestes longipinnis aus dem Niger importiert. Rhabdalestes septentrionalis – es gibt keinen eingeführten deutschen Namen für die Art, ich schlage „Afrikanischer Kupferbandsalmler“ vor – ist ein Verwandter des Kongosalmlers (Phenacogrammus interruptus). In der Natur ist er keineswegs selten und zudem sehr weit im westlichen, tropischen  Afrika verbreitet. Und doch wurde noch nie über eine Aquarienhaltung, geschweige denn Zucht dieser kaum 6-7 cm lang werdenden Art berichtet. Dabei gestaltet sich zumindest die Haltung sehr einfach. Es handelt sich um friedliche Schwarmfische ohne besondere Ansprüche an pH-Wert oder Wasserhärte, die zudem jedes übliche Fischfutter fressen – auch Trockenfutter – und sich als robust und kaum krankheitsanfällig zeigen.

Die sehr besonders geformte Afterflosse des Männchens ist auf diesem Bild gut zu erkennen.

Die Männchen dieser Art entwickeln ab einer Länge von etwa 4 cm – diese Größe markiert demnach wahrscheinlich den Eintritt der Geschlechtsreife, die bei Fischen allerdings immer an das Alter und nicht an die Körpergröße gebunden ist – eine ganz seltsam geformte Afterflosse. Höchstwahrscheinlich steht diese anatomische Veränderung im Dienste der Fortpflanzung. Handelt es sich womöglich um eine Vorrichtung für eine innere Befruchtung? Niemand weiß das und bevor nicht ein beobachtender Aquarianer (sei die Person nur Laie oder Ichthyologe) sich vornimmt, das im Aquarium zu erforschen, wird es auch nie jemand erfahren…


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Rasbora patrickyapi, Männchen

Überall auf der Welt schwimmen kleine Fischarten umher, die auf ihre ganz spezielle Art und Weise einzigartig sind. Die Erfassung ihrer Existenz ist ein erster Schritt zu ihrer Erforschung. Der in Südostasien lebende Rasbora patrickyapi ist ein weiteres Beispiel für eine praktisch unbekannte Art, die Dank der Aquarienkunde entdeckt wurde und an der es noch viel zu erforschen gilt.

Die Schwarzwassergebiete des zentralen Teils von Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, bergen noch immer zahlreiche ungehobene Schätze aus dem Reich der Fische. Häufig treten neue, unbekannte Fischarten über den Weg des Zierfischhandels in das Bewusstsein der Ichthyologen. So auch im Falle des schönen Bärblings Rasbora patrickyapi, einer etwa 5 bis 6 cm langen Schwarzwasserart.

Ende 2007 besuchte der Wissenschaftler Tan Heok Hui die Anlage des in Singapur ansässigen, sehr rührigen Zierfischexporteurs Patrick Yap und fand zwischen Rasbora kalochroma eine neue, ihm unbekannte Bärblingsart. Auf den ersten Blick erinnerte das Tier farblich am ehesten an die weit in Südostasien verbreitete Art Rasbora einthovenii, eingehendere Untersuchungen zeigten aber, dass die neue Art offenbar auch eng mit der syntop lebenden Rasbora kalochroma verwandt ist. Tan beschrieb das Tier schließlich 2009 zu Ehren von Patrick Yap als neue Art.

Weibchen von Rasbora patrickyapi

Die sorgfältige Untersuchung von Museumsmaterial zeigte, dass Belegexemplare der Art bereits 1984 im Museum Zoologicum Bogoriense in Indonesien deponiert worden waren; man erkannte sie anhand konservierter Exemplare nur nicht als neue Art. Wie so oft ist es darum der Aquarienkunde zu verdanken, dass unser Wissen um die Biodiversität weiter angewachsen ist. Bislang ist Rasbora patrickyapi nur aus Tieflandtorfsümpfen und Heidewäldern im zentralen Kalimantan im Einzugsgebiet der Flüsse Katingan und Kahayan bekannt.

Die Fische haben sich als vergleichsweise leicht zu pflegende Tiere erwiesen. Man muss bei Schwarzwasserfischen allerdings grundsätzlich beachten, dass diese Tiere in ihren Heimatbiotopen in extrem weichem und sauren Wasser leben. Diese Wasserbedingungen brauchen die Fische zwar nicht zum Wohlbefinden, jedoch ist das Wasser im natürlichen Lebensraum vor allem aufgrund des sauren pH-Wertes sehr keimarm. Einem hohen Keimdruck im Aquarienwasser haben die Fische wenig entgegenzusetzen, wenn ihre natürlichen Abwehrkräfte aufgrund der suboptimalen Bedingungen während des Fanges und Transportes vermindert sind. Bakteriosen und ektoparasitäre Erkrankungen können die Folge sein. Man sollte also während der Eingewöhnung solcher Fische auf möglichst sauberes, keimarmes Wasser achten, ein kräftiger UV-Filter leistet hier sehr gute Dienste und ein gutes Medikament gegen Ektoparasiten sollte auch stets zur Hand sein. Ist die etwas heikle Eingewöhnung überstanden sind die Fische durchaus als unempfindlich zu bezeichnen, die sogar im Fotografieraquarium schöne Farben zeigen und balzen.

Rasbora patrickyapi (oben) ist R. einthovenii (unten) ähnlich.

Über eine erfolgreiche Nachzucht im Aquarium ist m.W. noch nicht ausführlich berichtet worden, jedoch ist nicht zu erwarten, dass die Fische in dieser Hinsicht von ihren Gattungsgenossen abweichen. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um produktive Freilaicher, die in Javamoos und dergleichen ablaichen. Männchen sind schlanker als die Weibchen, erstere haben zudem einen höheren Rotanteil in der Färbung der Flossen. Für eine erfolgreiche Zucht ist es allerdings wahrscheinlich notwendig, ein Wasser von weniger als 2°GH bei einem pH von etwa 4,5 zu verwenden, was den in der Natur üblichen Wasserwerten entspricht. Für die Pflege spielen Härte und pH-Wert allerdings eine untergeordnete Rolle. Rasbora kalochroma, die aus dem gleichen Lebensraum wie R. patrickyapi stammt, lebt schon seit Jahren bei bester Gesundheit in einem Schauaquarium in der Hottonia, dem darmstädter Verein für Aquarien- und Terrarienkunde, im harten darmstädter Leitungswasser (17-20°GH, 12-13° KH, pH 7,3 – 7,7).

Rasbora kalochroma

Rasbora patrickyapi ist eine farblich sehr attraktive, friedliche und kleinbleibende Art. Pflanzen bleiben unbehelligt, die Tiere sind mit käuflichen Fischfutter gut und leicht zu ernähren. Bleibt zu hoffen, dass der neuen Schönheit eine lange aquaristische Karriere bevorsteht.

Raritäten wie Rhabdalestes septentrionalis und Rasbora patrickyapi sind nur deshalb Raritäten, weil eine geringe Nachfrage nach ihnen besteht. Bei Bedarf könnte man sie leicht zu hunderttausenden züchten. Doch dieser Bedarf existiert nicht. Es gibt eine kleine, leider schrumpfende Schar enthusiastischer Aquarianer. Sie werden von dummen Menschen angefeindet und es wird mit unsäglichen Behauptungen, die keiner Prüfung auch nur ansatzweise standhalten, versucht, ihnen die Erforschung der Kleinfischwelt unmöglich zu machen. Wenn Sie, lieber Leser, zu dieser Schar von Fische erforschenden Idealisten zu zählen sind: geben Sie bitte nicht auf! Suchen Sie weiter im immer kleiner werdenden Angebot von Wildfängen nach Beifängen und Raritäten, pflegen Sie sie im Aquarium und ggf. züchten Sie sie auch nach, um ihnen die Geheimnisse ihrer Lebensgeschichte zu entlocken. Kommende Generationen werden es ihnen danken, wenn auch sie noch eine große Artenvielfalt bei den Kleinfischen kennenlernen können.

Frank Schäfer

Ungewöhnliche Anemonenfische

Seit dem Zeichentrickfilm “Findet Nemo” kennt jedes Kind Anemonen­fische. Doch selbst erfahrenen Seewasseraquarianern ist oft nicht bewusst, wie formenreich diese kleinen Riffbarsche sind!

Gut bei diesem Amphiprion percula zu erkennen: die gattungscharakteristischen Kiemendeckelzacken.

Es ist noch gar nicht lange her: 1960 schätzte J. L. B. Smith, einer der bekann­tes­ten Fischkundler der Welt, die Anemo­nenfische als eine der vom Standpunkt der Systematik schwierigsten Grup­pen unter den Korallenfischen ein. Und bis heute ist es im Einzelfall gar nicht einfach, einen Anemonenfisch unbekannter Her­kunft einer der derzeit 30 anerkannten Amphiprion-Arten zuzuordnen.

Auch das ist Amphiprion percula.

Variante, Ökotype, Unterart?
Die meisten Menschen denken nicht viel darüber nach, aber in der Zoologie ist die Frage, was denn eigentlich eine Art ist, heiß umstritten. Bei den Anemonenfischen gibt es eigentlich alles, was dem Fischkundler das Leben schwer machen kann: altersbedingte Umfärbungen, geschlechtsbedingte Umfär­bungen, Geschlechtswechsel, geografisch fixierte Färbungen, Polychromatismus (das ist eine Vielfalt an individuellen Zeichnungs­mustern innerhalb einer Fortpflanzungsge­meinschaft), Ökotypen (leben die Tiere mit bestimmten Anemonenarten zusammen, neigen sie zur Schwarzfärbung, während ihre Artgenossen, die mit anderen Ane­monen zusammenleben, ganz normal aus­sehen) – kurz und knapp, komplizierter als bei den Anemonenfischen geht es kaum. Seit fast 50 Jahren beschäftigt sich der austra­lische Fischkundler Gerald R. Allen mit den Ane­monenfischen. Man kann wohl sagen, dass es niemanden gibt, der sich mit den Tieren so gut auskennt wie er. Erst im Jahr 2010 beschrieb er zusammen mit Kollegen eine neue Amphiprion-Art (A. pacificus). Seinen Einschätzungen, was bei Ane­monen­fischen eine Art ist, wird darum hier gefolgt.


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Diese wunderschöne Variante von Amphiprion (früher: Premnas) biaculeatus von Sumatra wurde von Fowler 1904 als P. epigrammata beschrieben.

Obligatorischer Geschlechtswechsel
Die meisten Leser werden es wissen, doch es sei noch einmal kurz daran erinnert, dass alle Anemonenfische nach der freischwebend im Plankton verbrachten Larvenzeit ihr Sexualleben als funktionstüchtiges Männ­chen beginnen. Nur das ranghöchste Exem­plar einer Gruppe verwandelt sich in ein funktionstüchtiges Weibchen – der Fachaus­druck für Tiere, die beide Geschlechter in einem Tier ausbilden können und als Männ­chen beginnen, lautet “protandrische Zwitter”. Wer also zwei Jungtiere eines Anemonenfisches erwirbt, kauft immer zwei Männchen. Überleben beide Tiere, wird sich eines davon zum Weibchen umwandeln und man hat ein Pärchen.

Männchen einer Variante von Amphiprion clarkii von Sri Lanka

Bei Arten wie dem sehr weit ver­breiteten Amphiprion clarkii, bei dem Männ­chen und Weibchen unterschiedlich ge­färbt sind, kommt es schon allein deshalb zwangs­läufig im Laufe des Lebens zu individuellen Um­färbungen.

Schwarze Variante von Amphiprion ocellaris

Individuelle Varianten
Anemonenfische kann man nach­züch­ten und so kann man bei ihnen ganz gut experimentell überprüfen, welche Zeich­nungs­elemente erblich bedingt sind und welche spontan auftreten. Besonders die beliebteste Clownfisch-Art, Am­phi­prion ocellaris („Nemo“), neigt demnach sehr zur Ausbildung spontaner Farbabweichungen, z.B. was die Ausprägung der weißen Binden betrifft. Hier ist es also sicherlich sinnvoll, von Varianten zu sprechen, die keine taxonomische Be­deu­tung haben. Andererseits lässt sich die schwarze Form von A. ocellaris, die nach Allen in der Natur nur in der Region von Darwin in Nordaustralien vorkommt, reinerbig nach­züchten. Hier stellt sich also die Frage, ob es sich nicht doch um eine taxonomisch eigen­ständige Form handelt.

Männchen der geografischen Form von Amphiprion clarkii von den Malediven.

Geografische Varianten oder Unterarten?
Viele Anemonenfische kommen nur in geografisch eng begrenzten Gebieten vor, andere, wie Amphiprion clarkii, sind sehr weit verbreitet. Man kann bei weit verbreiteten Arten durchaus feststellen, dass bestimmte Farbmerkmale an das Vorkommen gebun­den sind. Je nach Artkonzept werden solche Formen als geografische Varianten, Unter­arten oder eigenständige Arten ge­seh­en. Charakteristisch für Unterarten ist es, dass es dort, wo Unterartengebiete aneinander­grenzen, nicht eindeutig zuordenbare Misch­formen gibt. Im Fall von A. clarkii lassen sich viele Tiere zwar einerseits gut nach Farbmerkmalen geografisch zuordnen, an­dererseits können aber auch in Importen aus dem gleichen Gebiet sehr unterschied­lich gefärbte Tiere enthalten sein. Es ist im Übrigen völlig ungeklärt, wie es Korallenfische, die ein planktisches Larvenstatdium haben und in dieser Zeit ja passiv mit den Meeres-Strömungen verdriftet werden, überhaupt lokal begrenzte Populationen aufbauen könne, so wie der schwarze A. ocellaris bei Darwin.


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Weibchen von Amphiprion clarkii von Sri Lanka.
Jungfisch von Amphipion clarkii, Sri Lanka

Es gibt also noch viel bei diesen fantas­tischen Fischen zu erforschen und die Aqua­rianer können durch Nachzuchten dazu bei­tra­gen, noch ungeklärte Rätsel lösen zu helfen. Ich wünsche mir, dass man sich bei der Nachzucht mehr auf solche Fragestellungen konzentriert als auf die Erschaffung mehr oder weniger attraktiver Zuchtformen, die in der Natur gar nicht vorkommen. Aber das bleibt wohl leider Wunschdenken…

Frank Schäfer

Lexikon zu den erwähnten Anemonenfischen Amphiprion & Co.

Amphiprion: aus dem altgriechischen, bedeutet etwa “auf beiden Seiten gesägt”, was sich auf die Kiemendeckelränder bezieht.
Premnas: ein im antiken Griechenland benutzter Fischname.
percula: Verkleinerungsform des lateinischen Namens für den Flussbarsch (Perca fluviatilis), also “kleiner Barsch”.
biaculeatus: aus dem lateinischen, bedeutet “mit zwei Stacheln”, wegen der Unteraugendornen.
ocellaris: latein, bedeutet “mit Augenflecken”.
clarkii: Widmungsname zu Ehren von John Clark, der die wunderbaren Fischtafeln stach, die Bennetts Werk “Fishes found on the coast of Ceylon” illustrieren, in der die Art 1830 beschrieben wurde.


Der Phönixsalmler, Hemigrammus filamentosus

In den fast 30 Jahren, die ich nun schon sozusagen hauptberuflicher wissenschaftlicher Aquarianer bin, war ich an der Entdeckung zahlreicher bis dato der Wissenschaft noch unbekannter Fischarten direkt oder indirekt beteiligt. Viele davon hatten nur eine kurze aquaristische Karriere, waren sozusagen „one hit wonder“, aber der Phönix-Salmler kam, um zu bleiben.

Balzendes Männchen des Phönixsalmlers

Der Phönix ist ein mythologischer Vogel, der der Legende nach von Zeit zu Zeit spontan verbrennt und anschließend aus seiner Asche wieder aufersteht. Er wird oft als goldener Vogel mit rotem Schwanz dargestellt.

Der Salmler, um den es hier geht, hat ein wenig mit diesem mythologischen Vogel, der als Glücksbringer gilt, gemeinsam. Da wäre zum einen der hübsch gefärbte, rote Schwanz und der zarte Gold­glanz auf dem Körper. Aber auch im über­tragenen Sinne hat der Phönixsalmler etwas mit dem Vogel zu tun: er tauchte schon einmal in der Aquaristik auf und ging wieder vergessen; dann ist er wieder auferstanden!


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Eines der Tiere, mit denen Dieter Bork züchtete

2011: Eine unbeschriebene Art
Importiert wurde das schöne, etwa 3,5 – 4 cm lang werdende Tierchen als Hyphessobrycon stegemanni aus Brasilien. H. stegemanni ist ein ziemlich un­bekanntes Fischchen und da die Recher­che zwischen einem Import und der vor­läufigen Bestimmung leicht einige Wochen dauern kann, wurde der Phönixsalmler zunächst als Hyphessobrycon cf. stegemanni bezeichnet. Im Zuge der Recherchen stellte sich dann heraus, dass der Phönixsalmler schon einmal importiert wurde und zwar 1989. Damals stellten ihn Lothar Seegers und Jaques Géry zusammen mit einigen anderen neuimpor­tierten Salmlern als “S7” in der Zeitschrift DATZ vor. Man versuchte, analog zu dem sehr erfolgreichen L-Nummern-System, das für unbestimmbare Harnisch­welse Anwen­dung findet, ein S-Nummern-System für Salmler zu etablieren; allerdings scheiterte dieser Versuch. Ohne die Tiere näher unter­sucht haben zu können, stellen Seegers und Géry S7 in die Nähe von Hemigrammus bre­vis, hielten ihn jedoch für eine wissen­schaft­lich vermutlich noch unbeschriebene Art. Es gibt aufgrund des beigefügten Fotos keinen Zweifel, dass S7 und der Phönix­salmler identisch sind. Lediglich die Maximal­größe, die für S7 mit 5 cm angegeben wird, wird von den derzeit im Hobby vorhan­denen Phönix­salmlern nicht erreicht, weder von Wild­fängen, noch von Nachzuchttieren.

Unter Wildfängen findet man gelegentlich Exemplare mit der „Goldkrankheit“.

Der Fundort des Phönixsalmlers
In der Regel ist es sehr schwer, oft sogar un­möglich, den genauen Fundort eines kom­mer­ziell importierten Fisches herauszufin­den. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Exporteur die Fische gewöhnlich nicht selbst fängt, sondern von Zulieferanten aufkauft. Auch der Zulieferant ist normalerweise nicht der Fänger, sondern kauft seinerseits die Fische bei den Fängern auf. Kein Glied dieser Kette hat ein besonderes Interesse daran, einen Fundort preiszugeben und damit der Konkurrenz leichtes Spiel zu bereiten. So erfährt man hier in Europa gewöhnlich nur, aus welchem Flusssystem ein Tier stammt, was aber auch oft schon sehr hilfreich ist.

Nachzuchtmännchen (F1) des Phönixsalmlers

Im Falle des Phönixsalmlers liegen die Dinge nun etwas anders, denn die Tiere, die als S7 in der DATZ vorgestellt wurden, waren von Arthur Werner 1988 selbst auf einer For­schungs­tour gesammelt worden. So wissen wir, dass der Phönixsalmler bei Filadélfia im Einzug des Rio Tocantins (7° 20’ 9’’ S, 47° 29’ 24’’ W) zum ersten Mal gesammelt wurde.

Der neuerliche Import
Im Jahr 2010 importierte Aquarium Glaser in Rodgau erneut Phönix­salmler unter der Bezeichnung H. stege­manni, die unter diesem Namen von einem Zierfischgroßhändler der Region aufgekauft wurden. Einige dieser Fische gerieten dem bekannten, bei Hanau lebenden Aquarianer Dieter Bork (1945 – 2023), in Hände, der die unscheinbaren Fischchen großzog und sich für sie be­geisterte. Er züchtete sie nach und gab die Nachzucht an Aquarium Glaser ab – der Kreis schloss sich. Bork machte die Mitarbeiter von Aquarium Glaser auch auf die ursprüngliche Quelle für diesen attraktiven Fisch aufmerk­sam. Nun ist es nicht so, dass man als Fisch­importeur lediglich eine Order in das Ur­sprungs­land einer gewünschten Art schickt und hat dann ein paar Tage später was man braucht; das Importgeschäft ist ausge­sprochen kompliziert. Dennoch gelang es Aquarium Glaser nach einigen Wochen noch einmal “Hyphessobrycon stegemanni” von dem in Frage kommenden Exporteur zu beziehen. Leider waren aber nur ganz wenige Phönixsalmler in der Sendung enthalten, der Großteil bestand aus einer damals wissenschaftlich ebenfalls noch unbe­schriebenen Art, die Seegers und Géry als S9 (Cheirodon? sp.) bezeichnen. Dieser Fisch wurde im Hobby zwischenzeitlich als 7 Rays Mint Tetra bezeichnet, 2012 beschrieb Zarske ihn als Serrapinnus sterbai. Weitere Beifange waren Astyanax goyacensis und Ctenobrycon hauxwellianus.

Männchen von Serrapinnus sterbai
Astyanax goyacensis
Ctenobrycon hauxwellianus

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Unterschiede zwischen Wildfängen und Nachzuchten beim Phönixsalmler
Es ist ganz normal, dass zwischen Wild­fängen und Nachzuchten gewisse Unter­schiede bestehen. Zum einen sind die Le­bens­bedingungen im Aquarium, verglichen mit der freien Natur, als geradezu para­diesisch anzusehen. Nachzuchten werden, gerade bei Salmlern, gewöhnlich deutlich größer und bauen erheblich mehr Körper­masse auf, als freilebende Exemplare. Zudem gibt es in der Natur in Südamerika zumindest zu bestimmten Zeiten kaum Fische mit un­be­schädigten Flossen, da sich eine Vielzahl von Fischarten auf das Flossenfressen spezialisiert hat. Beim Phönixsalmler zeigen die Nachzuchttiere jedenfalls ganz wunder­bar ausgezogene Rücken- und Afterflossen, was bei den Wildfängen (jedenfalls in den ersten Wochen nach dem Import) kaum zu beobachten ist.

Frischfänge des Phönixsalmlers sind oft ziemlich zerrupft; die Natur ist kein Ponyhof
Frisch importiertes Wildfangweibchen des Phönixsalmlers

Die wissenschaftliche Beschreibung
Dr. Axel Zarske (Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, Museum für Tierkunde) erhielt von Dieter Bork konservierte Exemplare des Phönixsalmlers und untersuchte sie genau. Er kam dabei zu dem Schluss, dass diese Art mit Hyphessobrycon stegemanni überhaupt nichts zu tun hat, in die Gattung Hemigrammus gehört und benannte sie als Hemigrammus filamentosus. Der wissenschaftlichen Erstbeschreibung lagen die Importtiere zugrunde.

Die Flossenfilamente sind bei Nachtzuchtmännchen lang ausgezogen
Nachzuchtweibchen (F1)

Pflege und Zucht
Phönixsalmler sind nicht nur wunderschön, sie sind auch ausgesprochen pflegeleicht. Man sollte sie im Trupp von mindestens 10 Exemplaren pflegen, dann zeigen sie ihr volles Verhaltensspektrum und vor allem sind die Männchen dann ständig am zanken und balzen. Gefressen wird jedes übliche Fischfutter und auch bezüglich der Wasser­zu­sammensetzung ist der völlig friedliche Phönix­salmler anspruchslos. Die Zucht verläuft nach typischer Klein­salmler-Art. In weichem, leicht sauren Wasser und bei rund 28°C sind die Männchen sehr balzfreudig.

Bei Wildfangmännchen kann es eine Weile dauern, bis alle Flossen perfekt sind

Inzwischen gehört der Phönixsalmler zum festen Sortiment der im Handel regelmäßig anzutreffenden Kleinsalmler. Gehandelt wird die Art ganz überwiegend als Nachzucht, doch kommen ab und zu auch Wildfänge herein. Hoffen wir, dass es bei dieser erfreulichen Situation bleibt!

Frank Schäfer


Literatur:
Seegers, L. & J. Géry (1989): Neue oder seltene Salmler aus Maranhão, Brasilien. Die Aquarien- und Terrarienzeitschrift 42 (6): 363-365

Zarske, A. (2011): Hemigrammus filamentosus spec. nov. — der Südamerikanische Fadensalmler, ein neuer Salmler (Teleostei: Characiformes: Characidae) aus dem Araguaya-Becken in Brasilien. Vertebrate Zoology v. 61 (no. 1): 3-12.

Zarske, A. (2012): Serrapinnus sterbai spec. nov. — Beschreibung eines neuen Salmlers (Teleostei: Characiformes: Characidae: Cheirodontinae) aus Brasilien mit Bemerkungen zu S. gracilis (Géry, 1960) comb. nov. und S. littoris (Géry, 1960) comb. nov. Vertebrate Zoology v. 62 (no. 1): 3-17

Die Schleie – Märchen und Wahrheiten

Direkt vor unserer Haustür lebt eine Fischart, die ganz und gar einzigartig ist: die Schleie, Tinca tinca. Normalerweise kennt man diesen etwa 40 cm lang werdenden Fisch aus Feinkostgeschäften. Angler haben wohl auch schon Bekanntschaft mit dem Tier gemacht. Doch dass die Schleie ein wunderschöner und hochinteressanter Aquarien- und Gartenteichfisch ist, wissen nur wenige Menschen.

Adulte Schleien, Tinca tinca

Unter den einheimischen Fischen gibt es nur wenige Arten, die es an Genüg­samkeit mit der Schleie aufnehmen können. Sie kann sowohl in Winter- wie auch in Sommerschlaf fallen und ist daher auch in der Lage, kleine Gewässer zu besiedeln. Oft ist sie die einzige Fischart in solchen Tüm­peln, denn sie toleriert auch sehr niedri­ge Sauerstoffkonzentrationen.
Die Heimat der Schleie ist ganz Europa mit Ausnahme ganz weniger Gebiete (Griechen­land, Dal­matien, die Mittelmeer-Inseln und Schott­land), sowie große Teile von Westasien (sie fehlt auf der Krim). Es gibt nur die eine Art Schleie (Tinca tinca), derzeit werden auch keine Unterarten akzeptiert. Tatsächlich ist die Schleie so einzigartig in ihren Merk­malen, dass man sie als einziges Mitglied einer eigenen Unterfamilie inner­halb der Karpfenfische (Cyprinidae) sieht, der Tincinae.


Grundbedürfnisse der Schleie
Die Schleie ist ökologisch sehr anpassungs­fähig und toleriert auch Brackwasser, wes­halb sie sogar in den stärker ausgesüßten Teilen der Ostsee, sowie in Flussmündungen zu finden ist.
Wichtig sind der Schleie vor allem ein weicher Bodengrund, das Vorhandensein von Unterwasserpflanzen und die Existenz von kleinen Schnecken und Muscheln, die ihre Vorzugsnahrung darstellen. Der relativ kurze Darm des Tieres zeigt, dass es pflanz­liche Nahrung nur ungenügend ver­werten kann. Sie bildet zwar einen Teil des natür­lichen Nahrungsspektrums, ein vegeta­risches Leben ist der Schleie jedoch un­möglich. Wasserinsekten und deren Larven, Kleinkrebse etc. bilden die Hauptnahrung der Schleie.


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Jugendliche wildfarbene Schleien, so genannte Grünschleien


Das Temperaturoptimum der Schleie liegt zwischen 12 und 26°C. Bei Temperaturen über 28°C stellt sie die Nahrungsaufnahme ein, sie vermag solch hohe und sogar noch höhere Temperaturen in einer Art Hitzeschlaf zu überstehen. Die niedrigste Laichtemperatur liegt bei 18°C, optimal dürften 22°C sein. Im Winter stellt sie die Nah­rungsaufnahme ebenfalls ein und über­dauert die kalte Jahreszeit in Winterruhe.


Aus all dem kann man leicht erkennen, dass die Schleie bevorzugt in stehenden und lang­­­­sam fließenden Gewässern vorkommt. Darum kommen ihr Gartenteich und Aqua­rium als Alternativlebensräume sehr entge­gen.


Die Schleie im europäischen Kulturraum
Das Fleisch der Schleie wurde zu den ver­schiedenen Zeiten sehr unterschiedlich beurteilt. Die Römer etwa verachteten es und Ausonius schrieb, dass die Schleie nur Speise des gemeinen Mannes sei. Auch die Populärnamen, die der Fisch in manchen Gebieten seines Vorkommens hat, zeugen von Geringschätzung: in bestimmten Ge­genden Ost- und Nordeuropas wird das Tier “Schuhmacher” genannt. Im gesamten deutschsprachigen Raum heißt der Fisch einheitlich Schleie (mit geringen sprach­lichen Abweichungen, wie Schleih oder Schleich), was auf das protogermanische Wort für “schlüpfrig” (slipan) zurückzuführen ist und sich auf die starke Schleimschicht der Haut mit den für die Schleie so typischen kleinen Schuppen bezieht. In Frankreich (“Tanche”), in England (“Tench”), in Italien (“Tenca”) und Spanien („Tinca”) wurde dagegen die lateinische Bezeichnung “Tinca” in Abwandlung übernom­men.

Dreifarbige Schleien


Die außerordentliche dicke Schleimschicht des Fisches gab auch Anlass für allerlei volks­tüm­lichen Aberglauben. Am verbreitetsten ist die Vorstellung, dass die Schleie der “Fisch­doktor” sei, an dessen heilender Schleim­schicht sich alle verletzten Fische reiben. Demnach würden die Raubfische Hecht und Barsch die Schleie nicht fressen, da sie sich für die geleisteten Heilerdienste bedankten. Das ist aber natürlich ebenso Unsinn wie die Mär, dass Schleien auf den Bauch gebunden, die Gelbsucht, lebend auf die Stirn gebun­den Kopfschmerzen, ins Genick gebunden, Au­gen­entzündungen und unter die Fuß­sohlen gebunden, die Pest und das Fieber vertreiben.

Fortpflanzung
Die Schleie wird im 3. Lebensjahr ge­schlechtsreif. Normalerweise ist sie dann etwa 20-30 cm lang. Sind sehr viele Schleien im Gewässer und fehlt es an Raubfischen, dann tritt der Effekt der Verbuttung ein. Dann wachsen die Fische nicht über eine Ge­samtlänge von 10-15 cm hinaus und werden auch in dieser geringen Größe geschlechts­reif. Grundsätzlich ist die Geschlechtsreife bei Fischen nicht an die Größe, sondern an das Alter gebunden, Schleien machen da keine Ausnahme.

Wenige Zentimeter große, junge Goldschleien


Schleien werden gewöhnlich ca. 40 cm lang, seltene Rekordmaße werden mit 70 cm (bei dann 7,5 kg Gewicht) angegeben.

Männchen und Weibchen sind bei Schleien leicht auseinander zu halten. Die Männchen haben wesentlich größere Bauchflossen als die Weibchen. Im Sommer, wenn der Weizen blüht (Mai – Juli), laichen die Schleien an Unter­was­serpflanzen ab. Die Eier sind sehr klein und zahlreich (300.000 – 600.000 pro Weibchen). Gewöhnlich treiben mehrere Männchen ein Weibchen. Brutpflege üben Schleien nicht aus.


Die geheimnisvolle Goldschleie
1782 beschrieb Bloch die Goldschleie erst­mals in der wissenschaftlichen Literatur. Er hielt sie für eine eigenständige, von der gewöhnlichen Schleie unterschiedene Art und benannte sie Cyprinus tinca auratus. Die Heimat des Fisches vermutete Bloch in Schlesien und Böhmen (heute zu Polen bzw. zu Tschechien gehörende Landstriche). Bis heute ist der Ursprung dieser wunder­schönen Fische, in denen man derzeit ledig­lich eine in Menschenobhut ent­standene Haustierform der Schleie sieht und die darum keinen eigenen wissen­schaft­lichen Namen bekommt, unbekannt geblieben. Man weiß weder, wann sie entstand, noch wann der Mensch begonnen hat, sie plan­mäßig zu züchten.

Goldschleie aus Blochs Originalbeschreibung (1782)


Im Jahr 2004 tauchten erstmals auch drei­farbige Schleien und rein weiße Tiere im Handel auf. Wir berichteten darüber in AqualogNews 58.

Männchen der Goldschleie


Biologische Schneckenvertilger
Sowohl im Kaltwasserquarium wie auch im Gartenteich eignen sich Schleien sehr gut zur biologischen Schneckenbekämpfung, wenn die Weichtierpopulation einmal über­hand nehmen sollten.


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Schleien im Aquarium
Schleien sind wundervolle Aquarienfische, deren Pflege auch Anfängern gelingt. Da die Fische auch im Aquarium 15-20 cm groß werden, ist das Becken entsprechend dimensioniert zu wählen. Bezüglich der Wasserzusammensetzung sind Schleien völlig anspruchslos. Man sollte ihnen aber einen weichen Sandboden zu graben und reichlich Versteckmöglichkeiten bieten. Schleien sind dämmerungsaktive Fische, daher sollte das Becken nicht zu hell beleuchtet sein. Füttern kann man sie mit allen üblichen Lebend-, Frost- und Trocken­futter­mitteln, wobei Muschelfleisch in der Diät nicht fehlen sollte. Heizen muss man das Aquarium selbstverständlich nicht. Gegen­über anderen Fischen, seien es nun Artge­nossen oder artfremde Fische, sind Schleien vollkommen friedlich.

Männchen
Weibchen
Dreifarbiges Tier mit hohem Weißanteil. Es gibt auch rein weiße Schleien.

Bei der Einrichtung des Aquarium sollte man beachten, dass die Schleie von Natur aus ein dämmerungsaktives Tier ist. Das Aquarium sollte darum nur mäßig stark beleuchtet sein. Krönke (Kaltwasser-Fische, 2014, Eigenverlag) geht sogar so weit, zu empfehlen, das Schleien-Aquarium völlig unbeleuchtet zu lassen. Das halte ich allerdings für übertrieben. Manchmal können Schleien während der Eingewöhnungsphase scheu sein. Dem ist unbedingt Rechnung zu tragen, indem man dämmerige Unterstände einbaut (Höhlen, größere Wurzeln etc.). Schwimmpflanzen – biotopgerecht wäre der Froschbiss, Hydrocharis morsus-ranae, der aber im Winter unter Kurztagbedingungen einzieht – helfen sehr, den Fischen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Man bedenke, dass sehr viele der schlimmsten Fressfeinde solcher Fische von oben kommen. Das sind vor allem Vögel. Statt des heimischen Froschbisses darf man etwas schummeln und wählt eine tropische Art, die ähnlich aussieht, wie den Südamerikanischen Froschbiss (Limnobium laevigatum). Der wird zwar unter Kurztagbedingungen – also ca. 8 Stunden Beleuchtungsdauer – nicht so üppig wuchern, wie unter Langtagbedingungen – also mehr als 12 Stunden Beleuchtungsdauer, aber immerhin wachsen. Da Schleien es sehr schätzen, sich in dichtem „Kraut“ zu verstecken, liegt der zu findende Kompromiss zwischen ihrer Lichtscheu und einem befriedigendem Pflanzenwuchs in dem unteren Beleuchtungswert, in dem z.B. die Idealpflanze für solche Zwecke, das Nixkraut (Najas guadalupensis) gerade noch ein gutes Wachstum zeigt.

Wichtig ist die Wahl des Bodengrundes: dieser sollte zumindest teilweise aus weichem Fluss-Sand bestehen. Ungeeignet ist scharfkantiger Bausand. Schleien gründeln gerne. Optimal wäre natürlicher Teich-Schlamm, aber der würde das Aquarium in eine trübe Brühe verwandeln und zahlreiche weitere Probleme verursachen. Feiner, weicher Fluss-Sand ist eine gute Alternative dazu.

Auch die Zucht von Schleien gelingt im Aquarium, das wird aber nur extrem selten praktiziert. Eine Überwinterung unter Kurtagbedingungen ist aller­dings die Grundvoraussetzung für sol­che Zucht­ver­­suche, wie bei allen Fischen der ge­mäßig­ten Breiten. Der Laich wird bei 18-20°C nach heftigem Treiben der Weibchen durch meist mehrere Männchen frei ins Wasser in der Nähe von Unterwasserpflanzen oder freigespültem Wurzelwerk von Landpflanzen ausgestoßen und bleibt in diesen Strukturen hängen. Die Entwicklung des Laichs bis zum Schlupf der Larven benötigt 60-70 Tagesgrade. Tagesgrade bezeichnen die Summe der durchschnittlichen Tagestemperaturgrade binnen 24 Stunden. Benötigt also Laich z.B. 40 Tagesgrade, so entspricht das bei 10°C 4 Tage, bei 5°C 8 Tage, bei 15°C 2,7 Tage, bei 20°C 2 Tage usw. Die frisch geschlüpften Larven hängen sich mittels Klebdrüsen an den Wasserpflanzen an. Weitere 2-7 Tage (auch das ist temperaturabhängig) werden bis zum Freischwimmen benötigt. Die Larven haben eine Länge von ca. 3-5 mm. Als Erstfutter kann man bereits frisch geschlüpfte Artemia-Nauplien anbieten, aber weil die Larven eine sehr kleine Mundöffnung haben, müssen es anfangs die sehr kleinen San-Francisco-Artemia sein. Das Wachstum der jungen Schleien ist rasch, im Aquarium noch deutlich schneller als in der Natur. Unter natürlichen Bedingungen werden Schleien meist ab dem dritten Lebensjahr geschlechtsreif (s.o.). Allerdings ist die Schleie extrem anpassungsfähig und kann lokal sehr unterschiedlich früh oder spät geschlechtsreif werden. Es gehört zu den lohnenswerten Aufgaben der Aquaristik, die vor Ort vorkommenden Schleien in dieser Hinsicht zu studieren!

Frank Schäfer

Hammerschlag-Wasserkelche

Wasserkelche (Cryptocoryne) sind eine Gattung wichtiger Aquarien­pflanzen. Viele Arten sind anspruchsvoll in der Kultur, andere aber auch sehr einfach. Viele Wasserpflanzenfreunde sind über das Sammeln verschiedener Arten und Sorten von Cryptocorynen zu richtigen Botanikern geworden.

Hammerschlag-Wasserkelche wachsen auch gut in bewegtem Wasser, hier unterhalb eines kleinen Wasserfalls in einem Gewächshaus eines Zoos.

Hammerschlag-Wasserkelche sind in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Cryptocorynen. Es sind reine Wasser­pflanzen. Sehr viele andere Cryptocoryne-Arten sind eigentlich Sumpfpflanzen, die in der Natur nur zeitweilig – einige Wochen oder Monate im Jahr – überflutet werden und nur dann unter Wasser wachsen. Ihren Entwicklungshöhepunkt haben diese Arten aber in der Zeit, in der sie aufgetaucht wachs­en; dann blühen sie auch.

Bei den Hammerschlag-Wasserkelchen ist es genau umgekehrt. Sie wachsen und blühen am besten, wenn sie untergetaucht leben und nur ausnahmsweise bilden sie eine kümmerliche Landform aus – nämlich dann, wenn es gar nicht anders geht.


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Cryptocoryne crispatula var. balansae
Zeichnung: Tropica, Dänemark

Eine weitere Eigenschaft zahlreicher Wasser­kelch-Arten besteht darin, dass sie sehr weiches, saures Wasser bevorzugen, manch­mal sogar unbedingt brauchen und in totem organischen Material (Torf, verrottetem Tot­laub) als Bodengrund am besten gedei­hen. Die richtige Mischung herauszufinden ist oft ziemlich kompliziert und gehört zu den besonderen Herausforderungen derer, die eine Kultur versuchen wollen.

Auch in diesen Aspekten fallen die Hammer­schlag-Wasserkelche völlig aus dem Rahmen der Gattung. Sie bevorzugten hartes, alka­lisches Wasser und einen lehmigen Boden­grund, ganz ohne organische Bei­mischungen. Hammerschlag-Wasserkelche gehören damit zu den ganz wenigen Pflan­zenarten, die sich auch gut für Aquarien mit Buntbarschen aus dem Malawi- und Tanga­njika-See eignen, in denen das Wasser ja bekanntlich auch alkalisch sein muss und aus praktischen Gründen meist hart ist (in weichem Wasser lässt sich ein pH-Wert von 8 – 8,5 nur schwer stabil aufrecht erhalten).

Hammerschlag-Wasserkelche sind große und auffällige Pflanzen. Die Blätter sind zwi­schen 2 und 4 cm breit und kräftig dunkel­grün. Sie werden zwischen 40 und 80 cm lang. Lange Blätter wachsen entlang der Wasser­oberfläche. Die Blätter sehen aus, als habe man mit einem kleinen Hammer viele Dellen hineingeschlagen, darum der Populär­name Hammerschlag-Wasserkelch. Das Wur­zel­werk ist kräftig ausgebildet. Da die Pflanze einen Großteil ihrer Nährstoffe über die Wurzeln aufnimmt, ist für einen ausreichend hohen Bodengrund zu sorgen, in dem die Wurzeln gut Fuß fassen können. Der Bodengrund sollte 8-10 cm hoch sein, wo der Hammerschlag-Wasserkelch wachsen soll. Man verwendet am besten ungewaschenen, lehmigen Kies von einer Körnung zwischen 1 und 3 mm und drückt, sobald die Pflanzen eingewurzelt sind, einige Lehmkugeln oder vergleichbare Produkte um die Pflanze herum in den Boden. Nur die oberste Deck-Kiesschicht (ca. 1-2 cm dick) darf gewaschen werden. Beim Einpflanzen ist darauf zu achten, dass das Herz der Pflanze, in der Mitte des Austriebs gelegen, nicht eingegraben wird, sondern stets frei liegt.

Leider blühen Hammerschlag-Wasserkelche im Aquarium nur selten. Die Ver­mehr­ung er­folgt dennoch reichlich, nämlich über Ausläufer. Aber um einen Hammerschlag-Wasserkelch auf seine Artzugehörigkeit bestimmen zu können, braucht man die Blüte. Es gibt nämlich tatsächlich drei Arten großer Hammerschlag-Wasserkelche! Sie sehen einander zum Verwechseln ähnlich. Nur die Blüte gibt zweifelsfrei die Artzu­gehörigkeit preis. Bereits als Kinder lernen wir, dass ähnliches Aussehen bei einer Pflanze nicht unbedingt bedeutet, dass sie ähnliche Eigenschaften hat. Eine Brennessel (Urtica) und eine Taubnessel (Lamium) sehen sich in der Tat sehr ähnlich. Doch nur die Brennessel verfügt über die Brennhaare, die ihre Be­rührung so unangenehm macht. Wer je die Blüten von Brennesseln und Taubnesseln sah, wird die beiden Pflanzen nie wieder ver­wechseln.

Blüte von Cryptocoryne crispatula var. balansae

Die gute Nachricht ist: alle drei Arten der großen Hammerschlag-Wasserkelche haben in etwa die gleichen Kulturansprüche. Wer also lediglich eine schöne, große Aquarien­pflanze sucht, die auch in alkalischem Wasser wächst, ist mit jeder der drei Arten gleich gut bedient. Aber für viele Aquarianer ist ihr Hobby ja auch Gelegenheit, etwas zu lernen. Der wohl am häufigsten im Hobby vertretene Hammerschlag-Wasserkelch ist Cryptocoryne crispatula var. balansae (früher: C. balansae). Die Art C. crispatula ist sehr variabel, aber die Varianten behalten auch im Aquarium ihr Aus­sehen bei. Sogar die Variante C. c. var. balansae bildet verschiedene Formen aus, darunter auch eher rötlich gefärbte. Manche bleiben relativ klein und werden nur ca. 20-30 cm hoch, andere sind typische Hammer­schlag-Wasserkelche mit bis zu 60 cm langen Blättern. Wenn man sie neu kauft, sieht die noch junge Pflanze anders aus als die er­wachsene. C. c. var. balansae stammt ur­sprüng­lich aus Thailand, aber alle Ham­merschlag-Wasserkelche werden ausschließ­lich als in Gärtnereien gezüchtete Exem­plare gehandelt.

Blüte von Cryptocoryne aponogetifolia

Die zweite, häufig gepflegte Art ist Cryptocoryne aponogetifolia. Sie stammt ursprünglich von den Philippinen. Es scheint allerdings, als hätten viele Gärtnereien in jüngster Zeit diese Pflanze aufgegeben. Erstmals kam sie in den 1950er Jahren nach Europa, zunächst nach Dänemark, später auch nach Deutschland, wo sie sehr beliebt wurde. Man kann sie oft noch bei Vereins­börsen von privaten Liebhabern erstehen. Vielleicht ist das aktuelle Verschwinden dieser Art aus den Angebotslisten der Gärt­nereien auch nur ein vorübergehendes Phänomen.


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Die dritte Art stammt ebenfalls von den Philippinen. Es ist Cryptocoryne usteriana. Sie war – im Gegensatz zu den beiden zuvor ge­nannten Arten – bis in die jüngste Vergangen­heit nicht im Handel erhältlich. Das hat sich grundlegend verändert, gegenwärtig wird die schöne Pflanze von fast allen großen Wasserpflanzengärtnereien angeboten.

Wie gesagt, im allgemeinen Habitus kann man die großen Hammerschlag-Wasser­kelche nicht sicher unterscheiden (es gibt auch noch zwei kleinbleibende Arten, Cryptocoryne hudoroi und C. keei, die jedoch gegenwärtig nur bei Wasserpflanzen-Spezia­listen unter den Aquarianern verbreitet sein dürften; diese kleinen Arten stellen völlig andere Ansprüche an die Kultur und werden hier nur der Vollständigkeit wegen er­wähnt), sieht man einmal von eini­gen kaum ge­häm­­merten For­men von C. c. var. balansae ab. Die Blüten der drei Arten unterscheiden sich jedoch deutlich. Leider blühen die Hammerschlag-Wasserkelche aber so gut wie nie. Und so war es für mich eine große Überraschung, dass in einem der Aquarien der Schau-Anlage von Aquarium Glaser plötz­lich einer der Wasserkelche eine Unterwasser-Blüte entwickelte. Die lange, spiralige Spathaspreite zeigte eindeutig, dass es sich bei diesem Wasserkelch um Crypto­coryne crispatula var. balansae han­delte! Ich hätte bis dahin geschworen, dass das Becken mit C. aponogetifolia bepflanzt sei. Deren Blüte hat jedoch nur eine relativ kurze, nur wenige Male gedrehte Spathaspreite, der Schlund der Blüte ist violett. Die Blüte von C. usteriana ähnelt der von C. aponogetifolia, ist jedoch im Schlund leuchtend gelb. Mir war es noch nicht vergönnt, die Blüte von C. usteriana mit eigenen Augen zu sehen.

Wer sich Hammerschlag-Wasserkelche im Zoofachhandel kauft, wird gewöhnlich den richtigen Namen gesagt bekommen. Doch die sichere Bestimmung einer Pflanze aus alten Aquarienbeständen wird ohne Blüte kaum gelingen. Schön sind sie aber alle drei, die großen Hammerschlag-Wasserkelche. Und es sind Energiespar-Pflanzen, denn ihr Lichtbedarf ist nur mäßig. Probieren Sie die Pflanzen aus, Sie werden es nicht bereuen!

Frank Schäfer

Kinder der Sonne

Als um 1877 die ersten Barsche der in Nordamerika heimischen Familie Centrarchidae Europa erreichten, kannte die Begei­sterung der Liebhaber kaum Grenzen.

Der Gemeine Sonnenbarsch, Lepomis gibbosus, ist eine der schönsten Arten und war lange Zeit die einzige, die fast immer im Angebot des Zoofachhandels zu finden war. Heutzutage besteht ein Handelsverbot innerhalb der EU für diese Art. Sie ist jedoch unausrottbar in vielen Teilen Europas seit 200 Jahren naturalisiert.

Bei Lepomis gibbosus unterscheiden sich die Geschlechter äußerlich nur geringfügig. Die Männchen sind größer und bunter. Die Freialndaufnahme zeigt ein Paar in einem Teich an der hessischen Bergstraße, wo die Art außerordentlich häufig ist.

Sonnenbarsche nannte man sie, denn in der Sonne strahlten und funkelten sie, dass es eine Pracht war. Bis heute gibt es kaum eine Fischgruppe, die es an Farbenpracht mit den Sonnen­bar­schen aufnehmen kann. Als Kaltwas­ser­fische verkümmern Sonnen­barsche je­doch, wenn sie jahr­ein, jahraus in zentral­ge­heizten Wohn­zim­mer­aqua­rien unter­ge­bracht sind. Vor der Entwick­lung der hoch­­wertigen Frost­futter muss­te man sie außerdem mit Lebendfutter versor­gen, dessen Beschaffung für Stadt­be­woh­­ner nicht eben einfach ist – denn Troc­kenfutter nehmen Sonnenbarsche nicht an. Dies ließ die Fische lange in Ver­ges­senheit geraten. Erst mit der Garten­teichwelle in den 1980er Jahren kamen auch die Son­nen­­barsche zurück in den Zoofachhandel. Heutzutage sind die Tiere ebenfalls hauptsächlich als „Teichfische“ im Angebot und darum am leichtesten saisonal – etwa von April bis Juli – erhältlich.

Der Scheibenbarsch, Enneacanthus chaetodon, war in den 1950er Jahren auch als „Arbeiterdiskus“ bekannt.

Sonnenbarsche bilden eine exklusiv nordamerikanische Familie, die aktuell 8 Gattungen mit insgesamt 38 Arten umfasst. Das sind im einzelnen (in Klammern jeweils die Artenzahl): Acantharchus (1), Ambloplites (5), Centrarchus (1), Enneacanthus (3), Lepomis (13), Micropterus (13) und Pomoxis (2). Hinzu kommen die Zwergsonnenbarsche, Elassoma, mit 7 Arten. Sie wurden früher zu den Sonnenbarschen gerechnet, heutzutage biligt man ihnen den Rang einer eigen Familie, der Elassomatidae, zu, die nur diese eine Gattung enthält.

Die kleineren Arten sind sehr em­pfeh­lenswerte Aquarienfische. Im Gegensatz zu vielen europäischen Arten unter den so genannten Kaltwasserfischen, die nur mit Mühe mit den hohen Temperaturen im Zimmeraquarium während des Som­mers zurechtkommen, sind Sonnenbar­sche diesbezüglich völlig unempfindlich. Bis 26°C vertragen sie ohne dabei ab­zumagern, was ein typischer Warm­wasserschaden anderer Kaltwasser­fische ist. Diese verbrauchen nämlich bei zu hohen Temperaturen mehr Energie, als sie mit der Nahrung aufnehmen können. Auszehrung und auf lange Sicht der Tod sind die Folge.

Der Diamantbarsch, Enneacanthus gloriosus, ist empfindlich gegen Verpilzung.

Enneacanthus obesus wird auf deutsch ebenfalls Diamantbarsch genannt. Er und E. gloriosus wurden in der Literatur schon oft verwechselt. E. obesus hat Streifen, E. gloriosus nicht. Weibliche E. obesus sind oft ziemlich farblos.

Um über Jahre hinweg gesund zu blei­ben, müssen Sonnenbarsche kühl überwintert werden. Die Zwergsonnen­barsche (Elassoma) sind diesbezüglich am an­spruchs­losesten, ihnen genügen einige Wochen bei 15-16°C, um fit zu bleiben. Andere Arten, vor allem die etwas größeren Lepomis und Centrarchus, sollten hingegen Temperaturen um 10°C zur Überwinterung geboten bekom­men. Da die Fische in dieser Zeit nicht fressen, kann ein alter Kühlschrank dafür gute Dienste leisten. Man stellt ein flaches Aquarium hinein (Durchlüfter nicht vergessen!) und setzt die Barsche hier für 6-8 Wochen ein. Die Phase des Herunterkühlens sollte dabei vorsichtig über mehrere Stunden erfolgen; die Folge eines zu raschen Temperaturabsenkens sind vor allem Pilzerkrankungen, die einen sehr raschen und drastischen Verlauf nehmen können. Berüchtigt sind in Bezug auf die Empfindlichkeit gegen diese Saprolegnia die Scheiben- und Diamantbarsche (Enneacanthus). Diese Arten bevorzugen im Freileben einen ziemlich niedrigen pH-Wert und huminstoffreiche Gewässer. Beim Herausfangen lasen sich winzige Hautverletzungen kaum vermeiden. Das ist normalerweise völlig harmlos, bei unter Distress stehenden Fischen ist jedoch das Immunsystem angegriffen. Dadurch ist die Abwehrkraft gegenüber im Prinzip harmlosen Pilzen, die sich eigentlich nur von abgestorbenem Gewebe ernähren, deutlich herabgesetzt. Huminstoffe bewirken eine deutliche Verstärkung der Schleimhautschicht bei Fischen. Die Schleimhaut ist sehr wichtig, um das Eindringen von potentiellen Krankheitserregern zu verhindern. Und so erklärt es sich zwanglos, warum die Diamant- und Scheibenbarsche im Ruf stehen, gegen ein Umsetzen besonders empfindlich zu sein. Vor 150 Jahren war die Kenntnis um die Bedeutung der chemischen Wasserzusammensetzung kaum vorhanden…

Nur selten im Angebot: Lepomis megalotis

Zurück zur Überwinterung: Am Besten betreibt man das Aquarium im Kühlschrank erst ein paar Tage bei gezogenem Kühlschrankstecker. Ist das Wasser dann ausreichend abgestanden, setzt man die Fische ein und stellt den Kühlschrank auf die wärmste Temperatur ein, die der Regler zulässt; gewöhnlich sollte sich das Wasser im Überwinterungsbecken nun auf 12-16°C abkühlen, je nach Modell des Kühlschranks. Dann dreht man täglich den Regler etwas zurück, bis die Temperatur im Becken 10°C erreicht hat. Hierbei sollte man es belassen. Unter 6°C sollte die Temperatur niemals sinken. Es schadet den Tieren nicht, wenn es im Kühl­schrank dunkel ist, denn während der Überwinterung ist ihre gesamte Aktivität stark eingeschränkt. Übrigens muss man sich auch um die Filterbakterien keine großen Gedanken machen, eine Einlaufphase, wie im regulären Aquarium, ist gewöhnlich nicht nötig, da auch der Stoffwechsel der Stickstoff abbauenden Bakterien bei Temperaturen um 10°C sehr stark reduziert ist.

Manche Arten, hier Lepomis punctatus (oben), L. macrochirus und L. microlophis, wurden wohl noch nie nach Europa importiert. Die Aufnahmen entstanden im Shedd-Aquarium in Chicago.

Lepomis macrochirus

Lepomis microlophis

Viele Arten der Sonnenbarsche sind im mitteleuropäischen Klima winterhart, man kann sie darum auch im Garten­teich halten, doch ist dies nicht zu empfehlen, es sei denn, der Teich wurde speziell für die Sonnenbarsche konzi­piert. Molchlarven, Kaulquappen und sämtliche Wasserinsekten werden näm­lich mit Vorliebe von den Sonnen­barschen verzehrt. Und so würden in einem normalen Gartenteich, der ja als Refugium für viele bedrohte einheimische Kleintiere dient, Sonnenbarsche eher stören als Freude bereiten.

Jungtier des Pfauenaugenbarsches.
Pfauenaugenbarsche, Centrarchus macropterus, sind heutzutage Raritäten im Aquarium.

Die Männchen der Sonnenbarsche – die Geschlechter sind nach äußerlichen Merkmalen übrigens kaum zu unterscheiden, nur sehr geübte Betrachter erkennen an Nuancen des Körperbaus und den etwas matteren Farben die Weibchen – besetzen nach der Win­terruhe kleine Reviere, meist in der Nähe eines Pflanzenbuschs. Hier schaffen sie eine Mulde im Sand, in dem der Laich und die frischgeschlüpften Jungfische untergebracht sind. Die Brutfürsorge beschränkt sich eher auf die Revier­ver­teidigung als auf die aktive Jungen­pflege. Im Gegensatz zu den Bunt­barschen lassen Sonnenbarsche die Be­pflanzung völlig in Ruhe.

Zwergsonnenbarsche betreiben keine Brutpflege, die Männchen bewachen lediglich ein kleines Ablaichrevier. Diese Tierchen setzen ihre Eier in feinfiedrigen Pflanzen ab. Die Jungtiere sind sehr winzig und schwer zu entdecken. Zwergsonnenbarsche züchtet man am besten im Daueransatz, zumal sie während der Laichsaison über etliche Wochen hinweg ständig ablaichen.

Forellenbarsche, Micropterus salmoides, werden bei uns als Speisefische gezüchtet. Sie eignen sich nur als Jungtiere für das Aquarium und sind ziemlich aggressiv.

Die ideale Unterbringung von Sonnenbarschen ist ein im Freiland (Garten oder Balkon) aufgestelltes möglichst großes Aquarium, das morgens 2-3 Stunden Sonne erhält, ansonsten aber vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt ist. Ein solches Aquarium muss, um allzu drastische Temperaturschwankungen zu vermeiden, an den Seiten, durch nicht geschaut wird, mit einer dicken Isolierung versehen sein, Das ist auch für den Winter nötig; wenn Frost herrscht, muss geheizt werden, um ein durchfrieren und platzen des Aquariums zu verhindern.  Weitere Technik ist bei kluger Einrichtung nicht nötig.

Zwergsonnenbarsche, hier Elassoma evergladei, stehen in einer eigenen Familie, Elassomatidae. Sie werden nur 2-3 cm lang. Die Weibchen haben keine Glanzpunkte. Leider überwiegen in den Zuchten oft ganz erheblich die Männchen.

Die Ernährung von Sonnenbarschen mit Frostfutter ist heutzutage problem­los und kein Grund mehr, sich die Pflege dieser herrlichen Fische zu verkneifen.

Elassoma zonatum. Die Männchen aller Elassoma-Arten können sich tiefschwarz einfärben, aber es ist schwer, sie im Photoaquarium so abzubilden, denn die Tierchen sind etwas scheu und brauchen oft Tage, um sich sicher zu fühlen. Diese Zeit habe ich leider meist nicht.

Elassoma okatie ist eine absolute Rarität.

Die Männchen von E. okefenokee haben hübsch blaue Flossensäume, die Weibchen nicht.

Elassoma gilberti ist ebenfalls eine aquaristische Rarität.

Frank Schäfer


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Congopanchax brichardi: Ein Juwel aus dem Kongo

Die Leuchtaugenfische sind Killifische aus Afrika. Schon lange gehören einige ihrer Arten zum Standardsortiment des gut sortierten Zoofachhandels. Doch die Art, die wir hier vorstellen, ist nicht nur wunderschön sondern auch eine aquaristische Seltenheit ersten Ranges.

Balzendes Männchen von Poropanchax brichardi.

Großer Namenswirrwarr
Der wissenschaftliche Gattungsname dieser Leuchtaugenfische war und ist Gegenstand unterschiedlicher Auffassungen. Zunächst wurden die kleinen Fische in die Gattung Aplocheilichthys gestellt, dann wurde für sie die neue Gattung Congopanchax aufgestellt. Congopanchax wurde anschließend von einigen Wissenschaftlern als eigenständige Gattung gesehen, andere sahen hingegen in Congopanchax nur eine Untergattung zu Aplocheilichthys. Heute wird Congopanchax allerdings meist als Untergattung der Gattung Poropanchax gesehen. Das alles klingt vielleicht verwirrend, reflektiert aber lediglich die Tatsache, dass an den Verwandtschaftsverhältnissen der Leuchtaugenfische intensiv geforscht wird. Unterschiedliche Forschungsansätze liefern dabei unterschiedliche Ergebnisse und diese wiederum werden von den Forschern unterschiedlich interpretiert. Ein “richtig” oder “falsch” gibt es dabei nicht, denn die Diskussion ist keineswegs beendet und jede Person, die sich mit den Argumenten auseinandersetzt, darf gemäß der wissenschaftlichen Freiheit für sich ganz persönlich entscheiden, welche der vorgetragenen Beweise für entscheidend gehalten werden. Und so findet man unseren kleinen Fisch in der Literatur unter den Namen Congopanchax brichardi, Aplocheilichtys brichardi, Poropanchax brichardi oder – das ist die zur Zeit am häufigsten gewählte Schreibweise – Poropanchax (Congopanchax) brichardi. Dabei bedeutet der in Klammern gesetzte Name “Congopanchax”, dass er als Untergattungsname benutzt wird. Als Aquarianer sollte man alle diese Namen kennen, um in der Lage zu sein, die gesamte existierende Literatur zu den kleinen Kostbarkeiten recherchieren zu können.



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Entdeckungsgeschichte
1952 beschrieb Max POLL einen kleinen, im männlichen Geschlecht maximal 2,5 cm, im weiblichen maximal 2 cm langen Leuchtaugenfisch als Aplocheilichthys myersi. Typusfundort ist “Ile Atena, Stanley Pool, Leopoldville”; Heute heißen die Örtlichkeiten Mbamu Island, Pool Malebe und Kinshasa. Man sieht, nicht nur wissenschaftliche Namen können sich ändern …
Fast 20 Jahre später, 1971, beschrieb POLL eine weitere, sehr ähnliche Art, diesmal aus dem zentralen Kongobecken (“Liyeke, bras mort de la riv. Tshuapa, route Boende-Watsi, 2km de Boende”) als Congopanchax brichardi und stellte A. myersi ebenfalls in die neu geschaffene Gattung Congopanchax. Seltsamerweise wurde in der Erstbeschreibung von C. brichardi der am stärksten ins Auge fallende Unterschied zwischen den beiden Arten kaum erwähnt: die Afterflosse von C. myersi setzt nämlich sehr weit vorn, fast unmittelbar hinter den Bauchflossen an, während die Afterflosse von C. brichardi etwa auf gleicher Höhe mit der Rückenflosse beginnt. Lediglich aufgrund der in der Erstbeschreibung genannten, sehr geringfügigen Unterschiede zwischen C. myersi und C. brichardi kamen Aquarianer irrtümlich schon auf den Gedanken, beide Arten seien identisch miteinander. Congopanchax brichardi wird in beiden Geschlechtern lediglich 2 cm lang.

Typusexemplare von C. myersi (oben) und C. brichardi (unten). Zeichnungen: R. Wildekamp

Der natürliche Lebensraum
Das detaillierte Verbreitungsgebiet von Congopanchax brichardi, für den ich den deutschen Gebrauchsnamen “Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch” vorschlage, ist nicht bekannt. Der winzige Fisch wird mit normalen Fanggeräten nicht erfasst. Man weiß, dass die Art im Einzug des zentralen Kongo vorkommt, inklusive der flachen Bereiches des Tumba-Sees. Der Tumba-See ist überfischt, so stark, dass eine Brotfischerei dort manchmal nicht mehr möglich ist und einige ehemaligen Fischer dazu übergehen mussten, Landwirtschaft zu betreiben. Die bekannten Lebensräume von C. brichardi stellen laut Literatur kleine Zuflüsse, Bäche, Sümpfe und Uferbereiche dar, die einen starken Bewuchs an Unterwasserpflanzen aufweisen. Das Wasser dort ist sehr weich (20-50µS, also kaum 1°dGH), und sauer, der pH-Wert liegt zwischen 4,5 und 5,5. Leuchtaugenfische sind generell Schwarmfische, die Schwärme halten sich gerne nahe der Oberfläche auf.
U. SCHLIEWEN (mündl. Mitt.) fing die Art im Flachwasser des Mai Ndombe  Sees. Das Wasser ist dort extremes Schwarzwasser und die Wassertemperatur sehr hoch, um 30°C. Er glaubt nicht, dass die Art dort in kleinen, kühlen Bächen vorkommt, wie die Schmetterlingsbarbe (Enteromius hulstaerti), sondern vielmehr in Totarmen und schwimmenden Wiesen der großen Schwarzwasserflüsse und eben in Schwarzwasserseen.
Trotz  der  Überfischungs-Situation im Tumba-See und der nur ungenau bekannten Verbreitung wird Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch auf der Internationalen Roten Liste des IUCN mit “Least Concern” (= “Nicht gefährdet”) geführt.


Die Weibchen sind bei Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch recht unscheinbar gefärbt.

Im Aquarium
Die größte Schwierigkeit bei Congopanchax brichardi für den Aquarianer besteht sicherlich darin, die Art überhaupt zu bekommen. Aus dem zentralen Kongogebiet erreichen uns nur relativ wenige Importe und Brichards Kolibri-Leuchtaugenfisch ist so gut wie nie dabei. Das hängt selbstverständlich damit zusammen, dass es vor Ort sehr schwierig ist, so kleine und zarte Fische überhaupt sachgerecht zu hältern. Angeschlagene Tiere sind zudem sehr transportempfindlich.


Dennoch kam es ab den 1990er Jahren zu gelegentlichen Importen des entzückenden Tieres nach Europa. Bei der Eingewöhnung muss man sehr sorgsam vorgehen, sonst sind Verluste unumgänglich. Sie sind sehr empfänglich für bakterielle (Schwäche)-Erkrankungen und den gefürchteten “Weichwasserparasiten” Piscinoodinum.


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Männchen von Congopanchax brichardi

Die fotografierten Exemplare führte Aquarium Glaser in der zweiten Januarwoche 2012 ein. Die Fische wurden von mir zunächst für eine Woche in einem 15-Liter Fotografieraquarium mit relativ weichem Wasser (8°dGH) und pH7 bei 22-24°C gepflegt, wo sie sich gut eingewöhnten. Das Fotografieraquarium wird ziemlich stark gefiltert, damit sich keine Schwebstoffe im Wasser halten. Eine Tauchpumpe mit einer Förderleistung  von 40 Liter/Stunde betreibt den Filter. Die kleinen Fische tolerierten diese starke Strömung anstandslos, waren jedoch in dem klaren Wasser sehr schreckhaft. Auf die Dauer sollte man sie besser keiner starken Strömung aussetzen.

Nach Abschluss der Fotoarbeiten zogen die Tiere in ein kleines (30 x 20 x 20 cm) Aquarium um, das mit frei aufgefangenem, in einem kleinen Gartenteich gereiften Regenwasser befüllt wurde. Einige Erlenzäpfchen färben das Wasser in diesem Aquarium tiefbraun. Das Aquarium wird nicht befiltert, die Wassertemperatur liegt dort um 28°C. Gefüttert wurden die Fische ausschließlich mit lebenden Artemia-Nauplien. Die kleinen Fische hielten sich unter diesen Bedingungen sehr gut, ich gab sie nach rund 6 Monaten an einen befreundeten Aquarianer ab, der mit ihnen züchten wollte.

Magenuntersuchungen, die MATTHES in der Natur durchführte, ergaben, dass  die  Congopanchax sich  von Cladoceren, Copepoden  und  kleinsten Insektenlarven ernähren.


Das von Erlenzäpfchen tiefbraune Wasser hat den Vorteil, dass die Fische sich sicher fühlen; die Huminstoffe aus den Erlenzäpfchen wirken leicht bakterizid und fungizid und die Entwicklung des lichthungrigen Piscinoodium wird zumindest gehemmt.


Dieter BORK gelang in den 1990er Jahren die Zucht der Tiere. Er setzte sie in einem 30-Liter Aquarium in der Gruppe (16 Tiere) bei 27°C, weichem Wasser (200µS/cm) und pH 6,8 an, als Laichsubstrat diente eine mit Javamoos bewachsene Wurzel. Die kleinen Tiere erwiesen sich als sehr produktiv (über 100 Jungtiere nach 14 Tagen), allerdings wachsen die Jungfische sehr langsam und brauchen 7-12 Monate bis sie erwachsen sind.

Lexikon zum obigen Artikel:

Aplocheilichthys: bedeutet “Fisch mit einfacher Lippe”

Poropanchax: bedeutet “Panchax mit Poren”, was sich auf Poren im Kopfbereich bezieht; Panchax ist eine andere Killifischgattung.

Congopanchax: bedeutet: “Panchax aus dem Congo”

myersi: Widmungsname für den Ichthyologen George Sprague Myers (1905–1985)

brichardi: Widmungsname für den Sammler und Exporteur Pierre Brichard (1921-1990)

Frank Schäfer


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Lebensräume von Süßwasserkrabben in Zentral-Thailand

Im Herbst 2004 führte mich eine fischkundliche Exkursion nach Zentral-Thailand, genauer gesagt in das Gebiet des Khao Yai Nationalparks. Von der herrlichen Khao Yai Garden Lodge führte ich Tagestouren sowohl in den gebirgigen Teil des Nationalparks als auch in die wesentlich heißeren und tiefer gelegenen Gebiete in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt Pak Chong. Dirk Brandis, ein befreundeter Wissenschaftler, der auf Krabben spezialisiert ist, hatte mich – noch in Deutschland – gebeten, auf dieser Exkursion auch ein wenig nach Süßwasserkrabben  Ausschau zu halten, was ich selbstverständlich gerne tat.

Der Khao Yai Nationalpark ist der älteste Nationalpark Thailands. Fischkundlich erhoffte ich mir daher einiges von diesem Park und war sehr glücklich, als ich nach allerlei Anstrengungen dank der Vermittlung von Klaus Derwanz, der die Khao Yai Garden Lodge leitete, von der Nationalparkverwaltung die Genehmigung er­hielten, die Gewässer des Parks zu untersuchen. Ein Aufseher der Parkverwaltung begleitete uns und passte auf, dass wir uns nicht an der Natur versündigten. Als geschätzte Reisebegleiter waren noch der Biologe Izaak den Daas und der hervorragende Aquarianer Georg Rossmann mit von der Partie. Eine Woche später stieß noch eine 10-köpfige Gruppe des darmstädter Aquarien- und Terrarienvereins Hottonia zu uns.

Auf die Fische des Parks möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, aber wir fanden in dem Park und seiner Umgebung immerhin drei verschiedene Arten von Süßwasserkrabben und konnten auch von jeder Art Exemplare mit nach Deutschland bringen, wo sie Dirk Brandis übergeben wurden. Die Lebensräume dieser Krabben möchte ich an dieser Stelle etwas ausführlicher darstellen.

Stachelige Variante von Larnaudia beusekomae, Frontalansicht.

Die häufigste Art, sowohl bezüglich der Individuenzahl wie auch bezüglich der Fundpunkte, war Larnaudia beusekomae (Potamidae). Diese Art ist sogar anhand von Exemplaren, die im Khao Yai gesammelt wurden, erstbeschrieben worden. Ich dachte zuerst, mindestens drei verschiedene Arten gesammelt zu haben, denn je nach Lebensraum wandelt die Art äußerlich etwas ab.

Zunächst sammelten wir diese Krabbe in einem schlammigen Abfluss eines kleinen Teiches. Dieses Bächlein floß am Grunde einer etwa 20 m tiefen Schlucht. Für Fotos war es hier zu dunkel. Neben zahlreichen Jungkrabben fingen wir hier auch ein erwachsenes Pärchen von etwa 7 cm Panzerbreite. Diese Krabbe lebte hier stets an der Unterseite von Steinen und man erschreckte sich manchmal nicht schlecht, wenn man beim Steineumdrehen plötzlich solch ein etwas größeres, einer fetten Spinne im ersten Moment nicht unähnliches Geschöpf vor sich hatte. Die Krabben dieser Population waren tief Schokoladenbraun und hatten hübsche goldgelbe Scherenspitzen. Der Bach war an der breitesten Stelle etwa 80 cm breit und der freie Wasserstand lag um 25 oder 30 cm. Allerdings war der Boden sehr schlammig, so dass man mindestens noch einmal so tief in den Morast versank. Der pH-Wert des Wassers war hier ziemlich hoch (7,5), die Härte lag bei etwa 21°dGH, die Wassertemperatur betrug rund 23°C. Im Bächlein selbst gab es kaum Fische und keinerlei Unterwasserpflanzen. Allerdings wuchs in dem Teich, aus dem das Bächlein abfloss, Ottelia sp. in großen Exemplaren.

Der nächste Fundpunkt dieser Art war ein Flüßchen, das vom Khao Yai kommend, durch Pak Chong fliesst. Dieses Flüßchen hatte eine stellenweise sehr kräftige Strömung und kiesig-steinigen Bodengrund. Wir besammelten es an mehreren Stellen. Auch hier fand sich Larnaudia beusekomae vor allem unter Steinen. Die Art scheint nicht ungesellig zu sein, denn es war keine Seltenheit, mehrere Exemplare unter einem Stein zu finden. In diesem Flüßchen gab es nun aber reichlich Fischarten, wobei die Krabben vor allem in Raumkonkurrenz mit Bachschmerlen (Schistura sp.) und Gabelschwanzwelsen (Amblyceps sp.) standen, die sich ebenfalls unter Steinen vergleichbarer  Größe (10-15 cm Durchmesser) aufhalten. Zusätzlich teil­ten sich den unmittelbaren Lebensraum mit Groß­armgarnelen (Macrobrachium sp.). Die hier gemessenen Wasserwerte waren: pH 7,5, Härte >1°dGH, Temperatur 24°C.

In diesem Flüsschen, das vom Khao Yai kommend durch Pak Chong fliesst, fanden wir Krabben der Art Larnaudia beusekomae.

Der dritte Fundort von Larnaudia beusekomae fand sich im Khao Yai selbst. Hier war ein Bachabschnitt als Zisterne ausgebaut, um in Trockenzeiten (wie sie zum Zeitpunkt unseres Besuches herrschte) dem Großwild als Tränke zu dienen. In dieser Zisterne, die tief im Halbdunkel des Dschungels lokalisiert war, lebten Unmengen von Kaulquappen, vermutlich der Gattungen Polypedobates und/oder Rhacophorus. Auch hier fingen wir braune Krabben, deren Carapax­rand  jedoch wesentlich glatter war. Diese Krabben fingen wir im tiefbraunen Wasser an den rauhen Betonwänden der Zisterne, in diesem Milieu lebten sie also nicht unter Steinen. Ich dachte zunächst, es handele sich um eine weitere Art, doch Dirk Brandis bestimmte auch diese Krabbe, der ich den Arbeitsnamen „Glatte Waldkrabbe“ gab, als Larnaudia beusekomae.

Zisterne im Khao Yai, Fundort der glatten Variante von Larnaudia beusekomae.
Glatte Variante von Larnaudia beusekomae

Schließlich fanden wir noch eine Form dieser Art in einem kleinen, rasch fließenden Bach unterhalb einer wilden Müllkippe am Rande des Parks. Hier war der Carapaxrand der Krabben besonders stark gezackt, was mich eine weitere Art vermuten ließ, der ich diesmal den Arbeitstitel „Stachlige Bachkrabbe“ gab. Es handelte sich aber auch diesmal um Larnaudia beusekomae, die hier im überhängenden Gras der Uferböschung lebte.

Zwischen dem hohen Gras kaum zu erkennen: Kleiner Bach am Rande des Khao Yai, Fundort der stacheligen Variante von Larnaudia beusekomae.
Stachelige Variante von Larnaudia beusekomae. Diese Krabben wirken auf den ersten Blick wie fette Spinnen.

Die zweite Art, die wir in der Umgebung des Parks fanden, war wesentlich spektakulärer. Der Fang des ersten Männchens entlockte Georg ein lautes Triumpf­gebrüll, denn es handelte sich wahrhaft um ein prächtiges Tier. Hinzu kam, dass wir am Fangtag ziemlich niedergedrückter Stimmung waren, denn bezüglich Fischfunden war an diesem Tag nun wirklich nichts erwähnenswertes in unsere Netze gegangen. Der Biotop, in dem wir fischten, war ein lotosbestandener Tümpel, in dem massenhaft Apfelschnecken (Pila sp.) lebten. Überall an den Stengeln der Lotos klebten die auffälligen, rosafarbenen Gelege dieser Schnecken, die entfernt immer etwas an überdimensionale Himbeeren erinnern (die Gelege, nicht die Schnecken). An Fische gab es lediglich aus Nordamerika eingeführte Gambusen (Gambusia holbrooki).

Lotostümpel, unser erster Fundort von Sayamia bangkokensis.
Männchen von Sayamia bangkokensis. Man beachte die gewaltige linke Schere.
Beim Weibchen von Sayamia bangkokensis sind beide Scheren in etwa gleich groß.

Da war die prachtvolle, rotviolette Krabbe mit ihren gut 10 cm Carapaxbreite wirklich ein Highlight. Es handelte sich, wie gesagt, um ein Männchen, was man nicht nur am Pleon, sondern auch an der stark vergrößerten linken Schere erkennen konnte. In großer Populationsdichte kam diese Krabbe, die in Ufernähe im flachen Wasser saß und sich nur lose mit Schlick bedeckte, nicht vor. Der Grund wurde uns schnell klar, denn der unser Fahrer rieb sich beim Anblick der Krabbe den Magen und fuhr mit der Zunge über die Lippen. Offenbar gelten diese Krabben hier als Leckenbissen. Dirk Brandis bestimmte sie als Angehörige der Art Sayamia bangkokensis (Parathelphusidae), die ihre Typuslokalität im Khao Yai hat.

Ein weiterer Fundort von Sayamia bangkokensis im Khao Yai Nationalpark.

Später fanden wir diese Art in einem anderen Biotop, nämlich einem flachen Papyrussumpf vis a vis zu einem buddhistischen Tempel. Das Wasser war hier so warm, dass man es als unangenehm empfand, hineinzufassen. Auch hier saßen die Krabben relativ offen im flachen Wasser und waren nur ganz lose mit etwas Schlamm bedeckt. Obwohl sich auch in diesem Gewässer reichlich Apfelschnecken fanden, scheint Sayamia bangkokensis kein spezialisierter Schneckenfresser zu sein. Wir brachten einige Exemplare für weitere Beobachtungen mit nach Hause, wo sie sich vor allem als gewaltige Pflanzenzerstörer erwiesen. Dararat Somphongs, Inhaberin des traditionsreichen Somphongs Aquarium in Bangkok, schüttelte sich vor Lachen, als ich ihr stolz unsere Fänge zeigte. Sie kannte Sayamia bangkokensis auch,  jedoch vom Speisemarkt. Daher dürfte es kein großes Problem sein, diese attraktiven Krabben bei Bedarf zu importieren.

Die dritte Art dieser Expedition fanden wir schließlich im Khao Yai selbst. Es handelte sich um einen wunderschönen Biotop mit Tufffelsen, auf denen eine seltsame, rotalgenartige Pflanze in großen Mengen wuchs. Hier fing – Ehre wem Ehre gebührt – Dieter Prinz von der Hottonia unter der gestrengen Aufsicht unseres Aufpassers von der Parkverwaltung ein Pärchen einer niedlichen, auffällig gepunkteten Krabbenart, die wir ausnahmsweise für wissenschaftliche Zwecke mitnehmen durften. Bisher konnte Dirk Brandis sie nur als Angehörige der Gattung Siamthelphusa (Parathelphusidae) bestimmen, die Artdiagnose steht noch aus.

Fundort der noch nicht näher bestimmten Siamthelphusa-Art im Khao Yai Nationalpark.
Die noch nicht näher bestimmte Siamthelphusa-Art aus dem Khao Yai Nationalpark, Frontalansicht

Die gebrachten Beispiele zeigten schon sehr deutlich auf, warum die Pflege und erst recht die Zucht vieler Süßwasserkrabben im Aquarium bislang noch völliges Neuland sind, über das sich kaum allgemein verbindliche Aussagen machen lassen. Da wären zum einen die doch sehr unterschiedlichen Biotope. Und doch liegen sämtliche beschriebenen Biotope kaum 10 km Luftlinie voneinander entfernt! Nur mit dem Hinweis, eine neu importierte Krabbe käme aus diesem oder jenem Land, lassen sich noch keinerlei Rückschlüsse auf ihre Lebensansprüche oder ihren bevorzugten Lebensraum ziehen. Das Beispiel von Larnaudia beusekomae zeigte zudem, dass es durchaus euryöke Arten unter den Süßwasserkrabben gibt, die nahezu überall ihr Auskommen finden und ihre Lebensweise den jeweils herrschenden Umweltbedingungen anpassen können. Dabei verändern sich die Tiere sogar bezüglich ihrer optischen Erscheinung derart, dass man ohne entsprechende Unterstützung von Spezialisten schnell auf den Gedanken kommen kann, es handele sich um unterschiedliche Arten.

Frank Schäfer


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Der Betta splendens-Formenkreis allgemein und Betta mahachaiensis im Besonderen

Den Siamesischen Kampffisch, Betta splendens, kennt jedes Aquarianerkind. Vermeintlich zumindest, denn aus rein wissenschaftlicher Sicht weiß man nicht wirklich, wer oder was Betta splendens genau ist. Das kommt daher, dass die ursprünglich der wissenschaftlichen Erstbeschreibung durch Regan 1910 zugrunde liegenden Tiere einer Haustierform angehörten. Es ist nicht so ohne weiteres möglich, eine Haustierform einer Wildform zuzuordnen, auch im Zeitalter der DNS-Analysen, denn Haustiere entstehen gewöhnlich nicht nur durch strenge Inzucht, sondern auch durch das Kreuzen verschiedener Arten. Man denke nur an Schaf, Ziege und Hund, deren Rassenvielfalt nur dadurch zu erklären ist, dass verschiedene (Unter-)Arten der Wildformen bei ihrer Entstehung im Spiel waren. Und wenn dann, wie etwa im Falle des Rindes, die als Stammform in Frage kommende Wildart (also in diesem Fall der Ur, Bos primigenus) seit Jahrhunderten ausgestorben ist, wird es richtig kniffelig.

Betta splendens, Wildform, Fundortpopulation Rayong (Thailand), Männchen

Bei den schaumnestbauenden Kampffischen aus dem Formenkreis um Betta splendens haben wir es genau mit so einer Situation zu tun. Diese Verwandtschaftgruppe ist an sich morphologisch und ethologisch gut definiert, doch die Artgrenzen sind sehr verschwommen. Gegenwärtig sind sechs Arten wissenschaftlich anerkannt: Betta splendens, B. imbellis, B. siamorientalis, B. smaragdina, B. stiktos und B. mahachaiensis, wobei sich die drei ersteren (splendens, imbellis, siamorientalis) und die drei letzteren (smaragdina, stiktos, mahachaiensis) sehr nahe stehen und bezüglich der zähl- und messbaren Werte kaum oder gar nicht auseinanderzuhalten sind. Im Typusmaterial von Betta splendens befand sich – neben den Haustieren, von denen eines von Schaller und Kottelat 1989 zum Lectotypen erklärt wurde – auch Material von Betta imbellis. Das erklärt, warum es Ladiges, der seinerzeit nicht die Möglichkeit hatte, die Typusexemplare zu untersuchen, sondern sich nur an Regans verbale Beschreibung halten konnte, nicht gelang, seinen neuen Betta imbellis sauber von B. splendens zu trennen.

Betta splendens, Wildform, Population Nonthanburi (Thailand)

Alle Arten dieser Gruppe lassen sich kreuzen und zumindest die erste Nachzuchtgeneration (F1) ist auch nahezu uneingeschränkt fruchtbar. Das gibt es bei vielen Tierarten (etwa Löwe und Tiger, die ebenfalls bis in die F3 untereinander fruchtbar kreuzbar sind), zu der Frage, ob es sich um unterschiedliche Arten handelt, sagt das wenig aus. Diese Kreuzungen wurden in Thailand, wo fünf der Arten vorkommen (splendens, imbellis, smaragdina, mahachaiensis, siamorientalis) auch immer wieder einmal durchgeführt, da die Kampffischzucht in diesem Land eine große und lange Tradition hat. Da die Haustierzüchtungen des Kampffisches in der Natur gut überlebensfähig sind und es seit Jahrhunderten immer wieder zu Freisetzungen – seien sie bewusst oder ungewollt durchgeführt worden – kam, ist es oft sehr schwierig oder sogar unmöglich, einen Wildkampffisch sauber zu bestimmen. Erst im Aquarium, bei der Zucht über mehrere Generationen, zeigt sich, ob etwas „herausmendelt“ und erlaubt so die Entscheidung, ob die betreffenden Tiere einer echten Wildform oder einer verwilderten Haustierform angehören.

Betta splendens, Wildform, Population Kanchanaburi (Thailand)

Vor diesem Hintergrund hat ein Team thailändischer Wissenschaftler, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kampffischbestände des Landes zu erfassten, Betta mahachaiensis beschrieben. In der Labyrintherszene ist diese Form seit etwa 2002 als Betta sp. „Mahachai“ bekannt. Mahachai liegt südwestlich von Bangkok. Als ich den Fisch zum ersten Mal sah, hielt ich ihn für B. smaragdina. Aber schon damals sagten mir die Züchter der Art, nein, der Fisch sei anders. Man konnte das nicht so richtig festmachen, aber wie sagte schon Charles Tate Regan, der Erstbeschreiber von Betta splendens (wenn auch in anderem Zusammenhang und sehr viel dezidierter): Eine Art ist, was ein kompetenter Spezialist dafür hält.

Betta splendens, Wildform, Population Pak Chong (Thailand)

Das wichtigste äußerliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Arten der Betta splendens-Gruppe ist die Färbung der Kiemendeckel und -häute. Betta splendens, wie die Art derzeit pragmatisch verstanden wird, weist im männlichen Geschlecht zwei leuchtend rote senkrechte Streifen auf dunklem Grund auf, bei B. imbellis sind diese Streifen blau, bei B. siamorientalis silbrig bis rot (dreifarbig) und bei B. smaragdina und B. stiktos sind die Kiemendeckel vollständig mit grünen Glanzschuppen besetzt. Die fünf genannten Arten haben rote Streifen auf den Kiemenhäuten, die Kiemenhäute von B. mahachaiensis sind völlig schwarz. Bei Betta mahachaiensis ist die Kiemendeckelfärbung ähnlich zu B. imbellis, doch ist der hintere Steifen als Ellipse geformt und bei B. imbellis als Sichel. Die Untersuchung von DNS ergab weitere Hinweise, dass sich der Artstatus von Betta mahachaiensis vertreten lässt.

Betta imbellis unbekannter Herkunft
Betta imbellis, Männchen von Phuket (Thailand)
In neutraler Färbung – hier Betta imbellis – sind Kampffische des Betta-splendens-Komplexes nahezu unbestimmbar.
Nur die Kiemendeckelfärbung gibt Sicherheit, dass dies ein Männchen von Betta imbellis ist.

Viel entscheidender als morphologische und farbliche Unterschiede erscheint mir freilich die völlig andere Ökologie von B. mahachaiensis. Es handelt sich nämlich um eine Brackwasserart, die in der Natur auf brackige Gewässer mit Nipa-Palmen-Beständen, in deren Stelzwurzeln die Tiere brüten, beschränkt ist. Man kennt die Art im Wesentlichen aus der westlich von Bangkok gelegenen Provinz Samut Sakhon. Die anderen Arten der Betta-splendens-Gruppe leben in reinem Süßwasser, oft ist dieses sogar Schwarzwasser, also sehr weich und sauer. Leider sind die natürlichen Lebensräume von Betta mahachaiensis durch industrielle Verschmutzung und Bautätigkeit stark bedroht. Die Autoren betonen, dass ein wichtiger Antrieb, B. mahachaiensis als eigenständige Art zu beschreiben, war, dass nur eine formell beschriebene Art auch in den Genuss von Artenschutzmaßnahmen kommen kann.

Betta mahachaiensis, F1-Männchen
Betta mahachaiensis, Wildfang-Männchen, aus der Population des darüber gezeigten F1-Tieres
Auch bei Betta mahachaiensis gibt es erhebliche innerartliche Varianz, hier ein Wildfang-Männchen einer besonders schlanken und großflossigen Population

Im Aquarium hat sich Betta mahachaiensis als recht anspruchlos gezeigt. Hier fordert sie keineswegs Brackwasser, sondern züchtet sogar in weichem und leicht sauren Milieu. In den Labyrinthfischgemeinschaften ist sie seit vielen Jahren gut vertreten. Auch der Zierfischhandel importiert sie dann und wann, so auch Aquarium Glaser. Auf die natürlichen Bestände hat dieser Handel selbstverständlich keinen negativen Einfluss, bedenklicher erscheint da schon, dass die Autoren auf Fischmärkten Hybriden zwischen Betta splendens und B. mahachaiensis antrafen. Wir Aquarianer sollten also darauf achten, die Art in unseren Aquarien rein zu erhalten.

Betta smaragdina, hier ein Wildfang-Männchen, ist B. mahachaiensis und B. stiktos sehr ähnlich
Betta stiktos, Wildfang-Männchen in neutraler Färbung

Literatur:

Kowasupat, C., Panijpan, B., Ruenwongsa, P. & N. Sriwattanarothai (2012): Betta mahachaiensis, a new species of bubble-nesting fighting fish (Teleostei: Osphromenidae) from Samut Sakhon Province, Thailand. Zootaxa 3522: 49-60

Kowasupat, C., Panijpan, B., Ruenwongsa, P. & T. Jeenthong (2012): Betta siamorientalis, a new species of bubble-nest building fighting fish (Teleostei: Osphronemidae) from eastern Thailand. Vertebrate Zoology 62 (3): 387-397

Betta siamorientalis, Wildfangmännchen aus Vietnam

Frank Schäfer


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Dieter Bork (1945 – 2023)

Dieter im November 2004

Als uns am vergangen Mittwoch, am 27.9.2023, die Nachricht erreichte, dass Dieter Bork gestorben sei, war das ein Schock. Wir hatten uns doch gerade erst in der Fischhalle von Aquarium Glaser gesprochen, er war lebhaft wie immer, voller Pläne und Ideen, alles andere als gebrechlich. Es erscheint mir immer noch unfassbar, dass er nie wieder in seiner unnachahmbaren Art von seinen Beobachtungen an seinen Fischen erzählen wird. Man sagte uns, er habe nicht leiden müssen.

Epiplatys annulatus

Terranatos dolichopterus

Lucania goodei, von Dieter Bork gezüchtet und fotografiert.

Mit Dieter Bork hat uns einer der profiliertesten und besten Aquarianer verlassen, die ich je kennenlernen durfte. Ich kenne ihn, seit ich 1996 bei Aqualog und Aquarium Glaser anfing zu arbeiten, aber die Familie Glaser kannte ihn bereits viele Jahre länger. Er lieferte immer wieder größere Stückzahlen von ihm gezüchteter Fische, hauptsächlich Killifische, an Aquarium Glaser und vor der Gründung von Aquarium Glaser auch schon zu anderen Großhändlern im Frankfuter Raum. Killis waren seine Lieblinge, er züchtete z.B. den Ringelhechtling (Epiplatys annulatus) und die „Erdgeborenen“, wie er Terranatos dolichopterus und Konsorten nannte, und zwar nicht nur 20 oder 30 Exemplare, sondern 150 oder 200 pro Ansatz. Auch Arten, mit denen andere immer wieder Schwierigkeiten bekamen, etwa Lucania goodei, konnte Dieter. Er war allerdings nicht auf Killis festgelegt, im Gegenteil: alles, was als klein, zart und schwierig galt, ob nun Barbe, Salmler, Labyrinther, Zwergbuntbarsch, Ährenfisch oder Lebendgebärender, pflegte und züchtete Dieter mit einem unglaublichen Gespür und mit einem Einfühlungsvermögen, das seinesgleichen sucht.

Englische Ausgabe des Zwergcichlidenbuches von D. Bork und H. J. Mayland, die von Aqualog verlegt wurde.

Dieter Bork wurde 78 Jahre alt. Auf der Umschlagseite eines der Bücher, die Dieter mit Hans J. Mayland verfasste, hat der Verleger, Werner Schmettkamp, 1998 eine Kurzbiografie von Dieter publiziert, die ich hier – zeitlich angepasst – wiedergeben möchte:

„Der 1945 geborene und in Bruchköbel bei Hanau lebende Diplom-Ingenieur und Naturfreund studierte an der Fachhochschule in Friedberg. Während der Jahre 1964 und 1965 absolvierte er einen 18-montigen Dienst bei der Bundeswehr. Als Aquarianer war er seit mehr als 60 Jahren tätig und seit über 45 Jahren DKG-Mitglied. Mit der Zucht von Killifischen hat er sich seit mehr als 30 Jahren befaßt; später sind Zwergcichliden, Rasborinen und seltene Lebendgebärende hinzugekommen. Dieter Bork hat sein Wissen auch in Form von Vorträgen und später auch als Autor in Aquarien-Magazinen weitergegeben. Sein Freund Hans J. Mayland, mit dem er bereits seit Mitte der 1970er Jahre mit Unterbrechungen zusammengearbeitet hat, überredete ihn zur Kooperation als Buchautor, als dieser nach überstandener schwerer Krankheit einen Partner suchte. Aus dieser ersten schriftstellerischen Gemeinsamkeit entstand 1997 das erste Buch „Zwergbuntbarsche“, das inzwischen auch in englischer Sprache erschienen ist.“

Das Gespann Bork/Mayland hat noch einige Bücher verfasst, im Birgit Schmettkamp Verlag z.B. „Seltene Schönheiten im Süßwasseraquarium“, bei Kosmos Bücher über Lebendgebärende und Salmler, bei Dähne „Aquarienträume“, außerdem verfasste Dieter Portraits in Bänden der Aquarien-Atlas-Reihe bei Mergus. Im Zuge seiner schriftstellerischen Arbeit wurde Dieter auch ein hervorragende Fotograf. Nach dem Tod von Mayland im Jahr 2004 wurden die Veröffentlichungen von Dieter deutlich weniger. Das hing vor allem damit zusammen, dass er sich bis zum Schluss weigerte, sich mit Computern zu befassen. Seine Manuskripte waren wortwörtlich Manuskripte, also handschriftliche Aufzeichnungen. Das wurde von immer weniger Redaktionen akzeptiert, bzw. es war Dieter unangenehm, die Manuskripte so einzureichen obwohl er eine sehr gut leserliche Handschrift hatte. Schwerwiegender war, dass man Dieter die Korrekturfahnen nicht einfach per Email schicken konnte, denn Email hatte Dieter nicht. Das machte die Dinge zeitaufwändig, was im hektischen Redaktionsalltag, in dem immer ein gewaltiger Termindruck herrscht, sehr lästig war. Ich persönlich hatte damit weniger Probleme, weil Dieter in der Nähe wohnte und ohnehin häufig zu Besuch da war. Darum hatten wir bei Aqualog noch recht häufig Arikel von Dieter in den News. Sonst verfasste Dieter in den späteren 2000ern fast nur noch auf spezielle Bestellung der Redaktionen Artikel. Auch den Sprung zur digitalen Fotografie machte Dieter nie, bis zum Schluss verwendete er Diafilme. Das alles mag ein wenig schrullig erscheinen, vor allem für einen Ingenieur, aber vielleicht liegt hier auch ein Schlüssel dafür, warum er als Fischzüchter so überaus erfolgreich war. Er hatte eben dieses eine Hobby, die Aquaristik, und das betrieb er richtig. Wer von uns wüsste nicht, was für Zeitfresser PC, Social Media usw. darstellen. Dieter ging zu Tagungen, Vorträgen und reiste in die Heimatländer der Fische, die er besonders liebte. Computer und Co. konnten ihm gestohlen bleiben.

Oben: Dario dario, wie Dieter ihn sah. Darunter: Feldfotos am Ghottiganga Creek, wo wir im Jahr 2000 Dario dario im Feld nachwiesen. Der gebeugte Herr im Hintergrund ist Dieter.

Reisen führten Dieter vor allem nach Südamerika: Kolumbien, Venezuela und französisch Guyana bereiste er teils mehrfach. Ich hatte das Privileg, eine Fangreise nach Indien mit Dieter machen zu können, um den damals neuen Dario dario im Biotop zu suchen, gerne fuhr er aber auch nach Thailand, z.B. auf die Insel Phuket. Als aquaristisches Urgestein der Region war Dieter natürlich auch Mitglied im Tümpelgarten in Hanau, wo er im Vereinsheim oft mehrere Becken unterhielt. Seine Anlage zuhause war gar nicht so groß, ein typischer Fischkeller, den er aber sehr effektiv betrieb. Sein besonderes Steckenpferd war ein kleiner Gartenteich, in dem er vom Frühjahr bis Herbst vor allem Lebendgebärende hielt. Der Teich wurde in kühlen Perioden zugeheizt. Diese Hälterung führte teils zu fantastisch gefärbten Fischen, besonders bei Wildformen von Xiphophorus variatus. Im Garten hatte Dieter aber nicht nur seinen Teich, sondern auch einige Pflanzenschätze. Eine Naturform einer Narzisse z.B., wobei er Bewunderern der Blume jedesmal unter ausführlicher Vorführung des verantwortlichen Zeigefingers in epischen Breite erzählen konnte, wie er die Mutterpflanze seines Bestandes vor Jahrzehnten an einem steinigen Wegrand mit bloßen Händen ausgrub.

Einer von Dieters Gartenteichplatys.

Mir wird Dieter immer in Erinnerung bleiben als der liebenswerte Mann, der, während er ihn analysierte, den Balztanz einer Micropoecilia auch live performte; als der Grantler, der wenig Gutes an „den Wissenschaftlern“ ließ (zu denen er dann auch mich zählte), wenn die wieder einmal in Krümeln suchten und dabei den offensichtlichen Kuchen gar nicht erkannten; und als der fröhliche, sinnesfrohe Mensch, der allen schönen Dingen des Lebens zugetan war. Dieter war offen und kommunikativ, er stand in Austausch mit zahlreichen Wissenschaftlern und vielen namhaften Aquarianern und war auch ein bei Schülern sehr beliebter Nachhilfelehrer in Mathematik.

Eines der ersten Fotos von Dieter aus dem Jahr 1995; es zeigt den von ihm mit P. Machnik in Kolumbien entdeckten Hyphessobrycon columbianus.

Durch Knodus borki wird Dieter noch vielen Generationen von Fischfreunden im Gedächtnis bleiben.

Die aquaristische Weltgemeinschaft verdankt Dieter u.a. den Blau-Roten Kolumbianer (Hyphessobrycon columbianus), den er und P. Machnik von einer Reise in den Norosten von Kolumbien mitbrachten. Vermutlich alle heutzutage in den Aquarien der Welt schwimmenden Tiere gehen auf diesen einen Import aus dem Jahr 1995 zurück. Unsterblich wurde Dieter ebenfalls durch einen blauen Salmler, denn die bereits seit Jahrzehnten unter dem falschen Namen „Boehlkea fredcochui“ segelnde Art wurde nach der Entdeckung, dass es sich eben nicht um Boehlkea fredcochui handelt, als Knodus borki zu Ehren von Dieter Bork beschrieben und damit seine Verdienste auch für die Wissenschaft gewürdigt.

Es ist eine ausgelutschte Phrase, aber hier trifft sie wirklich zu: die Lücke, die der Tod von Dieter Bork gerissen hat, wird sich kaum schließen lassen. Unsere Gedanken, guten Wünsche und unser aufrichtiges Beileid sind bei seiner Familie, die Ehemann, Vater und Opa verloren hat.

Frank Schäfer für das ganze Team von Aqualog-animalbook und Aquarium Glaser

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis

Kryptozoologie in Hessen

Die Krytozoologie ist ein besonders interessanter, aber auch etwas anrüchiger Bereich der Zoologie. Sie beschäftigt sich mit der Suche nach mythischen, unentdeckten oder verschollenen, ausgestorben geglaubten Tierarten. Kryptos bedeutet „versteckt, verborgen“. Auf diesem Gebiet tummeln sich teils absonderliche Menschen, die den Objekten ihrer Begierde an Merkwürdigkeit oft kaum nachstehen, aber auch ernsthafte Wissenschaftler.

Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Kryptozoologie im vergangenen Jahr­hundert noch große Erfolge feierte. Das Okapi, eine afrikanische Waldgiraffe, wurde als eines der letzten Großtiere erst 1901 ent­deckt; das Zwergflusspferd galt fast zwanzig Jahre als ausgestorben, bis es auf Initiative von Hagenbeck 1912 wieder entdeckt werden konnte. Und – ebenfalls vom schwarzen Kon­tinent – auch die Entdeckung des sagenum­wobenen Kongopfaus ist ein Erfolg der Krypto­zoologie. 1936 anhand von ein paar Federn aus dem Kopfschmuck von Ein­heimischen entdeckt, gelang erst in den 1950er Jahren der Fund lebendiger Individuen.

Abbildung des Waldrapps aus Gessners Buch Icones avium omnium, quae in Historia avium Conradi Gesneri describuntur aus dem Jahr 1555
Der Waldrapp, Geronticus eremita, galt lange Zeit als Fantasiewesen

Auch in Europa konnte die Kryptozoologie schon erstaunliche Erfolge feiern. So hielt man im 19. Jahrhundert den Waldrapp, eine Ibis-Art, die Conrad Gessner 1555 beschrieb, für ein Fabelwesen, vergleichbar dem Ein­horn oder der Sphinx, bis gezeigt werden konnte, dass diese Art sogar bis in die Jetzt­zeit überlebt hat. Aber selbstverständlich gibt es auch viel Unfug im Bereich der Kryptozoologie, wie z.B. das Monster von Loch Ness.


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Erwachsenes Exemplar von Emys orbicularis, der Europäischen Sumpfschildkröte

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, galt bis vor wenigen Jahren für ein Musterbeispiel einer enorm weit ver­breiteten, dabei aber ziemlich einheitlichen Art. Nicht einmal Unterarten wurden an­erkannt. Von Nordafrika über weite Teile Europas bis nach Westasien kommen diese Schildkröten vor. Ich weiß noch zu gut, wie ich vor meinem Zoologie-Schulbuch sitzend davon träumte, dieses sagenhafte, laut meinem Schulbuch in Deutschland so gut wie ausgestorbene Reptil auf einem meiner Streifzüge durch die Natur zu finden. Nun ja. Ich fand zwar alles mögliche Viehzeug, aber die Europäische Sumpfschildkröte war nicht dabei. Das ist nicht weiter verwunderlich. In der südhessischen Mittelgebirgslandschaft, in der ich auf­wuchs, gab es wohl nie Europäische Sumpf­schildkröten. Aber ich war sicher nicht der einzige, der diesen Traum träumte.

Obwohl Robert Mertens, einer der bedeutendsten Reptilienforscher Deutschlands, bereits 1947 feststellte, dass alle gegenwärtigen Funde der Europäischen Sumpfschildkröte im Rhein-Main-Gebiet auf zufällige oder absichtliche Aussetzungen zurückzuführen sind, wollten das viele nicht glauben. So wie alle Jubeljahre wieder Nessie im Loch Ness gesichtet wird, so wollen einige Unentwegte eben gerne glauben, dass zufällig aufgefundene Euro­päische Sumpfschildkröten oder gar frisch­geschlüpfte Exemplare auf eine bisher über­sehene, im verborgenen überlebende ein­heimisch-hessische Population zurückzu­führen seien.

Dieses Jungtier wurde 2004 am hessischen Küh­kopf gefunden; es dürfte im Sommer 2003 dort geschlüpft sein.

Eine wissenschaftlich fundierte Arbeit zu diesem Thema lieferte Kinzelbach (1988). Betrachtet man die Fakten nüchtern, so kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, dass die Europäische Sumpf­schildkröte in Hessen (und allen anderen Teilen Deutschlands mit Ausnahme des Vor­kommens in der mittleren Oder) im 18. Jahr­hundert ausstarb. Das Aussterben im Rhein-Main-Gebiet war vermutlich eine Kombi­nation von Massenfängen zu Speisezwecken – die Art war z.B. im 16. Jahrhundert in Speyer so häufig, dass sie als Fastenspeise des kleinen Mannes gelten konnte – und klima­tischen Veränderungen. Das vermutete end­gültige Aussterben der Art im südlichen Deutsch­land fällt in auffälliger Weise mit der „kleinen Eiszeit“ von 1670 bis 1730 zu­sammen. Die Kombination von Massen­fängen und vielen kalten Sommern nach­einander, in denen sich die Art nicht ver­mehren konnte, gaben ihr den Todesstoß.

Bereits ab dem 17. Jahrhundert erfolgten darum Importe der Europäischen Sumpf­schild­kröte aus anderen Ländern zu Speisezwecken, ab dem späten 19. Jahr­hundert auch zum Zwecke der damals gerade entstehenden Terrarienhaltung. Schon immer entkamen dabei Exemplare oder wurden absichtlich ausgesetzt. Im Enk­heimer Ried nahe bei der Großstadt Frankfurt a. M. gibt es seit den 1940er Jahren eine repro­duzierende Population. Aber diese Tiere sind keine einheimischen Vertreter der Art, ihr Vor­kommen keine erfolgreiche Wiederan­siedlung. Es handelt sich um einen mensch­gemachten Freiluftzoo ohne jeden öko­logischen Sinn und Wert. Zu glauben, man helfe damit einer bedrohten Tierart, ist lächer­lich. Das ist genau so, als würde man 10 Pudel in den Wald jagen und sich dann damit brüsten, man habe den vom Aussterben bedrohten Wolf wieder angesiedelt. Eine einmal ausgestorbene Tierart soll man nicht wieder ansiedeln. Man kann und soll lediglich die zerstörten Lebensräume renaturieren, wo­von immer sehr viele Arten und auch der Mensch profitieren. Über Biotop-Korridore (die gegebenenfalls anzulegen sind) können von alleine auch solche Arten wieder ein­wandern, die verschwunden waren. Und diese Einwanderer sind dann auch ohne Zutun des Menschen überlebensfähig. Gute Beispiele hierfür sind Biber, Luchs, Uhu, Fischotter und Wolf, allesamt Arten, die vor 50 Jahren in Deutschland verschwunden waren und heute teils wieder ausgesprochen häufig sind.

Der Europäische Wolf ist ein gutes Beispiel dafür, dass sobald es geeignete Lebensräume gibt, auch bereits verschwundene Arten von ganz allein zurückkehren.

Doch die Träumerle wollen solche Wahr­heiten nicht hören. Sie glauben in bester Kryptozoologen-Manier immer noch fest an original hessische Europäische Sumpf­schild­kröten. Als neuestes Argument wird dabei die DNS angeführt. Die Möglichkeit, dank der ra­santen Entwicklung, die die Biochemie in diesem Bereich gemacht hat, kostengünstig die DNS auf verwandtschaftliche Bezie­hungen von Tieren untereinander zu unter­suchen (im Prinzip funktioniert das wie ein Vaterschaftstest), hat zu vielen, neuen Ein­blicken auch der Reptiliensystematik geführt. Und was man bis in die 1990er Jahre als eine einzige, weit verbreitete Art sah, nämlich die Europäische Sumpfschildkröte, wurde jetzt in viele Untereinheiten aufgesplitted – dank der DNS-Untersuchungen! Heute unterscheidet man mindestens 8 (zeitweise sogar bis zu 14) Unterarten plus eine zusätzliche Art. Äußer­lich sind sie für Laien nicht unterscheidbar. Alle Formen sind im Terralog Schildkröten der Welt Teil 1 abgebildet.

Exemplar mit hohem Gelbanteil in der Färbung

Man fand anhand der weiblichen Erblinien (mitochondriale DNS) heraus, dass in Hessen ge­fundene Europäische Sumpfschildkröten (aus der Umgebung von Bensheim; das ist lustigerweise kaum 30 km von der Gegend entfernt, in der ich als Junge nach ihr suchte) einer Erblinie entsprechen, die heutzutage natürlicherweise noch an der nördlichen Mittelmeerküste der iberischen Halbinsel, Süd- und Zentral-Frankreich, der Donau-Tiefebene und der südlichen Balkan-Halbinsel gefunden wird. In dieser West-Ost-Verbreitung klafft eine Lücke. Diese Lücke umfasst das südliche Deutschland, die Tschechische Republik und die Schweiz. In allen drei Ländern ist die Europäische Sumpfschildkröte längst ausgestorben. Es ist nahezu unmöglich, dass ausgerechnet in Süd-Hessen, einem der am dichtesten besiedelten Landesteile Deutschlands, eine bodenständige Population der Europäischen Sumpfschildkröte unbemerkt überlebt hat. Es ist hingegen extrem wahrscheinlich, dass in den 1980er Jahren Europäische Sumpf­schildkröten aus Jugoslawien oder Süd­frankreich als Urlaubsmitbringsel an die Bergstraße kamen und entweder ent­wischten oder ausgesetzt wurden. Es gibt aller Wahrscheinlichkeit nach keine boden­ständigen hessischen Europäische Sumpf­schildkröten. Punkt. Auswildern ist Unsinn. Nochmal Punkt!

Hybriden kann man anhand mitochondrialer DNS nicht erkennen. Diese Erbsubstanz wird nur in der mütterlichen Linie vererbt. Ein Maultier (Photo: Adrian Michael) ist anhand mitochondrialer DNS darum nicht vom Pferd zu unterscheiden. Maultiere sind eine Kreuzung aus Pferd (Mutter) und Esel (Vater).

Aber es ist ganz interessant, was mit den Bensheimer Schildkröten passierte. Man brachte sie nämlich in den Frankfurter Zoo, wo sie üppig nachgezüchtet werden. Und diese Nachzuchten wildert man aus (zu gut deutsch: jagt Pudel in den Wald). Denn soviel hat die Terrarienkunde geschafft: die Pflege und erfolgreiche Nachzucht von Europäische Sumpfschildkröten ist heutzutage kein Problem mehr. So kann auch jeder, der möchte, für wenig Geld Nachzuchttiere kaufen. Wer es ganz genau wissen will, kann sogar die mitochondriale DNS untersuchen lassen und erfährt so, wo die Mutter einmal herkam. Aber diese mitochondrialen DNS-Unter­suchungen haben einen entscheidenden Nachteil: Mischlinge kann man damit nicht erkennen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Terrarienbestände allesamt Hybridbestände sind.

Europäische Sumpfschildkröten kann man sehr gut nachzüchten, darum sind sie im Tierhandel häufig und für vergleichsweise wenig Geld zu erwerben.

Wer also Freude an Europäischen Sumpf­schildkröten hat, soll sie im Terrarium oder im Gartenteich pflegen. Das ist nicht schwer. Sie sind vorwiegend Fleischfresser. In aus­reichend großen Gartenteichen kann man darum sogar Sumpf- und Wasserpflanzen kultivieren, obwohl darin Europäische Sumpf­­schildkröten leben. Das ist ein ent­scheidender Vorteil gegenüber den nord­amerikanischen Schmuckschildkröten, die mit zunehmendem Alter immer mehr zu Vege­tariern werden und jedes Pflänzlein gna­denlos niedermachen. Erwachsene Männ­chen der Europäischen Sumpfschild­kröte sind untereinander manchmal sehr unver­träg­lich. Man sollte darum nur ein Männchen mit einigen Weibchen pflegen, auch wenn es schon häufig vorkam, dass mehrere Männchen friedlich zusammenlebten. Leider kann man bei Jungtieren die Geschlechter nicht unterscheiden. Aber da – wie bei den meisten Schildkröten – das Geschlecht über die Bebrütungstemperatur der Eier gesteuert werden kann, ist die Mehrzahl der ange­botenen Tiere weiblich. Die mittlere Brut­temperatur, bei der das Geschlechter­verhältnis ausgeglichen ist, liegt bei 28,5°C, darunter entstehen mehr Männchen, da­rüber mehr Weibchen. Als optimale Brut­temperatur haben sich 29-30°C bewährt.

Die Europäische Sumpfschildkröte ist ein fast reiner Fleischfresser und kann darum in bepflanzten Teichen gepflegt werden.

Weil man die Geschlechter bei Babies noch nicht erkennen kann und weil im Laufe der Jahre – immerhin kann so eine Emys 70 Jahre und älter werden – doch immer wieder ein­mal Verluste einzukalkulieren sind, sollte man von vornherein nicht weniger als fünf Exem­plare kaufen. Besonders, wenn es gelingt, wirklich reinblütige Exemplare zu ergattern (das ist wie ein Sechser im Lotto!). Es ist im Nachhinein schwierig bis unmöglich, gene­tisch passende Exemplare nachzukaufen. Das ist auch der Grund, weshalb leider fast alle Emys in Gefangenschaft Mischlinge sind.

Babies zieht man am besten auch von An­fang an im Freien auf. Wenn Schwächlinge ster­ben, ist das gut so. Da Naturentnahmen von Europäischen Sumpfschildkröten zu Hal­tungs- und Handelszwecken seit 30 Jahren streng verboten sind und in absehbarer Zeit auch nicht möglich sein werden, sind wir da­rauf angewiesen, nur wirklich kerngesunde Tiere erwachsen werden zu lassen. Aber man sollte dieses Argument selbstverständlich nicht dazu missbrauchen, die Pflege der Tiere zu vernachlässigen. Im Terrarium oder Teich muss täglich (wenn das Wetter es zulässt) ge­füttert werden. Tiefgefrorene ganze Fische, meist handelt es sich um Stinte (Osmerus eper­lanus), sind das optimale Futter, dazu gibt man käufliches Trockenfutter für Wasser­schildkröten, Regenwürmer, grobes Frost­futter für Fische (Rote Mückenlarven, Mysis, Gammarus, Muschelfleisch etc.).

Dieses alte Tier – man erkennt das am glatten Panzer – genießt sein Sonnenbad.

Die Aktivitätsperiode der Europäischen Sumpfschildkröte in Deutschland ist so kurz und die natürlichen Futterressourcen im Terrarium oder Teich so eingeschränkt, dass andernfalls keinerlei Überlebenschance besteht. Spätestens im Winter reichen die Fettreserven nicht aus und das Tier stirbt. Wegen der kurzen Sommer ist die Dauer der Eientwicklung mit ca. 70 Tagen (für Schild­krötenverhältnisse) ziemlich kurz und die Jungtiere wirklich winzig, etwa so groß wie ein Daumennnagel (2 cm Panzerlänge). Jede Elster holt sich diese appetitlichen Happen, wenn man sie lässt. Darum ist die Pflege in großen, rundum vergitterten Meerschwein­chenkäfigen in den ersten Lebensjahren optimal, worin die Tiere allerdings nicht überwintern können. Ein Einfrieren über­stehen sie niemals! Sobald Nachtfröste drohen, überführt man die Schildkröten darum in einen Kühlschrank bei 5°C. Die Überwinterung erfolgt in Wasser. Der Wasserstand muss dabei etwa das 1,5-fache der Panzerbreite betragen. Um Verpilzungen vorzubeugen, ist auf weiches Wasser mit einem pH-Wert zwischen 6 und 6,5 zu achten. Man erreicht dies durch die Ver­wendung von vollentsalztem (im Handel als destilliertes Wasser zum Bügeln oder für Autokühler zu kaufen) Wasser, das man mit Leitungswasser mischt, bis eine Gesamthärte von 6-8°dH erreicht ist. Man gibt pro Tier ein Erlenzäpfchen in die Überwinterungsschale, das senkt den pH-Wert, wirkt gegen Pilze und schädliche Bakterien. Am besten überwintert man jedes Exemplar in einem eigenen Be­hälter, da es andernfalls in der Enge der Ge­fäße leicht zu unnötigen Verletzungen der Tiere durch die scharfen Krallen von Mit­insassen kommt.

GANZ WICHTIG: Emys ertrinken sehr leicht. Es muss – ganz besonders vor und nach der Winterruhe, darauf geachtet werden, dass die Tiere leichte Ausstiegsmöglichkeiten haben!


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Während der Aufzucht ist darauf zu achten, dass die Tiere nicht überhitzen können. Der prallen Sonne schutzlos ausgesetzt sterben sie sonst sehr schnell. Am besten vermeidet man das, indem man Schwimmpflanzen in den Aufzuchtbehälter einbringt. Froschbiss (Hydrocharis morsus-ranae), er ist winterhart, zieht aber im Herbst ein und bildet Über­winterungs­knollen, aber auch die tropischen Art Pistia stratiotes eignen sich hervorragend. Sie stirbt aller­dings bei den ersten Frösten ab. Als Unter­wasserpflanzen nimmt man Wasserpest (Elodea densa) oder Hornkraut (Cerato­phyllum demersum). Beide sind winterhart und kommen jährlich wieder.

In geschützten Lagen und bei ausreichend tiefem Wasser (mindestens 1 Meter) kann die Europäische Sumpfschildkröte auch ganz­jährig im Freien gepflegt werden. In harten Wintern sterben auch mal ein paar Tiere, aber das ist in der Natur ja auch nicht anders. Eines aber muss man wissen: ist um den Garten­teich keine absolut ausbruchsichere Um­zäunung angebracht (und die Tiere klettern exzellent!) wandern die Europäischen Sumpf­schildkröten ab, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und das braucht unsere gebeutelte Natur nun wirklich nicht auch noch. Ein Aussetzen oder „Auswildern“ kommt auf keinen Fall in Frage!

Frank Schäfer

Literatur

Fritz, U. (2000): Verbreitung, Formenvielfalt und Schutz der Europäischen Sumpfschild­kröte Emys orbicularis (L.). Stapfia 69 Neue Folge Nr. 149: 13-20
Fritz, U., Ayaz, D., Hundsdörfer, A. K., Kotenko, T., Guicking, D., Wink, M., Tok, C. V., Cicek, K. & J. Buschbom (2009): Mitochondrial diversity of European pond turtles (Emys orbicularis) in Anatolia and the Ponto-Caspian Region: Multiple old refuges, hotspot of extant diversification and critically endangered endemics. Organisms, Diversity & Evolution 9: 100-114
Fritz, U., Guicking, D. Lenk, P., Joger, U. & M. Wink (2004): When turtle distribution tells European history: mtDNA haplotypes of Emys orbicularis reflect in Germany former division by the Iron Curtain. Biologia, Bratislava, 59/Suppl. 14: 19—25
Kinzelbach, R. (1988): Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) im Einzugsgebiet des Rheins. Zeitschrift Angewandte Zoologie Berlin 75(4): 385-419.
Mertens, R. (1947): Die Lurche und Kriechtiere des Rhein-Main-Gebietes.
Sommer, R. S., Linfqvist, C., Persson, A., Bringsoe, H., Rhodin, A. G., Schneeweiss, N., Siroky, P., Bachmann, L. & U. Fritz (2009): Unexpected early extinction of the European pond turtle (Emys orbicularis) in Sweden and climatic impact on its Holocene range. Molecular Ecology 18, 1252–1262
Winkel, S. (2001): Reinheimer Sumpfschildkröten erhalten hessischen Pass. Jahrbuch Naturschutz in Hessen 6: 239-247
Winkel, S. & M. Kuprian (2011): Artensteckbrief für die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis orbicularis). HESSEN-FORST Servicezentrum Forsteinrichtung und Naturschutz (FENA) Europastr. 10 – 12, 35394 Gießen, 12pp